Definition: Bei den Cumarinen (= 4-Hydroxycumarinderivate) handelt es sich um orale, indirekt wirkende Antikoagulanzien, die die Blutgerinnung durch einen Vitamin-K-Antagonismus blockieren. Hierzu gehören insbesondere Phenoprocoumon (Marcumar) und Warfarin.

  Wirkungsmechanismus: (Abb.: Wichtige Gerinnungsparameter und ihre Normwerte):

→ I: Cumarine hemmen in der Leber die y-Carboxylierung der (Vitamin-K-abhängigen) Gerinnungsfaktoren II, VII, IX, X (am N-terminalen Glutamatrest) sowie der Proteine C und S durch kompetitive Blockade der Vitamin-K-Epoxid-Reduktase bzw. der Vitamin-K-Chinon-Reduktase.

→ II: Folge ist die Synthese von funktionsuntüchtigen Gerinnungsfaktoren.

049 Wirkungsmechanismus der Cumarine

 

Wirkung:

→ I: Die gerinnungshemmende Wirkung tritt erst mit einer Latenz von 1-3 Tagen auf, da die im Blut befindlichen Gerinnungsfaktoren im Zuge der Alterung (Faktor VII ein Tag, Faktor II 3 Tage) erst metabolisiert werden müssen.

→ II: Zudem haben die Cumarin-Derivate hemmenden Einfluss auf die antikoagulatorischen Proteine C und S. Sie haben in der Regel eine kürzere HWZ als die Gerinnungsfaktoren, sodass diese Wirkung in den ersten Tagen überwiegt und hierdurch eine erhöhte Thromboseneigung besteht. Dieses Risiko wird durch die überlappende Applikation von Heparin deutlich reduziert.

→ III: Nach Absetzen des Phenprocoumon normalisiert sich die Gerinnung erst nach 7-10 Tagen, abhängig vom INR-Wert; bei Warfarin nach 3,5- 4,5 Tagen. 

36 Beispiele der Cumarintherapie in Abhängigkeit von der Erkrankung

 

Indikation:

→ I: Therapie der Phlebothrombose und Prophylaxe venöser Embolien (z.B. Lungenembolie) z.B. bei Thrombophilien wie z.B. Faktor-V-Leiden-Mutation, Antiphospholipid-Syndrom, etc. bzw. arterieller Embolien.

→ II: Vorhofflimmern (Prävention von systemischen Embolien) und nach Myokardinfarkt.

→ III: Mechanische Herzklappen (Prävention systemischer Embolien).

37 Beispiele der Cumarintherapie in Abhängigkeit von der Erkrankung

 

Dosierung: Zur Prophylaxe bzw. Therapie von Thrombosen bzw. Embolien erfolgt eine Aufsättigung von Phenprocoumon:

→ I: 1. Tag: 6-9mg/d (2-3Tbl.),

II: 2. Tag: 6mg/d (2Tbl.),

→ III: Ab 3.Tag: Die Dosierung erfolgt nach der Prothrombinzeit (Ziel-INR 2,0-3,0 bzw. 2,5-3,5 je nach Indikation) meist mit einer Erhaltungsdosis zwischen 1,5-4,5mg (½ bis 1 ½ Tbl).

35 Veränderung der Cumarin Dosis in Abhaengigkeit vom INR Wert

 

Pharmakokinetik: Nach oraler Applikation werden die Cumarine gut resorbiert; die Bioverfügbarkeit bei Phenprocoumon liegt bei 100% bei Warfarin um 93%. Im Blut werden sie an Plasmaprotein gebunden (PPC > 99%; Warfarin 99%); dies ist auch Ursache für die langsame Metabolisierung des Cumarins. Die Eliminations-HWZ von PPC beträgt 150 Stunden; die von Warafarin 37-50 Stunden. Beide Substanzen werden u.a. durch Glukuronidierung und Sulfatierung hepatisch über das Cytochrom-450-System (CYP2C9, CYP3A4, CYP1A2 etc.) metabolisiert und renal eliminiert.

88 Dosierung und Pharmakokinetik der Cumarine

 

Nebenwirkungen:

→ I: Das Blutungsrisiko steigt mit zunehmendem INR. Vor allem Blutungen in Hohlorgane (GIT, ableitende Harnwege) sowie intrazerebrale Blutungen werden gefürchtet.

II: Reversible Alopezie,

→ III: Verlangsamte Kallusbildung nach Knochenfrakturen und Osteopenie bei Langzeittherapie.

→ IV: Allergische Hautexantheme und immunologische Reaktionen.

→ V: Gastrointestinale Beschwerden mit Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe.

VI: Hämorrhagische Hautnekrosen: (= Cumarin-Nekrosen):

→ 1) Hierbei handelt es sich um Nekrosen im Bereich der Haut und des Fettgewebes infolge der Einnahme von oralen Antikoagulanzien.

2) Ätiologie: Cumarine rufen durch eine verfrühte Synthese-Hemmung von Protein-C und S (kürzere HWZ) eine Hyperkoagulabilität hervor. Folge ist die Ausbildung von kapillären Mikrothromben, in deren weiteren Verlauf es durch eine Synthese-Hemmung der Gerinnungsfaktoren zur Einblutung in das infarzierte Gewebe kommt (= hämorrhagische Infarzierung = Nekrose).

→ 3) Risikofaktoren: Sind u.a. adipöse Frauen nach der Menopause sowie hereditärer Protein-C-(antikoagulatorisch) und S-Mangel.

4) Klinik: Die Cumarin-Nekrosen manifestieren sich zu Therapiebeginn zwischen dem 3.-10. Tag. Charakteristisch sind schmerzhafte hämorrhagische Hautnekrosen, die bevorzugt im Bereich der Hüfte, Oberschenkel und des Gesäße auftreten.

→ 5) Therapie: Sofortiges absetzten, Gabe von Vitamin-K (Konakion), Heparin und Kortikosteroiden.

→ 6) Prophylaxe: Es wird eine mäßige Aufsättigung von Cumarinen sowie eine überlappende Initialtherapie mit Heparin empfohlen.

→ VII: Purple-toes-Syndrom: Hierbei können sich in seltenen Fällen aufgrund einer Cumarin-Therapie durch Freisetzung von atheromatösen Plaque-Material systemische Cholesterin-Mikroembolie entwickeln. Klinische Folgen sind u.a. brennende Schmerzen mit Verfärbung der Großzehen (= purple-toes).

 

Kontraindikationen: Wichtige und z.T. schwerwiegende Komplikationen bei der Therapie mit Cumarinen sind u.a.:

→ I: Erhöhte Blutungsbereitschaft:

→ 1) Schwere Leber- und Niereninsuffizienz

2) Hämorrhagische Diathese,

→ 3) Schwere Thrombozytopenie.

→ II: Gefäßläsionen: Hierzu zählen dissezierendes Aortenaneurysma, schwerste arterielle Hypertonie (hypertensive Krise), floride Endokarditis, floride Colitis ulcerosa, Ulcus ventriculi/Ulcus duodeni, diabetische Retinopathie mit Fundusblutungen, Traumata oder Operationen im ZNS-Bereich, zerebrovaskuläre Prozesse (frischer Schlaganfall, Hirnarterienaneurysma), große Traumata, operative Eingriffe, nach vorangegangener intramuskulären Injektion, etc.

→ III: Weitere Kontraindikationen: Sind Nephrolithiasis, Epilepsie, Alkoholabhängigkeit, kavernöse Lungen-TBC, drohender Arbort, Entbindung, Schwangerschaft (insbesondere 1. Trimenon), fehlende Compliance des Patienten.

 

Klinisch-relevant:

→ A) Cumarine sind während der gesamten Schwangerschaft aufgrund der teratogenen Wirkung kontraindiziert.

→ B) Im 1. Trimenon kann sich ein fetales Warfarin-Syndrom mit ZNS-Anomalien, Skelettdeformität aufgrund einer Kalzifikation der Epiphysenfugen, Hypoplasie der Nase etc. ausbilden.

C) Zudem sind die Cumarine muttermilchgängig, sodass sie nicht in der Stillzeit appliziert werden.

 

Wechselwirkungen:

→ I: Die Wirkung der Cumarine wird durch eine Vielzahl von Medikamenten verändert, so u.a. auch durch die Beeinflussung der hepatischen Metabolisierung durch das Cytochrom P-450-System (vor allem CYP2C9 und CYP 3A4).

33 Wechselwirkungen der Cumarine

II: Weitere Mechanismen: Sind insbesonsdere:

→ 1) Verminderte Resorption aus dem Darm (z.B. Antazida),

2) Verdrängung aus der Eiweißbindung (z.B. Sulfonylharnstoffe, Sulfonamide),

→ 3) Verlangsamte (z.B. Allopurinol, Paracetamol) oder beschleunigte Inaktivierung (z.B. Rifampicin, Carbamazepin) etc.

4) Eine Kombinationstherapie mit Thrombozytenaggregations- (z.B. ADP-Rezeptor-Antagonisten, etc.) COX-Hemmstoffen, weiteren Antikoagulanzien wie z.B. Heparine, Heparinoide fördert die Blutungsgefahr.

34 Weitere Medikamente, die die gerinnungshemmende Wirkung der Cumarine

 

Klinisch-relevant:

→ A) Bei planbaren operativen Eingriffen wird die Cumarin-Therapie vorübergehend bis zum 1. postoperativen Tag auf eine andere Medikation (z.B. überbrückende Gabe von Heparin) umgestellt. Dies wird als Briding bezeichnet.

→ B) Bei Blutungskomplikationen werden die Cumarine sofort abgesetzt; jedoch setzt die Synthese der Gerinnungsfaktoren mit einer Latenz von 2-3 Tagen erst wieder ein. Insofern müssen evtl. zusätzliche Maßnahmen erfolgen (siehe auch Vitamin K). Bei lebensbedrohlichen Blutungen ist die Applikation von Prothrombinkonzentrat (= PPSB) obligat.

C) Während der Cumarin-Therapie sind intramuskuläre. Injektionen kontraindiziert, bei i.v. Entnahme sollte auf eine geringe Traumatisierung des Gewebes und eine anschließende adäquate Kompression geachtet werden.

→ D) Nahrungsmittel:

→ 1) Vitamin K-haltige Nahrungsmittel wie Kohl, Broccoli, Spinat können in Maßen gegessen werden; jedoch vermindern größere Mengen die Cumarin-Wirkung.

2) Auch chronische Alkohol-Substitution (Alkoholabhängigkeit) reduziert durch Induktion der hepatischen Metabolisierung die gerinnungshemmende Wirkung.