→ Definition: Beim akuten Nierenversagen handelt es sich um eine akut einsetzende, progressive und potenziell reversibel Nierenfunktionsstörung, die durch einen Abfall der glomerulären Filtrationsrate mit konsekutivem Anstieg des Kreatinins und Harnstoffs sowie durch eine Reduktion der Harnproduktion gekennzeichnet ist.
→ Epidemiologie:
→ I: Das akute Nierenversagen (insbesondere in Vergesellschaftung mit der akuten Tubulusnekrose) stellt mit einer Inzidenz von 2-7% eine sehr häufiges nephrologisches Krankheitsbild im Krankenhaus dar. Ursache ist vor allem das prärenale Nierenversagen.
→ II: Etwa 200/1 Million Einwohner müssen sich aufgrund eines akuten Nierenversagens einer Dialysetherapie unterziehen, wobei hierbei eine hohe Letalitätsgefahr besteht.
→ Klassifikation: Das akute Nierenversagen kann anhand der Lokalisation unterteilt werden in ein:
→ I: Prärenales ANV: Unzureichende Perfusion normaler Nieren.
→ II: Renales ANV: Infolge einer Nierenparenchymläsion bei:
→ 1) Interstitielle Nephritis,
→ 2) Rapid-progressive Glomerulonephritis,
→ 3) Akuter Tubulusnekrose und
→ 4) Zirkulationsstörungen sowie
→ III: Postrenales ANV: Die Ursachen hierbei sind insbesondere Harnabflussstörungen.
→ Ätiopathogenese: Wichtige Ursachen für die Entstehung des des akuten Nierenversagens sind zum einen eine kritische Nierenminderperfusion (z.B. bei zirkulatorischem oder prärenalem ANV), zum anderen aber auch eine direkte toxische Destruktion der Tubuluszellen. Beide Mechanismen stehen überwiegend in direktem Zusammenhang, sodass hypoxische Tubulusläsionen bei primär zirkulatorischen Noxen bzw. tubuloglomeruläre Folgezustände bei primär toxischen Noxen entstehen. Sie führen in der Regel zu einem akuten Nierenfunktionsverlust mit (oligo- bis anurische ANV) oder ohne (= polyurische ANV) Beeinträchtigung der Filtrationsleistung.
→ Klinik: Die klinische Symptomatik des akuten Nierenversagens richtet sich insbesondere nach der zugrunde liegenden Noxe:
→ I: Innerhalb eines Zeitintervalls von wenigen Stunden (z.B. Schock) bis mehreren Wochen (Medikamente, Infektionen) manifestiert sich eine Oligo- (< 500ml/d) bis Anurie (< 100ml/d) mit konsekutivem Anstieg der harnpflichtigen Substanzen.
→ II: Klinische Symptome einer:
→ 1) Hyperhydratation: Mit Hyperkaliämie und metabolischer Azidose oder
→ 2) Exsikkose: Mit Hyponatriämie und Hypokaliämie.
→ III: Im fortgeschrittenem Stadium der Erkrankung kann sich möglicherweise eine urämische Symptomatik entwickeln; hierzu zählen u.a.:
→ 1) Allgemein mit blasser Haut, generalisierter Pruritus, Foetor uraemicus, Ödeme und Schwäche.
→ 2) GIT-Störungen: Mit Diarrhö, Übelkeit, Erbrechen und Gewichtsverlust.
→ 3) Herz: Herzrhythmusstörungen, hämorrhagische Perikarditis, Kardiomyopathie, etc.
→ 4) ZNS: Kopfschmerzen, Benommenheit, Myoklonien, generalisierte Krampfanfälle bis hin zum Koma.
→ 5) Lunge: Pleuritis und „Fluid-Lung“ (als toxisches Lungenödem).
→ 6) Weitere Symptome: Sind Anämie, Blutungsneigung (urämische Koagulopathie), Muskelschwund, Faszikulationen, Krämpfe, etc.
→ IV: Wichtige (weitere) Komplikationen beim akuten Nierenversagen sind u.a. die Ausbildung einer Urämie, urämischen Enzephalopathie, etc., aber auch im Rahmen einer Nierenersatztherapie die Entwicklung eines Dysäquilibriumsyndroms.
→ Klassifikation: Das akute Nierenversagen kann insbesondere anhand der klinischen Symptomatik in 4 Schweregrade unterteilt werden:
→ Diagnose:
→ I: Anamnese/klinische Untersuchung: Mit Eruierung der Medikamenteneinnahme, vorheriger Erkrankungen, Kontrolle des Hautskolorits, der Bewusstseinslage, aber auch Darstellung von peripheren Ödemen, evtl. Perikardreiben und einer Lungenstauung.
→ II: Labor:
→ 1) Bestimmung von Kreatinin und der harnpflichtige Substanzen im Serum. Ein Anstieg des Serumkreatinins (insbesondere bei Oligurie) um bis zu 0,5mg/dl am Tag, spricht für eine Tubulusnekrose (beim prärenalen ANV ist die Zunahme deutlich geringer). Mit Abnahme der glomerulären Filtrationsrate steigt die Kreatinin- und Harnstoffkonzentration im Serum an. Mit möglichem Nachweis von Anämie (Retikulozyten), Hyperkaliämie, metabolischer Azidose (BGA). Weitere Kontrollparameter sind u.a. Blutzucker, BSG, CRP, Hepatitisserologie, Autoantikörper, Gerinnungsparameter, etc.
→ 2) Urin: Bestimmung der Urinausscheidung (oligurischer mit < 500ml/d und nicht-oligurischer ANV-Verlauf). Zudem ist die Bestimmung der Urinosmolarität und Na+-Exkretion obligat. Weitere Kontrollparameter sind mögliche Proteinurie (Glomerulonephritis, Plasmozytom), Erythrozyturie un Leukozyturie (z.B. Pyelonephritis), Fragmentozyten (hämolytisch-urämisches-Syndrom), Thrombozyten (Thrombozytopenie bei thrombotischer-thrombozytopenischer Purpura oder HUS), etc.
→ III: Weitere Untersuchungen:
→ 1) Sonographie: Mit Bestimmung der Nierengröße, Darstellung eines Harnstaus, Perikardergusses und Splenomegalie.
→ 2) Röntgen-Thorax zur Darstellung der Herzgröße und einer möglichen „ Fluid-lung“.
→ 3) EKG: Hierbei können sich Hyperkaliämie-Zeichen (EKG-Befund: Hyperkaliämie) und weitere Herzrhythmusstörungen einstellen.
→ 4) Nierenbiopsie: Sie wird ausschließlich bei Verdacht auf rapid-progressive-GN oder Vaskulitis infolge einer Systemerkrankung wie z.B. Wegener-Granulomatose, SLE, Panarteriitis nodosa, etc. durchgeführt.
→ Differenzialdiagnose: Vom akuten Nierenversagen müssen insbesondere nachfolgende Erkrankungen abgegrenzt werden:
→ I: Prärenale reversible Funktionseinschränkung. Hierbei handelt es sich um eine funktionelle Oligurie mit einer Urin-Osmolalität von > 500mosmol/l und eine Urin-Natriumkonzentration von < 20mmol/d.
→ II: Chronisches Nierenversagen: Im präurämischen Stadium mit normochromer normozytärer Anämie, Hypokalzämie, Hyperphosphatämie, grau-gelbliches Hautkolorit, Cafe-au-Lait-Flecke, arterieller Hypertonie, Schrumpfnieren, Zystenniere, etc.
→ Therapie: Im Vordergrund steht die Behandlung der Grunderkrankung mit u.a. Ausschaltung der zugrunde liegenden Noxe, Ausgleich von Flüssigkeitsdefiziten und Elektrolytentgleisungen sowie Absetzen auslösender Medikamente.
→ I: Volumensubstitution insbesondere mit kristalloiden und kolloidalen Lösungen.
→ II: Ausgleich einer Elektrolytentgleisung sowie Flüssigkeits- und Elektrolytbilanzierung.
→ III: Bei Hyperhydratation gegebenenfalls Furosemid initial 40-80mg als Bolus intravenös, anschließend über den Perfusor bis zu einer Tageshöchstdosis von 2g (eine Diuretikatherapie beeinflusst den Krankheitsverlauf nicht nachhaltig). Bei fehlendem Therapieerfolg wird Furosemid nach 24 Stunden beendet.
→ IV: Wenn bei progressivem Schock die Volumensubstitution nicht ausreicht, sollte eine Vasopressoren Gabe wie Noradrenalin in niedriger Dosierung erfolgen, da eine Umverteilung die renale Perfusion deutlich verbessert (insbesondere beim hepatorenalen wird die Substitution von Terlipressin empfohlen).
→ V: Eine rechtzeitige Nierenersatztherapie sollte diskutiert werden. Indikationen sind v.a.:
→ VI: Weitere Interventionen: Sind u.a.
→ 1) Ernährung mit mindestens 25-40kcal/kgKG/d.
→ 2) Infektionsprophylaxe durch Hygienemaßnahmen, Vermeiden unnötiger venöser Zugänge, etc.
→ VII: Prävention des ANV:
→ 1) Diuretika absetzen bei Hypovolämie.
→ 2) NSAR absetzen, da sie die renale Autoregulation durch Blockade der intrarenalen vasoaktiven Prostaglandin-Produktion stören.
→ 3) Reduktion oder Absetzen der ACE-Hemmer und AT1-Antagonisten, da sie den glomerulären Filtrationsdruck senken.
→ 4) Bei Aminoglykosid-Appikation sollte eine Einmal-Tagesdosis erfolgen.
→ 5) 12 Stunden vor und nach Kontrastmittelgabe Volumentherapie mit einer 0,9%igen Na+Cl--Lösung sowie Substitution von ACC in einer Dosierung von 2x 600mg/d oral oder intravenös.