Definition: Bei der Mitralklappenstenose besteht eine Mitralklappeneinengung mit Verminderung der Klappenöffnungsfläche (< 2,5 cm²) und konsekutiver Behinderung der enddiastolischen Füllung des linken Ventrikels. Die physiologische Mitralklappenöffnungsfläche liegt > 2,5 cm²; zumeist zwischen 4-6cm² (Abb.: Ventilebene des Herzens).

 

Ätiologie:

→ I: Die erworbene Form entwickelt sich vor allem im Rahmen eines rheumatischen Fiebers/Angina tonsillaris nach einer Infektion mit ß-hämolysierenden-Streptokokken der Gruppe A (in 85% der Fälle). Häufig ist sie hierbei mit einer Aorten- und/oder Trikuspidalstenose vergesellschaftet.

→ II: Selten aufgrund von Mitralringverkalkungen, die auf die Mitralklappe übergreifen und konsekutiv stenosieren. Ursachen hierfür sind u.a.:

→ 1) Rheumatoiden Arthritis,

→ 2) SLE (= systemischer Lupus erythematodes),

→ 3) Löffler Endokarditis,

→ 4) Linksatriales Myxom etc.

 

Pathogenese:  Die verminderte Klappenöffnungsfläche führt zu einer verminderten Füllung des linken Ventrikels mit konsekutiver Drucksteigerung im linken Atrium. Der erhöhte atriale Druck ermöglicht zunächst die Aufrechterhaltung der linksventrikulären Füllung und des HZV. Im weiteren Krankheitsverlauf entfaltet sich jedoch eine zunehmende Obstruktion, die mit einer Abnahme des HZV und den damit verbundenen klinischen Zeichen wie Leistungsminderung, Schwäche und Dyspnoe einhergeht. In Bezug auf das linke Atrium führt die Druckbelastung zu einer Hypertrophie und Dilatation des LA. Der linksatriale Druck setzt sich aus dem LVEDP (= linksventrikulärer enddiastolischer Druck) und dem transmitralen Druckgradienten zusammen. Ein Druckanstieg im linken Atrium führt ab:

→ I: Ab 18mmHg zu einer pulmonalen Überwässerung.

→ II: 25mmHg zu einem interstitiellen Lungenödem und

→ III: 35mmHg zu einem alveolären Ödem. 

 

Klinisch-relevant:

→ A) Der sich entwickelnde Druckanstieg im linken Atrium wird über die Pulmonalvenen in die Lunge passiv weitergeleitet. Reaktiv kontrahieren sich die arteriellen Pulmonalgefäße, um ein Lungenödem zu verhindern.

B) Wird jedoch die Kapazität dieser gegenregulatorischen Mechanismen überschritten und steigt der mittlere Druck in den Pulmonalkapillaren in Ruhe > 25-30mmHg an, besteht gerade unter Belastung, bei Fieber oder Anämie ein erhöhtes Risiko für die Ausbildung eines Lungenödem.

  C) Die reaktiv pulmonalarterielle Vasokonstriktion begünstigt einen bindegewebigen Umbau des Lungengewebes und der Lungenarteriolen mit der Gefahr der Ausbildung einer Lungenfibrose bzw. einer pulmonalen Hypertonie (rechtsventrikuläre Hypertrophie; im weiteren Krankheitsverlauf entwickelt sich eine rechtsventrikuläre Dilatation mit konsekutiver Rechtsherzinsuffizienz).

 

→ Klassifikation: Die Mitralklappenstenose wird anhand nachfolgender Parameter in 3 Schweregrade unterteilt : 

→ I: Mittlere transmitraler Druckgradienten,

→ II: Mitralklappenöffnungsfläche und

→ III: Mittlerer Pulmonalkapillardruck unter Belastung (mPCP).

834 Schweregrad der Mitralklappenstenose

 

Klinik: Die Symptomatik entwickelt sich zumeist erst 10-20 Jahre nach dem Infekt und ist insbesondere vom Schweregrad der Stenose abhängig:

→ I: Zeichen einer Linksherzbelastung mit Arrhythmia absoluta bei Vorhofflimmern.

II: Folgen der Lungenstauung mit Belastungsdyspnoe, Ruhedyspnoe, Orthopnoe, nächtlichem Husten (= Asthma cardiale), evtl. Hämoptoe mit Herzfehlerzellen im Sputum (= Hämosiderin-haltige Makrophagen) aufgrund von Gefäßrupturen bei pulmonalvenöser Hypertonie.

III: Zeichen einer Rechtsherzbelastung mit Stauung der Hals- und Zungengrundvenen, Stauungsleber und -niere mit Proteinurie, sowie peripheren Ödemen.

→ IV: Ortner-Syndrom: Es besteht eine Heiserkeit, die durch Druck des dilatierten linken Atriums auf den N. laryngeus recurrent hervorgerufen wird.

V: Abnahme des Herzzeitvolumens mit Leistungsminderung, peripherer Zyanose und rötlich zyanotischen Wangen (= Facies mitralis).

→ VI: Weitere Symptome: Sind u.a.

→ 1) Palpitationen und pectanginöse Beschwerden.

→ 2) Gastrointestinale Beschwerden mit Dyspepsie, Appetitlosigkeit, Gewichtsabnahme bei Stauungsgastritis etc.

 

→ Komplikationen: Sie bestehen insbesondere bei Vorhofflimmern mit atrialer Thrombose-Entwicklung und konsekutiver arterieller Emboliegefahr:

→ I: Ischämische zerebrale Insulte,

→ II: Extremitätenarterienverschlüsse,

→ III: Mesenterialinfarkte etc. 

 

Diagnose:

→ I: Anamnese/klinische Untersuchung:

→ 1) Eruierung eines rheumatischen Fieber und/oder einer Angina tonsillaris sowie weiterer Vorerkrankungen wie die SLE, rheumatoide Arthritis etc. Bei der klinischen Utersuchung möglicher Nachweis von pulmonalen Rasselgeräuschen, periphere Ödeme, gestaute Hals- und Zungengrundvenen, Pleuraerguss und Aszites, etc.

833 Klinische Untersuchung bei der Mitralklappenstenose

→ II: Auskultation: (Abb.: Herzklappen und ihre Auskultationsstellen) Es sind 4 Schallphänomene mit Punctum maximum über der Herzspitze, verstärkt in Linksseitenlage, auskultierbar:

→ 1) Paukender 1. Herzton.

2) Mitralöffnungston in der Diastole (direkt nach dem 2. Herzton).

3) Diastolisches Decrecendo im Anschluss an den Mitralöffnungston.

4) Welches übergeht in ein präsystolisches Crecendo Geräusch, das ausschließlich bei einem Sinusrhythmus eruierbar ist. 

960 Auskultationsbefund der Mitralklappenstenose

 

Klinisch-relevant:

→ A) Der paukende 1. HT und der MÖT entstehen durch das laute Umschlagen der Mitralsegel, wenn der Druck des linken Ventrikels das LA über- bzw. unterschreitet.

→ B) Je kürzer das Intervall zwischen dem 2. HT und Mitralöffnungston und je länger das Diastolikum (Abb.: Differenzialdiagnosen Diastolikum), desto schwerer die Klappenstenose.

C) Bei einer pulmonalen Hypertonie kann nach dem 2. Herzton ein diastolisches Graham-Steell-Geräusch, aufgrund einer relativen Pulmonalinsuffizienz nachweisbar sein.

832 Auskulationsphänomene Differenzialdiagnose Mitralklappenstenose bzw.  insuffizienz

III: EKG:

→ 1) Belastung des linken Atriums mit Nachweis eines charakteristischen P-mitrale, das durch eine doppelgipflige, und auch verlängerte > 110ms-120 P-Welle insbsondere in der Ableitung II, III, aVF gekennzeichnet ist.

2) Zeichen einer Rechtsherzbelastung (aufgrund einer pulmonalen Hypertonie und Rechtsherzhypertrophie) manifestieren sich im EKG durch eine Lageveränderung im Sinne eines Steil- bis Rechtstyps und Sokolow-Index > 1,05 mV (RV1/2 + SV5/6).

3) Eventuell Entwicklung eines Vorhofflimmern.

IV: Röntgen: (Abb.: Projektionen der Herz- und Gefäßkonturen im Röntgen-Thorax)

→ 1) Verlust der Herztaille durch Vergrößerung des linken Vorhofs und linken Herzohres.

2) Mitralkonfiguration: des Herzens als stehende Eiform der Herzsilhouette aufgrund einer Vergrößerung des linken Vorhofs sowie einer prominente A. pulmonalis und einer Rechtsherzhypertrophie.

3) Einengung des Retrosternalraumes in der Seitenaufnahme bei Rechtsherzhypertrophie.

4) Zeichen einer Lungenstauung durch Verbreiterung der Lungenhili (verbreiterte Lungenvenen).

5) Bei interstitiellen Lungenödem Nachweis von Kerley-B-Linien in den Unterfeldern.

830 Schematische Darstellung der verschiedenen Herzkonfigurationen bei Klappenvitien

 

Klinisch-relevant: Das alveoläre Lungenödem ist radiologisch durch die Milchglaszeichnung erkennbar. 

 

  V: Echokardiographie: (Transthorakal oder als TEE) Stellt heutzutage den Goldstandard in der Diagnose der Mitralstenose dar.

1) Quantifizierung und Klassifikation (Schweregrad) der Mitralstenose: Durch Bestimmung des mittleren und maximalen Druckgradienten über der Klappe und der Mitralklappenöffnungsfläche.

2) Evtl. Nachweis eines Refluxes bei Insuffizienz,

3) Beurteilung der anderen Klappen,

4) Messung des linksatrialen Durchmessers > 40 mm,

5) Nachweis von Thromben im LA durch TEE.

VI: MRT:

→ 1) Bestimmung des Druckgradienten über der Stenose.

2) Bestimmung der Klappenöffnungsfläche.

VII: Linksherzkatheter:

→ 1) Dient der Beurteilung der Klappenfunktion, des Stenosegrades und der Pumpfunktion.

2) Bestimmung der Druckverhältnisse im großen und kleinen Kreislauf (Pulmonalarteriendruck, Druckgradienten über der Stenose, links-atrialer Druck > 20mmHg).

3) Ausschluss einer Koronarstenose.

 

Klinisch-relevant: Durch eine lange Diastolendauer im Sinne einer Bradykardie kann der Druckgradient über der Mitralklappe trotz höhergradiger Stenose gering gehalten werden.

 

Therapie:

→ I: Medikamentöse Therapie: Bei hämodynamisch nicht wirksamer Klappenstenose:

1) Gabe eines Diuretikum (z.B. Thiaziddiuretikum oder Spironolacton) zur Senkung der Vorlast und Verbesserung der Symptomatik, die sich infolge einer Herzinsuffizienz manifestiert.

2) ACE-Hemmer und AT-1-Blocker sind kontraindiziert.

3) Bei hämodynamisch wirksamer Mitralklappenstenose mit konsekutivem Vorhofflimmern ist die Gabe eines Antiarrhythmikums wie Digitalis, Verapamil oder eines Beta-Blockers zur Verlängerung der Diastolendauer (gerade auch bei Vorhofflimmern) obligat.

4) Bei Vorhofflimmern ist eine Antikoagulations-Therapie (z.B. Marcumar) indiziert. 

5) Es sollte eine Endokarditisprophylaxe erfolgen.

 

Klinisch-relevant: Dekompensierte Mitralklappenstenose:

→ A) Oberkörperhochlagerung, Bein-Tieflagerung, 

B) Focierte Diurese sowie eine weitere Vorlastsenkung durch Nitrate und Flüssigkeitsrestriktion zur Therapie der Lungenstauung. 

C) Weitere Maßnahmen sind die Frequenzsenkung (Vorhofflimmern), Antikoagulation bei Vorhofflimmern sowie O2-Gabe. 

 

II: Interventionelle Therapie: (= Mitralklappenvalvuloplastie) Hierbei handelt es sich um eine perkutane Klappensprengung mit Hilfe eines Ballonkatheters. Die Indikation richtet sich nach dem klinischen Bild und dem Echo-Score und beinhaltet folgende Parameter:

→ A) Klappenbeweglichkeit,

→ B) Klappendicke (-verdickung) und 

→ C) Klappenverkalkung (es können max 16 Punkte erreicht werden).

→ 1) Indikation: Stellen u.a. ein Echo-Score < 8, das Vorhandensein eines Sinusrhythmus sowie das Fehlen von Thromben dar.

→ 2) Vorteil: Kein großer Eingriff, die MÖF kann verdoppelt, der Druckgradient halbiert werden.

→ 3) Komplikationen:

→ A) Vorhofseptumdefekt,

→ B) Ventrikelperforation, 

→ C) Thromboembolie,

D) Mitralklappeninsuffizienz.

→ 4) Technik der Mitralklappenvalvulopastie: Hierbei wird eine Katheter über die linke A. femoralis in die linke Kammer vorgeschoben, um eine Druckmessung im linken Ventrikel zu ermöglichen. Ein zweiter Katheter wird über die rechte V. femoralis im rechten Vorhof (analog zum Rechtherzkatheters) plaziert. Nun erfolgt eine Vorhofseptumpunktion und das Vorschieben des Katheters in den linke Vorhof mit simultaner Druckmessung im linken Vorhof und in der linken Kammer. Im weiteren Verlauf wird  ein spezieller Katheter (= Swan-Glanz-Katheter) mit einem spezifischen Ballon in den Bereich der Mitralklappe gesetzt. Unter Durchleuchtung erfolgt nun durch eine ein- oder mehrmalige Aufdehnung des Ballons eine Sprengung der Verklebung. Ein weiteres Mal werden simultan die Drücke gemessen mit Abnahme des enddiastolischen Drucks bzw. der Druckdifferenz bei erfolgreicher Behandlung.

→ 5) Kontraindikationen: Höhergradige Mitralklappeninsuffizienz, Vorhofthromben, Thromboembolien in der Vorgeschichte, verdicktes Vorhofseptums.

  IV: Operative Therapie: Operative Interventionen sind insbesondere die Kommissurotomie (= Hierbei werden die narbig verklebten Herzklappenkommissuren mittels spezieller Instrumente (= Kommissurotoms) in Richtung ihres natürlichen Verlaufs getrennt) sowie die Klappenrekontruktion bzw. der Klappenersatz.

831 Primär chirurgische Interventionen bei Mitralklappenstenose

Prognose:

→ I: Die 10 Jahresüberlebenschance ist sehr stark vom Ausmaß der Herzinsuffizienz abhängig und liegt bei Patienten mit

→ 1) NYHA I/II bei 85%,

→ 2) NYHA III bei nur noch bei 40% und

→ 3) bei NYHA IV sogar nur noch bei 15%.

 → II: Häufigste Todesursachen sind vorwiegend:

→ 1) Lungenödem und 

→ 2) Rechtsherzinsuffizienz (65%),

→ 3) Thromboembolie (z.B. Lungenembolie) aber auch 

→ 4) Endokarditis.

  III: Eine wichtige Prophylaxe sind die regelmäßigen Kontrolluntersuchungen mittels Ergometrie, Echokardiographie, Röntgen bei bestehender Mitralklappenstenose.