Definition: Bei der Klavikulafraktur handelt es sich um eine Kontinuitätsunterbrechung des Schlüsselbeins infolge eines indirekten Traumas. Sie stellt mit 12 % der Fälle eine der häufigsten Frakturen im Erwachsenenalter dar (im Kindesalter handelt es sich in 50% der Fälle um eine Grünholzfraktur).

→ Anatomie: Der Schultergürtel verbindet die obere Extremität mit dem Rumpf und wird durch die Klavikula und die Scapula gebildet, welche die Pfanne des Schultergelenks für die Aufnahme des Oberarms trägt. Die Klavikula ist in einem inneren Gelenk (Articulatio sternoclavicularis) mit dem Brustbein und in einem äußeren Gelenk (= Art. acromioclavicularis) mit dem Schulterbein verbunden; beide Gelenke sind funktionell Kugelgelenke. Im Sternoklavikulargelenk befindet sich ein Faserknorpel-Discus, der die Inkongruenz der Gelenkflächen ausgleicht. Der Schultergürtel ist durch zahlreiche ligamentäre Strukturen gesichert; hierzu zählen u.a. das Lig. sternoclaviculare, Lig. interclaviculare (zwischen beiden Schlüsselbeinen), Lig. costoclaviculare (zwischen Schlüsselbein und 1. Rippe). Die Klavikula ist S-förmig und auf der gesamten Fläche unter der Haut tastbar.

687 Ligamentäre Strukturen des Akromioklavikulargelenks

Pathogenese: Die Klavikulafraktur manifestiert sich nach direkter (z.B. Verkehrsunfall mit direktem Anprall) oder indirekter Gewalteinwirkung bzw. geburtstraumatisch:

→ I: Direkt: (selten) Infolge eines Schlages, Stoßes oder Schusses; hierbei ist häufig das laterale Klavikuladrittel betroffen.

→ II: Indirekt: (häufig) Durch Sturz auf den ausgestreckten Arm bzw. auf die Schulter. Die Fraktur ist meist im mittleren Drittel lokalisiert.

 

Klassifikation: Folgende Klassifikationen haben sich etabliert: Nach der Frakturlokalisation bezüglich ihrer Häufigkeit (nach Allman):

→ I: Mediale Klavikulafraktur: Mit 5% die seltenste Form.

→ II: Mittlere Klavikulafraktur: Ist mit 80% die häufigste Form (fragiler Bereich); meist verursacht durch ein indirektes Trauma.

685 Klassifikation der Klavikulafraktur nach Allmann

 → III: Laterale Klavikulafraktur: Findet man in 15% der Fälle (oftmals bedingt durch ein direktes Trauma); sie wird nochmals aufgrund ihrer Beziehung zum Lig. coracoclaviculare nach Jäger und Breitner unterteilt in:

1) Typ I: Die Fraktur liegt lateral des Ligamentum coracoclaviculare, sodass es intakt bleibt; der Frakturtyp ist stabil.

2) Typ IIa: Die Fraktur liegt intraligamentär, es besteht ein Abriss der Pars conoidea des Lig. coracoclaviculare. Der Frakturtyp ist instabil, das laterale Frakturfragment disloziert nach ventro-kaudal (Zug des M. pectoralis major), das mediale Frakturfragment nach dorso-kranial (durch Zug des M. sternocleidomastoideus).

→ 3) Typ IIb: Fraktur sowie Abriss der Pars trapezoidea des Lig. coracoclaviculare.

4) Typ III: Hier liegt die Fraktur medial des Lig. coracoclaviculare; das Lig. ist intakt.

→ 5) Typ IV: Betrifft nur Kinder und Jugendliche. Bei diesem Frakturtyp handelt es sich um eine Ausrissfraktur der lateralen Klavikula aus dem Periostschlauch.

684 Klassifikation derlateralen Klavikulafraktur nach Jäger und Breitner

 

Klinik:

→ I: Druckdolenz, Weichteilschwellung, Schmerzen und Functio laesa.

→ II: Dislokation des medialen Frakturfragments nach dorso-kranial durch Zug des M. sternocleidomastoideus und M. trapezius mit Hochstand des medialen Frakturfragments bzw. Dislokation des lateralen Fragments nach mediokaudal durch Zug des Arms und des M. pectoralis

→ III: Weitere Symptome können Verringerung der Schulterbreite, Herunterhängen der betroffenen Schulter sowie Krepitationen sein.

→ IV: Kind: Beim Kind ist die Dislokation des medialen Fragments nicht immer klinisch eindeutig, sodass bei Schonung des Arms nach bekanntem Trauma stets eine Klavikulafraktur aussgeschlossen werden muss.

 

Komplikationen: Treten bevorzugt bei stark dislozierten Frakturen, sowie bei den medialen Frakturen auf:

→ I: Läsionen des Plexus brachialis, der A. axillaris und der A subclavia.

II: Ausbildung eines Pneumothorax oder Hämtothorax,

→ III: Begleitfraktur der 1. Rippe sowie weitere Rippenfrakturen.

IV: Floating-Shoulder: Es besteht ein instabiler Schultergürtel, da das Schultergelenk jeglichen Kontakt zum Schultergürtel verloren hat. Sie manifestiert sich charakteristischerweise im Rahmen von Frakturen der Klavikula bzw. Verletzungen des Akromioklavikulargelenkes kombiniert mit Frakturen des Skapulahalses.

 

Diagnose:

→ I: Anamnese/klinische Untersuchung:

→ 1) Obligate DSM-Kontrolle zum Ausschluss von Begleitverletzungen wie Läsionen des Plexus brachialis und der A. subclavia/A axilaris, einschließlich der Hautsensibilität des M. deltoideus.

2) Inspektorischer/palpatorischer Nachweis einer Stufenbildung der Klavikula bzw. eines Hochstands des medialen Frakturfragments (durch Zug des M. sternocleidomastoideus).

→ II: Bildgebende Verfahren:

→ 1) Röntgen: In 2 Ebenen a.p. und 45° Schrägaufnahme (Zielaufnahme).

2) CT: Gerade bei Frakturen im medialen und lateralen Klavikuladrittel.

→ 3) Angiographie: Bei Verdacht auf Gefäßverletzungen.

Therapie:

→ I: Sofortmaßnahmen: Umfassen u.a.:

→ 1) Analgesie z.B. mit Paracetamol in einer Dosierung von 1g intravenös (und evtl. Morphin 2-5mg i.v.).

→ 2) Bei offenen Frakturen ist eine Antibiotikagabe mit Cephalosporin (z.B. Zinacef 1,5mg/i.v.) obligat.

→ 3) Ruhigstellung mit Hilfe eines Gilchrist-Verbandes. 

→ II: Konservative Therapie:

→ 1) Ist bei allen nicht dislozierten mittleren und medialen Klavikulafrakturen, sowie bei allen nicht dislozierten lateralen Frakturen Typ I, IIb und Typ III indiziert. Hier muss jedoch eine engmaschige radiologische Kontrolle erfolgen, um eine sekundäre Dislokation nicht zu übersehen.

→ 2) Verfahren: Anlage eines Gilchrist- oder Desault-Verbandes bzw. eines Rucksackverbandes (dieser muss regelmäßig nachgespannt werden) für 3-4 Wochen. Gerade bei den lateralen Klavikulafrakturen hat sich der Desault-Verband bewährt. Begleitend wird eine Analgetikatherapie (z.B. Ibuprofen 3x600mg) empfohlen.

III: Operative Therapie: (ist nur selten indiziert)

→ 1) Obligat: Bei offenen Frakturen, stark verkürzte Frakturen (> 2cm), Läsionen des Plexus brachialis und/oder der A. subclavia/A. axillaris, Weichteilgefährdung durch drohende Durchspießung, dislozierte laterale Frakturen Typ I, II, IV, Pseudarthrose.

→ 2) Fakultativ: Bei Schaftfrakturen mit einer Verkürzung von > 25 mm und/oder Abknickung von > 25°, sowie bei persistierenden Schmerzen 4-6 Wochen nach adäquater konservativer Therapie.

3) Verfahren:

708 Operative Therapieverfahren bei der Klavikulafraktur

4) Postoperative Behandlung: Ab dem 3.-4. postoperativen Tag erfolgt eine frühfunktionelle Therapie;  Röntgenkontrollen nach 6 und 12 Wochen. Eine Vollbelastung ist nach 3 Monaten möglich. Die Entfernung des Spickdrahts (Zuggurtung) ist frühsten nach 6 Wochen, die Plattenentfernung nach 7 Monaten möglich.

 

Prognose:

→ I: Konservative Therapie: Hier ist die Heilung meist gut. Über 3-4 Monate persistierende Schmerzen sprechen für eine Instabilität und die Entwicklung einer Pseudarthrose.

→ II: Operative Therapie: Komplikationen bestehen durch direkte Verletzung der Gefäße, des Plexus brachialis und der Pleura aber auch durch Infektionen und Implantatausriss.