→ Definition:
→ I: Beim akuten arteriellen Gefäßverschluss handelt es sich um eine plötzliche Verlegung des arteriellen Gefäßlumens mit Gefahr der ischämischen Gewebeläsion abhängig von der Ischämiedauer und -toleranz des betroffenen Gewebes.
→ II: Er stellt den häufigsten gefäßchirurgischen Notfall dar.
→ Ätiologie:
→ I: Die häufigste Ursache mit ca. 70% der Fälle ist die Embolie, die sich zumeist im Herzen (linken Vorhof) aufgrund z.B. eines Vorhofflimmerns entwickelt.
→ II: Des Weiteren steht auch der arterielle Thrombus häufig infolge von arteriosklerotischen im Vordergrund des Geschehens. Aber auch Gefäßprothesen, Aortendissektionen (mit Verlegung der abgehenden Gefäße durch die in das Gefäßlumen eingeschlagene Intima), traumatische Gefäßwandschädigungen, Polyglobulie, Phlegmasia coerulea dolens können an der Entwicklung von Thromben beteiligt sein.
→ III: Weit seltenere Ursachen sind u.a.:
→ 1 Paradoxe Embolie: Bei offenem Foramen ovale können Thromben aus dem venösen Stromgebiet in die arterielle Strombahn gelangen und hier embolisieren.
→ 2) Mikroembolie: Es handelt sich um < 1mm große Embolien, die aus atheromatösen Gefäßulzerationen und Plaques ausgeschwemmt werden. Eine weitere seltene Form stellt die Cholesterinembolie dar, die u.a. zum Blue-toe-Syndrom führt. Durch die Mikroembolisation kommt es zur Verschluss der akralen Kapillarstrombahn mit konsekutiver Entwicklung von ausgeprägten Schmerzen.
→ 3) Pseudoembolien: Bei dieser Form täuschen Gefäßspasmen ein Embolie vor, hervorgerufen durch z.B. ergotaminhaltige Migränemmittel.
→ Pathophysiologie: Für die Ausbildung einer akuten Ischämie sind vorwiegend 2 Krankheitsbilder verantwortlich.
→ I: Embolie:
→ 1) Bei der Embolie kann es sich zum einen um eine Verschleppung eines Thrombus in ein primär offenes Gefäß (10% der Fälle) handeln, zum anderen kann sie (arterielle Embolie mit 80-90% der Fälle) sich aber auch im Rahmen einer kardialen Erkrankung, die den Herzrhythmus (insbesondere das Vorhofflimmern) und die Pumpleistung beeinträchtigen, entwickeln.
→ 2) Distal des Verschlusses entsteht eine Hypoxie, die abhängig von der Hypoxietoleranz zur Nekrose führt (geringste Hypoxietoleranz haben nervale Struturen gefolgt von der Muskulatur, die höchste Ischämietoleranz hat die Haut).
→ 3) Klinisches Zeichen: Ist der akute, schlagartige Beginn der Symptomatik aufgrund eines fehlenden Kollateralkreislaufes.
→ II: Autochthone Thrombose:
→ 1) Sie entwickelt sich auf dem Boden einer Arteriosklerose. Im Gefäß zeigt sich eine degenerative Wandläsion, auf die sich ein Abscheidungsthrombus aufpfropft.
→ 2) Es sind insbesondere die mittleren und kleinkalibrigen Arterien (Ober- und Unterschenkel-, Koronargefäße, A. carotis interna, A. cerebri media oder A. mesenterica) betroffen.
→ 3) Da sich aufgrund der Arteriosklerose zumeist Kollateralkreisläufe ausgebildet haben, ist der Beginn der Symptomatik subakut und die klinischen Zeichen nicht vollständig ausgeprägt.
→ Lokalisation:
→ I: Die meisten Embolien sind im Bereich des Hirnstromgebietes lokalisiert.
→ II: 75% der peripheren Verschlüsse befinden sich im Bereich der unteren Extremität, 20% im Bereich der oberen Extremität. In 5% der Fälle manifestieren sich Verschlüsse der Mesenterialarterie.
→ III: Prädilektionsstellen für Embolieverschlüsse sind Gefäßaufzweigungen wie die Aortenbifurkation, A. femoralis, A. poplitea, die Gefäßabgänge der A. mesenterica sowie A. carotis.
→ Klinik:
→ I: Die Klinik richtet sich nach der betroffenen Gefäßregion (Organ, Extremität) und setzt beim embolischen Geschehen aufgrund des fehlenden Kollateralkreislaufes akut ein.
→ II: Verschluss der A. carotis interna: Abhängig von der Lokalisation und der Ausprägung treten Symptome wie TIA, PRIND und Apoplexie auf.
→ III: Verschluss der Aorta abdominalis: Auf Höhe der Bifurkation manifestiert sich nicht selten das Leriche-Syndrom mit einem dramatischen Verlauf.
→ IV: Akuter Mesenterialarterienverschluss: Massiver Sofortschmerz (= Vernichtungsschmerz) mit Zeichen eines akuten Abdomens.
→ V: Akuter Extremitätenverschluss:
→ 1) Klassische Symptome sind die 6 Ps nach Pratt: Klinisch zeigt sich charakteristischerweise eine Seitendifferenz mit völliger Gesundheit der kontralateralen Extremität.
→ 2) Der arterielle Extremtitätenverschluss kann bezüglicher des klinisch-inspektorischen Befundes, der Sensibilität, Motorik nach Rutherford in verschiedene Schweregrade unterteilt werden:
→ Diagnose:
→ I: Anamnese/klinische Untersuchung:
→ 1) Embolie:Eruierung von insbesondere kardialen und/oder angiologischen Vorerkrankungen. Untersuchung von Hautfarbe (blass/rötlich), Hauttemperatur (kalt, überwärmt), Schmerzen, neurologischen Ausfälle und der Motorik.
→ 2) Autochthone Thrombose: Auch hier steht die Anamnese im Vordergrund mit Erfassung der Beschwerden, möglicher Risikofaktoren, der Gehstrecke. Zumeist fehlen die Pulse auf der Gegenseite, die Haut ist kalt und blass, die Schmerzen meist nur mäßig ausgebildet.
→ Klinisch-relevant: Die Diagnose eines akuten Arterienverschlusses wird primär klinisch gestellt, da eine invasive Diagnostik (z.B. Angiographie) zur weiteren Verzögerung der Therapie führen würde.
→ II: Bildgebende Verfahren:
→ 1) Doppler-Sonographie: Zur Verifizierung des klinischen Befundes. Die farbkodierte Duplexsonographie ist das Mittel der 1. Wahl zur Diagnosestellung des arteriellen Gefäßverschlusses.
→ 2) Weitere mögliche Untersuchungen sind DSA (= Digitale Subtraktionsangiographie), Spiral-CT, Magnetresonanzangiograhie (MRA).
→ 3) Besteht eine arterielle Thrombose ist zur Therapieplanung eine Angiographie zur Beurteilung des gesamten Gefäßsystems obligat. Charakteristischweise zeigt sich im Gegensatz zum Kuppelbild bei der Embolie ein abrupter Abbruch der KM-Säule sowie degenerative Wandveränderungen, Kaliberschwankungen und Kollateralkreisläufe mit konsekutiver Füllung peripherer Strombahnen.
→ Differenzialdiagnose: Vom akuten arteriellen Gefäßverschluss sind u.a. nachfolgende Erkrankungen abzugrenzen:
→ I: Tiefe Beinvenenthrombose mit möglicher Entwicklung einer Phlegmasia coerulea dolens weisen eine ähnliche Symptomatik auf.
→ II: Aortendissektion,
→ III: Immunvaskulitis mit Erhöhung der Entzündungsparameter und Nachweis von Autoantikörpern.
→ IV: Nicht-angiologische Erkrankungen: Wie Bandscheibenprolaps, Muskelfaserriss, Neuritiden, etc.
→ Therapie: Beim akuten Arterienverschluss ist eine sofortige Behandlung obligat, um das chirurgische Behandlungsfenster von 6h einzuhalten.
→ I: Sofortmaßnahmen: Hierzu zählen:
→ 1) Tieflagerung (zur Steigerung des Perfusionsdrucks) und Wattepolsterung der betroffenen Extremität.
→ 2) Anlage eines venösen Zugangs und sofortige Blutentnahme.
→ 3) Infusionstherapie zur Schockprophylaxe.
→ 4) Analgetikatherapie mit z.B. Piritramid (Dipidolor 7,5-15mg i.v.) oder Tramadol (Tramal 50-100ng i.v.) bei massiven Schmerzen Morphin 5-10mg i.v. als Einzeldosis oder Kurzinfusion.
→ 5) Antikoagulation: Es erfolgt eine sofortige Heparinisierung mit 5000-10000IE Heparin i.v. als Bolus zur Vermeidung eines Appositionsthrombus und anschließender Heparin-Applikation von 20000-30000IE/d (Ziel-pTT 60-80sec.) mittels Perfusor.
→ II: Embolischer Verschluss:
→ 1) Bei Verdacht auf einen embolischen Verschluss sollte aufgrund des Zeitfaktors eine sofortige operative Intervention zur Rekanalisation eingeleitet werden.
→ Klinisch-relevant: Ein embolischer Verschluss geht zumeist mit einer vollständigen Ischämie einher, da keine Kollateralkreisläufe existieren. Eine Lysetherapie würde nicht zu einer sofortigen Wiedereröffnung des Gefäßlumens führen, sodass die Ischämie-Zeit des betroffenen Gewebes überschritten werden würde.
→ 2) Operative Therapiemaßnahmen: Sind beim embolischen Verschluss u.a.:
→ A) Indirekte Embolektomie mit Hilfe eines Ballonkatheter nach Fogarty.
→ B) TEA: (= Thrombendarteriektomie) Hierbei erfolgt eine direkte Embolektomie offen, halboffen oder geschlossen.
→ C) Besteht der seltene Fall einer inkompletten Ischämie kann eine Fibrinolyse erwogen werden.
→ III: Arterieller Thrombus: Hier steht die konservative Behandlung mit Rekanalisierung der Strombahn durch Lyse (lokale Katheterfibrinolyse mit Streptokinase, Urokinase oder rT-PA) im Vordergrund. Ziel ist es, die Stenose zu demaskieren, um sie in einem 2 Schritt mit Hilfe der PTA mit/ ohne Stentimplantation oder durch eine Bypass-Operation zu beseitigen. Begleitende Maßnahmen sind Hepariniserung, Prostavasin-Gabe (PGE-1), Hämodilution durch isovolämische Infusionstherapie bei einem Hämatokrit-Wert > 50% und nicht zuletzt durch medikamentöse Steigerung der kardialen Auswurfleistung.
→ Klinisch-relevant: Eine i.m. Injektion ist aufgrund der Lysetherapie absolut kontraindiziert.
→ Nachsorge:
→ I: Postoperativ erfolgt eine Antikoagulation mit Heparin in einer Dosis von 15000-30000 IE/d. Überlappend wird dann bei embolischen Verschlüssen eine orale Antikoagulation mit Phenprocoumon (Macumar) mit einem Ziel-INR von 2,5-3,5 (= Quick 20-30%) eingeleitet. Bei arteriellen Thrombosen erfolgt die medikamentöse Langzeittherapie mittels ASS.
→ II: Zur langfristigen Beseitigung der Emboliequelle muss die Grunderkrankung behandelt werden z.B. Digitalis bei Vorhofflimmern, Herzklappenersatz bei Klappenfehlern.
→ Postoperative Komplikationen:
→ I: Kompartment-Syndrom: Im Anschluss an die Rekanalisierung kann sich ein postischämisches Ödem entwickeln, dass insbesondere von der Dauer des ischämischen Verschlusses abhängig ist. So kann eine Kompartmentspaltung vor Revaskularisation erwogen werden.
→ II: Reperfusions-Syndrom: Aufgrund des anaeroben Stoffwechsels bewirken freie Radikale und toxische Stoffwechselmetaboliten eine Endothelläsion. Folgen sind Funktionsverlust der Extremität und die mögliche Entwicklung eines Leriche-Syndroms innerhalb von Stunden; nicht selten kommt es zur Schocksymptomatik.
→ III: Crush-Niere: (bzw. Rhabdomyolyse) Hierbei kommt es zum Zerfall der Muskelzellen mit konsekutiver Freisetzung von Myoglobin. Dies wird über das Blut zur Niere transportiert und renal eliminiert. Zugleich verstopft es aber auch die Nierentubulie und führt somit zu einer progredienten Niereninsuffizienz.
→ Prognose:
→ I: Erfolgt die Behandlung innerhalb des Zeitfensters von 6-(8) Stunden ist die Prognose gut.
→ II: Bei zeitlich fortgeschrittenen Verschlüssen sollte immer eine Spätembolektomie (24-36h) eingeleitet werden.
→ III: Die Amputationsrate liegt bei 5% der Fälle und ist nur bei schon manifestem Gangrän indiziert.
→ IV: Die Mortalitätrate liegt bei bis zu 25% der Fälle.