→ Definition: Beim Gallensäureverlust-Syndrom handelt es sich um eine Störung des enterohepatischen Kreislaufs mit vermehrtem Verlust der Gallensäure (chologene Diarrhoe) und verminderter bis fehlender Absorption infolge einer Funktionsstörung bzw. -ausfall des terminalen Ileums.
→ Ätiologie: Der Gallensäure-Pool beträgt beim Menschen ca. 4g und zirkuliert im enterohepatischen Kreislauf zwischen Leber und Darm etwa 6x pro Tag. Nur 0,5g der Gallensäure werden täglich über den Stuhl ausgeschieden und von der Leber ersetzt. Das Gallensäureverlust-Syndrom manifestiert sich charakteristischerweise bei:
→ I: Morbus Crohn,
→ II: Ileumresektion auf eine Länge von < 100 cm (beide infolge eines Ausfalls der Gallensäureresorption im Ileum).
→ III: Blind-Loop-Syndrom: (= Blindsack-Syndrom) Hierbei kommt es zur bakteriellen Fehlbesiedlung eines von der Magen-Darm-Passage ausgeschlossenen Dünndarmsegmentes mit konsekutiver (bakteriellen) Dekonjugation der Gallensäure.
→ Pathogenese: Etwa 90% der Gallensäure und des Vitamin B12 werden im terminalen Ileum resorbiert. Kommt es in diesem Bereich zu Funktionsstörungen durch z.B. Morbus Crohn oder nach Ileumresektionen, zeigt sich eine deutlich verminderte Resorption von Gallensäure. Somit gelangt sie in den Dickdarm und wird dort durch spezifische Bakterien dekonjugiert. Folgen sind eine gesteigerte Darmmotilität, verminderte Resorption von H2O und Elektrolyten sowie eine endogene Laxanzwirkung (chologene Diarrhö bzw. Steatorrhö).
→ Klinisch-relevant: Wichtige Konsequenzen des Gallensäureverlust-Syndroms sind u.a.:
→ A) Aufgrund der verminderten Gallensäureresorption steigt die Lithogenität der Galle an mit der Gefahr der Ausbildung von Cholesteringallensteinen.
→ B) Des Weiteren findet man durch die Steatorrhoe einen Verlust von Kalziumionen infolge intestinaler Bindung des Kalziums an die Fettsäuren, welche physiologischerweise zur Bindung von Oxalsäure benötigt werden. Folge ist eine vermehrte Oxalsäure-Resorption mit Hyperoxalurie und Ausbildung von Oxalatsteinen im Bereich der ableitenden Harnwege.
→ Klassifikation: Beim Gallensäureverlust-Syndrom unterscheidet man 2 Stadien:
→ I: Stadium 1: (= Kompensiertes Gallensäureverlust-Syndrom) In diesem Stadium ist die Leber in der Lage den Gallensäureverlust auszugleichen. Charakteristikum ist eine chologene Diarrhoe.
→ II: Stadium 2: (= Dekompensiertes Gallensäurverlust-Syndrom) Hierbei ist die Leber nicht mehr in der Lage, den Gallensäureverlust auszugleichen. Charakteristikum sind Fettstühle (Steatorrhoe) mit > 7g/24h.
→ Klinik:
→ I: Krampfartige Bauchschmerzen mit chologener wässriger z.T. schaumiger Diarrhoe (bei Funktionsverlust von > als 40 cm).
→ II: Steatorrhoe bei einem Funktionsverlust von > 100 cm des terminalen Ileums.
→ III: Neigung zur Oxalatsteinen der ableitenden Harnwege:
→ 1) Vermehrte Absorption von Oxalat im Kolon bei chronisch entzündlichen Darmerkrankung.
→ 2) Vermehrte Absorption von Oxalsäure im Ileum, wenn Kazium das Oxalat bindet, bei Steatorrhö an Fett gebunden wird und für die luminale Oxalsäurebindung nicht mehr zu Verfügung steht.
→ Komplikationen: Wichtige Komplikationen beim Gallensäureverlust-Syndroms sind u.a.:
→ I: Lithogene Galle mit Ausbildung von Cholesteringallensteinen.
→ II: Maldigestion mit Störungen der Eiweiß- und Fettresorption.
→ III: Vermehrte Oxalatresorption mit Ausbildung von Oxalatnierensteinen.
→ Diagnose:
→ I: An ein Gallensäureverlust-Syndrom sollte immer nach rezidivierenden Dünndarmeingriffen mit therapieresistenten Diarrhoen gedacht werden; Antidiarrhoika wirken kaum.
→ II: Bei charakteristischer Anamnese kann ein erfolgreicher Therapieversuch mit Cholestyramin die Diagnose bestätigen.
→ III: 14C-Glykocholat-Atemtest: Nach oraler Gabe von 14C-Glykocholat erfolgt bei bestehendem Gallensäureverlust-Syndrom eine vermehrte Abatmung von radioaktivem CO2. Dieses wird durch die erhöhte bakterielle Dekonjugation der Gallensäure im Kolon verursacht.
→ IV: SeHCAT-Test: Orale Gabe einer synthetisierten, radioaktiv-markierten Gallensäure (75Selenhomocholsäure-Taurin). Nach einer Stunde, Messung der Gallensäureresorption im Ganzkörperzähler.
→ V: Glukose-H2-Atemtest: Dient dem Nachweis einer bakteriellen Fehlbesiedlung des Dünndarms.
→ Klinisch-relevant: Beim Gallensäureverlust-Syndrom findet man typischerweise eine verminderte Retention von 15Selenohomocholsäure-Traurin.
→ Differenzialdiagnose: Das Gallensäureverlustsyndrom kann sich auch bei
→ I: Vagotomie und dem
→ II: Blind-Loop-Syndrom manifestieren.
→ III: Aber auch Diarrhoe anderer Genese wie infektöse Darmerkrankungen z.B. Campylobacter Enteritis, Listerose, Yersinien- und Shigellen-Enteritis, aber auch Laktoseintoleranz, etc.
→ Therapie:
→ I: Behandlung des Morbus Crohn.
→ II: Behandlung des Blindsack-Syndroms (blind-loop-Syndroms). Bei bakterieller Fehlbesiedlung ist Metronidazol indiziert.
→ III: Therapie der chologenen Diarrhoe mittels Austauschharzen wie Colestyramin 4-12g/d.
→ IV: Eine Steatorrhoe wird mittels Fettrestriktion behandelt (< 40g/d Fett, Ersatz der langkettigen durch mittelkettige Triglyzeride).
→ Prognose: Diese ist günstig, jedoch gelingt eine Normalisierung der Stuhlfrequenz meist nicht.