→ Definition: Bei der traumatischen Luxation handelt es sich generell um eine Desintegration der knorpeltragenden Gelenkanteile mit einer daraus resultierenden Fehlstellung und -funktion aufgrund eines Traumas. Bei der Hüftluxation, im Speziellen, kommt es zu einer vollständigen Desintegration des Hüftkopfes aus der Hüftpfanne.

→ Ätiolopathogenese: 

→ I: Die Ausbildung einer Hüftgelenksluxation bedarf im Sinne des Verletzungsmechanismus einer starken Gewalteinwirkung durch Sturz aus hoher Höhe oder infolge eines Verkehrsunfalls (z.B. Dush-board-injury).

→ II: Typischerweise findet man eine vordere oder hintere Luxation.

→ III: Nicht selten manifestiert sich gleichzeitig eine Femurkopf-, Schenkelhals- und/oder eine Azetabulumfraktur.

 

Klassifikation: Hierbei unterscheidet man zwischen einer:

I: Dorsalen Luxation: Sie ist mit 75% die häufigere Luxationsform. Man unterteilt sie in 2 Subtypen:

→ 1) Luxatio iliaca: Besteht in 55% der Fälle bei dorsalen Luxationen, wobei der Hüftkopf nach hinten oben luxiert. Klassischer Unfallmechanismus ist eine Knieaufprallverletzung (dashboard-injury) bei flexiertem und adduziertem Oberschenkel.

→ 2) Luxatio ischiadica: Ist mit 20% die seltenere dorsale Luxation; der Hüftkopf luxiert nach hinten unten.

II: Ventralen Luxation:

→ 1) Sie ist mit 25% die deutlich seltenere Luxationsform und entsteht bei Anprall des abgespreizten und außenrotierten Oberschenkels.

→ 2) Der Hüftkopf luxiert in Richtung des Schambeins bzw. des Foramen obturatorium.

→ 3) Auch hier werden 2 Subtypen unterschieden:

→ A) Luxatio pubica: Ist die häufigere Form der ventralen Luxationen (20%) und tritt bei gestrecktem Hüftgelenk auf.

→ B) Luxatio obturatoria: Mit 5% die seltenere ventrale Luxationsform und tritt bei Beugung des Hüftgelenks auf.

635 Schematische Darstellung der Klassifikation der Hüftgelenksluxation

 

Klinik:

→ I: Starke schmerzhafte Fehlstellung.

→ II: Federnde Gelenkfixation mit der Unfähigkeit, das Bein aktiv zu bewegen,

→ III: Evtl. Taubheitsgefühl im betroffenen Bein

→ IV: Ggf. Beinverkürzung und

V: Beinfehlstellung bei den unterschiedlichen Luxationstypen: 

→ 1) Dorsale Luxation: Allgemein besteht bei den dorsalen Luxationen charakteristischerweise eine Adduktion und Innenrotation.

A) Luxatio iliaca: Das Bein ist innenrotiert und adduziert, die beiden Knie liegen eng zusammen.

→ B) Luxatio ischiadiaca: Das Bein ist innenrotiert und adduziert, das Knie charakteristischerweise liegt auf dem Oberschenkel der gesunden Seite.

634 Schweregradeinteilung der hinteren Hüftluxation nach der ossären Zusatzverletzung

2) Ventrale Luxation: Bei den selteneren ventralen Luxationen zeigt sich eine Abduktion, Außenrotation und leichte Verkürzung.

A) Luxatio pubica: Das betroffenen Hüftgelenk ist gestreckt, außenrotiert, leicht abduziert und verkürzt.

B) Luxatio obturatoria: Typischerweise besteht eine Beugung im Hüftgelenk bei gleichzeitiger Außenrotation, Abduktion und leichter Verkürzung.

 

Begleitverletzungen:

→ I: Läsion der Gelenkkapsel mit Verletzung der Gefäße, die den Hüftkopf versorgen und der erhöhten Gefahr einer Hüftkopfnekrose.

→ II: Dorsaler Luxation: Gefahr der Ischiadicusparese

→ III: Ventrale Luxation: Läsion der Arteria -, des Nervus und der Vena femoralis.

IV: Häufig gleichzeitige Acetabulum- oder Femurkopffraktur.

 V: Kettenfrakturen (Kalkaneus-Fuß-Knie-Hüfte).

 

Diagnose:

→ I: Klinische Untersuchung: Federnde Fixation des Hüftgelenkes, evtl. tasbarer Femurkopf, DSM-Kontrolle (die periphere Durchblutung, Motorik und Sensibilität muss immer im Seitenvergleich erfolgen und das Ergebnis dokumentiert werden).

→ II: Bildgebende Verfahren:

1) Röntgen: Beckenübersicht und Hüftgelenk axial vor und nach der Reposition.

→ 2) CT/MRT: Zum Nachweis möglicher Korpelabscherungen bzw. Knorpelfragmente im Gelenk.

 

Therapie:

→ I: Allgemein: Sofortige geschlossene Reposition in Vollnakrose unter Muskelrelaxation.

II: Reposition nach Böhler: Der Patient liegt in Rückenlage, das Knie- und Hüftgelenk ist in 90° flexiert. Ein breiter Gurt wird um das Kniegelenk des Patienten und den Hals des Arztes gelegt. Das Becken durch einen Assistenten fixiert. Es erfolgt

1) Eine langsamer Zug in Femurlängsrichtung (Richtung Raumdecke).

→ 2) Eine Beugung des Hüftgelenkes auf 60°.

→ 3) Sowie Rotations- und Adduktionsbewegungen am Unterschenkel.

 

Klinisch relevant:

→ A) Das Hüftgelenk ist reponiert, wenn der Femurkopf über das Acetabulum springt; es ist als "hörbares Schnappen" wahrnehmbar.

→ B) Kontroll-Röntgen: Zur Dokumentation des Repositionsergebnisses und zum Ausschluss möglicher knöcherner Begleitverletzungen.

 C) Die Hüftgelenkluxation ist immer eine Notfallsituation und bedarf einer sofortigen geschlossenen Reposition, denn in 50% der Fälle entwickelt sich eine Femurkopfnekrose, wenn die Luxation > 6h besteht.

 

 4) Nachbehandlung: Es erfolgt Bettruhe bis zur Schmerzfreiheit und unter Applikation eines NSAR (Indometacin 3x 25-50mg/d) zur Vermeidung einer periartikulären Ossifikation. Nach ca. 3 Wochen ist eine zunehmende Vollbelastung möglich.

III: Operative Therapie:

→ 1) Indikation: Sind insbesondere Instabilität des Hüftgelenks nach Reposition, Repositionshindernis, Nachweis eines Gelenkinterponats, Begleitverletzungen wie eine Azetabulum- oder Femurkopffraktur und nicht zuletzt die Ischiadicus-Läsion nach Reposition.

2) Der operative Zugang kann ventral, dorsal oder anterolateral erfolgen und ist abhängig von der Frakturlokalisation, Lage des Gelenkinterponats, etc.

3) Adäquate Osteosynthese.

 IV: Postoperative Nachbehandlung:

→ 1) Bettruhe und Thromboseprophylaxe bis zur Schmerzfreiheit.

→ 2) Anschließend Teilbelastung von 15 kg über 3 Wochen.

→ 3) Kontroll-MRT nach 3 Monaten zum Ausschluss einer Femurkopfnekrose.

 

Postoperative Komplikationen:

→ I: Eine posttraumatische Arthrose bildet sich in bis zu 90% der Fälle bei gleichzeitiger Acetabulumfraktur bzw. Femurkopffraktur aus.

→ II: Die aseptische Femurkopfnekrose ist insbesondere von der Luxationsdauer (6 Stunden-Fenster) abhängig.

→ III: Postoperative Infektionen, Nervenläsionen (Nervus ischiadicus), Wundheilungsstörungen etc.