→ Definition: Bei der akuten Pankreatitis handelt es sich um eine akute Entzündung des Pankreas infolge einer Autolyse. Folge kann u.a. der endokrine bzw. exokrine Funktionsverlust sein (siehe auch Anatomie des Pankreas).
→ Epidemiologie: Die Inzidenz liegt in Europa bei 10-20/100000 Einwohnern pro Jahr (mit steigender Tendenz). Der Manifestationsgipfel liegt bei Männern zwischen dem 30.-40. Lebensjahr, bei Frauen zwischen dem 50.-60. Lebensjahr.
→ Ätiologie:
→ I: Gallenwegserkrankungen: In Form einer akuten biliären Pankreatitis, mit 55% der Fälle die häufigste Form. Hierzu zählen u.a.:
→ 1) Cholezysto- bzw. Choledocholithiasis sowie
→ 2) Stenosen der Papilla Vateri (bzw. Papillentumoren).
→ II: Alkoholabusus: (bzw. Alkoholabhängigkeit) Ist in 35% der Fälle nachweisbar.
→ III: Idiopathtisch als Ausschlussdiagnose.
→ IV: Weitere Ursachen: Sind selten; hierzu gehören:
→ Pathogenese:
→ I: Ursache der akuten Pankreatitis ist die Autodigestion durch Freisetzung aktivierter Pankreasenzyme.
→ II: Am Anfang steht die ödematöse Schwellung des Pankreas auf das 2-3-fache der Ursprungsgröße.
→ III: Infolge der Zellschädigung kommt es zur Freisetzung der Enzyme (z.B. Trypsin, Chymotrypsin, Elastase, Pankreaslipase, Amylase, Ribonukleasen).
→ IV: Bei Übergreifen des Entzündungsprozesses auf das peripankreatische Fettgewebe entwickeln sich durch Einschmelzung Kolliquationsnekrosen.
→ V: Die freigesetzte Lipase leitet eine Verseifung der Fettsäuren mittels Kalzium ein (= Kalkspritzer).
→ VI: Im weiteren Krankheitsverlauf kann sich im Zuge der Nekroseausdehnung eine hämorrhagisch-nekrotisierende Pankreatitis manifestieren.
→ Klassifikation: Die akute Bauchspeichelentzündung wird nach ihrem Schweregrad in 3 Stadien unterteilt:
→ I: Schweregrad 1: Akute interstitielle-ödematöse Pankreatitis. Besteht in 80-85% der Fälle und weist eine Letalität von 0% auf.
→ II: Schweregrad 2: Akute partiell-nekrotisierende Pankreatitis, manifestiert sich zusammen mit der Totalnekrose in 15-20% der Fälle. Die Letalität liegt bei > 15%.
→ III: Schweregrad 3: Akute nekrotisierende Pankreatitis mit Totalnekrose. Hierbei liegt die Letalität > 50%.
→ Klinik:
→ I: Leitsymptom sind plötzlich einsetzende, heftige Schmerzen, die gürtelförmig in den Rücken ausstrahlen.
→ II: Gastrointestinal: Übelkeit, Erbrechen, elastische Bauchdeckenspannung (= Gummibauch), Meteorismus, evtl. Subileus, Aszites, Ikterus (insbesondere bei bestehendem Gallensteinleiden).
→ III: Kardio-pulmonal: Tachykardie, arterielle Hypotonie mit der Gefahr der Schocksymptomatik und möglicher Entwicklung eines Pleuraergusses (links > rechts).
→ IV: Weitere Symptome: Sind u.a. Fieber, Gesichtsrötung (= Rubeoi faciei), Oligurie, Anurie, Enzephalopathie
.
→ Klinisch-relevant: Prognostisch ungünstig, als Zeichen einer hämorrhagisch-nekrotisierenden Pankreatitis sind folgende Symptome:
→ A) Cullen-Zeichen: Selten mit periumbilikaler Blutungen.
→ B) Grey-Turner-Zeichen: Einblutungen im Bereich der Flanken.
→ C) Fox-Zeichen: Einblutungen in der Leistenregion.
→ Komplikationen:
→ I: Lokale:
→ 1) Bakterielle Infektion der Pankreasnekrosen mit Entwicklung septischer Komplikationen und der Gefahr des Multiorganversagens.
→ 2) Pankreaspseudozysten,
→ 3) Gefäßarrosionen mit schweren Magen-Darm-Blutungen,
→ 4) Penetration in Nachbarorgane und konsekutiver intestinaler Fistelbildung.
→ 5) Milzvenen-, Pfortader- und Mesenterialvenenthrombose.
→ II: Systemisch:
→ 1) Kreislaufschock,
→ 2) Verbrauchskoagulopathie (DIC),
→ 3) Pulmonale Insuffizienz und ARDS,
→ 4) Akutes Nierenversagen,
→ 5) Diabetes mellitus.
→ Diagnose:
→ I: Anamnese/klinische Untersuchung: Akut einsetzende heftige gürtelförmige Bauchschmerzen, Fieber, Übelkeit, Erbrechen, Alkoholabusus, Gallensteine in der Vorgeschichte. Palpatorisch druckdolenter Gummibauch, evtl.Cullen- und Grey-Turner-Zeichen etc.
→ II: Labor:
→ 1) Pankreasenzym-Diagnostik: Bestimmung der Lipase (Elastase) und Amylase i.S.
→ Klinisch-relevant:
→ A) Die Lipase ist pankreasspezifisch und ein 3-facher Enzymanstieg über dem oberen Normbereich ist für eine Pankreatitis beweisend.
→ B) Da die Amylase verschiedene Isoenzyme aufweist, so z.B. die Speichelamylase, die den größten Anteil der Gesamt-Amylasekonzentration ausmacht, ist sie nicht pankreasspezifisch. Eine Hyperamylasämie findet man u.a. auch bei Parotitis, akutem Abdomen und Niereninsuffizienz.
→ C) Der Schweregrad der Pankreatitis korreliert nicht mit der Höhe des Enzymanstiegs, vielmehr stellen die Parameter CRP (> 15mg/dl) bzw. Kalzium (< 2mmol/l) einen wichtigen Prognosefaktor dar.
→ 2) Biliäre Pankreatitis: Mit Anstieg der Cholestase-Parameter wie AP, LAP, yGT und direktem Bilirubin.
→ 3) Weitere Parameter: (auch zur Verlaufskontrolle) sind Blutbild, Elektrolyte (insbesondere auch Hypokalzämie, EKG-Befund Hypokalzämie, etc.), Gerinnungsstatus, Blutzucker, Gesamt-Eiweiß, Säure-Base-Haushalt, harnpflichtige Substanzen.
→ Klinisch-relevant:
→ A) CRP: Stellt einen Schweregrad-Parameter dar und weist bei Persistenz bzw. Wiederanstieg auf eine nekrotisierende Pankreatitis hin.
→ B) Ranson-Score: Dient der Prognoseeinschätzung einer akuten Pankreatitis und beinhaltet folgende Parameter:
→ III: Bildgebende Verfahren:
→ 1) Sonographie: Die Darstellung einer akuten Pankreatitis ist häufig infolge einer Magenreflexion oder Darmatonie (= Meteorismus) erschwert. Bei der ödematösen Pankreatitis lässt sich charakteristischerweise ein deutlich vergrößerter, unscharf begrenzter, inhomogener Pankreas evtl. mit einem kleinen Flüssigkeitssaum nachweisen. Die nekrotisierenden Pankreatitis ist durch den Nachweis von echoarmen Nekrose-Arealen charakterisiert. Des Weiteren sind u.a. intraabdominelle Abszesse, Pankreaspseudozysten, Gallensteine (biliäre Pankreatitis) oder ein Aszites darstellbar.
→ 2) Röntgen:
→ A) Abdomenübersichtsaufnahme: Mit evtl. Nachweis einer Pankreasverkalkung (= chronische Pankreatitis), Gallensteinen, luftgefüllten Darmabschnitten bei Subileus oder freier Luft bei Perforation.
→ B) Röntgen-Thorax: Evtl. Darstellung eines Pleuraergusses (meist linksseitig), Platten-Atelektasen oder einer basalen Pneumonie.
→ 3) CT: Zur genauen Darstellung der Organdestruktion.
→ 4) ERCP: Bei Verdacht auf eine biliäre Genese mit evtl. gleichzeitiger Papillotomie.
→ 5) Feinnadelbiopsie: (Sonographie oder CT-gesteuert): Mit Zytologie (Nachweis nekrotischer Zellen) und Bakteriologie (auf E. coli, Enterokokken, Klebsiellen, etc.) Angewandt bei Nekrose-Verdacht.
→ Klinisch-relevant:
→ A) Die Höhe der Pankreasamylase/-lipase korreliert nicht mit dem Schweregrad bzw. der Prognose der Pankreatitis.
→ B) Für einen schweren Verlauf der Pankreatitis (= nekrotisierenden Pankreatitis) sprechen:
→ 1) Erhöhung des reaktiven-C-Proteins (> 150mg/l),
→ 2) Erhöhung des LDH (> 350U/l),
→ 3) Sowie Hypokalzämie und Hyperglykämie.
→ C) Laborchemische Veränderungen nachfolgender Parameter (Erhöhungen des LAP, AP, yGT und des direkten Bilirubins) sprechen für eine biliäre Pankreatitis.
→ Differenzialdiagnose: Hiervon abzugrenzen sind insbesondere:
→ I: GIT-Erkrankungen: Gastroenteritis, Ulkusperforation, Boerhaave-Syndrom, akute Cholezystitis/ chronische Cholezystitis, Appendizitis, Pankreastumoren, Kolondivertikulitis, mechanischer Ileus, Mesenterialinfarkt, Mesenterialvenenthrombose, akutes Abdomen unterschiedlicher Genese etc.
→ II: Kardiovaskuläre Erkrankungen: Aortenaneurysma, Lungenembolie und gerade auch der Hinterwandinfarkt.
→ III: Weitere Ursachen: Eine akute Pankreatitis aufgrund von:
→ 1) Systemerkrankungen wie Sarkoidose und SLE, etc.
→ 2) Stoffwechselerkrankungen wie die zystische Fibrose, etc.
→ Klinisch-relevant: Sowohl der Myokardinfarkt als auch die Pankreatitis weisen eine ähnliche Symptomatik mit Schmerzen, Schocksymptome, aber auch EKG-Veränderungen (z.B. Zeichen einer Außenwandschädigung mit terminale T-Negativierung) auf, sodass die Enzyme Lipase, Troponin I und T obligat zur Differenzialdiagnose herangezogen werden.
→ III: Weitere Erkrankungen: Zeichen einer Pseudoperitonitis bei Prae-/Koma diabeticum, Addison-Krise sowie weiteren Erkrankungen wie Stieldrehung einer Ovarialzyste, Extrauteringravidität, aber auch Intoxikationen (z.B. Medikamentenintoxikation), akutes Nierenversagen, etc.
→ Therapie:
→ I: Allgemeinmaßnahmen: Intensivmedizinische Überwachung des Patienten mit Bettruhe und oraler Nahrungs- und Flüssigkeitskarenz sowie engmaschiger Kontrolle von:
→ 1) Herz-Kreislauf: Puls, RR, ZVD, Atmung.
→ 2) Untersuchung des Abdomen: Ausmaß der Schmerzen, Abdomenpalpation, Auskultation (Darmgeräusche), Sonographie des Abdomens, bei Verschlechterung der Klinik Abdomen CT.
→ 3) Flüssigkeitsbilanzierung, Kontrolle der Nierenfunktion (Kreatinin, Harnstoff) und der Elektrolyte (Ca2+, K+, Na+).
→ 4) Laborchemischen Parametern: CRP, Lipase, Blutbild, HK, Glukose, Gerinnungsstatus (INR/Quick, pTT), Cholestaseparameter AP, LAP, yGT, direktes Bilirubin, Blutgasanalyse (Abb.: Normwerte der Blutgasanalyse), etc.
→ II: Parenterale Elektrolyt-/Volumensubstitution: Da bei der akuten Pankreatitis häufig eine extreme Hypovolämie besteht, erfolgt eine Volumenzufuhr von 4-10l (ZVD-soll 4-12cm H2O).
→ Klinisch-relevant:
→ A) Bei hoher Volumensubstitution (> 4l) ist die Gabe von 500ml einer 5%igen Albumin-Lösung pro 4l indiziert.
→ B) Es erfolgte bislang eine Nahrungskarenz bis zur Schmerzfreiheit. Jedoch hat sich gezeigt, dass ein frühzeitiger Kostaufbau bzw. Sondenernährung (spätestens am 3.Tag) die Darmintegrität steigert und die Translokation von Darmbakterien vermindert (= Abnahme der Infektionsgefahr).
→ C) Der Kostauaufbau erfolgt mit fettarmen Nahrungsmitteln, evtl. ist die Gabe von Enzympräparaten indiziert.
→ III: Analgesie: Viele Opiate sind wegen des Papillenspasmus kontraindiziert.
→ 1) Leichte Pankreatitis: Metamizol (Novalgin) p.o. oder als Kurzinfusion; Einzeldosis 500-1000mg bis max. 6000mg/d.
→ 2) Schwere Pankreatitis: Pethidin (Dolantin) s.c. oder i.v. mit einer Einzeldosis von 50-100mg alle 4-6 Stunden bis max. 500mg/d.
→ IV: Weitere Maßnahmen:
→ 1) Zur Stressulkus-Prophylaxe Gabe von PPI, zur Thromboembolie-Prophylaxe Kompressionsstrümpfe und Low-Dose-Heparin.
→ 2) Antibiotikatherapie: Indikationen sind u.a. Sepsis, infizierte Nekrosen, Pseudozysten oder Abszesse. Wichtige Antibiotika sind hierbei Carbapeneme z.B. Imipenem 3x 500mg i.v., alternativ Ciprofloxacin 2x 200mg/d i.v. kombiniert mit Metronidazol für mindestens 7-10 Tage.
→ 3) Therapie der Komplikationen:
→ A) Evtl. Kalziumsubstitution bei Hypokalzämie oder Tetanie.
→ B) Behandlung des akuten Nierenversagens durch Flüssigkeitssubstitution, Steigerung der Diurese mit Furosemid (250mg i.v.), ggf. Hämodialyse.
→ C) Therapie der respiratorischen Insuffizienz mittels engmaschiger Kontrolle der BGA (Abb.: Normwerte der Blutgasanalyse), Sauerstoff-Applikation und gegebenenfalls kontrollierter Beatmung.
→ D) Behandlung einer Verbrauchskoagulopathie (DIC),
→ E) Behandlung eines paralytischen Ileus.
→ IV: Interventionelle Therapie: Ist bei der biliären Pankreatitis indiziert. Es erfolgt eine ERCP mit konsekutiver Steinextraktion und evtl. Papillotomie.
→ V: Operative Therapie: Indikationen stellen die biliäre - oder die akut nekrotisierende Pankreatitis dar:
→ 1) Biliäre Pankreatitis: Cholezystektomie nach Rückbildung der akuten Symptomatik, in der Regel nach 2-4 Tagen.
→ 2) Nekrotisierende Pankreatitis: Schonende Nekrosektomie oder Pankreasrevision meist kombiniert mit einer offenen Lavage. Der operative Eingriff sollte um den 10. Tag erfolgen, da sich zu diesem Zeitpunkt die Nekrose-Areale demaskieren und eine Infektionsgefahr noch nicht besteht (steigt erst um den 14.Tag deutlich an).
→ Prognose:
→ I: Prognostisch ungünstig sind u.a. der Anstieg von CRP und LDH sowie eine sich entwickelnde oder fortschreitende Hypokalzämie.
→ II: Je nach Schweregrad der akuten Pankreatitis kann das Letalitätrisiko deutlich über 50% liegen.
→ III: Gerade bei der alkoholinduzierten bzw. hereditären Pankreatitis entwickelt sich nicht selten eine chronische Form.
→ Rezidivprophylaxe: Im Mittelpunkt steht die Beseitigung der Ursache. Hierzu gehören:
→ I: Alkoholabstinenz,
→ II: Adäquate Therapie der Hypertriglyzeridämie und des Hyperparathyreoidismus,
→ III: Absetzten pankreastoxischer Medikamente und
→ IV: Gallengangssanierung.