Definition: Unter dem Sick-Sinus-Syndrom (= Syndrom des kranken Sinusknoten) werden folgende Erregungsbildungs- und Erregungsleitungsstörungen des Sinusknoten zusammengefasst:

I: Intermittierende oder permanente Sinusbradykardie (= Herfrequenz < 50/min.).

→ II: Intermittierender Sinusarrest (= Sinuspause, bei der die normale Schrittmacherfunktion des Sinusknoten für zumeist Sekunden sistiert; meist treten klinische Symptome nach einem Zeitintervall von > 3sec. auf) oder SA-Block (SA-Block II/III Grades).

→ III: Tachykardie-Bradykardie-Syndrom: Supraventrikuläre Tachykardie oder Vorhofflimmern gefolgt von einem längeren asystolischen Intervall, das in eine Sinusbradykardie (bei Sinusknotenstillstand oder SA-Block) übergeht.

 

→ Klinisch-relevant: Anatomisch besitzt der Sinusknoten eine doppelte koronare Blutversorgung:

→ A) Proximal von der rechten Koronararterie abgehender großer Ast (dominante Blutversorgung) und

→ B) Eine Reserve-Arterie, die aus einem großen Ast aus der linken Koronararterie entspringt. 

 

Ätiologie: Im Allgemeinen besteht eine strukturelle Herzerkrankung, die insbesondere zu einer (degenerativen) Veränderung der Zellen des Sinusknoten bzw. sinuatrialen Übergangs führen; zumeist handelt es sich um eine Herzerkrankung des älteren Patienten:

→ I: Altersbedingte Fibrosierung des Myokards,

→ II: Koronare Herzkrankheit,

→ III: Ischämiebedingt nach akutem Hinterwandinfarkt bzw. inferioren Infarkt, 

→ IV: Myokarditis und (z.B. hypertensive, hypertrophe) Kardiomyopathie,

→ V: Seltene Systemerkrankungen: Wie die Amyloidose, Hämochromatose und die Sklerodermie etc. 

→ VI: Idiopathisch beim: 

→ 1) Morbus Lev: Idiopathische Sklerosierung und Kalzifizierung des bindegewebigen Herzgerüstes.

→ 2) Morbus Lenegre: Idiopathische Degeneration des kardialen Reizleistungssystems.

→ VII: Medikamenteninduziert durch:

→ 1) Kalzium-Antagonisten (Verapamil, Diltiazem),

→ 2) Antiarrhythmika wie Amiodaron, Flecainid, Chinidin, Propafenon.

→ 3) Weitere kardiale Pharmaka wie Beta-Blocker, Digitalis, sympathikolytische Antihypertonika wie Reserpin oder ein Alpha-2-Rezeptoragonist wie Clonidin.

→ 4) Medikamente der Psychiatrie wie Lithium und verschiedene Antidepressiva.

 

Klinik: Patienten mit Sinusknotenfunktionsstörungen weisen ein breites Spektrum an klinischer Symptomatik auf. Sie reichen von Symptomfreiheit bis zu bedrohlichen Symptomen mit Asystolie und Adam-Stokes-Anfällen:

→ I: Tachykarden Phase: Charakteristische Symptome sind u.a. Innere Unruhe, Palpitation, Angina pectoris Zeichen mit retrosternalen Schmerzen und Dyspnoe. 

 II: Bradykarden Phase: Sie ist gekennzeichnet durch das Auftreten von Müdigkeit, Leistungsminderung, Schwindel, Präsynkope, Synkope (bis hin zum Adams-Stoke-Anfall) sowie klinische Zeichen einer Herzinsuffizienz insbesondere unter Belastung.

→ III: Entwicklung von Thromboembolien bei anhaltendem Vorhofflimmern.

 

Diagnose:

→ I: Labor:

→ 1) Bradykarde Rhythmusstörungen: Hierbei sollten insbesondere die Elektrolyte (z.B. Hypokaliämie), Schilddrüsenfunktion (Hyperthyreose als Ursache für ein SSS) und bei evtl. Einnahme von bradykardisierenden Pharmaka (z.B. Herzglykoside) die Plasmaspiegel kontrolliert werden.

→ 2) Atropin-Test: Nach i.v. Gabe von 0,04mg/kgKG Atropin bleibt ein Anstieg der Herzfrequenz aus (< 80/min bzw. Frequenzanstieg < 15-25%).

→ II: EKG:

→ 1) Langzeit-EKG/Event-Rekorder: Zur Erfassung der bradykarden/tachykarden Rhythmusstörungen.

→ 2) Belastungs-EKG: Unfähigkeit, 70% des maximalen altersabhängigen Frequenzanstiegs zu erreichen. Dies wird als chronotrope-Inkompetenz bezeichnet.

→ III: Elektrophysiologische Untersuchung: (= EPU) Es wird ein Elektrodenkatheter in den rechten Vorhof vorgeschoben und die Potenziale des Vorhofs, der Kammer, des His-Bündels, sowie die Leitungsgeschwindigkeit der Herzabschnitte nach einer Stimulation gemessen. Typischerweise zeigt sich beim Sick-Sinus-Syndrom eine verlängerte Sinusknotenerholungszeit (korrigiert > 550ms).

 

Klinisch-relevant: Die verlängerte Sinusknotenerholungszeit dauert > 1500msek. und stellt die Zeit bis zum Wiedereinsetzen des normalen Sinusrhythmus nach schneller Vorhofstimulation mittels Schrittmacher dar.

 

→ Therapie:

→ I: Akute medikamentöse Therapie: Akut symptomatische Patienten bedürfen einer medikamentösen Behandlung. Hier haben sich insbesondere die Parasympatholytika und Sympathomimetika (z.B. Orciprenalin) etabliert. Mittel der Wahl bei der antibradykarden Therapie ist Atropin. Bei fehlendem medikamentösem Therapieerfolg kann bis zu Einleitung der definitiven Behandung ein passagerer Schrittmacher indiziert sein.

795 Akute medikamentöse Behandlungsoption bei bradykarder Rhythmusstörung

 

 Klinisch-relevant: Eine medikamentöse Langzeittherapie ist augrund von unerwünschten Wirkungen wie supraventrikuläre und ventrikuläre Arrhythmien sowie systemische Störungen meist nicht möglich. Eine seltene Ausnahme bildet das Sick-Sinus-Syndrom bei jüngeren Patienten, da sie gut auf langwirksame Theophyllin-Präparate ansprechen.

 

II: Schrittmacher-Indikation: 

→ 1) Zuvor müssen behandelbare, reversible Ursachen ausgeschlossen werden. Hierzu zählen:

→ A) Schilddrüsenunterfunktion,

→ B) Elektrolytstörungen (Hypokaliämie),

→ C) Revaskularisation nach Myokardischämie und -infarkt.

→ 2) Indikationen für die Implantation eines permanenten Schrittmachers stellen symptomatische Patienten mit bestehender Bradykardie (aber auch deutliche Leistungsminderung, Schwindel, Synkopen, Herzinsuffizienz) und die Notwendigkeit einer antitachykarden Behandlung dar. Die Wahl des Schrittmachers richtet sich nach folgenden Kriterien:

A) Bei erhaltenem Sinusrhythmus sollte ein physiologisches Schrittmachersystem mit vorhofbasierter Stimulation gewählt werden. Es bieten sich insbesondere der DDD- oder der AAI-Schrittmacher (nur bei normaler AV-Knotenfunktion) an.

→ B) Besteht eine chronotrope Inkompetenz ist ein frequenzvariabler Schrittmacher (z.B. DDD-R) indiziert.

C) Exsistiert ein permanentes Vorhofflimmern, ist ein VVI-Schrittmacher mit niedriger Interventionsfrequenz geeignet, bei intermittierendem Vorhofflimmern wiederum ist ein Zweikammer-Schrittmacher (DDD) indiziert.

 

→ Klinisch-relevant: Nach Schrittmacherimplantation steht die adäquate Behandlung der tachykarden Herzrhythmusstörung z.B. mit einem Beta-Blocker (Metoprolol 25-200mg/d) oder Kalziumantagonist (Verapramil 80-480mg/d) im Vordergrund.

 

→ III: Tachykarde-Bradykarde Störungen: Schrittmacherimplantation kombinierte mit einer medikamentösen, antiarrhythmischen Behandlung (z.B. Metoprolol).

 

Prognose: Die Prognose ist relativ günstig und in der Regel von der Grunderkrankung und dem Alter des Patienten abhängig. Besteht ein intermittierendes oder permanentes bradykardes Vorhofflimmern stehen thromboembolische Komplikationen im Vordergrund.