Definition: Bei der akuten Pyelonephritis handelt es sich um eine bakterielle, meist aufsteigende Infektion des Nierenbeckens mit Beteiligung des Tubulointerstitiums (bzw. Nierenparenchyms). Sie wird nur sehr selten durch eine hämatogenen Streuung (deszendierend) verursacht.

Epidemiologie: Die akute Pyelonephritis stellt die häufigste Infektion des oberen Harntraktes dar (= Harnwegsinfektion) und manifestiert sich überwiegend bei jungen, sexuell-aktiven Frauen; es können aber auch Kinder und ältere Menschen betroffen sein.

 

→ Klassifikation: Die akute Pyelonephritis kann nochmals unterteilt werden in eine:

→ I: Akute primäre (unkomplizierte) Pyelonephritis, die ambulant erworben ist, keine prädisponierende Faktoren aufweist und zumeist nur geringe klinische Symptome (z.B. kein Erbrechen) besitzt.

→ II: Akute sekundäre (komplizierte) Pyelonephritis ist gekennzeichnet durch eine nosokomiale Infektion, schwere systemische Entzündungszeichen sowie Risikofaktoren wie Diabetes mellitus, Obstruktionen der Harnwege oder eine Schwangerschaft.

816 Akute sekundäre (komplizierte) Pyelonephritis

 

Ätiologie:

→ I: Meist handelt es sich hierbei um eine Monoinfektion mit E. coli-Bakterien (75-90%), gefolgt von Proteus. Sie haben eine besondere Bedeutung, da sie Urease (Enzym) erzeugen, welches Harnstoff spaltet und zu einem hochalkalischem Urin führt. Folge ist unter Ausfällung von Phosphat die Bildung von Magnesiumamonium-(Struvit-)- und Calciumphosphat-(Apatit)-Steinen.

II: Gerade bei Kindern und älteren Patienten können es auch weitere gram-negative Bakterien wie Klebsiellen (15%), Enterokokken (10%), etc. sein.

III: Weitere Risikofaktoren sind vor allem:

→ 1) Sexuelle Aktivität (Honeymoon-Zystitis),

 2) Infektionen der unteren Harnwege,

→ 3) Gravidität,

→ 4) Stoffwechselstörungen wie Diabetes mellitus (D.m. Typ 1/Diabetes mellitus Typ 2) und Gicht, etc.

→ 5) Iatrogen: Diagnostische Eingriffe, Harnblasenkatheter (meist Mischinfektionen).

→ 6) Analgetikaabusus (Analgetikanephropathie).

 

→ Pathogenese: Die Infektion bei der Pyelonephritis beginnt zumeist im Bereich der Papillen und breitet sich keilförmig in den befallenen Segmenten Richtung Nierenrinde aus. Es kommt in diesem Zusammenhang zur Granulozyteninfiltration mit Mikroabszessbildung. Intra- und perirenale Abszessbildungen sind möglich, jedoch nur sehr selten. Im Endstadium kann sich eine keilförmige Narbe mit Einziehung der Parenchymoberfläche ausbilden.

815 Ausbreitung der Infektion bei Pyelonephritis

 

Klinik:

→ I: Die klassische Symptomtrias der akuten Pyelonephritis weist einen charakteristischen abrupten Krankheitsbeginn auf:

→ 1) Schweres Krankheitsgefühl mit Müdigkeit und Abgeschlagenheit.

→ 2) Fieber mit Temperaturen > 38C° und Schüttelfrost.

→ 3) Dysurische Beschwerden mit Harndrang und Pollakisurie (häufig aber nicht obligat),

→ 4) Flankenschmerzen (Klopf- oder Spontanschmerz im Bereich des Nierenlagers) oder aber auch suprapubische Schmerzen.

→ II: Weitere Symptome: Sind Übelkeit, Brechreiz, Erbrechen, Leibesschmerzen, Subileus (insbesondere bei der komplizierten Form).

 

Komplikationen:

→ I: Eitrige Nephritis und sich evtl. daraus entwickelnde paranephritische Abszesse.

→ II: Urosepsis gerade iatrogen verursacht; hierbei handelt es sich um eine lebensbedrohliche Komplikation.

 

Diagnose:

→ I: Anamnese (sexuelle Aktivität), klinische Untersuchung mit Flankenschmerzen und Klopfschmerzhaftigkeit im Nierenlager als Spannungsschmerz der Nierenkapsel, etc.

→ II: Labor:

→ 1) Urin: Uricult, Urinsediment mit Nachweis einer Leukozyturie, Leukozytenzylindern und einer Erythrozyturie. Bestimmung der Nitrite im Urin, da vor allem gram-negative Bakterien (z.B. E.-Coli) Nitrat zu Nitrit konvertieren (Spezifität 90%; Sensitivität 30%).

 → 2) Blut: BSG- und CRP Erhöhung, evtl. Leukozytose und Blutkulturen.

→ III: Bildgebende Verfahren:

→ 1) Sonographie: Bestimmung von Länge, Größe und Form der Niere. Typisch ist der Nachweis eines echoreichen, geschwollenen Nierenparenchyms (vergrößerte Niere). Evtl. bei Nierenabszessen runde, gut abgrenzbare, zystische Gebilde mit echoreicher Binnenstruktur.

 2) Kontrastmittel-CT: Bei unklarer Sonographie; mit Nachweis von z.B. paranephritischen Abszessen oder Nierenkarbunkeln (konfluierende Nierenabszesse).

 

Differenzialdiagnose: Differenzialdiagnostisch müssen insbesondere nephrologische bzw. urologische sowie gastrointestinale Erkrankungen abgegrenzt werden. Hierzu zählen u.a.:

→ I: Weitere nephrologische bzw. urologische Erkrankungen, die eine ähnliche Symptomatik aufweisen wie z.B. die Exazerbation einer chronischen Pyelopnephritis, Pyonephrose, Nephrolithiasis, etc.

→ II: Appendizitis,

→ III: Divertikulitis und

→ IV: Cholezystitis.

 

Therapie: Die akute komplizierte Pyelonephritis erfordert fast immer einer stationären Aufnahme. Bei der akuten unkomplizierten Form existieren nachfolgende Kriterien, die für eine Indikation zur stationären Behandlung sprechen:

943 Mögliche Indikationen für eine stationäre Therapie bei akuter unkomplizierter Pyelonephritis

→ I: Allgemeinmaßnahmen: Hier stehen Maßnahmen wie Bettruhe, Flüssigkeitszufuhr und regelmäßiges Entleeren der Blase (Ausfuhr > 1500ml/d), Spasmolytika bei Bedarf und nicht zuletzt Weglassen nephrotoxischer Analgetika im Vordergrund.

II: Medikamentös: Die Pharmakotherapie wird sofort nach Abnahme der Urinkultur eingeleitet und über mindestens 7-14 Tage fortgeführt. Wichtige hierbei ist auch, komplizierende Faktoren wie obstruktive Uropathie oder infizierte Steine frühzeitig zu erkennen und entsprechend zu behandeln.

→ 1) Unkomplizierte Pyelonephritis: Mittel der ersten Wahl sind Cephalosporine der 2. und 3. Generation oder Flourchinolone (2 und 3)

A) Ciprofloxacin: 2 x 500mg/d über 7-10 (-14) Tage.

B) Levofloxacin: 1 x 500mg/d über 7-10 (-14) Tage.

→ C) Nebenwirkungen: Gastrointestinale Beschwerden, Störungen des Nervensystems, Verlängerung der QT-Zeit mit Rhythmusstörungen, Depression, Verwirrtheit, Halluzinationen; nicht zuletzt können sie den Cumarin-Spiegel erhöhen.

→ D) Kontraindikation: Schwangerschaft, Stillzeit, Kinder und Jugendliche in der Wachstumsphase.

→ 2) Schwerer Pyelonephritis: Bei diesem Verlaufstyp erfolgt die antibiotische Therapie parenteral, die nach Entfieberung auf oral umgestellt wird. Kombinationstherapien sind z.B.:

→ A) Die Kombination von entweder Aminopenicillin (Ampicillin 3-4x 0,5-2g) oder Acylaminopenicillin (z.B. Piperacillin 3x 2-4g intravenös) oder Cephalosporin der 3. Generation (z.B. Ceftriaxon 1x 1-2g) mit einem Aminoglykosid.

→ B) Cotrimoxazol sowie

→ C) Gyrasehemmer.

3) Bei Schwangeren: Cephalosporine der 2-3 Generation.

→ III: Nachbehandlung: Mit Abklingen der klinischen Symptome ist die Pyelonephritis nicht immer ausgeheilt. Bei 1/3 der Patienten sind die Keime weiterhin nachweisbar. Deswegen sind wiederholte Urinkulturen (5. Tag, 6. Woche, etc.) auch nach der Behandlung über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten obligat.

 

Klinisch-relevant: Nach Antibiotikatherapie sollte innerhalb des 1. Tages das Fieber sinken und sich der Urinbefund nach 3 Tagen normalisieren. Ist keine Besserung ersichtlich, ist immer auch an Komplikationen zu denken (Nierenabszess: CT).