→ Definition: Von einer Hypophosphatämie spricht man, wenn die Serum-Phosphatkonzentration unter 0,8mmol/l liegt (physiologische Serum-Phosphat-Konzentration 0,8-1,6mmol/l (= 2,5-5,0mg/dl). Klinisch zeigen sich zumeist erste Symptome bei einem Phophatspiegel < 0,6mmol/l. Bei einer ausgeprägten Hypophosphatämie (< 0,3mmol/l = 1mg/dl) können sich schwere funktionelle und morphologische Organschäden ausbilden.
→ Physiologie:
→ I: Im menschlichen Organismus befinden sich ca. 700g Phosphat, wovon 80% im Knochen gespeichert wird und sich die restlichen 20% auf den Intrazellular- (> 99%) bzw. Extrazellularraum (0,1%) verteilen.
→ II: Phosphat hat eine wichtig Bedeutung im Energiestoffwechsel (ATP) und in der Signaltransduktion.
→ III: Phosphat wird über die Nahrung (z.B. Käse, Wurst, Fleisch, Milch etc.) aufgenommen und insbesondere über die Niere, in geringen Mengen auch über den Darm eliminiert.
→ IV: Die Phosphathomöostase wird insbesondere durch 2 Hormone reguliert:
→ 1) Parathormon: Steigert die Freisetzung von Phosphat aus dem Knochen und vermindert die renale Rückresorption.
→ 2) Vitamin D: Kalzitriol dagegen steigert sowohl die renale als auch die enterale Reabsorption von Phosphat.
→ Ätiopathogenese:
→ I: Wichtige Pathomechanismen bei der Entstehung der Hypophosphatämie sind u.a.:
→ 1) Umverteilung vom Extrazellular- in den Intrazellularraum.
→ 2) Verminderte enterale Rückresorption und
→ 3) Vermehrte renale Elimination.
→ II: Nach der Dauer der Entwicklung unterscheidet man zwischen einer:
→ 1) Akuten Form: Entwicket sich u.a. bei Sepsis, respiratorischer Alkalose, mehrwöchiger parenteraler Ernährung ohne Phosphatsubstitution und hochdosierter Insulingabe z.B. beim Coma diabeticum durch Umverteilung des Phosphats vom Extrazellular- ind den Intrazellularraum.
→ 2) Chronische Form: Häufig bei einer Alkoholabhängigkeit oder Anorexia nervosa aufgrund einer verminderten bzw. fehlenden Phosphatzufuhr, reduzierten Resorption durch die Einnahme von magnesium- oder aluminiumhaltigen Antazida, chronischer Diarrhö, Malabsorption, Vitamin-D-Mangel oder eines gesteigerten renalen Verlustes bei Diuretikatherapie (z.B. Schleifendiuretika, etc.), Hypokaliämie, Hypomangnesiämie, osmotischer Diurese bei Glukosurie (BZ > 10mmol/l = 180mg/dl), Fanconi-Syndrom, Hyperparathyreoidismus, bei der Parathoromon zu einer vermehrten Kalziumrückresorption und Phosphaturie führt, etc.
→ Klinisch-relevant: Weitere Ursachen für die Manifestation einer Hypophosphatämie ist eine Störung der Phosphatonine (= phosphaturisch wirkende Peptide); hierzu zählt:
→ A) X-chromosomale Hypophosphatämie: (= Phosphatdiabetes) Familiär oder sporadisch auftretende Erkrankung mir Störung der Phosphatrückresorption im proximalen Tubulus.
→ B) Autosomal-rezessive Hypophosphatämie mit Defekt der renalen Rückresorption.
→ C) Onkogene hypophosphatämische Osteomalazie: Hierbei findet eine vermehrte FGF-23-(= Phosphatonine)-Synthese bei z.T. benignen, insbesondere aber malignen Neoplasien überwiegend mesenchymalen Ursprungs (z.B. Fibrome, Hämangiome, etc.) statt. Folge ist eine vermehrte Sezernierung des Polypeptids, das in der Niere zu einer vermehrten Phophatelimination führt. Nach Resektion des Tumors bildet sich die klinische Symptomatik vollständig zurück.
→ Klassifikation: Die Hypophosphatämie wird nach ihrer Serumkonzentration unterteilt in:
→ Klinik: Das klinische Bild der Hypophosphatämie und später auch der intrazellulär verminderten Phosphatkonzentration ist geprägt durch den Mangel an energiereichen Phosphaten (ATP) und betrifft nachfolgende Organsysteme:
→ I: Muskulatur: Proximal betonte Myopathie, Dysphagie und Darmparalyse mit möglicher Gefahr der Entwicklung einer Rhabdomyolyse und konsekutivem akutem Nierenversagen. Bei Beteiligung der Atemmuskulatur, insbesondere des Diaphragma, manifestieren sich Symptome wie Ateminsuffizienz, alveoläre Hypoventilation bis hin zum Atemstillstand.
→ Klinisch-relevant: Hypophosphatämische Patienten sind postoperativ deutlich länger beatmungspflichtig.
→ II: Herz: Hierbei steht die Entwicklung von Kardiomyopathien mit konsekutiven Herzrhythmusstörungen und Herzinsuffizienz im Vordergrund.
→ III: ZNS: Mit Parästhesien, Tremor, Ataxie, Krampfanfällen (Epilepsie allgemein), metabolischer Enzephalopathie mit sehr unterschiedlichen neurologischen und psychiatrischen Veränderungen (z.B. Verwirrheitszustände, Delir, etc.) bis hin zum Koma.
→ IV: Blutbild: Bei der Hypophosphatämie besteht häufig eine leichte Hämolyseneigung, eine Leukozytenfunktionsstörung mit erhöhter Infektanfälligkeit sowie eine erhöhte Blutungsneigung aufgrund einer Plättchenfunktionsstörung und verminderten Thrombozytenüberlebenszeit.
→ V: Am Knochen ist die Osteomalazie (phosphopeische Rachitis) das charakteristische Symptom.
→ Klinisch-relevant:
→ A) Sinkt der 2,3-Diphosphoglyzeratspiegel in den Erythrozyten, nimmt die O2-Affinität zu, sodass der Sauerstoff in der Peripherie vermindert abgegeben wird und eine Gewebehypoxämie entsteht.
→ B) Verringerung des intrazellulären ATP-Spiegels mit gleichzeitiger Beeinträchtigung der Zellfunktion, die auf die Bereitstellung von energetischem Phosphat angewiesen sind.
→ C) Eine schwere Hypophosphatämie kann sich insbesondere bei der diabetischen Ketoazidose innerhalb von 24-48 Stunden entwickeln.
→ Diagnose: Bei der Diagnose der Hypophosphatämie stehen insbesondere die Bestimmung der Phosphatkonzentration im Serum und im Urin im Vordergrund. Des Weiteren sollte die Kontrolle von Ca2+, Mg2+, K+, der Nierenparameter, des Parathoromons, evtl. des Vitamin-D-Spiegels sowie eine Blutgasanalyse (Normwerte der BGA) erfolgen. Wegweisend für die Ursachen-Findung ist die Bestimmung der Urinphosphatausscheidung im 24h-Urin. Eine Phosphatkonzentration von > 50mmol/24h spricht für einen renalen Phosphatverlust.
→ Therapie:
→ I: Im Vordergrund steht die kausale Therapie der Grunderkrankung.
→ II: Symptomatische Therapie:
→ 1) Bei milderen Formen reicht zumeist durch die Einnahme von Milch und Milchprodukten (Milch stellt eine gute Phosphatquelle dar; 1l Milch enthält 1g Phosphat) die Phosphatzufuhr aus.
→ 2) Bei schwerer Hypophosphatämie und unter Beatmung ist eine parenterale Phosphat-Applikation von 4-8mmol/h über 6 Stunden (24-48mmol) indiziert. Hierbei sind regelmäßige engmaschige Kalzium- und Phosphat sowie Kreatininkontrollen obligat.