Definition: 

→ I: Bei der Kleptomanie handelt es sich um den wiederholten, unbeherrschbaren Impuls, Diebstähle zu begehen, ohne daraus einen Vorteil oder Nutzen zu ziehen.

→ II: Die gestohlenen Gegenstände dienen nicht dem persönlichen Gebrauch oder der Bereicherung, sondern werden vielmehr gehortet, verschenkt oder weggeworfen.

→ III: Sie gehört neben dem pathologischen Glücksspiel, der Pyromanie und der Trichotillomanie zu der Gruppe der Impulskontrollstörungen (Siehe Charakteristika der verschiedenen Impulskontrollstörungen).

 

Epidemiologie:

→ I: Die Kleptomanie ist eine sehr seltene Erkrankung (machen ca. 5% der Ladendiebstahldelikte aus). 

II: Sie tritt in der Adoleszenz, zumeist vor dem 20.Lj., auf.

III: Frauen sind 3 mal häufiger betroffen als Männer.

 

 

→ Ätiologie: Bei der Entstehung der Kleptomanie handelt es sich um ein multifaktorielles Geschehen:

→ I: Psychodynamische Faktoren:

→ 1) Ein Ansatz der psychodynamischen Lehre beschreibt das kleptomanische Verhalten als einen ödipalen Konflikt, deren Ergebnis ein sogenannter Kastrationskomplex ist, der auf dem weiblichen Minderwertigkeitsgefühl (= Penis-Neid) beruht.

 2) Ein weiterer Aspekt stellt das pathologische Stehlen als eine sexuelle Ersatzbefriedigung dar, im Sinne " sich etwas Verbotenes gönnen".

→ II: Lerntheoretische Faktoren: Das pathologische Verhalten wird durch positiv empfundene Emotionen wie Euphorie, Lust und Entspannung aufrechterhalten ( = positiver Verstärkung).

→ III: Persönlickeitsstruktur: Ein typischer Persönlichkeitszug ist der Wunsch nach Erregung/ Reizen, um Langeweile zu verhindern.

 IV: Neurobiologische Faktoren:  Wie bei den anderen Impulskontrollstörungen zeigt sich eine verminderte Aktivität des Dopamin- und Serotonin-Systems.

 

Klinik:

→ I: Unwiderstehlicher, repetitiver Drang einen Diebstahl zu begehen, ohne eine Vorteil oder Nutzen daraus zu ziehen. Die Gegenstände werden vielmehr gehortet, verschenkt oder weggeworfen.

II: Charakteristischerweise manifestiert sich vor der Tat eine innere Unruhe und Anspannung, während der Tat Euphorie und Lust (= Kick) und nach der Tat eine Spannungreduktion mit dem Gefühl der Befriedigung.

→ III: Die Tat wird von den Betroffenen als Ich-Dyston angesehen (Ich Dyston =  Den Betroffenen ist klar, dass sie etwas Verbotenes und Sinnloses getan haben).

→ IV: Im freien Intervall, zwischen den Diebstählen, entwickeln sich Gefühle der Scham und Reue, die jedoch einen Rückfall nicht verhindern.

→ V: Zwischenzeitlich bestehen bei den Betroffenen Dysphorie, Depressivität und tiefste Ratlosigkeit.

 

→ Klassifikation: Bei der Kleptomanie lassen sich unterschiedliche Verlaufsformen klassifizieren:  

→ I: Sporadisch: Mit kurzen Episoden des Stehlens und langen symptomfreien (d.h. diebstahlfreien) Intervallen.

→ II: Periodisch: Mit lang andauernden Episoden des Stehlens, aber auch symptomfreien Intervallen.

→ III: Chronisch: Mit wellenförmiger fluktuierender Intensität ohne wesentliche Unterbrechung.

 

Komorbiditäten: Die Kleptomanie ist häufig assoziiert mit:  

I: Affektiven Störungen, insbesondere der depressiven Episode.

→ II: Angststörungen,

III: Essstörungen, vor allem die Bulimie, 

→ IV: Persönlichkeitsstörungen, 

→ V: Zwangsstörungen,  

→ VI: Dissoziativen Störungen und nicht zuletzt mit

→ VII: ADHS.

 

Merke: Diebstähle kommen sehr häufig vor, jedoch nur ein sehr geringer Anteil (< 5%) ist durch eine Störung der Impulskontrolle verursacht und wird typischerweise ohne Komplizen durchgeführt.

 

 

→ Diagnose:

→ I: Anamnese/Klinische Untersuchung:

→ 1) Ausführliche Eigenanamnese und Fremd-, einschließlich der Suchtanamnese und  Auslösesituation.

→ 2)  Wichtig ist die Abklärung des Neurostatus.

→  II: Diagnosekriterien nach ICD-10 und DSM-IV:

 

040 Diagnosekriterien der Kleptomanie

 

→  Differenzialdiagnose: Hiervon abzugrenzen sind u.a.:

 → I: Beginnende Demenz mit charakteristischer Symptomatik wie Vergessen des Bezahlens, Gedächtnisstörungen oder Verlust sozialer Normen (→ frontotemporale Demenz).

→ II: Diebstahl im Zuge weiterer psychischer Störungen:  

→ 1) Schizophrene Psychosen,

2) Persönlichkeitsstörungen z.B. dissoziale PS  oder Borderline-Persönlichkeitsstörung,

→ 3) Beschaffungskriminalität bei Drogen- oder Alkoholabhängigkeit.

 

Therapie:

→ I: Psychotherapie:  Als verhaltenstherapeutische Techniken haben sich u.a.:

→ 1) Strategien zur Verbesserung der Affektregulation und zur Selbstwahrnehmung,

2) Kognitive Umstrukturierung mit Aufbau von alternativen Verhaltensweisen,

3) Entspannungstherapien (z.B. Autogenese Training), aber auch

→ 4) Systemische Desensibilisierung und

→ 5) Expositionsverfahren, etabliert.

II: Soziotherpie

III: Medikamentöse Therapie: Eine medikamentöse Behandlung kann mit den SSRI, dem trizyklischen AntidepressivumClomipramin, aber auch mit einem Stimmungsstabilisator (z.B. Lithium, Valproat) versucht werden.

 

  Verlauf / Prognose:

 I: Meist verläuft die Kleptomanie episodisch mit symptomfreien Intervallen; sie kann jedoch auch eine chronische Verlaufsform aufweisen.

→ II: Oftmals wird die Prognose durch häufigere Verurteilungen mit konsekutiver Zunahme des Strafmaßes beeinträchtigt.