Definition: Beim benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel handelt es sich um eine vestibuläre Erkrankung mit Auftreten von sekundenlangen Drehschwindelattacken, hervorgerufen durch einen Lagerungswechsel des Kopfes.

 

Epidemiologie:

→ I: Der benigne paroxysmale Lagerungsschwindel ist der häufigste vestibuläre Schwindel mit einer Lebensprävalenz von bis zu 10%.

→ II: Die Prävalenz nimmt mit dem Alter zu, sodass der Manifestationsgipfel zwischen der 6. und 7. Lebensdekade liegt.

→ III: Frauen erkranken doppelt so häufig wie Männer.

 

Ätiopathogenese:

→ I: Beim benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel lösen sich von Otolithen des Utrikulus kleinste Partikel ab und gelangen in den Endolympheschlauch des Bodengangs (Kanalolithiasis). Im Zuge der Kopfbewegung (Rotation) kommt es auf Bodengangsebene zur eine Veränderung der Endolymphebewegung und Kupula-Auslenkung.

→ II: Zumeist ist der posteriore Bodengang, seltener (10-20%) der horizontale betroffen.

→ III: Häufigste Ursache (in bis zu 90% der Fälle) ist eine altersbedingte degenerative Ablösung des Otolithen-Materials. Weitere Ursachen sind u.a.:

→ 1) Bei jüngeren Patienten infolge eines Schädel-Hirn-Traumas,

2) Vorausgegangene Labyrintherkrankungen z.B. Neuritis vestibularis, etc.

→ 3) Akutes Auftreten nach längerer Bettruhe.

 

Klinik:

→ I: Die meisten Patienten weisen einen anfallsartigen, einige Sekunden anhaltenden Drehschwindel auf, der sich nicht selten morgens beim Aufrichten erstmals manifestiert. Im Liegen wird der Schwindel durch Drehbewegungen um die eigene Körperachse, in sitzender Position durch Kopfneigung und -reklination provoziert.

→ II: Begleitet werden die Schwindelattacken u.a. von heftiger Nausea, Erbrechen und Schweißausbruch; nicht selten remittiert dieser Form des Schwindels nach einigen Wochen bis Monaten spontan.

→ III: Abhängig von der Lokalisation der Otolithenpartikel werden 2 Formen des benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel unterschieden:

→ 1) BPLS des hinteren vertikalen Bodengangs und

→ 2) BPLS des horizontalen Bodengangs.

41 BPLS des hinteren vertikalen bzw. horizontalen Bodengangs

 

Diagnose: Im Vordergrund der Diagnose des benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel steht die Anamnese sowie der Nachweis des charakteristischen Lagerungsnystagmus.

→ I: Lagergungsmanöver: Nach Brand und Daroff. Hierbei wird der Patient aus der sitzenden Position bei Kopfdrehung um 45° rasch zur entgegengesetzten Seite (bezogen auf die Kopfposition) gelagert, sodass Schulter und Hinterkopf aufliegen. In dieser Position ist der hintere Bodengang auf der Seite, zu der die Lagerung erfolgt (= das unten liegende Ohr) vertikal ausgerichtet, sodass sich die Otolithenpartikel in der Endolymphe von der Kupula wegbewegen. Mit einer Latenz von wenigen Sekunden setzt der Drehschwindel sowie ein rotierender zum unteren Ohr ausschlagender Nystagmus ein, der eine zusätzliche vertikale zur Stirn schlagende Komponente aufweist. Er liegt in Form einer Crescendo-Decrescendo-Entwicklung vor und sistiert zumeist innerhalb von 10-20sec. Nach dem Aufrichten kann es erneut zu kurzem Schwindel mit Nystagmus zur Gegenseite kommen. Wenn der Bodengang einer Seite betroffen ist, löst die Lagerung zur Gegenseite keinen Schwindel aus. Anders ist das, wenn der horizontale Bodengang. Bei dieser Form wird bei der Lagerung zu jeder Seite zu Schwindel und einem linear horizontalen Nystagmus, der bei Lagerung auf die betroffene Seite stärker ausgeprägt ist.

42 Lagerungsmanöver nach Brandt und Daroff

→ II: Weitere Untersuchungsverfahren: Sind u.a.:

→ 1) Dix-Hallpike-Manöver,

→ 2) Romberg-Stehversuch,

3) Unterberger-Tretversuch, etc.

 

Differenzialdiagnose: Vom benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel müssen insbesondere nachfolgende Erkrankungen abgegrenzt werden:

→ I: Der phobische Attacken-Schwankschwindel wird durch plötzlich einsetztende Stand- und Gangunsicherheit mit Benommenheit charakterisiert. Typische phobische Triggermechanismen sind u.a. Menschenansammlungen, Kaufhäuser, Brücken, etc.

→ II: Vestibularis-Paroxysmie: Hierbei handelt es sich um Sekunden anhaltende Dreh- und Schwankschwindelattacken, die ebenfalls durch Kopfdrehungen, aber auch spontan in Serie ausgelöst werden können. Zusätzlich besteht nicht selten ein Tinnitus, jedoch der für den BPLS charakteristische Lagerungsnystagmus fehlt. Ursache ist eine neurovaskuläre Kompression des Nervus vestibulochochlearis durch zumeist die A. cerebellaris inferior anterior.

→ III: Weitere Differenzialdiagnosen: Sind insbesondere:

→ 1) Morbus Meniere.

→ 2) Alkohol-Lagenystagmus,

3) Lagerungsnystagmus bei Kleinhirnläsionen oder Labyrinthfistel.

 

Therapie: Ziel der Behandlung des benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel ist die Otolithen-Partikeln in den Utrikulus zurückzuschwemmen. Abhänngig von der Betroffenheit des Bogengangs unterscheidet man verschiedene Lagerungsmanöver:

I: Hinterer vertikaler Bodengang:

→ 1) Nach Epley:

44 Ablauf des Lagerungsmanövers nach Epley

→ 2) Lagerungsmanöver nach Semont: Ziel ist es durch die Lagerungsprobe ein Nystagmus auszulösen (siehe Bild). Nach Abklingen des Lagerungsnystagmus wird der Patient zur anderen Seite unter Beibehaltung der Kopf-zu-Rumpf-Position umgelagert (Auslösung eines nach Schlagform und -richtung identischen also jetzt zum oben liegenden Ohr gerichteter Nystagmus).

43 Schematische Darstellung des Lagerungsmanövers nach Semont

→ II: Horizontaler Bogengang: Hierbei hat sich das modifizierte Epley-Manöver etabliert. Bei diesem Lagerungstest dreht sich der Patient aus der Rückenlage um jeweils 90° um die Köperlängsachse zum nicht betroffenen Ohr mit Pausen von 30sec. in jeder Position (bei ausbleibendem Erfolg Gegenrichtung versuchen, da die Auslösungsrichtung nicht immer eindeutig ist).

 

Prognose: Zumeist weist der benigne paroxysmale Lagerungsschwindel einen Spontanverlauf auf mit Abklingen der Symptomatik innerhalb von Wochen bis Monaten. Rezidive im Langzeitverlauf sind nicht selten und zeigen sich insbesondere bei einer posttraumatischen Genese.