Definition: Beim hyperosmolaren Koma handelt es sich um eine Stoffwechseldekompensation, die durch das gleichzeitige Bestehen einer Hyperglykämie, Dehydratation und Hyperosmolarität ohne Ausbildung einer Ketoazidose charakterisiert ist. Es gehört neben dem ketoazidotischen Koma zur Guppe der Coma diabetica und tritt typischerweise bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ II auf.

  Epidemiologie:

→ I: Tritt seltener als die Ketoazidose auf.

→ II: Betrifft gerade Patienten mit Diabetes mellitus Typ II bei erhaltener Insulinsekretion (= relativer Insulinmangel).

III: Der Manifestationsgipfel liegt über dem 70. Lebensjahr.

 

Ätiologie:

→ I: Entstehungsmechansimus ist eine somatische Situation, bei der einerseits eine ausreichende Insulinsekretion für die Unterdrückung der Lipolyse und konsekutiven Ketonkörperbildung in der Leber (Verhinderung der metabolischen Azidose) besteht, andererseits jedoch die Insulinmenge unzureichend für die periphere Glukoseverwertung bzw. Hemmung der hepatischen Glukoneogenese ist.

II: Folge ist ein ausgeprägter Glukoseanstieg (> 1000mg/dl) mit konsekutiver osmotischen Diurese und Ausbildung einer Hypovolämie.

→ III: Im weiteren Krankheitsverlauf entwickelt sich ein Circulus vitiosus, da die Hypovolämie eine Abnahme der glomerulären Filtrationsrate induziert und hierüber die Blutzuckerentgleisung gefördert wird.

 → IV: Auslösende Faktoren:

→ 1) Mangelnde Flüssigkeitszufuhr gerade bei älteren Patienten.

→ 2) Vermehrter Flüssigkeitsverlust u.a. bei Fieber, Diarrhoe, Diuretika-Substitution (z.B. Thiazide), aber auch durch Medikamente wie den Glukokortikoiden getriggert.

→ 3) Erhöhter Insulinbedarf bei Infektionen (z.B. Pneumonie und Harnwegsinfekten wie z.B. Zystitis, Pyelonephritis, etc.), Stress (z.B. Myokardinfarkt, posttraumatisch, postoperativ), etc.

 

Klinik:

→ I: Prodromi: Meist schleichender Beginn über mehrere Tage mit Appetitlosigkeit, Übelkeit, evtl. Erbrechen, Schwäche sowie Polydipsie und Polyurie, etc.

II: Exsikkosezeichen: Trockene, heiße Haut, reduzierter Tugor, Tachykardie und arterielle Hypotonie mit Kollapsgefahr.

III: Weitere Symptome: Sind u.a.: Antriebsschwäche, Apathie, Pruritus, Sehstörungen, fokale und/oder generalisierte Krampfanfälle (Epilepsie allgemein), Bewusstseinseintrübung (Somnolenz bis hin zum Koma) und nicht zuletzt herabgesetzte bis aufgehobene Eigenreflexe.

 IV: Bei dem hyperosmolaren Koma besteht keine Kussmaul-Atmung (= vertiefte beschleunigte Atmung), da sich keine (kaum) Ketonkörper manifestieren.

→ V: Komplikationen: Besondere Risiken sind die Entwicklung:

→ 1) Eines hypovolämischen Schocks und

→ 2) Eines akuten Nierenversagens.

 

Diagnose:

 I: Labor:

→ 1) Hyperglykämie > 600mg/dl (= 33,3mmol/l) und Glukosurie sowie Plasma-Osmolalität > 300-360mosmol/l.

→ 2) Natrium ist zumeist normal bis erhöht; Kalium überwiegend leicht erniedrigt, kann jedoch auch normal oder erhöht. Des Weiteren sind der Hb- und Hk-Wert erhöht und es besteht häufig eine Leukozytose.

 3) Es besteht oftmals keine Aztonurie (= Ketonkörper-Schnelltest); die Anionen-Lücke < 12mmol/l (Referenzbereich 12+/-3) und das Standardbikarbonat ist normal.

→ 4) Weitere Parameter: Sind Kreatinin, Harnstoff, die BGA und Laktat.

484 Differenzialdiagnose der Hyperglykämie

 

Differenzialdiagnose: Vom hyperosmolaren Koma müssen insbesondere nachfolgende Erkrankungen abgegrenzt werden:

→ I: Hypoglykämie (einfach mittels BZ-Teststreifen abzuklären).

→ II: Endokrin:

→ 1) Addison-Krise,

→ 2) Thyreotoxische Krise,

→ 3) Myxödemkoma,

→ 4) Hypophysäres Koma,

→ 5) Hyperkalzämisches Krise.

III: Laktatazidotisches Koma: Bei hypoxischen Zuständen wie Mesenterialinfarkt, Schock, aber auch bei Nicht-Einhalten der Kontraindikationen in der Biguanid-Therapie.

IV: Zerebral: Häufig bildet sich eine reaktive Hyperglykämie aus z.B. bei Hypertonie bedingter zerebraler Massenblutung, weitere Blutungen (subarachnoidal, subdural etc.) bei Schädel-Hirn-Traumata, bei Meningitis (z.B. eitrige Meningitis, tuberkulöse Meningitis, etc.) und Enzephalitis. Weitere neurologische Differenzialdiagnosen sind die Parkinson-Krise sowie die Epilepsie.

→ V: Toxisch: Alkohol-, Heroin-, Psychopharmaka-Vergiftung, aber auch bei Leberversagen und Urämie.

 

Therapie: Die Therapie des hyperosmolaren und des ketoazidotischen Komas ist identisch und sollte unverzüglich erfolgen.

→ I: Allgemeinmaßnahmen:

→ 1) Intensivmedizinische Kontrolle des RR, Pulses, der Atmung sowie des Wasser- und Elektrolythaushaltes

2) Anlage eines Blasenkatheters zur Bilanzierung

3) Anlage eines ZVK zur Kontrolle des zentralen Venendrucks.

→ 4) Engmaschige Kontrolle des BZ, der Kaliumkonzentration und der Blutgase.

035 Monitoring beim Coma diabeticum

 

Klinisch-relevant: Die Plasma-Kaliumkonzentration sinkt schon während der Entwicklung des diabetischen Komas. Weitere Ursachen für einen Kaliumverlust sind:

→ A) Physiologischer Verdünnungseffekt bei Applikation einer 0,9%igen Kochsalzlösung.

B) Kaliumaufnahme in die Zelle während der Insulintherapie und

→ C) Kaliumaufnahme in die Zelle während der Azidosekorrektur mit Bicarbonat.

 

II: Spezifische Therapie:

→ 1) Sofortige Rehydratation mit einer physiologischen Kochsalzlösung mit 8-10 ml/min bei leichter Hypernatriämie (< 150mmol/l), bei schwerer Hypernatriämie (> 150mmol/l) wird eine halbisotone Kochsalzlösung verabreicht. In den ersten 24 Stunden werden durchschnittlich 6-10l substituiert.

2) Insulintherapie: Applikation von Normalinsulin i.v. in Form einer Low-Dose-Insulintherapie. Initial werden 10IE als Bolus im weiteren Verlauf 5IE/h substituiert. Bei einem BZ von 250mg/dl (13,9mmol/l) wird die Insulindosis auf 1-2IE reduziert.

11 Normalinsulindosierung in Abhängigkeit vom Blutzuckerspiegel

 

Klinisch-relevant:

→ A) Besteht vor der Insulin-Therapie eine Hypokaliämie wird diese zuerst ausgeglichen.

→ B) Der Blutzucker sollte in den ersten 24 Stunden nicht mehr als 50mg/dl pro Stunde bzw. in den ersten 24 Stunden nicht mehr als 250mg/dl (13,9mmol/l) gesenkt werden, um Komplikationen wie Retinaläsionen oder die Ausbildung eines Hirnödems zu vermeiden.

C) Bei unzureichender BZ-Senkung muss die Insulinmenge erhöht werden.

 

3) Elektrolytsubstitution:

→ A) Kaliumsubstitution: Sollte gleichzeitig zu Beginn der Insulintherapie erfolgen. Bei einer Plasma-Kaliumkonzentration < 3,5mmol/l werden 20-25mmol/h; bei 3,5-5,0mmol/l 5-10mmol/l appliziert. Liegt die K-Konzentration < 3mmol/l sollte Insulin kurzfristig abgesetzt werden.

B) Natrium-Kontrolle: Bei einer Plasma-Natriumkonzentrationen < 145mmol/l wird eine physiologische 0,9%ige Kochsalzlösung, bei Plasma-Natriumkonzentrationen > 145-165mmol/l eine halbisotone/hyposomolare NaCl-Lösung und bei einer Natrium-Konzentration >165mmol/l eine 5%ige Glucose-Lösung verabreicht.

 

Prognose: Durch das meist erhöhte Lebensalter der Patienten mit Diabetes mellitus Typ II ist die Letalität im Vergleich zum ketoazidotischen Koma deutlich erhöht.