→ Diagnose: Die Diagnose der Alkoholabhängigkeit wird insbesondere durch die Anamnese und entsprechende klinische Untersuchung gestellt. 

→  I: Anamnese: Ein erstes Screening des pathologischen Alkoholkonsums erfolgt mit Hilfe des CAGE-Test, der aus 4 Fragen besteht. Sind mindestens 2 Antworten positiv besteht der Verdacht, bei 3-4 positiven Antworten ist der pathologische Alkoholkonsum wahrscheinlich.

447 CAGW Test zur Beurteilung des Alkoholkonsums

Weitere wichtige Leitsymptome, die bei der Eigen-/bzw. Fremdanamnese exploriert werden können, sind u.a. der starke Wunsch oder Drang Alkohol zu konsumieren, die verminderte Kontrollfähigkeit über Beginn, Menge und Beendigung des Konsums, Nachweis einer Toleranzentwicklung, Manifestation von somatischen Entzugssymptomen, fortschreitende Vernachlässigung von Interessen zugunsten des Konsums und nicht zuletzt die Persistenz des Alkoholkonsums trotz Nachweis eindeutiger somatischer Folgeschäden. 

→ II: Klinische Untersuchung: Wichtige klinische sowie laborchemische Hinweiszeichen für das Vorliegen einer Alkoholabhängigkeit sind vor allem:

→ 1) Charakteristische äußerliche Hinweiszeichen: Sind u.a. Foetor ex ore, Konjunktivitis, Rötung des Gesichtes, Palmarerythem, vorgealtete Haut, Spider naevi, Hyperhidrosis, Tremor, Polyneuropathie, Rhinophym, Dupuytren-Kontraktur, etc.

→ 2) Laborchemisch: Hierbei stehen die Bestimmung der direkten Marker wie die Alkoholkonzentration in der Atemluft und im Serum sowie weitere Laborkonstellationen wie yGT, GPT,GOT, Hb, MCV, CDT (= bei Carbohydrate-Deficient-Transferrin handelt es sich einen spezifischen Marker. der für einen vermehrten regelmäßigen Alkoholkonsum in den letzten 4 Wochen spricht.), die die Verdachtsdiagnose festigen können, im Vordergrund. Ein weiterer wichtiger Parameter ist das Ethylglukuronid (= EtG), das einen direkten, wasserlöslichen Metaboliten des Alkohols darstellt und über die Niere eliminiert wird. EtG ist im Urin über einen Zeitraum von 12-80 Stunden, im Haar über 3 Monate nachweisbar.

580 Wichtige Laborparameter, die die Verdachtsdiagnose der Alkoholabhängigkeit bestärken

→ III: Ist die Suchterkrankung verifiziert, werden weitere Screenings zur Erfassung von insbesondere Alkoholfolgeerkrankungen (Vitaminmangel, Leberschädigung, Pankreatitis, etc.) und anderweitigem Suchtmittelgebrauch durchgeführt. Zudem weist die Alkoholabhängigkeit ein deutlich erhöhtes Suizidrisiko auf, sodass eine klinische Abschätzung der Suizidalität obligat ist.

→ IV: Des Weiteren existiert ein testpsychologisches Verfahren zum Screening der Symptome eines Alkoholmissbrauchs bzw. einer Alkoholabhängigkeit (der sogenannte Münchner Alkoholismustest).

→ Differenzialdiagnose: Von der Alkoholabhängigkeit müssen insbesondere nachfolgende psychische Störungen und internistische Erkrankungen abgegrenzt werden: 

→ I: Ähnliche klinische Symptome sind beim Missbrauch von Tranquilizern eruierbar. Zudem weisen viele dieser Patienten eine Polytoxikomanie mit Cannabis, Tranquilizern und anderen psychotropen Substanzen auf.

→ II: Des Weiteren müssen nachfolgende psychische Erkrankungen wie z.B.:

→ 1) Depression

→ 2) Angststörungen

→ 3) Psychosen aus dem schizohrenen Formenkreis sowie

→ 4) Persönlichkeitsstörungen (insbesondere zum Cluster B gehörig wie z.B. die narzisstische PS), die häufig auch komorbide vorliegen, differenzialdiagnostisch abgegrenzt werden.

→ III: Internistische Erkrankungen: Wie z.B.

→ 1) Diabetische Ketoazidose, (Blutzucker zumeist < 20mmol/l) und Hypoglykämie (BZ < 3,3mmol/l).

→ 2) Hyperthyreose und Thyreotoxikose mit deutlicher Erhöhung T3 und T4.

→ 3) Enzephalopathie z.B. die hepatische - mit erhöhtem NH3, Laktat und erniedrigtem Albumin, Quick und Cholinesterase.

→ 4) Urämie mit ausgeprägter Erhöhung von Harnstoff und Kreatinin.

 

Therapieziele:

→ I: Therapieziel der Alkoholabhängigkeit ist die absolute Alkoholabstinenz, aber auch eine Verlängerung der Abstinenz oder eine Reduktion der Rückfallhäufigkeit (medikamentöse Rückfallprophylaxe der Alkoholabhängigkeit) werden als Therapieerfolge angesehen.

→ II: Es hat sich im Zuge der Behandlung der Alkoholabhängigkeit eine Hierarchie der Therapieziel etabliert. Wichtigste Therapieziele sind:

→ 1)  Die Sicherung des Überlebens, gefolgt von,

→ 2) Der Behandlung von Begleit- und Folgeerkranungen,

→ 3) Förderung der Krankheitseinsicht und Motivation,

→ 4) Aufbau alkoholfreier Phasen,

5) Stabilisierung der psychosozialen Situation,

6) Dauerhafte Abstinenz mit Erreichen einer angemessenen Lebensqualität.

→ III: Zum Erreichen der Behandlungserfolge müssen je nach Stadium der Alkoholkrankheit individuelle Therapiemaßnahmen geplant werden.

 IV: Voraussetzung für die Therapie ist ein Motivationswechsel, weg vom Trinken hin zur Abstinenz. Zu dieser Änderungsbereitschaft fließen folgende Faktoren mit ein:

→ 1) Krankheitseinsicht,

→ 2) Soziale Unterstützung,

→ 3) Angst von Sanktionen wie Verlust des Partners, des Arbeitsplatzes etc.

 

Therapeutische Maßnahmen: Die Behandlung der Sucht besteht aus einer Therapiekette, deren einzelne Phasen miteinander verzahnt sind, sodass bei Rückfällen einzelne Behandlungsphasen wiederholt bzw. in die Therapie integriert werden können.

 

Klinisch-relevant: Bei schädlichem Gebrauch steht die Früh-/Kurzinterventionim Vordergrund.

 → A) Kurzintervention:

→ 1) Diese erfolgt in hausärztlichen Praxen mit der Zusatzqualifikation der suchtmedizinischen Grundversorgung.

→ 2) Durch 10-minütige, motivierende Gespräche in 3-7 Sitzungen kann eine deutliche Reduktion des Alkoholkonsums erreicht werden.

→ 3) Der Arzt sollte durch eine empathische Grundhaltung mit Verzicht auf Konfrontationen eine vertrauensvolle Arzt-Patienten Beziehung aufbauen, um unterschwellig die Diskrepanzwahrnehmung und Veränderungsbereitschaft des Patienten zu fördern und mögliche Behandlungsziele mit dem Patienten erarbeiten.

→ B) Gesprächsführung: Grundregeln bei der Gesprächsführung sind u.a.:

→ 1) Offene Fragen ohne Wertung,

→ 2) Reflektiertes Zuhören,

→ 3) Positives Feedbacks und

→ 4) Strukturiertes Zusammenfassen.

 

Therapiekette: (Behandlungsstrategien der Sucht)

→ I: Kontaktphase: Hier steht vor allem die Motivation im Vordergrund. Es ist wichtig die Therapie behutsam, jedoch konsequent durchzuführen und bei schwankender Motivation, den Weg zur Therapie zu unterstützen. Der Patient wird in dieser Phase ausführlich über die unterschiedlichen Behandlungsmöglichkeiten informiert, es werden konkrete Therapieziele erarbeitet und negative Konsequenzen der Sucht dargelegt (= Psychoedukation).

769 Wichtige Therapiephasen der Abhängigkeitserkrankung

 

Klinisch-relevant: Die Therapie-Motivation verläuft typischerweise in 4 Stufen:

→ A) Motivationsstufe 1: Der Abstinenzwunsch besteht bei dem Patienten nicht, vielmehr besitzt der Suchtstoff die höchste Priorität.

→ B) Motivationsstufe 2: Die Sorge um die eigene Gesundheit und Person nimmt zu, sodass vermehrt Arzt- und Krankenhausbesuche erfolgen. Therapeutisch sind Information über Drogenwirkung, unterschwellige Hilfsangebote und die Entzugsbehandlung indiziert.

→ C) Motivationsstufe 3: Das Interesse an Bezugspersonen nimmt zu, es folgt eine tagelange Abstinenz. Therapeutisch ist die ambulante/stationäre Entwöhnungstherapie indiziert.

→ D) Motivationsstufe 4: In dieser Phase normalisieren sich die Lebensgewohnheiten, es bestehen wochen- bis monatelange Abstinenzphasen. Der Patient hat hierbei eine Entwöhnungstherapie durchlaufen, die Suchtproblematik bearbeitet und sich davon distanziert. Eine episodische Abstinenzunfähigkeit besteht jedoch weiterhin. Die Betroffenen sind gewillt, ein normales Leben zu führen.

 

 II: Entzugsphase:

→ 1) Im Mittelpunkt steht der körperliche Entzug, der in psychiatrischen Kliniken durch Motivationsarbeit, im Sinne eines Lebens ohne Alkohol, zur Förderung von Langzeittherapieprogrammen begleitet wird (= Qualifizierter Entzug). Aufgrund der Risiken für ein Alkoholentzugsyndrom erfolgt die Behandlung meist stationär, nur bei leichten Formen kann eine ambulante Therapie ausreichen.

579 WIchtige Behandlungsstrategien während der qualifizierten Entgiftung

→ 2) Medikamentöse Therapie: Bei ca. 30-50% der Patienten ist eine medikamentöse Therapie aufgrund der Entzugssymptomatik indiziert. Wichtige Medikamente hierfür sind:

A) Clomethiazol: (= Distraneurin) Stellt das Mittel der 1. Wahl bei unkomplizierter Alkoholentzugssymptomatik dar. Wirkmechanismus ist die Steigerung der hemmenden Neurotransmitter GABA und Glycin.

 

→ Klinisch-relevant: Clomethiazol wird in einer Dosis von 2-4 Klapseln/2-4 Stunden bis zu einer Maximaldosis von 24 Kapseln/d appliziert. Aufgrund des hohen Suchtpotenzials von Distraneurin darf es nur stationär mit einer Dauer von maximal 24 Tagen in absteigender Dosierung verabreicht werden.

 

→ B) Benzodiazepine: (z.B. Diazepam) Alternativ bei Distraneurin-Unverträglichkeit bzw. dem Alkoholdelir.

C) Antipsychotika: Sie werden bei psychotischen Symptomen zusätzlich appliziert. Mittel der Wahl stellt ein hochpotentes Antipsychotikum aus der Gruppe der Butyrophenone wie z.B. Haloperidol in einer Dosis von 5-10mg dar.

→ D) Antikonvulsivum: Carbamazepin sollte bei bekannter zerebraler Anfallsgefahr in einer Dosis von 600-900mg/d präventiv verabreicht werden.

→ E) Zentrale Alpha-2-Agonisten: (Alpha-2-Rezeptoragonisten wie Clonidin) Sie sind zur Behandlung der noradrenergen Hyperaktivität mit konsekutiver arterieller Hypertonie indiziert.

F) Vitamin-B-1: (= Thiamin) Gerade bei schwerer Entzugssymptomatik ist der Entwicklung eines Korsakow-Syndroms bzw. Wernicke-Enzephalopathie durch die Gabe von Vit. B1 in einer Dosis von 3x 100mg/d oral oder i.v. vorzubeugen.

→ G) Des Weiteren sollte eine engmaschige Kontrolle der Elektrolyte erfolgen, da bei zu rascher Na+-Substitution das Risiko für die Entwicklung einer zentralen pontinen Myelinolyse besteht.

 

→ Klinisch-relevant:

→ A) Neben der Behandlung der Entzugssymptome sowie der Begleit- und Folgeerkrankungen ist eine psychotherapeutische Intervention in Einzel- und Gruppentherapiesitzungen indiziert.

→ B) Die Dauer der Behandlung liegt in der Regel zwischen 2-4 Wochen.

 

III: Entwöhnungsphase: Im Anschluss an die Entzugstherapie schließt sich die Entwöhnungsbehandlung an, deren Ziel es ist, die Sucht langfristig zu unterbrechen. Folgende psychotherapeutische Interventionen in Einzel- und Gruppentherapie haben sich diesbezüglich etabliert. Hierzu zählen:

→ 1) Informationsvermittlung in der Gruppe,

→ 2) Entspannungsverfahren wie die progressive Muskelrelaxation oder autogenes Training in der Gruppe,

→ 3) Kognitive-verhaltenstherapeutische Interventionen: Sie beinhaltet u.a. folgende Bausteine: Die Analyse des Konsumverhaltens wie auslösende Stimuli, den Aufbau alternativer Bewältigungsstrategien (z.B. Selbstkontroll-Techniken: Tagebuch führen, Erlernen von Verhaltensweisen ohne Alkohol, Selbstbelohnung bei Erreichen erster Ziele) sowie das Erlernen von Stressbewältigungsstrategien wie Entspannungstraining und den Aufbau angenehmer Aktivitäten, etc. Das kognitive Kompetenztraining dient dem Einüben erfolgreicher zwischenmenschlicher Beziehungen, dem Ablehnen von Einladungen zum alkoholischen Konsum sowie der Vermittlung von Techniken zur Rückfallprophylaxe. Des Weiteren existiert die Familien- und Paartherapie, bei der die aktive Beteiligung des Partners bzw. der Familie im Mittelpunkt steht. Gerade Spannungen und Konflikte innerhalb der Beziehung/Familie können Ursache für einen gesteigerten Alkoholkonsum sein. Ein weiterer Ansatz ist der Einsatz von Reizexpositionsverfahren (Identifizierung von alkoholspezifischen Reizen, Exposition mit Veränderung von Reaktionsmöglichkeiten in den spezifischen Auslösesituationen) und die pharmakologische Rückfallprophylaxe der Alkoholabhängigkeit.

 

→ Klinisch-relevant: Die oben genannten verhaltenstherapeutischen Interventionen können ambulant oder stationär durchgeführt werden.

→ A) Ambulant:

→ 1) Erfolgen in Tageskliniken oder speziellen Fachambulanzen wie der ambulanten Langzeit-Intensivtherapie für Alkoholkranke oder den integrativen ambulanten Kurzzeitbehandlungsprogrammen. Vorteil ist die Alltagsnähe;

→ 2) Voraussetzungen: Sind u.a. gute soziale Integration des Patienten,ausreichende Abstinenzfähigkeit,  einen vorhandenen Arbeitsplatz bzw. eine gute Vermittelbarkeit.

→ 3) Die Behandlungsdauer beträgt in der Mitte 12-18 Monate.

→ B) Stationär: Sie schließt sich direkt oder mit einer Verzögerung (Antragsstellung) an die qualifizierte Entzugstherapie an und hat das Ziel der Festigung der Abstinenz. Die Dauer der Behandlung wird individuell vereinbart und beträgt bei leichteren Fällen im Mittel 2-4 Monate, in schweren Fällen 4-6 Monate.Sie folgt der Entwöhnungsphase und hat eine langfristige Stabilisierung der Alkoholabstinenz zum Ziel. 

 

→ IV: Nachsorge/Rehabilitationsphase:

→ 1) Sie folgt der Entwöhnungsphase und hat eine langfristige Stabilisierung der Alkoholabstinenz zum Ziel. Des Weiteren stehen:

→ A) Die Wiedereingliederung in das Gesellschaftsleben,

→ B) Die Arbeitsplatzbeschaffung,

→ C) Die Wohnraumsuche und nicht zuletzt

→ D) Die Weiterebehandlung komorbider psychischer Störungen im Vordergrund.

→ 2) Die Nachsorge findet ambulant in hausärztlichen/fachärztlichen Praxen, Suchtberatungsstellen und in Selbsthilfegruppen (z.B. Anonymen Alkoholiker, Blaues Kreuz, Kreuzbund, Guttempler etc.) statt und verbessert die Prognose deutlich.

451 Wichtige Aspekte der Behandlungsphasen bei Alkoholabhängigkeit

 

Klinisch-relevant: Bei den anonymen Alkoholikern handelt es sich um eine weltweite Organisation, deren Ziel es ist, in der Gruppe eine dauerhafte Alkoholabstinenz zu erreichen. Voraussetzung ist der Wunsch, mit dem Trinken aufzuhören. In der Gruppe soll dem Einzelnen die Schwäche und Hilflosigkeit gegenüber dem Alkohol, im Sinne einmal ein Alki immer ein Alki, bewusst werden. Mit Hilfe der Gruppendynamik (nur ein Alkoholiker versteht einen Alkoholiker und kann diesem helfen) soll das Verantwortungsgefühl für den einzelnen und die anderen gestärkt und mögliche Rückfälle aufgefangen werden. Um sich selbst nicht zu überfordern, besteht bei den AA das Prinzip der kleinen Schritte (12-Schritte Programm) und die Abstinenzversprechen werden nur für einen kurzen Zeitraum (zunächst 24 Stunden, nächste Tag, nächste Woche etc.) gesetzt. So wird im weiteren Therapieverlauf der Betroffene vom Kontrollierten durch andere zu einer kontrollierenden Instanz. Jedoch gilt grundsätzlich, dass jeder AA, auch Ehemalige, nicht geheilte Trinker, sondern vielmehr nicht-aktive Alkoholiker sind. Das Konzept der AA basiert auf einer sehr spirituellen Ebene.