→ Diagnose:
→ I: Die Diagnose der Depression (aber auch allgemein der affektiven Störungen) erfolgt über das klinische Beschwerdebild durch gezielte Exploration der Symptomatik und des Krankheitsverlaufes (Abb.: Schematische Darstellung der Krankheitsverläufe der affektiven Störungen) unter Berücksichtigung pathogenetischer Faktoren wie Triggermechanismen, somatische Erkrankungen, intra-/interpersoneller Konflikte und familiärer Häufung.
→ II: Die meisten Menschen mit Depression konsultieren den Arzt aufgrund vom somatischen Beschwerden wie Rückenschmerzen, Magen-Darm-Beschwerden, Schwindel, etc. und berichten sehr selten über die charakteristischen Symptome der Depression.
→ III: Für eine allgemeine Exploration existieren für die Erfassung der Stimmungslage (und einer möglichen depressiven Episode) verschiedene Screening-Fragebögen
→ 1) 2-Fragen-Test:
→ A) Fühlten Sie sich im letzten Monat häufig traurig, niedergeschlagen oder bedrückt.
→ B) Hatten Sie im letzten Monat deutlich weniger Lust und Spass an Dingen, die sie sonst gerne machen.
→ 2) WHO-5-Fragebogen: (= WHO-5-Well-Being Index; zum Wohlbefinden des Patienten). Bei diesem Verfahren existieren 5 Fragen, die auf das psychische Wohlbefinden des Patient in den letzten 2 Wochen abzielt und in einer 6 stufigen Skala überprüft wird.
→ IV: Auch die aktive und empathische Exploration der Suizidalität ist obligat.
→ Klassifikation: Eine depressive Episode besteht nach ICD-10, wenn der Patient über ein Zeitintervall von mindestens 2 Wochen an 2 Hauptsymptomen und 2 Nebensymptomen leidet. Zusätzlich existiert eine Einteilung der Depression nach dem Schweregrad,
der sich nach der Anzahl der erfüllten Haupt- und Nebensymptome richtet.
→ I: Schweregrad:
→ 1) Leichte Depression: Von einer leichten Depression spricht man bei 2 Haupt- und 2 Nebensymptomen. Der Patient hat Schwierigkeiten, der normalen Berufstätigkeit und den sozialen Interaktionen nachzukommen, gibt sie aber nicht vollständig auf. Bestehen zusätzlich 4 somatische Beschwerden spricht man von einer leichten depressiven Episode mit somatischem Syndrom (früher endogene Depression).
→ 2) Mittelschwere Depression: Hiervon spricht man, wenn 2 Haupt- und 3-4 Nebensymptome vorhanden sind. Der Patient kann seine Aktivitäten nur unter erheblichen Schwierigkeiten fortsetzen. Manifestieren des Weiteren noch 4 somatische Symptome besteht eine mittelschwere Depression mit somatischen Syndrom.
→ 3) Schwere Depression:
→ A) Ohne psychotische Symptome besteht, wenn sich alle 3 Hauptsymptome und > 4 Nebensymptome manifestieren. Hier liegt zumeist (immer) ein somatisches Syndrom vor (eine Unterklassifizierung exisitert hierbei nicht).
→ B) Eine schwere Depression mit psychotischen Symptomen lässt sich explorieren, wenn Wahnideen wie hypochondrischer -, nihilistischer -, Verarmungs-, Versündigungs- oder Verkleinerungswahn, aber auch Halluzinationen oder depressiver Stupor existieren.
→ Klinisch-relevant: Wichtige Kriterien der schweren Depression mit psychotischen Symptomen sind insbesondere:
→ A) Nachweis von synthymen (= Affekt konkruente) Wahnideen wie nihilistischer Wahn, Verarmungswahn etc.
→ B) Bestehen von akustischen Halluzinationen, bei dem der Patient Stimmen hört, die ihm Versagen, Wertlosigkeit vorwerfen oder ihn zum Suizid auffordern.
→ C) Ausgeprägter depressiver Stupor.
→ D) Im Gegensatz hierzu weist die Schizophrenie parathyme (= affekt-inkonkruente) Wahnideen sowie Ich-Störungen auf.
→ II: Eigen-/Fremdbeurteilungsskalen: Dienen zum einen der Diagnoseerhebung (vor allem zu Forschungszwecken), zum anderen aber auch zur Beurteilung des Schweregrades und Therapieerfolges.
Wichtige psychologische Testverfahren bei der Depression sind vor allem:
→ 1) Hamilton-Depression-Scale: Bei diesem Testverfahren handelt es sich um ein Fremdbeurteilungsbogen, der sich überwiegend auf die somatischen Beschwerden bezieht und 21 Items umfasst. Einige Beispiele hierfür sind (siehe unten); des Weiteren gehören Themen wie Arbeit und Aktivitäten, psychische und somatische Angst, allgemein körperliche Symptome, gastrointestinale Beschwerden, Gewichtsverlust, Tagesschwankungen, Erregung, Zwangssymptome, paranoide Symptome etc. dazu.
→ 2) Auswertung der Hamilton-Depression-Scale:
→ A) 7-17 Punkte: Weist auf eine leicht depressive Episode hin.
→ B) 18-24 Punkte: Mittelgradige depressive Episode und
→ C) > 24 Punkte: Weist auf eine schwere depressive Episode hin.
→ 3) Beck-Depressions-Inventar: Das Becks-Depressions-Inventar stellt einen Selbstbeurteilungsbogen dar und bezieht sich überwiegend auf die kognitiven Symptome der Depression. Es besitzt auch 21 Items, die sich auf ein Zeitraum von einer Woche (die letzte Woche) bezieht. Einige Beispiele sind (siehe unten); weitere Aspekte sind Unzufriedenheit, Selbsthass, Selbstanklage, Reizbarkeit, Pessimismus, Isolation und sozialer Rückzug etc.
→ Klinisch-relevant: Vor allem das Ausmaß der Gefühle von Hoffnungslosigkeit und Ausweglosigkeit korreliert eng mit der aktuellen Gefahr der Suizidalität. Diesbezüglich werden frühere Suizidversuche in der Anamnese, insbesondere wenn sie weniger als 1 Jahr zurückliegen als Hochrisikofaktor angesehen.
→ Diagnose weiterer Depressionsformen:
→ I: Atypische Depression:
→ 1) Sie weist phänomenologische eine enge Beziehung zur saisonalen affektiven Störung auf und ist durch atypische (bzw. umgekehrt zentral-vegetative) Symptome wie gesteigerter Appetit, Hypersomnie und „ leaden paralysis“ (= Gefühl der bleiernen Schwere) sowie durch eine Zusatzkodierung der mood-reactivity (= Patienten reagieren auf ein positives Ereignis mit Stimmungsaufhellung) charakterisiert.
→ 2) Die atypische Depression tritt überwiegend bei Frauen auf, hat einen frühen Krankheitsbeginn, neigt im weiteren Krankheitsverlauf zur Chronifizierung und spricht bevorzugt auf MAO-Hemmer an.
→ II: SAD: Die saisonal-abhängige Depression ist eine in den Wintermonaten (November bis März) auftretende mit überwiegend atypischer Symptomatik verlaufende depressive Störung. Wichtige Kriterien für die SAD sind nach ICD-10:
→ 1) 3 oder mehr affektiven Episoden mit Beginn innerhalb desselben 90 Tage-Zeitraums in 2 oder mehr aufeinanderfolgenden Jahren.
→ 2) Die Remission der Störung muss auch innerhalb des 90-Tage-Zeitraumes erfolgen, etc.
→ III: Lavierte Depression: Von der lavierten Depression spricht man, wenn die sogenannten somatischen und vegetativen Störungen das klinische Krankheitsbild bestimmen und sich die eigentliche depressive Symptomatik hinter der Maske der körperlichen Beschwerden verbirgt.
→ IV: Bei der rezidivierenden kurzen depressiven Störung handelt es sich um schwere depressive Episoden, die zumeist über wenige Tage persistieren und in irregulären Abständen auftreten. Die einzelne Episode ist kürzer als 2 Wochen (zumeist nur 2-3 Tage) und entspricht somit nicht dem Zeitkriterium der unipolaren Depression nach ICD-10; jedoch erfüllt sie die sonstigen Symptomkriterien einer leichten, mittelschweren oder schweren depressiven Episode.