Definition:

→ I: Hypertensive Krise: (= hypertensive urgency) beschreibt einen schweren Blutdruckanstieg > 180 mmHg systolisch und > 110-120 mmHg diastolisch ohne akute Organschäden.

→ II: Hypertensiver Notfall: (= hypertensive emergency) wiederum bezeichnet eine akute kritische Blutdruckerhöhung (> 230 systolisch und > 130 diastolisch) mit lebensbedrohlicher, vitaler Gefährdung durch Organschädigungen, wie:

1) Kardiopulmonalen Funktionsstörungen: Akute Linksherzinsuffizienz, Lungenödem, instabile Angina pectoris, Myokardinfarkt.

2) Weitere Funktionsstörungen: Intrakranielle Blutungen, Hochdruckenzephalopathie, Aortendissektion, retinale Blutungen, Papillenödem.

 

  Ätiologie:

→ I: Meist im Zuge einer bekannten essentiellen arteriellen Hypertonie (> 90%).

→ II: Sekundäre Hypertonie: beim Phäochromozytom, Morbus Cushing, Akromegalie, primärer Hyperaldosteronismus (= Morbus Conn), Hyperparathyreoidismus, und bei der Hyperthyreose.

→ III: Andere Ursache: Pharmaka, wie Psychopharmaka und MAO-Hemmer, des Weiteren beim Alkoholentzug, Kokainabusus, Amphethaminabusus, bei der Schwangerschaft (EPH-Gestose, Präklampsie), der Hypervolämie, aber auch im Rahmen eines Status epilepticus, etc.

065 Schwangerschaftserkrankungen mit arterieller Hypertonie

 

Klinik:

→ I: Allgemein: Starke Kopfschmerzen, Schwindel, Epitaxis, Flimmern vor den Augen, Sehstörungen, Übelkeit, Erbrechen, Skotome (Gesichtsfeldausfälle) bis hin zur Amaurosis fugax, Verwirrtheit, Desorientiertheit, Bewusstseinsstörungen, Paresen, Aphasien, zerebrale Krampfanfälle (fokale oder generalisierte) bis hin zum Koma.

→ II: Kardiale Symptome: Dyspnoe, Orthopnoe, Zyanose, Stenokardien, mögliche Herzrhythmusstörungen und evtl. Ausbildung eines Lungenödems, aber auch Angina pectoris und akuter Myokardinfarkt.

→ III: Weitere Symptome: PRES (= posteriores, reversibles Leukencephalopathie Syndrom) Schlaganfall, Hirnblutung, akute Niereninsuffizienz, etc.

 

Diagnose:

→ I: Anamnese/klinische Untersuchung: Eurierung eines bekannten arterieller Hypertonus (Medikamentenanamnese), mögliche Unterbrechung einer antihypertensiven Therapie (Reboud-Phänomen), etc.

→ 1) Engmaschige Blutdruck-Messung an beiden Armen.

→ 2) Inspektion der Halsvenen (Halsvenenstauung ?), Beine (Beinödem ?), etc.

→ 3) Auskultation der Lungen mit möglichem Nachweis Rasselgeräuschen,

→ II: Labor: Bestimmung der Elektrolyte, des BZ, Kreatinins, Harnstoffs, Cholesterins, der Triglyzeride, des Weiteren TSH basal, T3, T4, Cortisol-Tagesprofil etc.

III: EKG: Keine spezifischen Veränderungen, evtl. Zeichen einer Linksherzhypertrophie, P-sinistroatriale, ST-Strecken-Senkung.

→ IV: Röntgen-Thorax: Darstellung einer Herzvergrößerung, evtl. Nachweis eines Lungenödems.

→ V: Echokardiographie: Nachweis einer linksventrikulären Hypertrophie, Dilatation des linken Vorhofs bzw. Ventrikels.

VI: 24h-RR-Messung:

→ 1) Bestimmung des RR-Verhaltens und des RR-Tagesmittelwertes, der maximal bei 135/85 mmHg liegen sollte.

→ 2) Beurteilung des nächtlichen RR-Abfalls von mindestens 10% systol. und diastol.

VI: Ophthalmologische Untersuchung: Beurteilung des Augenhintergrundes bei Fundus hypertonicus. Der Fundus hypertonicus wird ophthalmologisch in 4 Stadien eingeteilt:

→ 1) Stadium I: Arterienverengung und gestreckte Arteriolen.

→ 2) Stadium II: Kaliberschwankungen und Gunn-Kreuzungszeichen. Hierbei kommt es durch die arteriosklerotisch verhärteten Arteriolen im Bereich der arteriovenösen Kreuzungsstellen zur Kompression der kreuzenden Venen. Folge ist ein venöser Rückstau mit konsekutiver Ausbildung eines Papillenödems.

→ 3) Stadium III: Blutungen und Cotton-wool-Herde: Es handelt sich um Axonschwellungen innerhalb der retinalen Faserschicht. Sie entstehen aufgrund einer ischämiebedingten Störung des axonalen Transportes.

→ 4): Stadium IV: Papillenödem mit unscharf begrenzter Papille.

 

Therapie:

→ I: Hypertensive Krise:

→ 1) Es reicht den Blutdruck, nach einer 30-minütigen Pause, in Ruhe nochmal zu messen.

→ 2) Innerhalb von 24 Stunden sollte eine sanfte Blutdrucksenkung, nicht > 20% des Ausgangswertes, gerade bei kardia- bzw. zerebrovaskulär vorerkrankten Patienten, mit einem oralen Antihypertensiva erfolgen.

II: Hypertensiver Notfall: Hierbei ist eine sofortige Therapie indiziert. Ambulante Therapiemaßnahmen (Sofortmaßnahmen), die innerhalb von 10 Minuten zur RR-Senkung führen, sind insbesondere:

038 Medikamentöses Stufenschema der Blutdrucksenkung

→ 1) Nitroglycerin: Mittel der 1. Wahl bei Angina pectoris, Herzinsuffizienz und dem Lungenödem. Die Dosierung von Nitroglycerin liegt bei 1,2 mg sublingual als Zerbeißkapsel oder als Spray 2-3 Hub 0,4mg.

→ 2) Alternativ:

→ A) Kurzwirksamer Kalziumantagonist: Kalziumantagonisten vom Nifedipin-Typ in einer Dosis von 5mg. Kontraindikationen bestehen bei akutem Koronarsyndrom und Myokardinfarkt.

→ B) Urapidil: (= Ebrantil) 25 mg langsam i.v.; besonders geeignet bei Aortendissektion, zerebraler Schädigung und beim Phäochromozytom.

→ C) Clonidin, ein Alpha-2-Rezeptoragonist, in einer Dosis von 0,075 mg langsam i.v. oder subcutan.

3) Weitere Maßnahmen:

→ A) Bei Herzinsuffizienz ist eine Oberkörperhochlagerung und Sauerstoffgabe indiziert.

B) Bei Zeichen einer Überwässerung oder eines Lugenödems erfolgt die zusätzliche Applikation von Furosemid 20-40 mg, Morphin 2-5 mg i.v. sowie von Urapidil (= Ebrantil) 10-25 mg langsam i.v.

4) Stationäre Maßnahmen: Fortsetzung der antihypertensiven Therapie auf hochnormale bis leicht erhöhte Blutdurck-Werte (Dosis von Nitroglycerin liegt dann bei 1-5mg/h über eine Perfusor). Zusätzliche Gabe eines Diuretikums (z.B. Furosemid 20-40 mg).

→ 5) Therapierefraktäre hypertensive Krisen: Hierbei ist das Reservemittel, Nitroprussid-Natrium (= Nitropuss), in einer Dosis von 0,02-0,04 mg/min i.v. indiziert. Der Wirkungsmechanismus erfolgt über die nicht-enzymatische Freisetzung von NO zu einer Gefäßdilatation.

 

 Klinisch-relevant: Beim Vorliegen von schlaganfallähnlichen Symptomen sollte der RR systolisch nicht unter Werte von 160-180mmHg gesenkt werden, da tiefere Blutdruckwerte zu einer Vergrößerung des Ischämiegebietes und der Penumbra (angrenzendes Gebiet mit noch funktionsfähigen Neuronen) führen. Ursache hierfür ist, dass im Bereich des verschlossenen Gefäßes die Selbstregulation der Hirndurchblutung aufgehoben ist und eine iatrogen eingeleitete Blutdrucksenkung den Perfusionsdruck im betroffenen Hirnareal vermindert.

 

Prognose: Die dauerhafte Blutdrucksenkung vermindert das Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen wie Herzinfarkt (25%), Schlaganfall (40%) und Linksherzinsuffizienz (50%) deutlich.