Definition: Heparin ist als Glucosaminoglykan ein kettenförmiges Molekül, das alternierend aus Glucosaminen und Hexuronsäuren besteht (für die Bindung an Antithrombin III ist das Petasaccharid entscheidend). Heparin gehört zu den direkt wirkenden Antikoagulantien, welche die Blutgerinnung hemmen.

Klassifikation: Die Heparine werden unterteilt in:

I:  Unfraktionierte Heparine: (UFH)

→ 1) Hierbei handelt es sich um polyanionische Mucopolysaccharide mit einem Molekulargewicht zwischen 5000-30000 Dalton (Mittel 15000).

→ 2) Sie werden in der Leber u.a. durch Hydrolyse metabolisiert und renal eliminiert.

3) Eine Dosisanpassung ist bei Leber- und/oder Niereninsuffizienz obligat.

141 Unfraktioniertes Heparin

II:  Niedermolekulare fraktionierte Heparine: (NMH) NMH stellen Fragmente des UFH dar und werden durch den begrenzten Abbau dieser gewonnen. Sie haben eine mittlere Molmasse von 4500 Dalton; die Elimination erfolgt renal. Zu den NMH gehören u.a. Certoparin (Mono-Embolex), Enoxaparin (Clexane), Dalteparin (Fragmin), Nadroparin (Fraxiparin), etc.

 142 Niedermolekulare Heparine

 

Wirkungsmechanismus: (Abb.: Wirkungsmechanismus der unfraktionierten-, niedermolekularen Heparine und Heparinoide):

→ I: UFH:

→ 1) UFH bindet mit hoher Affinität an Antithrombin und beschleunigt durch Konformationsänderung die AT-III vermittelte Hemmung des Thrombins durch irreversible Blockade dessen aktiven Zentrums.

→ 2) Unfraktioniertes Heparin steigert die Geschwindigkeit der Anlagerung von AT-III an den aktiven Gerinnungsfaktor (u.a. IIa, IXa, Xa, XIa, XIIa,) um das 1000-fache, indem es sich an positiv geladene Lysin-Gruppen des Antithrombins anlagert und dieses aktiviert.

 

Klinisch-relevant:

→ A) Unfraktioniertes Heparin verstärkt in Verbindung mit Antithrombin-III die antikoagulatorische Wirkung von AT-III um ein Vielfaches.

→ B) Faktor Xa wird durch UFH gleichermaßen blockiert.

 

II: Niedermolekulares Heparin: Aufgrund ihrer geringeren Molekülgröße können niedermolekulare Heparine keinen Komplex zwischen AT-III und dem Gerinnungsfaktor bilden. NMH hemmen somit nur selektiv den Faktor Xa.

 

→ Wirkung: (Abb.: Wichtige Gerinnungsfaktoren und ihre Normwerte):

→ I: Unfraktioniertes Heparin:

→ 1) Antikoagulatorische, gerinnungshemmende Wirkung.

2) Hemmung der Plättchenfunktion,

→ 3) Weitere Wirkungen: Sind insbesondere die Steigerung der Lipolyse mit konsekutiver Erhöhung der freien Fettsäuren durch Zunahme der Lipoproteinlipase-Aktivität und die deutliche Erhöhung der Gefäßpermeabilität.

→ II: Faktioniertes niedermolekulares Heparin: Gerinnungshemmende Wirkung durch selektive Blockade des Faktors Xa.

23 Gerinnungskaskade und pharmakologische Einflussmöglichkeiten

 

Indikation:

→ I: UFH:

→ 1) High-dose-Heparin:

A) Therapie venöser Thrombosen und Embolien (z.B. Lungenembolie, tiefe Beinvenenthrombose bei u.a. Thrombophilien wie Faktor-V-Leiden-Mutation, etc.).

→ B) Therapie des akuten Koronarsyndroms.   

→ C) Thromboseprophylaxe bei Hämodialyse oder extrakorporaler Zirkulation (Herz-Lungen-Maschine).

→ 2) Low-dose-Heparin: Ist vor allem bei der postoperativen Thrombose-Prophylaxe indiziert.

20 Dosierungsbeispiele der unfraktionierten Heparine

 

Klinisch-relevant: Da UFH nicht plazenta- und muttermilchgängig sind, können sie sehr gut während der Schwangerschaft und Stillzeit appliziert werden.

 

II: NMH:

→ 1) Niedermolekulare Heparine sind Mittel der Wahl bei der peri- und postoperativen Thromboembolieprophylaxe.

→ 2) Therapie der TVT und der Lungenembolie, sowie der instabilen Angina pectoris (= Koronarsyndrom).

→ 3) Langzeittherapie der Phlebothrombose bei Kontraindikationen für eine orale Antikoagulation.

21 Niedermolekulare Heparine

 

Klinisch-relevant: Gerade bei der Langzeittherapie mit Antikoagulantien wird eine überlappende Applikation (Kombinationstherapie Heparin + Cumarin-Derivat) durchgeführt (4-6 Tagen), um die Latenz bis zum Wirkungseintritt des Cumarins zu überbrücken.

 

Pharmakokinetik:

→ I: Heparine werden nur nach parenteraler Applikation resorbiert.

→ II: Die Bioverfügbarkeit von UFH liegt nach s.c. Injektion bei 25-30%, bei NMH bei > 90%.

→ III: UFH werden hepatisch metabolisiert und renal eliminiert; NMH werden im retikuloendothelialen Systems metabolisiert und auch renal eliminiert.

 

Nebenwirkungen:

→ I: Blutungen der Haut und Schleimhäute, sowie schwerste Blutungen bei i.v. Applikation von UFH. Die Blutungsgefahr nimmt mit zunehmender Tagesdosis und Verlängerung der Gerinnungsparameter zu.

→ II: Heparin-induzierte Thrombozytopenie (die Inzidenz liegt beim UFH bei bis zu 3%; beim NMH liegt sie bei 0,3%).

III: Weitere Nebenwirkungen:Sind insbesondere:

→ 1) Reversibler Transaminase-Anstieg,

→ 2) Reversibler diffuser Haarausfall,

→ 3) Osteoporose: Gerade bei hochdosierter Dauertherapie (> 3 Monate),

→ 4) Hypoaldosteronismus durch Hemmung der Aldosteronsynthese.

 

→ Kontraindikationen: Sind insbesondere:

→ I: Erhöhte Blutungsneigungen:

→ 1) Hämorrhagische Diathesen:

A)Thrombozytopenien: Wie z.B. idiopathische thrombozytopenische Purpura, HypersplenismusHIT),

→ B) Koagulopathien: Wie z.B. Hämophilie A und B, Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom, Verbrauchskoagulopathie (DIC), 

→ C) Thrombozytopathien: Thrombasthenie Glanzmann-Naegeli, Einnahme der Acetylsalicylsäure, etc.

D) Vaskuläre hämorrhagische Diathesen: Purpura Schoenlein-Henoch, Morbus Olser.

2) Schwere Leber- und Niereninsuffizienz.

II: Gefäßläsionen:

→ 1) Magen-Darm Ulzera (Ulcus ventriculi/Ulcus duodeni).

→ 2) Schwerste arterielle Hypertonien (hypertensive Krise; diastolisch RR > 110mmHg),

→ 3) Diabetische Retinopathie mit Fundusblutung,

→ 4) Operative ZNS Eingriffe (< 6 Wochen), zerebrovaskuläre Prozesse wie TIA, zerebraler Insult, intrazerebrale Blutungen, etc.

→ III: Relative Kontraindikationen: Sind u.a. Malignome mit Blutungsneigungen, Nieren- und Harnleitersteine, Alkoholabhängigkeit, etc.

 

Wechselwirkungen:

→ I: Erhöhte Heparinwirkung: Bei Kombination mit Thrombozytenaggregationshemmern (ADP-Rezeptorantagonisten, Glykoprotein IIb/IIIa-Hemmern, etc.), COX-Hemmstoffen, Cumarin-Derivaten (z.B. Marcumar) sowie kolloidalen Lösungen (HAES).

II: Verminderte Heparinwirkung: Antihistaminika, Tetrazykline, Herzglykoside und Ascorbinsäure vermindern die Wirkung von UFH und NMH.

→ III: Des Weiteren wird die Propranolol  Wirkung durch Verdrängung aus der Plasmaeiweißbindung deutlich verstärkt.

 

Klinisch-relevant: (Abb.: Wichtige Gerinnungsparameter und ihre Normwerte): 

→ I: Dosierungsschema des UFH:

→ 1) Bestimmung der Ausgangs-PTT,

→ 2) Gabe von 80IE/kgKG als Bolus,

→ 3) Erhaltungsdosis von 18IE/kgKG,

→ 4) Bestimmung der PTT nach 6 Stunden (Ziel-PTT bei 60-90sec also um das 1,5- 2,5-fache verlängert).

31 Dosierungsschema des Heparins in

II: Protamin:

→ 1) Ist ein basisches Protein und dient der Neutralisierung/Inaktivierung von Heparin durch Komplexbildung.

→ 2) Die Wirkung tritt sofort ein.

→ 3) Indikation: Schwere Blutungen (z.B. zerebrale Blutungen), Inaktivierung von Heparin bei extrakorporaler Zirkulation oder Dialyse.

4) Dosierung: 1ml Protamin (1000IE) antagonisiert 1000IE Heparin.

→ 5) Nebenwirkungen: Ausgeprägter Blutdruckabfall sowie allergische Reaktionen, sodass die i.v. Applikation sehr langsam erfolgen sollte.

→ III: Vorteile der NMH:

→ 1) Bessere Bioverfügbarkeit und längere Wirkdauer,

→ 2) Keine Überprüfbarkeit der antikoagulatorischen Wirksamkeit (Ausnahme Niereninsuffizienz),

→ 3) Deutlich vermindertes Risiko für die Entwicklung einer HIT Typ II.

→ 4) Vermindertes Osteoporose-Risiko bei Dauertherapie,

→ 5) Seltener schwerwiegende Blutungen.