→ Definition: Beim primären Hyperparathyreoidismus handelt es sich um eine Erkrankung der Nebenschilddrüsen mit unkontrollierter Produktion und Sekretion von Parathormon; sie stellt die häufigste Ursache einer Hyperkalzämie dar.
→ Epidemiologie:
→ I: Der Hyperparathyreoidismus ist neben dem Diabetes mellitus und den Erkrankungen der Schilddrüse die 3. häufigste endokrinologische Erkrankung.
→ II: Die Lebensprävalenz liegt bei 2-3/10000/Jahr, wobei Frauen deutlich häufiger als Männer (3:1) betroffen sind.
→ III: Charakteristischerweise manifestiert sich pHPT zwischen dem 50.-60. Lebensjahr.
→ Ätiologie:
→ I: In 80% manifestiert sich ein solitäres Adenom mit exzessiver PH-Bildung (in den seltensten Fällen besteht eine Kalzium-Rezeptor-Mutation).
→ II: In 15% eine Hyperplasie aller 4 Epithelkörperchen (helle Hauptzellen).
→ III: In 5% bestehen multiple Adenome.
→ IV: Eine regelrechte Rarität (< 1%) stellt ein Karzinom im Bereich der Epithelkörperchen (z.B. durch Bestrahlung der Halsregion) dar.
→ V: In sehr seltenen Fällen besteht eine Assoziation zur multiplen endokrinen Neoplasie (MEN-I/ MEN-IIa).
→ Pathogenese: Beim pHPT entwickelt sich eine charakteristische Hyperkalzämie aufgrund:
→ I: Einer vermehrten Kalzium-Mobilisation aus dem Knochen (erhöhter Pyridinoline-Nachweis im Urin).
→ II: Einer vermehrten intestinalen Kalziumaufnahme, die Calcitriol vermittelt ist.
→ III: Einer vermehrten Kalzium-Reabsorption aus dem Tubulus.
→ Klinik: In > 50 % der Fälle ist der Krankheitsverlauf asymptomatisch (zufällige Hyperkalzämie). Bei klinischer Manifestation kristallisiert sich ein Symptomkomplex (= klassische Symptomtrias) des primären Hyperparathyreoidismus aus Stein, Bein und Magenpein heraus:
→ I: Nicht selten besteht ein Hyperkalzämie-Syndrom mit charakteristischer Organstörung:
→ II: Niere:
→ 1) Ausbildung einer Nephrolithiasis mit Kalzimphosphat- und Kalziumoxalatsteinen.
→ 2) Selten manifestiert sich eine Nephrokalzinose.
→ 3) Evtl. Unfähigkeit der Niere zur Harnkonzentrierung (d.h. ADH-resistente Polyurie und Polydipsie = renaler Diabetes insipidus).
→ III: Knochen: Vermehrte Osteoklastenaktivität mit Knochenschmerzen und pathologischen Frakturen. In schweren Fällen bestehen subperiostale Resorptionslakunen und Akroosteolysen. Heutzutage sind die sogenannten braunen Knochentumoren (= eingeblutete Resorptionszysten = Osteodystrophia cystica generalisata von Recklinghausen) kaum noch nachweisbar.
→ Klinisch-relevant:
→ A) Radiologisch manifestiert sich eine diffuse Osteopenie, als Mattglaseffekt, meist im Bereich der Hände, des Schädels und der Wirbelsäule.
→ B) Auch kann es im Rahmen des Kalzium- und Phosphatstoffwchsels durch Einlagerung von Kalziumpyrophosphatdihydrat-Kristallen zur Entwicklung einer Chondrokalzinose kommen.
→ C) Klinisch entwickeln sich Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule und Glieder.
→ IV: Magen:
→ 1) Übelkeit, Erbrechen, Obstipation, Meteorismus, Gewichtsverlust.
→ 2) Ausbildung eines Ulcus ventriculi infolge einer Hyperkalzämie, die über die Induktion einer Hypergastrinämie eine vermehrte Sekretion von HCl begünstigt.
→ 3) Des Weiteren besteht ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Gallensteinen bzw. einer Pankreatitis.
→ V: Weitere Symptome:
→ 1) Neuromuskuläre Symptome wie rasche Ermüdbarkeit, Muskelatrophie, aber auch
→ 2) Psychiatrische Symptome wie depressive Verstimmung (bis hin zur Depression), Antriebsarmut und evtl. Erinnerungsstörungen.
→ VI: Komplikation: Eine klassische und vital-bedrohliche Komplikation des primären Hyperparathyreoidismus ist die hyperkalzämische Krise.
→ Klinisch-relevant:
→ A) Der primäre Hyperparathyreoidismus ist die häufigste Ursache für eine Hyperkalzämie.
→ B) Bei einem Koma unklarer Genese ist die Bestimmung der Serumkalzium-Konzentration immer von großer Bedeutung.
→ C) Laborchemisches Leitsymptom des primären Hyperparathyreoidismus ist die Hyperkalzämie bei erhöhtem Parathormon.
→ Diagnose: In seltenen Fällen manifestiert sich ein normokalzämischer primärer Hyperparathyreoidismus infolge eines Vitamin D Mangels, Albuminmangels oder einer Niereninsuffizienz.
→ I: Labor:
→ 1) Hyperkalzämie (> 2,7mmol/l) bei erhöhtem intaktem Parathormon und Kalziurie.
→ 2) Hypophosphatämie und Phosphaturie.
→ 3) Erhöhung der alkalischen Phosphatase und
→ 4) Meist besteht zusätzlich eine Hypokaliämie infolge der Polyurie.
→ II: Bildgebende Verfahren: Sie dienen der Lokalisationsdiagnostik nicht der Diagnosesicherung.
→ 1) Sonographie: Adenome stellen sich echoarm dar.
→ 2) 99m Tc-MIBI (Metoxyisobutylisonitril)-Szintigraphie evtl. kombiniert mit SPECT.
→ 3) Spiral-CT: oder MRT mit 3D-Rekonstruktion.
→ Differenzialdiagnose: Vom primären Hyperparathyreoidismus müssen insbesondere nachfolgende Erkrankungen abgegrenzt werden:
→ I: Sekundärer - und tertiärer Hyperparathyreoidismus, aber auch der Hypoparathyreoidismus.
→ II: Hyperkalzämie anderer Genese:
→ 1) Medikamentös: Vitamin D, Vitamin A, Thiazide und Lithium.
→ 2) Somatisch:
→ A) Bei Malignomen bzw. paraneoplastisch beim Bronchial-, Mamma-, Prostata- oder Nierenzellkarzinom. Es zeigt sich eine Hyperkalzämie (= Tumorhyperkalzämie) bei erniedrigtem Parathormon.
→ B) Sarkoidose, sowie die akute intermittierende Porphyrie.
→ C) Endokrinen Erkrankungen: Wie bei der Hyperthyreose, dem Phäochromozytom, selten beim Morbus Addison.
→ Klinisch-relevant:
→ A) Im Gegensatz zum pHPT (bzw. tertiären HPT) manifestiert sich beim sekundären Hyperparathyreoidismus eine Hypokalzämie bei erhöhtem, intaktem Parathormon.
→ B) Eine Erhöhung des Serumkalziums und des intakten Parathormons an drei unterschiedlichen Tagen spricht in 95% der Fälle für eine pHPT.
→ Therapie: Mittel der Wahl ist die rechtzeitige operative Therapie.
→ I: Indikation:
→ 1) Symptomatischer Hyperparathyreoidismus.
→ 2) Asymptomatischer Hyperparathyreoidismus mit einem Serumkalziumspiegel > 0,25mmol/l über dem oberen Normbereich.
→ 3) Eine Knochendichte mit T-Werten < -2,5 oder pathologischen Frakturen,
→ 4) Begleitfaktoren, die das Risiko für eine hyperkalzämische Krise erhöhen.
→ 5) Alter über 50. Jahre.
→ II: OP-Verfahren:
→ 1) Bei großen Adenomen > 50 ml isolierte Resektion des Adenoms.
→ 2) Bei Hyperplasie der Epithelkörperchen ist eine totale Parathyreoidektomie mit simultaner autologer Implantation von Epithelkörperchenresten in den M. sternocleidomastoideus oder in den M. brachioradialis indiziert.
→ 3) Es erfolgt eine intraoperative PTH-Messung. Hierbei sollte es zu einem PTH-Abfall von mindestens 50% des Ausgangswertes kommen. Eine passagere Unterfunktion wird gerade bei Patienten mit erhöhter AP als Zeichen einer ossären Manifestation beobachtet. Deshalb sind post-operative engmaschige Ca2+-Kontrollen indiziert, um rechtzeitig Kalzium zu substituieren.
→ III: Symptomatische Therapie: Bei fehlender Op-Indiaktion:
→ 1) Ausreichend Flüssigkeitszufuhr sowie kalziumarme Diät (mit Reduktion der Milch und Milchprodukte).
→ 2) Verstärkte Ca2+-Ausscheidung mittels 0,9%-iger NaCl-Lösung i.v. oder Applikation von 40-80mg Furosemid intravenös
→ 3) Osteoporoseprophylaxe bei postmenopausalen Frauen mittels Bisphosphonaten (senken die Ca2+-Konzentration durch Hemmung der Osteoklastenaktivität z.B. auch bei Hyperkalzämie infolge Tumorosteolyse). Typische Dosierungen der Pharmaka sind:
→ A) Pamidronsäure: 45-90mg intravenös über 2 Stunden.
→ B) Zoledronsäure: 2-4mg intravenös über 5min; bei Bedarf Wiederholung nach 3-4 Wochen.
→ 4) Bei der Vitamin D-induzierten Hyperkalzämie, wie der Vit-D-Intoxikation oder auch beim Morbus Boeck, ist die Applikation eines Vit.-D Antagonisten, dem Glukokortikoid, Methylprednisolon 50mg/d, indiziert.
→ 5) Bei Niereninsuffizienz kann eine notfallmäßige Hämodialyse mit einem kalziumfreien Dialysat erforderlich sein.
→ Klinisch-relevant: Thiazide und Digitalis sind bei der Hyperkalzämie kontraindiziert, da:
→ A) Thiaziddiuretika die Kalziumausscheidung hemmen und
→ B) Glykoside über eine Ca2+-Konzentrationserhöhung die Herzkontraktilität steigern.
→ C) Folge ist, aufgrund der synergistischen Wirkung der Medikamente, ein gehäuftes Auftreten des plötzlichen Herztodes.
→ Prognose: Sie ist bei frühzeitiger Diagnosestellung und adäquater Therapie gut und verschlechtert sich mit der Zunahme der Nierenfunktionsstörung.