→ Definition: Beim Gestationsdiabetes handelt es sich um eine Glukoseintoleranz unterschiedlichen Schweregrades, die zum ersten Mal während der Schwangerschaft (insbesondere in der 24-28 Schwangerschaftswoche) auftritt. Diese Form des Diabetes sistiert in der Mehrzahl der Fälle nach der Schwangerschaft.
→ Epidemiologie:
→ I: Etwa 2-3% aller Schwangeren bilden mit steigender Tendenz einen Gestationsdiabetes; es handelt sich somit um eine häufigere Schwangerschaftkomplikation.
→ II: Bei den betroffenen Frauen manifestiert sich bei den nachfolgenden Schwangerschaften zumeist ein erneuter Gestationsdiabetes; in ca. 50% der Fälle entwickelt mit einer Latenz von bis zu 10 Jahren ein Diabetes mellitus Typ II.
→ Ätiologie:
→ I: Während der Schwangerschaft, insbesondere im 2. Trimenon kann sich eine Hormon-bedingte periphere Insulinresistenz (v.a. durch Cortisol, Östrogen und HPL = Humanes Plazentalaktogen) ausbilden.
→ II: Folge ist ein deutlich erhöhter Insulinbedarf mit gesteigerter Insulinproduktion (2-3fache), die bei einigen Patientinnen die Produktionskapazität des Pankreas übersteigt.
→ III: Risikofaktoren: Weitere Risikofaktoren für die Entwicklung eines Gestationsdiabetes sind u.a. Diabetes mellitus in der Familienanamnese (auch Diabetes mellitus Typ I), Übergewicht mit einem BMI > 27kg/m2 und ein erhöhtes Lebensalter (> 32. Lebensjahr). Auch im Bereich der geburtshilflichen Anamnese bestehen weitere Risiken wie:
→ 1) EPH-Gestose in der Anamnese mit arterieller Hypertonie, Proteinurie und peripheren Ödemen.
→ 2) Makrosomie > 4000g-4500g eines zuvor geborenen Kindes.
→ 3) Schwere kongenitale Fehlbildungen in einer Vorschwangerschaft, habituelle Abortneigung und Totgeburten.
→ Klinik: Der Gestationsdiabetes verursacht keine Symptome, hat jedoch akute - und Langzeitfolgen für Mutter und Kind.
→ I: Symptome Mutter: Charakteristische Diabetessymptomatik mit Adynamie, Polydypsie und Polyurie, etc.
→ 1) Akute Folgen: Vermehrt Harnwegsinfekte (z.B. Zystitis, Pyelonephritis) sowie vaginale Infekte, arterielle Hypertonie, Präklampsie, Eklampsie, Hydramnion (= pathologische Fruchtwasser-Bildung > 2l, meist 3-4l).
→ 2) Chronisch: Ausbildung eines Diabetes mellitus Typ II in bis zu 50% der Fälle nach einer Latenz von bis zu 10 Jahren.
→ II: Folgen für das Kind:
→ 1) Akut: Vermehrte fetale Insulinproduktion (= Hyperinsulinismus) aufgrund der mütterlichen Hyperglykämie. Folge ist die Manifestation einer Makrosomie mit gleichzeitiger Reifestörung, postpartales Atemnot-Syndrom, Hyperbilirubinämie, Hypomagnesiämie, Hypokalzämie sowie Hypoglykämie.
→ Klinisch relevant: Die fetalen Beta-Zellen des Pankreas adaptieren sich an den hohen mütterlichen Glukosespiegel mit konsekutiver Hypertrophie sowie Hyperplasie der Inselzellen und vermehrter Insulinsekretion mit konsekutiver Hypoglykämie.
→ 2) Chronisch: Fetopathie diabetica mit Fehlbildungen des Herzens, der Wirbelsäule und des Gastrointestinaltraktes. Zudem neigen Kinder diabetischer Mütter in der Adoleszenz vermehrt zu Adipositas, Diabetes mellitus Typ II und zum metabolischen Syndrom.
→ Diagnose: Im Zuge der Schwangerschaftsvorsorge-Untersuchungen erfolgt ein Diabetes-Screening zwischen der 24-28 Schwangerschaftswoche und in der 32-34 Schwangerschaftswoche (höchste Wirksamkeit kontrainsulinärer Hormone); bestehen jedoch Risikofaktoren ist das Screening vor der 16. Schwangerschaftswoche indiziert:
→ I: Basislabor: Mit Bestimmung insbesondere von Blutzucker, Blutzuckertagesprofil, HbA1C und Fructosamin, etc. Da der HbA1C-Wert ein sehr träger Parameter ist, der die Glukosestoffwechsellage der letzten 2-3 Monate wiederspiegel, stellt das Fruktosamin einen eindeutig besseren laborbiochemischen Wert dar. Ketoamin ist das Produkt der nicht-enzymatischen Glykosylierung von Serumproteinen (insbesondere von Albumin und IgG). Da diese Serumproteine eine deutlich kürzere Halbwertszeit aufweisen, sind kurzfristige Veränderungen des Glukosestoffwechsels besser zu eruieren (= die Fruktosamin-Wert gibt Aufschluss über die Zuckerlage der letzten 2 Wochen).
→ II: Oraler Glucose-Toleranz-Test: Im Zuge der Vorbereitung sollte die Patientin 3 Tage vor der Untersuchung eine kohlenhydratreiche Nahrung zu sich nehmen. 8-10 Stunden vor der Untersuchung ist eine absolute Nahrungskarenz indiziert. Die Durchführung des Testes beinhaltet:
→ 1) Bestimmung des Nüchtern-Glukosewertes.
→ 2) Gabe einer 75g Glucose-haltigen Testlösung.
→ 3) Bestimmung des Blutzuckerspiegels nach 1 Stunde und 2 Stunden.
→ III: Nach den Leitlinien der deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe besteht eine eingeschränkte Glukosetoleranz, wenn mindestens 2 der folgenden Werte erreicht /überschritten werden:
→ 1) Der Nüchtern-BZ > 90mg/dl (> 5mmol/l),
→ 2) Nach 1 Stunde > 180mg/dl (> 10mmol/l) und
→ 3) Nach 2 Stunden > 155 mg/dl (> 8,6) liegt.
→ Therapie: Im Mittelpunkt der Behandlung steht die Normalisierung des Blutzuckerwertes, um das Risiko sowohl für die Mutter als auch für das ungeborene Kind zu minimieren.
→ I: Allgemeinmaßnahmen:
→ 1) Regelmäßige Kontrolle des Blutzuckers.
→ 2) Bewegungstherapie: Ein gesteigerter Energieverbrauch sowie eine verbesserte Insulinsensitivität helfen, die Blutzuckerwerte zu senken (auf geburtshilfliche Kontraindikationen muss jedoch geachtet werden).
→ 3) Ernährungsumstellung: Ziel hierbei ist nicht die Gewichtsabnahme (allenfalls 1-2kg), sondern vielmehr die Gewichtsstagnation.
→ A) 30-35 kcal/kgKG des errechneten Idealgewichtes.
→ B) Kohlenhydratanteil: Sollte 50-55% (18-22 BE) des täglichen Gesamtenergiebedarft betragen.
→ C) Der Proteinanteil liegt bei 15-20% und der Fettanteil bei 30-35%.
→ II: Medikamentöse Therapie:
→ 1) Als Hinweis für die Notwendigkeit einer intensivierten Insulintherapie gilt, wenn mehr als 2 pathologische Blutzuckerwerte pro Tag (nüchtern und postprandial) an 2 aufeinanderfolgenden Tagen bestehen (orale Antidiabetika sind aufgrund ihrer Fetotoxizität kontraindiziert).
→ 2) Therapieziel: Sind folgende BZ-Werte:
→ A) Nüchternzucker 60-90mg/dl (3,3-5mmol/l),
→ B) Postprandial nach 1 Stunde: < 140mg/dl (< 7,8mmol/l) und
→ C) Postprandial nach 2 Stunden: < 120mg/dl (< 6,7mmol/l).
→ D) Normale HbA1C-Werte (< 5,7%).
→ Prognose: Der Gestationsdiabetes bildet sich in der Regel postpartal zurück. Bei den betroffenen Patientinnen besteht jedoch ein deutlich erhöhtes Risiko (bis zu 50% in den folgenden 10 Jahren) für die Ausbildung eines Typ II Diabetes. Zudem besteht für die nachfolgende Schwangerschaft ein deutlich erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Gestationsdiabetes.
→ Klinisch-relevant: Wichtige Veränderungen der Insulinempfindlichkeit während der Schwangerschaft:
→ A) In der 8.-12. Schwangerschaftswoche besteht eine erhöhte Insulinempfindlichkeit mit der Gefahr der Hypoglykämie. Folge ist eine Reduktion der Insulin-Dosis.
→ B) Im 2. Schwangerschaftstrimenon ist die Insulinempfindlichkeit deutlich reduziert; eine Steigerung der Insulin-Dosis ist indiziert.
→ C) Die normale Insulinempfindlichkeit wird direkt nach der Geburt wieder erreicht. Jedoch sollte 6-12 Wochen nach Entbindung ein oraler Glukosetoleranztest durchgeführt werden und bei normalen Ergebnissen mindestens alle 2 Jahre wiederholt werden.
→ D) Stillen des Kindes senkt den Insulinbedarf um bis zu 5 IE.