Definition: Beim Karotis-Sinus-Syndrom kommt es zu einer intermittierenden Asystolie (Sinusknotenstillstand und/oder SA-Blockierung III. Grades) und/oder zum Blutdruckabfall, die reflektorisch durch Reizung der Barorezeptoren im Karotissinus (= Bereich der Karotisgabel) verusacht wird. Klinisches Charakteristikum dieses Krankheitsbildes ist die Synkope.

 

Epidemiologie:

→ I: Beim Karotissinus-Syndrom handelt es sich um eine Erkrankung des älteren Menschen, die insbesondere das männliche Geschlecht betrifft.

→ II: Die Patienten weisen häufig weitere Komorbiditäten auf, wie:

→ 1) Koronare Herzkrankheit,

→ 2) Arterielle Hypertonie und

→ 3) Diabetes mellitus.

 

→ Ätiologie: 

→ I: Im Vordergrund des Karotis-Sinus-Syndroms steht die arteriosklerotische Veränderung der Gefäßwand der A. carotis bzw. des Karotissinus, die folglich zu einer Sensibilitätssteigerung der Barorezeptoren führt.

→ II: Wichtige Pathomechanismen beim Karotis-Sinus-Syndrom sind u.a.:

1) Abnorme vagale Funktion,

→ 2) Barorezeptor-Hypersensitivität und

→ 3) Überempfindlichkeit für Acetylcholin.

→ III: Nur in 10% der Fälle treten klinische Symptome auf.

 

Klassifikation: Man unterscheidet hierbei 3 Typen:

→ I: Kardioinhibitorischer Typ: Stellt die häufigste Form dar (bis 90% der Fälle). Spontan oder durch Druck auf den Karotissinus kommt es zur Inhibition des Sympathikus und gleichzeitig zur Aktivierung des Parasympathikus (= Vagusreizung) mit nachfolgender Unterdrückung des Sinusknotens und der AV-Überleitung. Folge ist eine ventrikuläre Asystolie > 3sec. aufgrund eines Sinusarrest, sinuatrialen Blocks oder seltener aufgrund einer AV- Blockierung. Klinisches Korrelat ist ein ausgeprägter Herzfrequenzabfall bis hin zur Asystolie.

→ II: Vasodepressiver Typ: Diesen Typ findet man in 10% der Fälle. Er ist charakterisiert durch einen systolischen Blutdruckabfall von > 50 mmHg bei Reizung des Karotissinus infolge einer Vasodilatation. Eine wesentliche Beeinflussung der Herzfrequenz (mit Bradykardie oder Asystolie) fehlt.

→ III: Mischtyp. Variable Mischformen der beiden anderen Formen. Der Mischtyp manifestiert sich nur selten.

 

Klinik:

→ I: Charakteristischerweise kommt es nach Manipulationen in der Halsregion (z.B. Rasieren, abrupte Drehbewegungen des Kopfes, Überstrecken des Halses, Binden einer Krawatte oder Tragen eines engen Kragens) zu plötzlichem Unsicherheits- und  Schwindelgefühl, Verschwommensehen bis hin zu Präsynkopen und Synkopen (akute Synkope beim Rasieren). Ein Prodromi besteht nicht, vielmehr werden die Betroffenen von der Symptomatik überrascht.

→ II: Ein weiteres schwerwiegendes Symptom ist der Adam-Stokes-Anfall mit zerebraler Hypoxie bei Asystolie. Das klinische Bild wird durch die Dauer der Asystolie bestimmt.

 

Diagnose:

→ I: Anamnese, Klinische Untersuchung.

II: Karotisdruckversuch:

 1) Ist positiv, wenn es durch einseitiges, Massieren der Karotisgabel über einen Zeitraum von 10-20sec. zu einer Asystolie > 3sec. oder einen Blutdruck-Abfall von > 50mmHg kommt.

 2) Da der Versuch in 25% der Fälle bei älteren Personen positiv ausfällt, darf die Diagnose nur im Zusammenhang mit der Anamnese gestellt werden.

856 Wichtige Untersuchungsmaßnahmen beim Karotisdruckversuch

 

  Klinisch-relevant: 

→ A) Physiologisch ist ein Pulsfrequenzabfall von bis zu 25% des Ausgangswertes, eine leichte PQ-Verlängerung (max. AV-Bock I. Grades) und ein leichter RR-Abfall.

→ B) Bei bestehender Karotisstenose (Emboliegefahr), auskultatorischen Strömungsgeräuschen und  einer TIA/ Schlaganfall in der Eigenanamnese ist der Karotisdruckversuch kontraindiziert. 

 

Therapie:

→ I: Akuttherapie: Die Akutbehandlung des kardioinhibitorischen Typs des Karotissinussyndroms besteht in der intravenösen Gabe von 0,5-1mg Atropin. Die vasodepressive Form spricht zumeist nur unzureichen auf diese Behandlung an.

→ II: Kardioinhibitorischer Typ: Bei wiederholten Synkopen, spontan auftretend, nach plötzlicher Kopfbewegung und/oder durch eine Karotisdruckmassage provoziert, ist eine permanente Schrittmachertherapie (hierbei ist eine Kammerstimulation obligat z.B. DDD) indiziert. Eine relative Indikation stellen unklare Synkopen dar, bei denen durch eine Karotisdruckmassage eine Asystolie (> 3sec.) augelöst werden kann.

III: Vasodepressiver-Typ: Hier ist eine Schrittmacherimplantation wirkungslos. Behandelt wird dieser Typ z.B. mit Stützstrümpfen oder Vasokonstriktoren.