Definition:

→ I: Bei der Analfissur handelt es sich um einen longitudinal-verlaufenden, oberflächlichen, z.T. auch in tiefere Schichten (evtl. bis zu den Fasern des M. sphinkter internus) reichenden Ulkus (= Defekt) der Schleimhaut des Analkanals (= hochsensiblen Anoderms) distal der Linea dentata. Sie ist sehr häufig bei 6 Uhr, seltener bei 12 Uhr in Steinschnittlage (= SSL) lokalisiert.

II: Eine atypisch lokalisierte Analfissur kann u.a. Hinweis für ein:

→ 1) Analkarzinom,

→ 2) Einen Morbus Crohn oder

→ 3) Venerische Infektionen sein.

695 Schematische Darstellung der Analfissur

 

Epidemiologie: Insgesamt stellt die Analfissur eine eher seltene Erkrankung dar; es existieren keine genaue Zahlen über die Häufigkeit.

→ I: Im Allgemeinen weist die Analfissur keine Geschlechterspezifität auf; im Bereich der vorderen Kommissur sind Frauen aber marginal häufiger betroffen als Männer.

→ II: Die Analfissur kann in jedem Lebensalter auftreten, der Manifestationsgipfel liegt jedoch zwischen dem 30-50. Lebensjahr.

 

Lokalisation:

→ I: 80% aller Analfissuren sind im Bereich der hinteren Kommissur (6 Uhr in SSL) lokalisiert. Als Ursache hierfür wird die ausgeprägte Verflechtung der glatten Muskulatur angenommen.

II: 10% der Fissuren treten an der vorderen Kommissur (12 Uhr in SSL) auf und betreffen insbesondere Frauen.

→ III: In 5% der Fälle befinden sich Fissuren sowohl an der vorderen als auch der hinteren Kommissur.

→ IV: Seitlich lokalisierte (= atypische) Fissuren sind ausgesprochen selten und bedürfen einer genaueren Diagnostik zur Klärung der Grunderkrankung.

 

Ätiologie: Die Genese ist noch nicht genau geklärt, jedoch geht man von einem multifaktoriellen Geschehen aus. Hierzu zählen:

I: Einrisse der Analschleimhaut durch mechanische Beanspruchung (z.B. Insbesondere durch Diarrhoe, aber auch durch Obstipation).

→ II: Störungen im Bereich des M. sphincter ani internus mit chronischem Sphinkterspasmus. Folge ist eine Fibrosierung des Muskels und anschließende Rissbildung der darüber liegenden Haut.

→ III: Lokalischämie:  Im Bereich der dorsalen Kommissur des Analkanals besteht ein verminderter Blutfluss, der durch einen spastischen Sphinktertonus verstärkt werden kann, da versorgende Hämorrhoidalarterien den inneren (spastisch veränderten) Analsphinkter passieren.

→ IV: Vergesellschaftet mit weiteren Erkrankungen wie Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, Analkarzinom, Psoriasis, Leukämie, etc.

→ V: Läsionen der Analhaut aufgrund von Infektionen wie lokalisierte Kryptitiden, aber auch bei Herpes-simplex, TBC, Syphilis und HIV.

VI: Weitere begünstigende Ursachen: Sind u.a.:

1) Vorbestehende Hämorrhoiden,

→ 2) Chemotherapie aber auch Nahrungsmittelunverträglichkeit (z.B. Laktoseintoleranz).

→ 3) Sexuelle Vorlieben (= Analverkehr),

→ 4) Sitzende Tätigkeiten.

 

Einteilung: Man unterscheidet bei der Analfissur zwischen einer primären - und sekundären - sowie zwischen einer akuten - und chronischen Form:

I: Primäre Analfissur: Auch hier ist die Genese bis heute noch nicht explizit geklärt, vielmehr wird eine multifaktorielle Genese diskutiert. Hierbei spielen insbesondere mechanische (Kotballen, chronische Obstipation, aber auch Diarrhoe), vaskuläre, neuromuskuläre und infektiöse Faktoren eine wichtige Rolle. Die primäre Analfissur ist an den klassischen Stellen auf 6 bzw. 12 Uhr in SSL lokalisiert.

II: Sekundäre Analfissur: Sie entwickelt sich sekundäre infolge verschiedener Grunderkrankungen Hierzu gehören: Morbus Crohn, Colitis ulcerosavenerische Erkrankungen wie Lues, Ulcus molle, Herpes simplex, aber auch das seltene Analkarzinom. Sie treten charakteristischerweise nicht an den Prädilektionsstellen auf, sondern sind vielmehr atypisch lokalisiert.

III: Akute Analfissur: Klinisch bestehen heftigste Schmerzen während der Defäkation. Morphologisch handelt es sich bei der Analfissur um ein flaches Ulkus, dessen Ränder nur schwer von der Umgebung abgrenzbar sind. Auf dem Ulkusgrund lassen sich Fasern der Muscularis mucosae nachweisen.

→ IV: Chronische Analfissur: Klinisch ist die chronische Analfissur durch eine geringere Schmerzhaftigkeit und eine fehlende Heilungstendenz gekennzeichnet. Morphologisches Korrelat ist eine distal der Analfissur befindliche prominente Hautfalte, die als Vorpostenfalte (= Wächtermariske) bezeichnet wird. Proximal in Höhe der Linea anorectalis ist ggf. eine hypertrophe Analpapille nachweisbar; beide repräsentieren Reparationsprozesse des Organismus. Am Ulkusgrund können sich querverlaufende Fasern des M. sphinkter ani internus darstellen.

 

Klinisch-relevant: Die chronische Analfissur ist gekennzeichnet durch das Vorhandensein von:

→ A) Freiliegender Sphinktermuskulatur,

→ B) Prominenten Wundrändern,

→ C) Einer Vorpostenfalte und

→ D) Einer hypertrophen Analpapille.

 

Klinik: Die Analfissur weist eine klassische Symptomtrias bestehend aus Schmerzen, Sphinkterspasmus und Blutungen auf.

→ I: Akute Analfissur:

→ 1) Das Leitsymptom der akuten Analfissur ist ein sehr heftiger quälender Schmerz während und nach der Defäkation. Z.T. können die Schmerzen einige Stunden (1-2h) nach dem Stuhlgang anhalten und bis in Rücken, Bein und Genital ausstrahlen.

→ 2) Der Schmerz kann eine Verkrampfung der Sphinktermuskulatur, sowie die Unterdrückung der Defäkation bzw. eine Stuhlverhalten bis hin zum Ileus provozieren. Zumeist ist der Stuhl nur bleistiftdick.

→ 3) Des Weiteren können sich hellrote, streifenförmige Blutspuren auf dem Stuhl bzw. Toilettenpapier manifestieren; ausgeprägtere Blutungen bestehen zumeist nicht.

II: Chronische Analfissur:

→ 1) Bei dieser Form ist die Schmerzintensität deutlich geringer.

2) Weitere, charakteristische, jedoch häufig nur passagere Symptome sind Juckreiz, Nässen und Eiterabgang.

569 Unterscheidungsmerkmale zwischen akuter und chronsicher Analfissur

 

Diagnose:

→ I: Anamnese: Eruierung der Stuhlkonsistenz, eines Defäkationsschmerzes, Blutauflagergerungen etc.

→ II: Klinische Untersuchung:

→ 1) Inspektion: Nach leichtem Spreizen des Afters lässt sich die Analfissur zumeist gut darstellen. Des Weiteren kann sich im Bereich der hinteren Kommissur eine Vorpostenfalte manifestieren.

→ 2) Digital-rektale Untersuchung: Bei Unklarheit ist eine digital-rektale Untersuchung indiziert, die sehr schmerzhaft ist und immer einer Lokalanästhesie (z.B. durch Unterspritzung mit einem Lokalanästhetikum) bedarf. Eine proktologische Untersuchung ist zumeist nicht nötig, sollte aber obligat in Vollnarkose erfolgen.

 

Differenzialdiagnose: Von der Analfissur sind u.a. nachfolgende Erkrankungen abzugrenzen: Hierzu zählen:

→ I: Venerische Infektionen,

→ II: Analabszess,

→ III: Analfistel,

→ IV: Hämorrhoidalleiden,

→ V: Analvenenthrombose und

→ VI: Das Analkarzinom.

 

Therapie: Wichtigstes Ziel bei der Behandlung der Analfissur ist die Beseitigung des Sphinkterspasmus mit konsekutiver Verbesserung der Durchblutung, die Vorraussetzung für eine verbesserte Abheilung der Fissur ist.

→ I: Konservative Therapie: Sie erfolgt immer bei allen akuten Analfissuren und kleineren chronischen Fissuren. Im Mittelpunkt der Behandlung stehen:

→ 1) Normalisierung Stuhlkonsistenz durch ballaststoffreiche Kost, Weizenkleie, Leinsamen, reichlich Flüssigkeitszufuhr und/oder leichten Laxanzien.

→ 2) Senkung des Sphinkterdruckes: Durch:

→ A) Unterspritzung mit einem Lokalanästhetikum (z.B. 2ml einer 1%igen Xylocainlösung).

B) Aufbringen einer antiphlogistischen, abschwellenden Salbe. Hierbei kommen folgende Stoffgruppen infrage. Nitrate wie z.B: Nitroglycerin (Nitroglycerin Salbe 0,2%ig, lösen nicht selten Kopfschmerzen aus); Kalziumantagonist (Nifedipin-Salbe oder eine 2%ige Diltiazem-Salbe). Die Salben müssen mehrmals täglich (2-maximal 6x) über ein Zeitintervall 6-8 Wochen lokal appliziert werden. Beide Präparate steigern zusätzlich die Durchblutung von Sphinkter und Mucosa.

→ 3) Botulinum-Toxin-Injektion: Botulinum-Toxin A20 wird intrasphinktär injiziert. Folge ist eine wochenlange Inkontinenz. Da das Verfahren sehr teuer ist, wird es nur bei therapierefraktärer Analfissur eingesetzt.

→ 4) Eine weitere Maßnahme ist die Anwendung von Sitzbädern mit z.B. Kamille.

696 Patientenführung bei Anafissur

II: Operative Therapie: Sie ist nur bei chronischen Fissuren bzw. bei erfolgloser konservativer Therapie (ca. nach 8 Wochen) indiziert.

→ 1) Fissur-Exzision: Mittel der Wahl ist die Fissurektomie mit gleichzeitiger Entfernung der Mariske und anschließender Anlage eines Drainagedreiecks sowie eines sogenannten Fissurdebridements (= Debridement des Fissurgrundes).

→ 2) Laterale submuköse Sphinkterotomie: Nach Parks wird aufgrund der Inkontinenzkomplikationen nur noch sehr selten durchgeführt. Eine Indikation stellt die konservativ nicht beherrschbare Analfissur mit drastisch gesteigertem Sphinktertonus dar. Sie ist sowohl als geschlossene als auch offene Sphinkterotomie in SSL bei 3 Uhr möglich.

→ III: Postoperative Therapie: Sind Sitzbäder und sphinkterdrucksenkende Salben indiziert.

 

→ Klinisch-relevant: Ein wohlgeformter Stuhl mit Dehnungseffekt auf den Schließmuskel ist die beste Strategie, um einer Alafissur präventiv vorzubeugen. Auf diese Weise kann das Auftreten von Rezidiven vermieden werden.

 

Prognose:

→ I: Bei Exzision der Analfissur sind Inkontinenzkomplikationen sehr selten.

→ II: Mit 10-20% der Fälle ist die Rezidivrate der Analfissur jedoch relativ hoch.