Definition: Beim diabetischen Fußsyndrom handelt es um ein Symptomkomplex bestehend aus Ulzerationen, Gewebsdestruktionen und/oder Infektionen sowie deren Komplikationen (erhöhtes Amputationsrisiko) an den Füßen von Diabetikern (Diabetes mellitus Typ I und Typ II).

 

Epidemiologie:

→ I: Die Prävalenz des diabetischen Fußsyndroms liegt bei der diabetischen Bevölkerung bei 2-10%.

→ II: Mehr als 300000 Patienten leiden in Deutschland an diesem Syndrom und bei > 50% der Betroffenen ist innerhalb von 4 Jahren nach Diagnosestellung eine Amputation indiziert.

 

Ätiopathogenese:

→ I: Im Mittelpunkt der Genese steht die diabetische Stoffwechsellage, die über eine akzelerierte Atherosklerose (= Makroangiopathie) zur Läsion der Nervenfunktion führt. Wichtige ätiologische Kriterien sind u.a.:

→ 1) Neuropathie mit Traumatisierungen und Fehlbelastungen.

→ 2) Makro- und Mikroangiopathie.

→ 3) Wundheilungs- und Angiogenesestörungen sowie Störungen der lokalen Infektionsabwehr.

→ II: Auslösende Faktoren: Sind insbesondere:

→ 1) Geringfügige lokale Traumen, sogenannte Bagatelltraumen, durch z.B. falsche Nagelpflege, fasches Schuhwerk, etc.

→ 2) Mangelnde Fußhygiene (z.B. Fußpilz) sowie

→ 3) Eine sich anschließende Infektion. Häufig assoziierte Keime sind vor allem GRAM-positive - (insbesondere MRSA), aber auch GRAM-negativen Kokken sowie anaerobe Keime.

→ III: Klassifikation: Bezüglich der Pathophysiologie lässt sich das diabetische Fußsyndrom unterteilen in eine:

1) Ischämische Form: (Infolge einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit, insbesondere der peripheren Gefäßabschnitte z.B. A. tibialis, A. fibularis oder das Profundastromsystem) Hierbei steht die hypoxische Störung der Gewebetrophik im Vordergrund. Die Läsionen manifestieren sich in der Regel an Zehen und Ferse als schmerzhafte flächige Nekrosen und Gangräne (aufgrund der evtl. gleichzeitig bestehenden Neuropathie ist die Symptomatik zumeist diskreter, so kann z.B. eine Claudicatio intermittens gänzlich fehlen).

→ 2) Neuropathische Form: (vorwiegend bei jüngeren Typ-I-Diabetikern). Bei dieser Form fallen verschiedene nerval-gesteurte Schutzmechanismen weg. Der Fuß ist zumeist warm mit trockener Haut. Im Bereich der starken Verhornung befinden sich z.B. an Groß- und Kleinzehenballen scharf begrenzt, meist schmerzlose Geschwüre (= Mal perforant). Charakteristischerweise sind die Fußpulse hierbei gut tastbar.

1230 Formen der Neuropathie bei diabetischem Fußsyndrom

 

Klinik: Die klinische Symptomatik wird vor allem durch die Form des diabetischen Fußsyndroms bestimmt:

→ I: Ischämische Form:

→ 1) Kühle blasse Haut bei erhaltener Schmerzempfindung.

2) Claudicatio intermittens mit primär belastungsabhängigen Wadenschmerzen, später Ruheschmerzen.

3) Akrale Nekrosen und Gangräne.

→ II: Neuropathische Form:

→ 1) Mit Kribbelparästhesie, Hypästhesie, brennender Schmerz im Bereich der Fußsohle sowie gestörter Thermo- und Vibrationsempfindung.

→ 2) Trockene, rosige Haut mit Neigung zur Hyperkeratose im Bereich mechanisch belasteter Stellen.

→ 3) Mal perforans pedis: Hierbei manifestiert sich typischerweise ein schmerzarmer bis -loser Ulkus an der Fußsohle zumeist im Bereich der 2.-3. distalen Metatarsaleköpfchen.

→ 4) Charcot-Fuß: (= diabetische Neuroosteoarthropathie; Abb.: Charcot-FußHierbei handelt es sich um die ausgeprägteste Form des neuropathischen diabetischen Fußes. Zumeist aufgrund von Bagatell-Traumen kommt es zur zunehmenden Destruktion des knöchernen Skeletts mit konsekutiver Deformierung. Hierfür existiert eine Stadieneinteilung nach Levin:

1231 Stadieneinteilung des Charcot Fußes nach Levin

III: Neuropathisch-ischämischer Mischtyp: Bei dieser Form des diabetischen Fußsyndroms zeigt sich eine Kombination aus Angio- und Neuropathie und weist eine besonders schlechte Prognose auf, da Claudicatio- und Ischämie-Zeichen aufgrund der Neuropathie oft nur eingeschränkt oder nicht wahrgenommen werden.

 

Klinisch-relevant: Bei dem diabetischen Fußsyndrom hat sich eine klinische Klassifikation nach Wagner und Armstrong etabliert, die sich an den Kriterien Gewebezerstörung, Infektion, Ischämie sowie Infektion und Ischämie (ätiologische Parameter) orientiert:

1232 Klinische Kassifikation des diabetischen Fußsyndroms nach Wagner und Armstrong

 

Diagnose:

→ I: Anamnese: Beinhaltet u.a. die Diabetesdauer, -einstellung, weitere Sekundärkomplikationen, Ischämie und Neuropathie-Symptomatik, frühere Läsionen und Ulzerationen, etc.

→ II: Klinische Untersuchung: Umfasst die Bereiche:

→ 1) Inspektion: Mit beidseitiger Fußinspektion (z.B. Hautfarbe, Hyperkeratose).

→ 2) Palpation: Mit Palpation der Fußpulse, Temperatur und Hautfeuchtigkeit.

→ 3) Neurologische Untersuchung insbesondere von Reflexstatus (Achilles-, Patellarsehnenreflex), Schmerz- und Vibrationsempfindungen (Stimmgabeltest) sowie Temperatur- und Druckempfindungen, aber auch Verschlussdruckmessung.

1235 Klinische Unterscheidungsmerkmale zwischen angiopathischem und neuropathischem DFS

 

Klinisch-relevant:

→ A) Regelmäßige Fuß- und Schuhinspektion sind wesentliche Prophylaxe des diabetischen Fußsyndroms.

→ B) Die Untersuchungsintervalle des Fußbefundes sind v.a. von individuellen Risikofaktoren abhängig:

→ 1) Untersuchungsintervall alle 6 Monate bei fehlender Polyneuropathie.

→ 2) Besteht eine Polyneuropathie und oder pAVK ist das Kontrollintervall auf 3 Monate verkürzt.

 

III: Laborchemie: Mit Bestimmung von BZ, HbA1C, Kreatinin, Proteinurie/Albuminurie, BSG, Leukozyten, CRP (bei Infektion).

→ IV: Bildgebende Untersuchung:

→ 1) Dopplerperfusionsdruckmessung bzw. bidirektionale Dopplersonographie mit Bestimmung des Arm-Knöchel-Index.

→ 2) Farbduplexsonographie (insbesondere bei pAVK) bei nicht eindeutigem Befund Magnetresonanz-Angiographie.

→ 3) Intraarterielle digitale Subtrationsangiographie in PTA-Bereitschaft (= bei Stenosenachweis Angioplastie durch z.B. Ballondilatation mit konsekutiver Stentimplantation).

→ 4) Weiterer Untersuchungen zur Kontrolle der Fußarchitektur (z.B. Fußdeformität) bzw. Ausschluss von möglichen Infektionen (Phlegmone, Osteomyelitis, Charcot-Fuß) kann ein Röntgen oder MRT indiziert sein.

 

Differenzialdiagnose: Vom diabetischen Fußsyndrom müssen insbesondere nachfolgende Erkrankungen abgegrenzt werden:

→ I: Traumatisierungen anderer Genese.

→ II: Infektionen und Durchblutungsstörungen (z.B. Nikotinabusus) anderer Genese.

→ III: Neuropathie bei u.a. Vitamin-B12-Mangel, Paraproteinämie, chronischer Alkoholabhängigkeit, etc.

 

Therapie: Im Vordergrund der Therapie des diabetischen Fußsyndroms stehen insbesondere die Primärprävention, die eigentliche Behandlung des Ulkus (Nekrose, Gangrän, etc.) sowie die Sekundärprävention nach abgeheilter Läsion.

→ I: Primärprävention: Umfassen u.a.:

1) Adäquate Einstellung des Glukosestoffwechsels, regelmäßige Blutzucker-Kontrollen sowie ernährungsmedizinische Beratung.

→ 2) Regelmäßige gründliche (professionelle) Fußpflege.

→ 3) Vermeidung von Verhornungen durch z.B. geeignetes, nicht drückendes Schuhwerk, etc.

→ II: Hat sich das diabetische Fußsyndrom entwickelt steht die interdiziplinäre Betreuung (Hausärzte, Diabetologen, Gefäßchirurgen, Orthopäden, etc.) im Vordergrund und umfasst:

→ 1) Absolute Entlastung des Fußes (u.a. Bettruhe, Orthese). Ohne adäquate Druckentlastung kann eine Wunde nicht heilen. Hierbei ist die Patienten-Compliance von großer Bedeutung.

 2) Manifestiert sich ein infiziertes Gangrän muss eine gezielte systemische antibiotische Therapie erfolgen; primär mit einem Breitbandantibiotika anschließend nach Antibiogramm.

→ 3) Bei bestehenden Nekrosen und Wundtaschen ist ein sogenanntes Wunddebridement mit u.a. sorgfältiger chirurgischer Entfernung indiziert.

1234 Spezifische Antibiotikatherapie beim diabetischen Fußsyndrom

→ III: Chirurgische Intervention:

→ 1) Insbesondere beim artherosklerotisch-bedingtn,e diabetischen Fuß ist das Mittel der ersten Wahl die Wiederherstellung der Perfusion mittels z.B. perkutaner Dilatation und Stent-Implantation oder Bypass-Operation.

→ 2) Sind Sehnen, Knochen oder Gelenke betroffen ist eine chirurgische Revision (häufig mit Knochenentfernung) unumgänglich. Es kann versucht werden mit einer Strahlen- oder Vorfußamputation auszukommen, jedoch ist bei nicht-beherrschbarer Infektion eine Unterschenkel- oder sogar Oberschenkelamputation erforderlich.

→ IV: Eine weitere wichtige therapeutische Säule ist die Prophylaxe der Rezidivläsion durch regelmäßige Fußinspektion, Tragen von nicht-einschnürenden Strümpfen und druckentlastendem Schuhwerk, aber auch semiorthopädische Weichbettung durch Einlagen, etc.

1233 Vorgehensalgorithmus bei Verdacht auf das diabetische Fußsyndrom

 

Prognose: Das diabetische Fußsyndrom stellt eine der häufigsten Folgeerkrankungen des Diabetes mellitus dar und die Prognose ist fast ausschließlich von der Primärprävention sowie Früherkennung des DFS abhängig (immerhin erkranken etwa 6-8 von 1000 Diabetikern pro Jahr daran).