Definition:

→ I: Beim Normaldruckhydrozephalus handelt es sich um einen chronisch kommunizierenden Hydrozephalus mit disproportional geweitetem Ventrikelsystem und typischen Kardialssymptomen bestehend aus:

→ 1) Gangstörung,

→ 2) Kognitiven Defiziten und

→ 3) Harninkontinenz.

II: Charakteristischerweise liegt der Liquordruck im normalen (Normalwert 60-200mm H2O-Säule; dies entspricht 5-15mmHg) bis hoch-normalen Bereich.

 

Epidemiologie:

→ I: Die Prävalenz des Normaldruckhydrozephalus liegt bei 30/100000, die Inzidenz bei 10/100000 pro Jahr, wobei Männer doppelt so häufig wie Frauen betroffen sind.

→ II: Die idiopathische Form weist einen Manifestationsgipfel zwischen dem 65.-70. Lebensjahr auf, die sekundäre Form ist altersunabhängig.

 

Klassifikation: Beim Normaldruckhydrozephalus werden 2 Formen unterschieden:

→ I: Primärer NPH: (= idiopathisch) Die Ursachen hierbei sind noch nicht bekannt, jedoch ist dieser vermehrt mit jahrelanger arterieller Hypertonie und konsekutiver Arterosklerose sowie Diabetes mellitus vergesellschaftet; die Entwicklung der Symptomatik erfolgt charakteristischerweise langsam progredient.

→ II: Sekundärer NPH: Es manifestiert sich eine Arachnopathie im von u.a.

1) Spontanen oder traumatischen Subarachnoidalblutungen im Rahmen z.B. eines SHT,

→ 2) Meningitis,

→ 3) Meningeosis neoplastica sowie

→ 4) Postoperativ im Rahmen z.B. einer Tumorresektion, nach Bestrahlung oder intrathektaler Methotrexat-Behandlung.

→ 5) Der sekundäre NPH entwickelt sich relativ rasch über Tage und Wochen.

 

Pathophysiologie: Das Aufkommen des NPH ist bis heute, insbesondere bei der idiopathischen Form noch nicht genau geklärt; bei der sekundären Form nimmt man eine Liquor-Resorptionsstörung aufgrund pathologisch-veränderter Arachnoidalzotten (infolge von z.B. Entzündungsprozessen) aber auch Abflussbehinderungen durch z.B. eine Aquäduktstenose an. Es manifestieren sich intermittierende Druckspitzen (= sogenannte B-Wellen), die zu einer Ventrikelerweiterung führen. Diese Pulsationswellen schlagen gegen elastizitätveränderte Ventrikelwände und induzieren eine Liquordiapedese in das periventrikuläre Marklager mit Ödembildung sowie Durchblutungsstörungen und konsekutiver Destruktion der Marklagerfasern.

 

Klinisch-relevant: Beim idiopathischen NPH zeigt sich ein vermehrtes Auftreten von:

→ A) Morbus Alzheimer,

→ B) Morbus Parkinson oder einer

→ C) Subkortikalen arteriosklerotischen Enzephalopathie (= SAE).

 

Klinik: Bezüglich des klinischen Krankheitsbildes sind die beiden Formen des NPH nicht zu unterscheiden.

→ I: Im Mittelpunkt der Symptomatik steht die Symptomtrias (= Hakim-Trias) bestehend aus:

→ 1) Gangstörung: (in > 85% der Fälle) Der Gang ist langsam, kleinschrittig, breitbasig, unsicher und nicht zuletzt am Boden haftend (= Magnetphänomen); es besteht oftmals eine Starthemmung (= gait inition failure) Schwierigkeiten beim Umdrehen und nicht selten kommt es zu Stürzen. Man spricht von einer sogenannten Gangapraxie (bzw. frontale Abasie).

 

Klinisch-relevant: Demgegenüber können Patienten mit NDH die Beine im Bett regelrecht bewegen und komplexere Aufgaben wie Knie-Hacken-Versuch oder Schreiben von Zahlen ausführen.

 

2) Demenz: (= subkortikale Demenz; zumeist relativ gering ausgeprägt) Es handelt sich hierbei um eine subkortikale Demenz-Form mit deutlichen Variabilität der Symptomausprägung. Im Vordergrund der Symptomatik stehen insbesondere Antriebsmangel, Interessenlosigkeit, allgemeine Verlangsamung, affektive Indifferenz, Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen sowie Störungen der räumlich-visuellen Orientierung.

3) Blasenstörungen: Durch Störung der zentralen frontalen Verarbeitung des Miktionreflexes. Klinisches Korrelat ist die anfängliche Dranginkontinenz, die im weiteren Krankheitsverlauf in eine Harninkontinenz übergehen kann.

4) Weitere fakultative Symptome des Normaldruckhydrozephalus sind u.a.:

011 Fakultative Symptome beim Normaldruckhydrozephalus

 

→ Diagnose:

→ I: Anamnese: Mit Eruierung von Vorerkrankungen wie u.a. Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie, etc. sowie klinische Untersuchung.

II: Bildgebung:

→ 1) CCT: Überproportional große Seitenventrikel mit Ballonierung der Vorderhörner sowie verstrichene kortikale Sulci und Hirnfurchen bei fehlender kortikaler Atrophie. Zudem zeigt sich eine frontal betonte periventrikuläre Hypodensität, die durch die Liquordiapedese und funktionelle Minderperfusion hervorgerufen wird.

→ 2) CMRT: (T2-gewichtet) Mit Darstellung der mikroangiopathischen Veränderungen und einer deutlichen periventrikulären Signalanhebung.

012 Wichtige klinisch diagnostische Zeichen des NDH

→ III: Diagnostische Tests:

→ 1) Spinal-Tep-Test: Abnahme von 30-50ml Liquorflüssigkeit im Rahmen einer Lumbalpunktion. Der Test ist positiv, wenn es zur umgehenden (innerhalb von 24 Stunden) Besserung der Symptomatik. Standardisierte Gang- und Demenzprüfung vor und nach der Punktion zur Quantifizierung des Effektes.

→ 2) Kontinuierliche Liqurdruckmessung: Neben den 0,5-2/min A-Wellen zusätzliches Auftreten von rampenförmigen B-Wellen, die pathognomisch für den Normaldruckhydrozephaus sind und in > 10% in den 24-Stunden-Ableitungen auftreten.

3) Hämodynamischer Test zur Erfassung der globalen zerebralen Durchblutung mittels SPECT/PET mit reduzierter periventrikulärer Gefäßreaktion bei Gabe von Azetazolamid.

012 Diagnostisches Vorgehen beim Normaldruckhydrozephalus

 

Differenzialdiagnose: Von dem Normaldruckhydrozephalus müssen insbesondere nachfolgende Erkrankungen abgegrenzt werden:

→ I: Gangstörung:

1) Eine ähnliche Gangstörung manifestiert sich insbesondere bei einem vaskulär bedingten sogenannten „Lower-body-parkinsonism“

→ 2) Kombiniert mit einer Demenz und Blasenstörugen bei z.B. dem Steel-Richardson-Olzewski-Syndrom.

→ 3) Morbus Binswanger: In der Anamnese zeigen sich flüchtige, fokal-neurologische Defizite sowie eine verwaschene oder dysarthrische Sprache und Affektstörungen.

→ 4) Senile Gangstörungen: Zumeist durch kardiovaskuläre Faktoren, Medikamente, Störungen der Tiefensensibilität und Angst vor dem Fallen verursacht. Zudem besteht im Alter die Tendenz zur Gangverlangsamung, Kleinschrittigkeit und nicht zuletzt zur verminderten Haltungsanpassung.

→ II: Demenz:

→ 1) Morbus Alzheimer: (= Alzheimer-Krankheit) Hierbei stehen weniger die motorischen Symptome als vielmehr eine kortikale Symptomatik mit Aphasie, Agnosie und Apraxie etc.

→ 2) SAE: (= subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie) Insbesondere bei den Risikofaktoren sowie der radiologischen Bildgebung bestehen viele Übereinstimmungen. Die erhöhte Konzentration an Sulfatiden im Liquor spricht für eine SAE.

→ 3) Kognitive Defizite bei affektiven Störungen insbesondere der Depression (Pseudodemenz), weiteren organischen Demenzen, zerebralen Raumforderungen etc.

III: Weitere Differenzialdiagnosen: Sind u.a.

→ 1) Verschlusshydrozephalus (= Hydrocephalus occlusus) Mit Verlegung des Liquorabflusses im Bereich des Aquäduktes, Foramen Monroi oder Foramina Luschkae und Magendii aufgrund von Blutungen, Entzündungen mit konsekutiver Verklebung oder Tumoren).

→ 2) Weitere Liquorzirkulationsstörungen wie z.B. Pseudotumor cerebri, etc.

→ 3) Blasenstörungen gynäkologischer oder urologischer Genese.

 

Therapie:

→ I: Konservative Therapie:

→ 1) Die diagnostische Punktion stellt gleichzeitig eine Behandlungsintervention dar. Bei positivem Effekt mit klinischer Verbesserung der Symptomatik (kann mitunter Wochen bis Monate anhalten) wird zunächst eine abwartende Haltung des Krankheitsverlaufes empfohlen.

→ 2) Bei erneutem Auftreten der Beschwerden erfolgt eine weitere Lumbalpunktion mit Ablassen von 40-50ml Liquor.

 

 Klinisch-relevant: Bei ausbleibendem Effekt der ersten Liquorpunktion ist eine Re-Punktion nach 2-4 Tagen indiziert. Bei erneutem ausbleibendem Effekt sollte die Diagnose überprüft werden.

 

II: Operative Therapie: Sie ist insbesondere bei nur kurzen beschwerdefreien Intervallen indiziert. Mittel der Wahl ist die Anlage eines ventrikuloperitonealen oder -atrialen Shunts. Gangstörungen, Dranginkontinenz und Antriebsmangel sprechen besonders gut auf die Therapie an. Wichtige intra- bzw. postoperative Komplikationen sind u.a.: 

→ 1) Shuntinfektion (evtl. Antibiotika-Prophylaxe), Shunt-Dislokation und Shunt-Dysfunktion.

→ 2) Subdurale Hämatome und Hygrome vor allem bei älteren Menschen.

010 Prdilektoren für die Shunt Anlage bei Normaldruckhydrozephalus

 

Prognose:

→ I: Der Spontanverlauf des Normaldruck ist langsam progredient.

→ II: Eine günstige Prognose haben insbesondere Patienten mit einem Ventrikel-Shunt.

→ III: Klinische Besserungen sind noch nach bis zu einem Jahr zu erwarten; am langsamsten bildet sich die demenzielle Symptomatik zurück.