Definition: Beim Morbus Crohn handelt es sich um eine diskontinuierliche, segmental auftretende, transmurale und granulomatöseEntzündung des gesamten Gastrointestinal-Traktes, der bevorzugt im Bereich des terminalen Ileums und proximalen Kolons auftritt.

580 Befallsmuster des Morbus Crohn

 

Epidemiologie: Es bestehen zwei Manifestationsgipfel, zum einen in der jungen Adoleszenz zwischen dem 20.-40. Lebensjahr, zum anderen um das 60. Lebensjahr. Frauen sind genauso häufig wie Männer betroffen. Die Inzidenz liegt in der Gesamtbevölkerung bei 5-15/100000/Jahr.

 

Ätiologie:

→ I: Die Ätiologie ist bis heute nicht genau bekannt. Man geht von einer multifaktoriellen Geschehen mit einem besonderen Augenmerk auf genetische - und Umweltfaktoren (Rauchen, Einnahme von NSAR, etc) sowie bakterielle bzw. virale Infektionen aus.

II: NOD-2 Genmutation: Heterozygote haben ein 2-3 fach erhöhtes Risiko, Homozygote ein 17-fach erhöhtes Risiko an Morbus Crohn zu erkranken.

 

Pathologie:

→ I: Makroskopie:

→ 1) Diskontinuierliche, segmentale und transmurale Entzündung des gesamten GIT von der Mundhöhle bis zum Anus, mit bevorzugter Lokalisation im Bereich des terminalen Ileums und distaler Ausbreitung. Dazwischenliegende unauffällige Darmsegmente werden als "Skip-lesions" bezeichnet.

→ 2) Initial imponiert der Morbus Crohn durch diffuse aphthöse Schleimhautdefekte.

3) Im Anschluss ödematöse, im weiteren Krankheitsverlauf fibrotische Verdickung der Darmwand mit Ausbildungen von Stenosen.

4) Pflastersteinrelief (= cobble-stone-plattern) verursacht durch das gleichzeitige Auftreten von Ulzerationen und ödematös vorgewölbten Schleimhautarealen.

5) Gänsehaut-Aussehen, aufgrund einer lympho-follikulären Hyperplasie.

II: Mikroskopie:

→ 1) Diskontinuierliche Entzündung, Wandödem sowie Infiltrationen durch Lymphozyten, Makrophagen und Monozyten.

→ 2) Epitheloidzellgranulome mit mehrkernigen Riesenzellen.

3) Hyperplasie der Lymphknoten und Lymphangiektasien.

4) Da alle Wandschichten betroffen sind, kommt es neben Fissuren und Ulzerationen durch Vernarbungs- und Schrumpfungsprozesse zu Strikturen-, Stenosen- und Fistelbildungen;  

 

Klinik:

→ I: Allgemein: Die Symptome sind stark abhängig von der Lokalisation, der Beginn ist meist schleichend mit:

II: Uncharakteristischen z.T. koligartige Abdominalschmerzen, meist im rechten Unterbauch (abhängig von der Lokalisation)

III: Meist unblutige Diarrhoe (Blutauflagerungen bei Rektumbefall).

IV: Weitere Symptome: Sind u.a. Flatulenz, tastbare Resistenzen, subfibrile Temperaturen und Gewichtsverlust. Nicht selten wird der Morbus Crohn aufgrund der ähnlichen Symptomatik mit einer akuten Appendizitis verwechselt.

 

Komplikationen: Extraintestinale Symptome manifestieren sich beim Morbus Crohn häufiger als bei der Colitis ulcerosa

→ I: Charakteristisch für den Morbus Crohn sind Fistelbildungen (in andere Organe wie Harnblase, Vagina, Haut), intraabdominelle Abszesse (intra-/extraperitoneal), Stenosen und Strikturen.

II: Gelenke: Arthritis, ankylierende Spondylitis (z.T. HLA-B-27 positiv).

III: Haut: Erythema nodosum, Aphten, Pyoderma gangraenosum, Zinkmangeldermatose (Akrodermatitis enteropathica).

IV: Auge: Uveitis, Iritis, Episkleritis.

V: Anorektale Abszesse und perianale Fistelbildungen sind häufig die ersten Symptome eines Morbus Crohn.

VI: Malabsorptions-Syndrom: Meist nach ausgiebiger Ileumresektion bzw. Ileumbefall mit Vitamin B12 Mangel (megaloblastärer Anämie) und Gallensäureverlust-Syndrom (chologene Diarrhoe und erhöhtes Risiko für die Ausbildung von Cholesteringallensteinen und Oxalatnierensteinen).

566 Extraintestinale Symptome beim Morbus Crohn

VII: Ausbildung von Leberabszessen und Darmstenosen mit dem klinischen Bild eines Sub-/Ileus, selten Perforationen.

VIII: Spätkomplikationen: Eine schwerwiegende Spätkomplikation ist das kolorektale Karzinom; das Risiko beim Morbus Crohn ist zwar deutlich geringer als bei der Colitis ulcerosa, steigt jedoch mit dem Ausmaß des Kolonbefalls an.

→ IX: Krankheitsverlauf: Der Morbus Crohn verläuft typischerweise fast ausschließlich in Schüben. Die Rezidivrate im ersten Jahr liegt bei 30%, im zweiten Jahr schon bei 70%.

 

Klassifikation: Es existieren verschiedene Klassifikationen:

→ I: Montreal-Klassifikation: Beinhaltet insbesondere 3 klinische Parameter und dient der Beurteilung des Krankheitsverlaufs und Prognose:

567 Montreal Klassifikation des Morbus Crohn

 → II: Klassifikation: Nach der Krankheitsaktivität des Morbus Crohn, die anhand des CDAI (= Crohn-disease-activity-index) bestimmt wird.

→ 1) Hierzu werden klinische und laborchemische Parameter wie Anzahl der Stühle, Grad der Abdominalschmerzen, Gelenkschmerzen, Arthritis, Erythema nodosum, Stomatitis aphtosa, intraabdominelle Abszesse, Fistelbildungen, perianale Fisteln, subfibrile Temperatur, Körpergewicht, Hämatokrit, etc. hinzugezogen.

 2) Auswertung: CDAI-Werte über 150 Punkte weisen auf einen akuten, behandlungsbedürftigen Schub hin, während CDAI-Werte unter 150 Punkte für eine Remission des Morbus Crohn sprechen.

 

→ Diagnose:

I: Palpation: Meist im rechten Unterbauch Nachweis einer schmerzhaften Resistenz.

II: Digital-rektal: Nachweis von Fissuren und perianalen Fisteln.

III: Stuhluntersuchung: Zum Ausschluss von bakteriellen Darmentzündungen wie bei Campylobacter-, Claustridium difficile-Infektion, (z.B. pseudomembranöse Kolitis), Listeriose, etc.

→ IV: Labor:

→ 1) Erhöhung der Entzündungsparameter wie Leukozytose, CRP-, BSG und Fibrinogen.

→ 2) Störungen des Eiweißstoffwechsels mit Erniedrigung des Albumins.

→ 3) Anämie: Meist aufgrund eines Eisenmangels, evtl. auch aufgrund eines Vitamin B12 und Folsäure-Mangels (megaloblastär).

→ 4) Serologie: Beim Morbus Crohn ist häufig ASCA (= Anti-Saccharomyces-Cerevisiae-Antikörper).

→ IV: Apparative Untersuchung:

→ 1) Ileokoloskopie mit Biopsie: Charakteristischerweise zeigt sich der Morbus Crohn als eine diskontunierliche Darmentzündung mit wechselnden gesunden Abschnitten (= skip-lesions). Zudem sind scharf-begrenzte, Landkarten-ähnliche oder unregelmäßig-verlaufende, längliche Ulzerationen (= snail-trails) nachweisbar. Des Weiteren lassen sich aphtoide Ulzerationen, das Pflastersteinrelief (= cobble-stone-plattern), Strikturen und nicht zuletzt kleinste hämorrhagische Läsionen (= pin-point-lesions) manifestieren.

 

Klinisch-relevant:

→ A) Ist die Diagnose eines Morbus Crohn gestellt, muss der gesamte GIT nach weiteren Manifestationsorten abgesucht werden.

B) Es sollte auch immer eine Biopsie aus intraabdominellen Abszessen und Fisteln genommen werden.

C) Bei Dünndarmbefall wird eine Singelballon- oder Doppelballonenteroskopie empfohlen.

 

 2) MRT nach Sellink: (Orale Gabe von 2,5% iger Mannitol-Lösung). Mittel der 1.Wahl. Gute Darstellung der verdickten Darmwand und der vergrößerten Lymphknoten. Keine Strahlenbelastung

3) Röntgen nach Sellink: (Orale Gabe eines Kontrastmittels). Mittel der 2. Wahl. Gute Darstellung des Pflastersteinreliefs und der fadenförmigen Stenosen (string-sign). Hohe Strahlenbelastung.

4) Sonographie: Dient gerade der Verlaufskontrolle eines Morbus Crohn. Im Vordergrund steht die Darstellung der Ausdehnung des Entzündungsprozesses und der Darmwanddicke (Dickdarm < 4mm, Dünndarm < 2mm). Des Weiteren Nachweis von Abzessen und Fisteln sowie der Befall anderer Organe wie z.B. die primär-sklerosierende-Cholangitis. Eventuell Dokumentation von sogenannten "Kokardenzeichen" (= Zwiebelscheibenphänomen: Zeigt die zwiebelscheibenartige Mehrschichtigkeit der ödematös verdickten Darmwand auf).

 

→ Differnzialdiagnose: Vom Morbus Crohn müssen folgende Erkrankungen abgegrenzt werden:

 I: Colitis ulcerosa (Abb.: Differenzierung zwischen Colitis ulcerosa und Morbus Crohn) sowie weitere entzündliche Darmerkrankungen wie z.B. mikroskopische Kolitis, ischämische Kolitis, pseudomembranöse Kolitis, Diversionskolitis, etc.

 II: Colon irritabile sowie die akute Appendizitis;

III: Divertikulitis,

 IV: Darmtuberkulose; 

→ V: Akute Ileitis aufgrund einer Infektion mit Yersinia enterocolitica oder Campylobacter jejuni, Listeria monocytogenes, etc.

565 Differenzierung zischen Colitis ulcerosa und Morbus Crohn

 

  Therapie:

→ I: Supportive Therapie:

→ 1) Es gibt keine spezifische Crohn-Diät, jedoch sollten unverträgliche Speisen vermieden werden. 

2) Bei Laktoseintoleranz erfolgt eine laktosearme bzw. -freie Diät.

3) Bei Malabsorption mit Mangelerscheinungen erfolgt eine Substitution von Flüssigkeit, Elektrolyten, Eiweiß, Mineralien und Vitaminen.

4) Während des akuten Schubes muss evtl. eine ballaststofffreie oder parenterale Ernährung erfolgen.

5) Chologener Diarrhoe: Gabe von Colestyramin zur Bildung von Gallensäure.

II: Medikamentös: (Abb.: Medikamente zur Behandlung des Morbus Crohn bzw. der Colitis ulcerosa) Beim Morbus Crohn richtet sich die medikamentöse Therapie und die Applikationsform (topisch z.B. Schaum, Klysma oder systemisch) nach dem Schweregrad, dem Krankheitsverlauf und der Lokalisation.

III: Stufentherapie:

→ 1) Aminosalizylate; wie Mesalazin (5-ASA), Sulfasalazin, Olsalazin.

568 Aminosalizylate

→ 2) Kortikosteroide; (topisch wie z.B. Budesonid, Budenofalk, Enterocort).

569 Topische und systemische Kortikosteroide

 → Klinisch-relevant:

→ A) Die topischen Glukokortikoide haben nur eine geringfügig schwächere Wirkung als die systemischen Präparate.

→ B) 1/3-Regel der Kortikosteroidtherapie: 1/3 der Patienten zeigen unter der Kortikosteroidtherapie eine Remission. 1/3 der Patienten sind Kortikosteroid-abhängig. Bei diesen Patienten muss eine Dosierung von > 20mg/d über einen längeren Zeitraum appliziert werden; eine Dosisreduktion führt zu einem Rückfall und 1/3 der Patienten weisen einen kortikoid-refraktären Morbus Crohn auf. 

 

→ 3) Immunsuppressiva (z.B. Azathioprin, 6-Mercaptopurin, Methotrexat).

→ 4) Biologicals (z.B. Infliximab).

570 Immunsuppressiva uns Biologicals

Klinisch-relevant:

→ A) Akuter Schub: Mit typischer Symptomatik wie Abdominalschmerzen, unblutiger Diarrhoe, Leukozytose, CRP/BSG-Erhöhung. Die Therapie im:

→ 1) Leichten/mäßigen Schub: Gabe von 5-ASA oral, bei vorwiegend iliozäkalem Befall Budesonid.

2) Schwerer Schub: Prednisolon systemisch, bei häufigen Schüben zusätzlich Azathioprin oder Methotrexat.

1205 Medikamentöse Behandlungsalogrithmus und Stufentherapie beim Morbus Crohn

B) Chronisch-aktiver Morbus Crohn: Persistierende oder rezidivierende Symptomatik über mindestens 6 Monate nach Remission. Die Therapie umfasst:

→ 1) Azathioprin oder 6-Mercaptopurin über einen längeren Zeitraum.

→ 2) Als Reservemittel können TNF-Antikörper gegeben werden.

C) Remissionstherapie: Remission der klinischen Symptome wie Diarrhoe, Abdominalschmerzen usw. mittels Azathioprin oder 6-Mercaptopurin über mindestens 4 Jahre.

D) Interventionelle Endoskopie: Mit Ballondilatation bei stenosierten Darmabschnitten.

→ E) Chirurgische Therapie: Nach der Entzündungsaktivität unterscheidet man nachfolgende Indikationen: 

→ 1) Akut: Abszesse, Ileus, Perforation, Peritonitis.

2) Elektiv: Rezidivierende Fistelbildungen, Subileus. 

→ 3) OP-Technik: Immer darmerhaltende und sparsame Resektion mit End-zu-End-Anastomose. Da es keine Heilung gibt, sollte die Op immer zurückhaltend gestellt werden.

→ 4) OP-Komplikationen: Fistelbildungen, Obstruktionen, Blutungen, Nahtinsuffizienz, etc.

 

Prognose:

→ I: In der Regel weist der Morbus Crohn ein hohes Rezidivrisiko auf.

→ II: Komplikationen führen meist innerhalb von 15 Jahren zu einer Operation,

III: Aufgrund des erhöhten Risikos für die Ausbildung eines kolorektalen Karzinoms sind jährliche endoskopische Kontrollen indiziert.

IV: Bei optimaler Therapie ist die Lebenserwartung nahezu normal. Prognostisch ungünstige Faktoren sind insbesondere:

→ 1) Früher Krankheitsbeginn,

→ 2) Perianaler Befall von Anfang an,

→ 3) Schwerer erster Schub mit Gewichtsverlust > 5%.