→ Definition: Bei der Femurkopffraktur handelt es sich um eine knöcherne Verletzung im Bereich des Femurkopfes.

→ Anatomie:

→ I: A. femoralis superficialis: Sie verläuft medial des Femurs und zieht in den Adduktorenkanal. Weiter distal verläuft sie dann auf der Rückseite des Oberschenkelknochens und geht im Bereich der Kniekehle in die A. poplitea über.

II: N. femoralis: Er tritt durch die Lacuna musculorum unterhalb des Leistenbandes aus und verläuft auch ventral des Hüftgelenkes. Dieser Nerv kann iatrogen (operativ) durch einen ventralen /ventrolateralen Zugang geschädigt werden.

→ III: Nervus ischiadicus: Er verlässt das Becken durch das Foramen infrapiriforme und verläuft unterhalb des M. gluteus maximus/medius entlang des M. biceps femoris und des M. adductor magnus in die Kniekehle, wo er sich in seine beiden Äste, den N. tibialis und den Peroneus, aufteilt. Iatrogene Schädigungen bestehen beim posterolateralen Zugang.

 

Pathogenese:

→ I: Femurkopffrakturen treten insbesondere bei dorsalen Hüftgelenkluxationen und Azetabulumfrakturen im Rahmen von Abscherkräften oder axial einwirkenden Kräften entlang der Femurachse bei leichter Beugung (< 60°).

→ II: Meist durch direkte oder indirekte Gewalteinwirkung in Form eines Knieaufpralltraumas (= dashboard-injury).

→ III: Deutlich seltener manifestiert sich Fermurkopffraktur als Impressionsfraktur nach anteriorer oder zentraler Hüftluxation oder der Azetabulumfraktur

 

Klassifikation: Es existieren verschiedene Klassifikationen der Femurkopffraktur; hierzu zählen insbesondere:  

→ I: Einteilung: Nach Pipkin werden 4 verschiedene Subtypen unterschieden:

→ 1) Pipkin 1: Femurkopffraktur unterhalb der Fovea capitis und außerhalb der Belastungszone.

→ 2) Pipkin 2: Femurkopffraktur oberhalb der Fovea capitis (Abscherung eines großen Kopffragmentes unter Einbeziehung der Fovea. Die Fraktur befindet sich innerhalb der Belastungszone.

682 Schematische Darstellung der Klassifikation der Femurkopffraktur nach Pipkin

→ 3) Pipkin 3: Typ 1 oder 2 in Kombination mit einer Schenkelhalsfraktur.

→ 4) Pipkin 4: Typ 1 oder 2 in Kombination mit einer Acetabulumfraktur

→ II: Einteilung: Nach Brumback werden neben der Femurkopffraktur noch zusätzlich die anteriore Hüftgelenksluxation sowie die zentral Einstauchung des Kopfes in das kleine Becken miteinbezogen.

681 Klassifikation der Femurkopffraktur in Kombination mit Hüftgelenksluxation nach Brumback

 

Klinik:

→ I: Es bestehen starke Schmerzen im Hüftbereich und die Unfähigkeit, das Bein aktiv zu bewegen.

→ II: Evtl. Taubheitsgefühl im dorsalen Oberschenkel bei dorsaler Luxation (N. ischiadicus) und an der Oberschenkelinnenseite bei zentraler Luxation (N. obturatorius).

→ III: Beinfehlstellung sowie eine federnde Fixation im Hüftgelenk.

→ III: Nicht selten sind die betroffenen Patienten polytraumatisiert.

 

→ Begleitverletzungen:

→ I: Im Zuge des Unfallmechanismus zeigen sich häufig Kniegelenksverletzungen (Knieluxation, Tibiakopffraktur, Patellafraktur) sowie Femurschaft-, Schenkelhals-, Labriumläsionen und Acetabulumfraktur.

→ II: Traumatische Nervenschädigung mit Ischiadicusläsionen (durch dorsale Luxation), Obturatorius-Paresen (durch zentrale Luxation) oder selten Gefäßverletzungen.

 

Diagnose:

→ I: Anamnese/klinische Untersuchung: Eurierung des Unfallhergangs sowie Kontrolle und Dokumentation der Durchblutung, Sensibilität und Motorik im Seitenvergleich.

→ II: Bildgebende Verfahren:

→ 1) Röntgen: Beckenübersicht a.pund bei Verdacht auf eine Azetabulumfraktur sollte zusätzliche eine Ala- (gesunde Seite wird um 45° angehoben zur Beurteilung des vorderen Pfannenrandes und des dorsale Pfeilers) bzw. Obturator-Aufnahme (kranke Seite wird um 45° im Becken angehoben zur Beurteilung des hinteren Pfannenrandes und des vorderen Pfeilers) erfolgen. Dabei muss vor allem auf die Symmetrie der Femurköpfe (Rotation, Größe), den Gelenkspalt und weiteren Begleitverletzungen z.B. des Azetabulums, Schenkelhals etc. geachtet werden.

2) CT: Zur sicheren Diagnose bzw. zur genauen Operationsplanung.

 

Therapie:

→ I: Bei bestehender Hüftluxation sollte eine sofortige, wenn möglich geschlossene Reposition erfolgen, um mögliche Komplikationen (Femurkopfnekrose, Ischiadikusläsion) zu vermeiden.

II: Konservative Therapie: Bei exakter Fragmentadaption ist bei der Pepkin-I-Fraktur eine konservative Therapie nach Reposition frühfunktionelle Teilbelastung mit 15kg über 6 Wochen möglich. MRT-Kontrolluntersuchungen nach 3 Monaten zum frühzeitigen Ausschluss einer Femurkopfnekrose.

→ III: Operative Therapie: Die operativ zu behndelnden Femurkopffrakturen agieren immer als Notfallsituation, da eine Kopfnekrose aufgrund einer möglichen Versorgungsstörung drohen kann. Eine Operation ist bei allen dislozierten Frakturen oder einer Gelenkstufung von > 1-2mm indiziert.

→ 1) Ventraler, dorsaler, anterolateraler Zugang, offene Reposition, evtl. Entfernung kleiner Frakturfragmente, Rekonstruktion der Gelenkfläche und Schraubenosteosynthese des Femurkopfes.

→ 2) Bei älteren Patienten ist meist eine Hemiarthroplastik bzw. eine Totalendoprothese indiziert.

→ 3) Begleitverletzungen wie die Schenkelhals- oder die Azetabulumfraktur sollten mitbehandelt werden.

4) Bei der Impressionsfraktur erfolgt eine Anhebung der Gelenkfläche durch eine Spongiosaplastik.

 

→ Klinisch relevant: Im Allgemeinen erfolgt die operative Therapie nach folgenden Kriterien

→ A) Größere Typ I oder Typ II Frakturen lassen sich mittels Schraubenosteosynthese behandeln.

→ B) Typ III Frakturen nach Pipkin erfordern in den meisten Fällen einen Hüftgelenksersatz und

→ C) Bei Typ IV Frakturen muss das Azetabulum zusätzlich rekonstruiert werden.

 

5) Postoperativ: Frühzeitige Mobilisation mit 15 kg Teilbelastung für 6-12 Wochen, abhängig vom Frakturtyp. Nach 3 Monaten ist ein Kontroll-MRT zum Ausschluss einer Hüftkopfnekrose obligat.

 

Postoperative Komplikationen:

→ I: Hüftkopfnekrose (hierbei ist das Zeitintervall der Luxation von 6h von großer Bedeutung).

→ II: Posttraumatische Arthrose (50%),

→ III: Gelenkinstabilität und die Gefahr der Entwicklung einer Pseudarthrose (bei bis zu 30% der Fälle).

IV: Heterotope periartikuläre Ossifikation (prophylaktische Gabe von 25-50mg/d Indometacin).

 

  Prognose:

→ I: Aufgrund der Komplikation bei älteren Patienten sollte die Indikation „Hüftersatz" großzügig gestellt werden; bei jüngeren Patienten ist immer ein Hüftkopf-erhaltendes Verfahren indiziert.

→ II: Bei der Pipkin I Fraktur günstig,

III: Bei der Pipkin II-IV wegen der posttraumatischen Arthrose eher ungünstig.