Definition: Bei der (akuten) Appendizitis handelt es sich um eine (bakterielle) Entzündung der Appendix vermiformis am Zäkum.

 

Epidemiologie:

→ I: Die Appendizitis stellt die häufigste Ursache eines akuten Abdomens dar und etwa jeder 10. erkrankt in seinem Leben an dieser.

II: Der Manifestationsgipfel liegt zwischen dem 10.-30. Lebensjahr, wobei Männer 3mal häufiger als Frauen betroffen sind.

 

Ätiopathogenese: Nicht immer ist bei der Appendizitis die Ursache eruierbar.

→ I: In 60% der Fälle kommt es jedoch zu einer Obliteration des Appendixlumens durch z.B. eingedickten Stuhl (= Koprollithen), Fremdkörper, Parasiten (Askardien), Abknickungen, Adhäsionen, Narben, etc.

→ II: Die fortschreitende Sekretion der Mukosa und der fehlende Austausch mit dem Dickdarmlumen führt zu einem intraluminalen Druckanstieg, der den venösen Druck übersteigt und zur Hypoxie führt. Des Weiteren kommt es zur Überwucherung des Lumens mit Bakterien (z.B. Bacterioides fragilis, E. coli, etc.) und konsekutivem Eindringen in die Mukosawand. Durch die Infektion kommt es in der Regel innerhalb von 24-36 Stunden zur Ausbildung von einem Gangrän oder zu einer Perforation.

→ III: Der Zeitablauf ist aber auch sehr variabel und hängt insbesondere von der Lokalisation der Obstruktion ab; Verschlüsse im Bereich der Appendixspitze perforieren deutlich früher als an der Appendixbasis.

 

Klassifikation: Die Appendizitis kann nach dem histologischen Bild (abhängig vom Zeitraum) in verschiedene Stadien unterteilt werden:

754 Stadieneinteilung der Appendizitis

 

Klinik:

→ I: Kurze Phase mit Inappetenz, Übelkeit und Erbrechen.

→ II: Das erste klinische Zeichen sind unklare kolikartige Schmerzen im Epigastrium, oder periumbilikal, die sich zumeist innerhalb einiger (4) Stunden in den rechten unteren Quadranten verlagern.

 

Klinisch-relevant: Charakteristisch ist der Symptomwechsel zwischen unbestimmten, schlecht lokalisierbaren viszeralen Oberbauchschmerzen und dem hellen scharf begrenzten somatischen Schmerz im rechten Unterbauch.

 

III: Weitere Symptome: Sind insbesondere:

1) Abwehrspannung, Schmerzen beim Gehen und Schonhaltung durch Heben des rechten Beins bringt Entlastung.

→ 2) Fieber häufig nicht über 39°C.

IV: Lagevarianten: Da das Mesoappendix den Wurmfortsatz nicht stark fixiert kann dieser in der Lage variieren.

→ 1) Die Appendix vermiformis kann sich in der Achse des Zäkums regulär oder ins kleine Becken fortsetzen, hinter das Zäkum (retrozäkal) ziehen oder nach medial zeigen (parazökal). Je nach Lage des Zäkums selbst (hoch, nach medial, tief) können sich weitere Varianten entwickeln.

755 Schematische Darstellung der anatomischen Lagevarianten der Appendix vermiformis

→ 2) Klinisch Relevanz besteht dadurch, dass der Hauptschmerz in das jeweilige Dermatom projiziert wird, dessen parietales Peritoneum der Appendix am nächsten liegt.

→ 3) Beispiel: So verursacht ein retrozäkaler hochgeschlagener Appendix Rücken- bzw. Flankenschmerzen sowie eine Erythro- bzw. Leukozyturie (durch die Nähe zum rechten Ureter). Bei der Beckenappendizitis kommt es zumeist nach beginnenden Schmerzen im Epigastrium zu einer Verlagerung des Schmerzens linksseitig in das kleine Becken. Symptome sind hierbei u.a. Dysurie und Diarrhö.

→ V: Atypische Appendizitis: Die akute Appendizitis kann aufgrund der Lage, des Patientenalters, bei bestehender Immunsuppression und während der Schwangerschaft einen atypischen Krankheitsverlauf aufweisen.

756 Formen der atypischen Appendizitis

 

→ Komplikationen: Beinhalten zum eine die Hauptkomplikationen sowie das Übergreifen der entzündlichen Prozesse auf Nachbarorgane und -strukturen.

I: Hauptkomplikationen:

→ 1) Freie Perforation mit Entwicklung einer diffusen Peritonitis und

→ 2) Gedeckte Perforation mit möglicher Abkapselung.

II: Weitere Komplikationen: Sind u.a.: 

→ 1) Perityphilitischer Abszess: Hierbei kommt es bei komplizierter Appendizitis zur einer örtlichen Abszedierung. Ursache ist überwiegend eine perforierte Appendizitis.

→ 2) Parakolische - und Douglas-Raum-, aber auch subphrenischer-, subhepatischer - und nicht zuletzt Psoasabszess, die nicht selten zu einer Sepsis führen können (intraabdominelle Abszesse).

→ 3) Pylephlebitis: Eine seltene fortgeschrittene Komplikation stellt die septische Phlebothrombose des Pfortadersystem (Pfortaderthrombose) mit hohem Fieber und Schüttelfrost dar. 

 

Diagnose: Die Diagnose der akuten Appendizitis erfolgt fast ausschließlich anhand klinischer Gesichtspunkte (Anamnese, klinische Untersuchung, etc.)

→ I: Anamnese/klinische Untersuchung:

→ 1) Leitbefund ist der Druckschmerz im rechten Unterbauch mit punctum maximum im Bereich des McBurney oder Lanz Punkts. Typisch ist auch der Druckschmerz und die Abwehrspannung durch Reizung des parietalen Peritoneums. Des Weiteren gibt die Palpation Auskunft über mögliche Flüssigkeits- und Luftansammlungen.

→ 2) Die Aukultation dient insbesondere zum Ausschluss möglicher Differenzialdiagnosen wie Gastroenteritis (Infektion mit Viren, Bakterien z.B. Campylobacter jejuni, Yersinien, Listerien, etc.) mit Hyperperistaltik, mechanischer Ileus (klingelnde hoch gestellte Darmgeräusche), paralytischer Ileus oder Peritonitis mit Totenstille des Darms, etc.

→ 3) Bei Messung der Körpertemperatur leigt diese zumeist < 39°C (häufig besteht eine axillorektale Temperaturdifferenz von > 0,9°C).

759 Schematische Darstellung wichtiger diagnostischer Zeichen bei Appendizitis

→ II: Labor:

→ 1) Sehr Sensitiv ist die Erhöhung der Entzündungsparameter (BSG, CRP erhöht) insbesondere der Leukozytose, jedoch mit geringer Spezifität.

→ 2) In 25% der Fälle sind Erythrozyten und Leukozyten im Urin nachweisbar. Dies zeigt sich meist bei retrozökaler Lage unter entzündlicher Miteinbeziehung der Ureter und darf nicht von der Verdachtsdiagnose ablenken.

→ III: Sonographie: Charakteristische sonographische Zeichen einer Appendizitis sind insbesondere:

→ 1) Wandverdickung auf > 2mm.

→ 2) Evtl. sogenannte Target-Zeichen, auch Schießscheiben- oder Korkaden-Zeichen, die durch die ödematöse Schwellung der Wand entstehen.

→ 3) Vergrößerung des Gesamtdurchmessers auf > 6-7mm.

 

→ Klinisch-relevant: Für die akute Appendizitis hat sich der sogenannte Ohmann-Score als Diagnostikum etabliert und wird in einigen Zentren im Alltag als Routinegebrauch eingesetzt.

760 Ohmann Score zur Diagnose der akuten Appendizitis

 

Differenzialdiagnose: Allgemein kann die akute Appendizitis jeden Zustand eines akuten Abdomens vortäuschen, sodass insbesondere nachfolgende Erkrankungen abgegrenzt werden müssen:

→ I: Gastrointestinal: Colon irrtabile, akute Gastroenteritis (z.B. Yersiniose, Infektion mit Campylobacter jejuni, Listeriose, etc.), Meckel-Divertikulitis, aber auch allgemein Divertikulitis, Morbus Crohn, Colitis ulcerosakolorektales Karzinomperforierter Ulcus duodeni und - ventriculi, Pankreatitis, Cholezystitis, etc.

→ II: Urogenital: Wie Adnexitis, stielgedrehte Ovarialzysten, Corpusluteum (evtl. ruptiert), Extrauteringravidität, Uretersteine, Harnwegsinfekte (z.B. ZystitisPyelitis, Pyelonephritis, etc), etc.

→ III: Weitere Differenzialdiagnosen: Sind insbesondere ilioinguinales Syndrom, vertebragene Schmerzen, Lungenerkrankungen, Hinterwandinfarkt, Psoasabszess (intraabdominelle Abszesse), etc.

 

→ Therapie: Ziel der Behandlung ist die Behebung der Infektionsursachen und der damit verbundenen Komplikationen durch eine chirurgische Appendektomie, die laparoskopisch oder offen erfolgt.

→ I: Offene Appenektomie: (= Konventionelle Appendektomie):

→ 1) Die Laparotomie wird mittels Wechselschnitt (Eröffnung der Gewebeschichten entlang der Hautspalten und dem Faserverlauf) im rechten Unterbauch durchgeführt. Hierfür wird in der Regel die Aponeurose des M. obliquus externus abdominis in Faserrichtung gespalten und nach Eröffnung des Peritoneums die Appendix entlang der Tenia libera des Zäkums aufgesucht. Als nächstes werden die Gefäße (insbesondere die A. appendicularis aus der A. iliocolica) der Mesoappendix unterbunden und durchtrennt. Anschließend erfolgt die Ligatur der Appendixbasis und nach Abtragung des Wurmfortsatzes die Versenkung des Appendixstumpfes mit Hilfe einer Tabaksbeutel- oder Z-Naht. Letzter Schritt ist der schichtweise Verschluss der Bauchdecke.

→ 2) Eine erweiterte Operation ist erforderlich, wenn die Entzündung und Gewebedestruktion auf Nachbarstrukturen übergreift. Sie beinhaltet Abszesshöhlen zu drainieren und irreversibel geschädigte Gewebe zu entfernen, sodass z.B. eine Ileozäkalresektion mit anschließender Ileoaszendotomie indiziert sein kann.

→ 3) Ein weiterer wichtiger Schritt ist der intraoperative Ausschluss eines Meckel-Divertikels (Entzündung) im Bereich des Dünndarms. Exploriert wird dieser von der Bauhin´schen Klappe retrograd mit einem Abstand von 70-100cm.

→ II: Laparoskopische Appendektomie: Die Laparoskopie dient bei unklarem Abdomen sowohl der diagnostischen Abklärung als auch therapeutischen Intervention ohne große Traumatisierung. Nach Anlegen des Pneumoperitoneums wird umbilical sowie im rechten und linken Unterbauch ein Trokar eingebracht. Mesoappendix mit A. appendicularis werden mittels Elektrokoagulation oder Ligatur abgesetzt. Nach Erreichen der Appendixbasis erfolgt das Absetzten zwischen den Ligaturen oder nach Elektrokoagulation der Basis mittels Hochfrequenzstrom. Die Appendix wird anschließend mit dem Trokar im rechten Unterbauch geborgen.

 

→ Postoperative Komplikationen: Wichtige und zum Teil schwerwiegende Komplikationen nach Appendektomie sind u.a.:

→ I: Bauchdeckenabszess in 10-30% der Fälle.

→ II: Intraabdominelle Abszesse vor allem im Douglas-Raum und im kleinen Becken. In diesem Zusammenhang kann es durch Adhäsionsprozesse frühzeitig zu Darmpassagestörungen kommen.

→ III: Weitere Komplikationen: Sind insbesondere

→ 1) Protrahierte postoperative Darmparalyse vor allem bei eitriger Appendizitis und Peritonitis.

→ 2) Kotfistel gerade bei bestehender Stumpfinsuffizienz oder Morbus Crohn.

→ 3) Appendixstumpfinsuffizienz.