→ Definition: Bei der Lungenembolie handelt es sich um einen akuten Verschluss einer Pulmonalarterie, verursacht durch embolisch verschlepptes Material. In > 90% der Fälle wird sie durch einen Thrombus aus dem Versorgungsgebiet der Vena cava inferior (tiefe Beinvenenthrombose) hervorgerufen. Charakteristische Leitsymptome sind insbesondere u.a. akut auftretende Luftnot mit Tachypnoe, Thoraxschmerzen und evtl. Husten sowie Beklemmungsgefühl und Angst.

  Epidemiologie:

→ I: Die Inzidenz liegt bei 60/100000/Jahr.

→ II: Ca. 10% der Patienten mit tiefer Beinvenenthrombose erleiden eine symptomatische Lungenembolie.

III: Eine bevorzugte Lokalisation ist der rechte Unterlappen (rechte Pulmonalarterie).

 

  Ätiologie:

→ I: Die venösen Embolien stammen zum Großteil aus den Bein- und Beckenvenen bei evtl. bestehender Thrombophlebitis und Phlebothrombose, weniger aus den Armvenen und Uterusvenen.

→ II: Selten findet man Fettembolien aus den langen Röhrenknochen bzw. Luft- oder Fruchtwasserembolien.

III: Risikofaktoren, die eine Embolie begünstigen, sind:

→ 1) Immobilisation (Bettruhe, Flugreisen)

2) Frühere TVT und Lungenembolien;

→ 3) Gerinnungsstörungen (Thrombophilie) wie AT-III-Mangel, Protein C und S-Mangel, APC-Resistenz insbesondere die Faktor-V-Leiden-Mutation, aber auch das Antiphopholipid-Syndrom, die paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie, etc.

4) Traumata und Operationen an der unteren Extremität und am Becken.

→ 5) Herzinsuffizienz;

6) Schlaganfall sowie 

→ 7) Maligne Erkrankungen und Polyzythämia vera.

→ 8) Weitere Faktoren: Sind Adipositas, Östrogen-Einnahme, Schwangerschaft, Zigarettenrauchen, etc.

 

  Pathogenese: Der Embolus strömt mit dem venösen Blut in eine Pulmonalarterie. Sehr kleine Embolien werden durch das Fibrinolysesystem der Lunge eliminiert. Größere führen zu einer Verlegung des Pulmonalgefäßes mit Verminderung des Gesamtgefäßquerschnittes und konsekutiver Widerstandserhöhung im rechten Ventrikel (= Nachlasterhöhung). Folgen sind: 

→ I: Akutes Cor pulmonale: Akute Rechtsherzbelastung mit Erhöhung des pulmonalarteriellen Mitteldrucks von 10 auf 30-40mmHg. Durch Freisetzung von vasoaktiven Mediatoren aus dem Embolus und Gefäßendothel entwickelt sich ein zunehmender Pulmonalarterienspasmus mit weiterer Widerstandserhöhung.

II: Infolge der begrenzten Kontraktilitätssteigerung des rechten Ventrikels entsteht eine Dilatation und Insuffizienz mit nachfolgender Abnahme des Herzminutenvolumens, Hypotonie bis hin zum kardiogenen Schock.

→ III: Ab dem Stadium III der Lungenembolie tritt eine Hypoxämie auf, die durch eine Zunahme des funktionellen Totraumes (hier besteht eine Ventilation ohne Perfusion) verursacht wird.

 

  Pathophysiologische Komplikationen:

→ I: Lungenatelektasen: Sie können sich innerhalb von 24 Stunden durch Abnahme des Surfactant-Fakors ausbilden.

II: Hämorrhagische Lungeninfarkte: Stehen die Kollateralen (= Bronchialarterien) der Pulmonalarterien unter erhöhtem Druck bzw. Fehlen im Bereich der Segmentalarterien die Kollateralkreisläufe blutet es im Embolisationsbereich ins Gewebe ein. Folge ist ein hämorrhagischer Lungeninfarkt.

III: Gekreuzte Embolie: Durch die bestehende Obstruktion entwickelt sich eine pulmonal-arterielle Druckerhöhung mit Dilatation des rechten Ventrikels und Druckanstieg im rechten Vorhof. Hierdurch kann ein geschlossenes Foramen ovale wieder eröffnet werden, was über die Druckdifferenz zur Ausbildung eines Rechts-Links-Shunt führt. Der diesbezügliche Effekt ist, dass das embolische Material in den linken Vorhof und somit in den großen Kreislauf gelangt.

 

Phasen der Lungenembolie:

→ I: Phase 1: Obstruktion/Verschluss einer Pulmonalarterie mit rechtsventrikulärer Druckbelastung (Aferload erhöht)

II: Phase 2: Steigerung des funktionellen Totraumes mit arterieller Hypoxie und Myokardischämie und

→ III: Phase 3: Vorwärtsversagen mit Abnahme des HZV und kardiogenem Schock.

 

Klinik: Meist morgens nach dem Aufstehen, nach Defäkation sowie körperlicher Anstrengung mit:

I: Vegetativen Symptomen wie Angst, Beklemmung und Schweißausbruch.

→ II: Atemnot mit Dyspnoe und Tachypnoe.

→ III: Atemabhängigen Thoraxschmerzen, evtl. subphrenischem Projektionsschmerz

IV: Husten, Hämoptysen,

→ V: Synkopen und Schocksymptomatik.

 

Komplikationen: Sind insbesondere: 

→ I: Pleuritis,

→ II: Hämorrhagischer Lungeninfarkt mit Hämoptysen,

→ 3) Infarkt-Pneumonie bzw. Abszessbildung,

→ 4) Rechtsherzversagen, pulmonale Hypertonie und Cor pulmonale.

 

Stadieneinteilung: Nach Grosser:

→ I: Stadium 1: Das Stadium I ist klinisch evtl. durch leichte Dyspnoe und thorakale Schmerzen gekennzeichnet. Diagnostische Merkmale sind v.a. RR normal; pO2 > 75 mmHg, PAP (= pulmonalarterieller Mitteldruck) und normal < 20mmHg. Zumeist ist ein peripherer Ast obliteriert; die Letalität ist fast nicht vorhanden.

→ II: Stadium 2: Typische klinische Symptome sind Angst, akute Dyspnoe, Tachypnoe, atemabhängige Thoraxschmerzen, Tachykardie, evtl. Zyanose und Synkopen. Bezüglich der Diagnose sind normaler bis erniedrigt RR, normaler bis erniedrigter PO2 sowie ein PAP (pulmonalarterieller Mitteldruck) < 20mmHg (meist noch normal) nachweibar. Es handelt sich um einen Verschluss einer Segmentarterie, die Letalität liegt bei < 25% der Fälle.

→ III: Stadium 3:

 Die Symptomatik gleicht der des Stadiums 2, z.T. treten Schockzeichen wie systolischer RR-Abfall < 100mmHg und Puls > 100/min auf. Zur Diagnosestellung müssen Kriterien wie deutlich erniedrigter RR, pO2 < 70mmHg und PAP (= pulmonalarterielle Mitteldruck) > 25-30mmHg eruierbar sein. Hierbei besteht ein Verschluss eines Pulmonalarterien-Astes die Letalität liegt > 25%.

→ IV: Stadium 4: Im Vordergrund der Klinik steht die ausgeprägte Schocksymptomatik z.T. reanimationspflichtig. Diagnostische Kriterien sind  ein stark erniedrigt RR, pO2 < 60mmHg und PAP (pulmonalarterieller Mitteldruck) > 30mmHg. Es handelt sich um einen Verschluss des Pulmonalarterienstammes. Die Moralitätsrat ist mit > 50% der Fälle sehr hoch.

044 Schweregrad der Lungenembolie

 

Diagnose:

→ I: Anamnese (insbesondere Eigenanamese, Vorerkrankungen, Familienanamese, etc.) sowie klinische Untersuchung (bei hämodynamisch instabilen Patienten sollte sofort ein ECHO bzw. Angio-CT erfolgen).

045 Klinische Wahrscheinlichkeit der Lungenembolie nach dem Genfer Score

 → II: Labor:

→ 1) D-Dimere: (= D-Dimer-Antigen) Positiv bei akuter Embolie aber auch bei tiefe Venenthrombose und:

→ A) Z.n. Operationen (< 4 Wochen) und Traumata,

→ B) Gerinnungshemmender und fibrinolytischer Therapie sowie bei der disseminierten intravasalen Koagulopathie.

→ C) Schweren Entzündungen wie Erysipel, Pneumonie und Sepsis.

→ 2) Troponin I/T und BNP: Normale BNP-Wert und negatives Troponin I/T ist prognostisch günstig und schließt eine schwere Verlaufsform der LE aus.

→ 3) Blutgasanalyse: (Abb.: Normwerte der BGA) Die Diagnose der Lungenembolie wird erschwert bei kardiopulmonalen Vorerkrankungen. Man findet eine verminderte O2- und CO2-Konzentration.

→ 4) Die Gerinnungsaktivität (pTT und TZ) ist vermindert.

 

Klinisch-relevant:

→ A) Ein pO2-Wert > 80mmHg (schließt eine schwere Verlaufsform der LE aus.

→ B) Bei schwere Lungenembolie (Stadium III) kann eine arterielle Hypoxämie durch Oxygenierung nur geringfügig ausgeglichen werden.

 

III: EKG: Siehe EKG-Befund Lungenembolie

026 Mögliche EKG Veränderungen bei der Lungenembolie

IV: Röntgen: Oftmals finden sich keine radiologischen Veränderungen. Mögliche radiologische Zeichen sind: 

→ 1) Prominente zentrale Pulmonalarterie, evtl. Kalibersprung und Arterienlücke.

→ 2) Evtl. akut Herzvergrößerung

3) Einseitiger Zwerchfellhochstand.

→ 4) Atelektasen als periphere keilförmige Infiltrationen

5) Evtl. lokaler einseitiger Pleuraerguss.

6) Charakteristische Hampton´s hump. Hierbei handelt es sich um alveoläre Hämorrhagien, die sich typischerweise bei der Lungenembolie entwickeln. Es handelt sich um halbkugelige periphere Verschattungen, die der Pleura aufsitzen und mit einer Latenz von bis zu 4 Tagen (frühstens nach 24 Stunden) nach dem Ereignis nachweisbar sind. Meist besteht begleitend noch ein einseitiger Pleuraerguss. Sie können sich innerhalb von einigen Tagen zurückbilden oder in einen Lungeninfarkt übergehen.

7) Westermark-Zeichen: Zeichen lokaler Minderperfusion bei Hyperperfusion nicht betroffener Areale bei massiver LE.

V: Echo: Nicht sehr sensitiv. Nachweis von direkten und indirekten Zeichen einer LE mit:

→ 1) Bei Verschluss der Pulmonalarterie von > 30% = Nachweis von rechtsventrikulären Funktionsstörungen.

→ 2) Dilatation und Hypokinesien des rechten Ventrikels,

3) Paradoxe diastolische Kammerseptumbewegung in den linken Ventrikel.

VI: CT-/MR-Angiographie: Mittel der 1. Wahl mit guter Darstellung der Arteria pulmonalis und deren Segmentarterien.

VII: Lungenperfusionsszintigraphie:

→ 1) Mit 99-Technetium markierten Albuminmakroaggregaten.

→ 2) Weist eine hohe Sensitivität auf; bei einem unauffälligen Befund kann eine Embolie fast ausgeschlossen werden.

→ 3) Die Embolie zeigt einen der Pulmonalarterie entsprechenden segment-spezifischen Ausfall der Lungenperfusion.

66 Diagnose Algorithmus bei Verdacht auf Lungenembolie

 

Differenzialdiagnose: Von der Lungenembolie müssen insbesondere nachfolgende Erkrankungen abgegrenzt werden:

→ I: Kardial: Myokardinfarkt, Angina pectoris, HerzrhythmusstörungenPerikardtamponade,

II: Pulmonal/thorakal: Pneumothorax, Spannungspneumothorax, Asthma-bronchiale-Anfall, Lungenödem.

III: Nach Symptomen:

→ 1) Akute Luftnot: Pneumothorax, Lungenödem, Asthma bronchiale, Pneumonie.

→ 2) Akute Thoraxschmerzen: Angina pectoris, Myokardinfarkt, Aortendissektion, akutes Abdomen, Pankreatitis, Interkostalneuralgie, etc.

3) Tachykardien: Supraventrikuläre Tachykardien, vasovagale Reaktion,

→ 4) Synkopen: Hypoglykämie, zerebrale Krampfanfälle, Intoxikation,

5) Schock: Myokardinfarkt, rupturiertes Aortenaneurysma, bradykarde und tachykarde Rhythmusstörungen, Sepsis, Myokarditis.

Therapie:

→ I: Allgemein:

→ 1) Bei Verdacht auf eine Lungenembolie ist eine i.m. Injektion immer kontraindiziert.

→ 2) Oberkörperhochlagerung und Transport des Patienten wie ein rohes Ei, um weiteren Embolien zu vermeiden.

→ 3) Oxygenierung durch Gabe von 2-6 l/min O2 über eine Maske.

→ 4) Kontrolle der Vitalfunktionen mittels EKG, RR-Messung, Pulsoxymetrie.

→ 4) Evtl. Volumensubstitution mit einer kolloiden Lösung bei Hypotonie.

II: Medikamentös:

→ 1) Sedierung/Analgesie: Morphin (2,5-5mg i.v.), Diazepam 5-10mg/i.v.

2) Katecholamine: Besteht eine Hypotonie bzw. Schocksymptomatik wird Dobutamin in einer Dosierung von 4-8µg/kgKG/min appliziert, bei massiver Embolie ist Noradrenalin (2-20µg/kgKG/min) indiziert.

3) Heparinisierung: Heparin 5000-10000 IE i.v. als Bolus. Nachfolgend 1000-2000 IE/h (Zielbereich ist eine 1,5-2,5-fache Verlängerung des PTT Ausgangswertes), insbesondere bei GFR < 15-30 ml/min.

→ 4) Enoxaparin: (= Claxane) Niedermolekulares Heparin mit einer Dosierung von 2x 1mg/kgKG s.c. (bei GFR < 20-30 ml/min 1x täglich).

→ 4) Cumarine: Ab dem 1. oder 2. Tag erfolgt eine simultane Therapie mit Marcumar, deren Wirkung meist erst nach 3-5 Tagen einsetzt. Die Dauer der Marcumar-Therapie nach Lungenembolie ist wie folgt festgelegt:

064 Cumarin Therapiedauer nach Lungenembolie abhängig von

→ 5) Das Heparin wird erst abgesetzt, wenn der INR-Wert an 2 aufeinanderfolgenden Tagen > 2-3 ist.

64 Stadienabhängige Therapieempfehlung bei der akuten Lungenembolie

 

Klinisch-relevant:

→ A) Bei Fehlen von Kontraindikationen (wie Heparinallergie, heparininduzierte Thrombozytopenie Typ 2, bestehende hämorrhagische Diathesen, manifeste Blutungen, frische Hirninfarkte, Ösophagusvarizen etc.) ist Heparin das Mittel der Wahl zur Prophylaxe weiterer Embolie und senkt somit das Letalitätsrisiko.

→ B) Hierbei unterscheidet man:

→ 1) Unfraktioniertes Heparin: Indiziert bei hämodynamisch-instabilen, Patienten mit Niereninsuffizienz.

2) Niedermolekulares Heparin: Clexane bei allen anderen Patienten.

 

  III: Spezielle Therapie:

→ 1) Thrombolyse: Auflösung eines Embolus durch Fibrinolyse; es ist insbesondere indiziert bei hämodynamisch-instabilen Patienten und im Stadium III/IV nach Grosser. Die Durchführung beinhaltet:

67 Medikamente der Fibrinolyse bei bestehender Lungenembolie

3) Katheterfragmentation: Indiziert bei Kontraindikation gegen eine Fibrinolyse, bei Patienten im Stadium III/IV. Bei diesem Therapieverfahren wird das thrombotische Material mit Hilfe eines (Rechtsherz-) Katheters mechanisch zerkleinert.

4) Operation: Die operative Embolektomie nach Trendelenburg ist bei massiver Lungenembolie mit hämodynamischer Instabilität und fehlendem Thrombolyseerfolg indiziert. Hierbei besteht ein hohes Letalitätsrisiko.

→ 5) Cava-Schirm: Einlage eines Vena-Cava Schirms bei rezidivierenden Lungenembolien und ineffektiver Antikoagulation. Die Schirmimplantation erfolgt unterhalb der Nierenarterien. Es besteht ein hohes Komplikationsrisiko durch Verschluss der Vena cava inferior.

 

  Prognose:

→ I: Bei der Lungenembolie liegt die Rezidivrate bei 30%.

→ II: Die Prognose ist abhängig von:

→ 1) Dem Alter des Patienten,

→ 2) Bestehenden Vorerkrankungen,

→ 3) Schweregrad  der Embolie und nicht zuletzt vom

→ 4) Zeitpunkt der Diagnosestellung bzw. adäquaten Therapiebeginn.