→ Definition: Von einer Hyperkaliämie spricht man bei einer Plasmakaliumkonzentration > 5,0 (-5,5mmol/l). Die physiologische Kalium-Plasmakonzentration liegt zwischen 3,5-5,0mmol/l; Kaliumwerte > 6,5-7,0mmol/l sind für den Organismus lebensbedrohlich und können zu einem Kreislaufstillstand führen.
→ Pathophysiologie: Kalium stellt das wichtigste intrazelluläre Ion in der Zelle dar und ist für die Aufrechterhaltung des Zellmembranpotenzials verantwortlich. Eine Hyperkaliämie steigert zunächst die neuromuskuläre Erregbarkeit, mit weiterer Zunahme der Kalium-Plasmakonzentration entwickelt sich jedoch ein Depolarisationsblock mit konsekutiver Abnahme der Erregbarkeit. Klinisch manifestiert sich die Hyperkaliämie in Form von kardialen Erregungsbildungs- und -leitungsstörungen sowie in schlaffen peripheren muskulären Lähmungen.
→ Ätiologie:
→ I: Vermehrte K+-Zufuhr: Eine Hyperkaliämie infolge übermäßiger oraler Kaliumzufuhr ist aufgrund der hohen Ausscheidungskapazität der Niere fast nicht möglich.
→ 1) Bei Niereninsuffizienz jedoch kann bei vermehrter Einnahme von Obst oder Diätsalzen (auf Kaliumbasis) eine Hyperkaliämie induziert werden.
→ 2) Intravenöse Kaliumsubstitution.
→ II: K+-Verteilungsstörungen: Des Weiteren kann eine Hyperkaliämie infolge einer Kaliumverlagerung vom Intrazellular- in den Extrazellularraum entstehen. Sie manifestiert sich u.a. bei:
→ 1) Respiratorischer oder metabolischer Azidose (z.B. Ketoazidose, hyperosmolares Koma) sowie akute Hyperosmolarität, Hyperglykämie und Insulindefizienz bzw. -resistenz.
→ 2) Schwerer Digitalisintoxikation durch Hemmung der Na+/K+-ATPase und konskutivem Ausstrom von Kalium in den Extrazellularraum.
→ 3) K+-Freisetzung: Bei Zelluntergang verursacht durch Rhabdomyolse, große Weichteilquetschungen, Verbrennungen, Transfusionszwischenfälle, hämolytische Krisen und nicht zuletzt aufgrund einer zytostatischen Therapie bei malignen Erkrankungen.
→ Klinisch-relevant: Das Gamstorp-Syndrom stellt eine hyperkalämische periodische Paralyse dar. Hierbei handelt es sich um einen seltenen plötzlichen Ausstrom von Kalium aus den Muskelzellen in den Extrazellularraum (= EZR) mit konsekutiver Manifestation schlaffer Lähmungen.
→ III: Verminderte-K+-Ausscheidung: Bei u.a.:
→ 1) Akutem Nierenversagen.
→ 2) Chronischer Niereninsuffizienz.
→ 3) Hyporeninämischem Hypoaldosteronismus, insbesondere im Zuge eines Diabetes mellitus.
→ 4) Morbus Addison.
→ 5) Iatrogen bei Medikamenten: Medikamente, die das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System hemmen wie z.B. AT1-Hemmer, ACE-Hemmer, Spironolacton, NSAR, aber auch bei Beta-Blockern, Triamteren, Amilorid, Heparin, Cotrimoxazol, etc.
→ Klinisch-relevant: Eine verminderte K+-Ausscheidung entwickelt sich auch infolge einer verminderten Mineralkortikoidwirkung. Diese entwickelt sich vor allem bei folgenden Erkrankungen aus:
→ A) Primärer Hypoaldosteronismus, meist bei bestehender Nebenniereninsuffizienz mit erhöhtem Reninspiegel.
→ B) Hyporeninämischer Hypoaldosteronismus: Verursacht durch eine autonome Polyneuropathie (z.B. infolge eines Diabetes mellitus) mit verminderter bis fehlender Stimulation der Reninsekretion über ß-Rezeptoren. Er stellt eine Ursache für die Entwicklung der distalen renal tubulären Azidose Typ 4 dar.
→ C) Pseudohypoaldosteronismus: Es werden 2 Typen unterschieden:
→ 1) Typ I: Wird autosomal-dominant vererbt mit inaktivierender Mutation des Aldosteronrezepors (spontane Besserung in den ersten Lebensjahren) oder autosomal-rezessiv mit inaktivierender Mutation einer Untereinheit des epithelialen Natrium-Kanals im kortikalen Sammelrohr. Gerade bei der rezessiven Form bildet sich ein schweres Salzverlust-Syndrom mit Dehydratation und Hyperkaliämie aus.
→ 2) Typ II: (= Gordon-Syndrom) Hierbei besteht eine Mutation von 2 WNK-Kinasen (1und 4) mit Beteiligungsverlust an der Signaltransduktion des Aldosterons. Folge ist eine Stimulation der Na+Cl--Kanäle, sowie eine Blockade der K+-Kanäle im distalen Tubulus. Symptome sind u.a. eine Salzretention mit arterieller Hypertonie, Hyperkaliämie und eine metabolische Azidose bei niedriger Renin-Plasma-Aktivität.
→ 3) Typ III: Es handelt sich um eine erworbene Form der Mineralkortikoidresistenz bei Nierenerkrankungen und starkem Salzverlust.
→ D) Pseudohyperkaliämie: Falsch-hohe Kaliumwerte entstehen durch Hämolyse der Blutprobe bei zu langer Venenstauung, aber auch bei ausgeprägter Leuko- und Thrombozytose.
→ Klinik:
→ I: Hyperkaliämien beeinflussen das Membranpotenzial aller Zelle und führen somit zur verzögerten Depolarisation, schnelleren Repolarisation und zu einer Verlangsamung der Nervenleitgeschwindigkeit.
→ II: Meist sind die Symptome initial sehr moderat und verursachen gerade neurologische und muskuläre Störungen:
→ 1) Neuromuskulär:
→ A) Parästhesien insbesondere periorbital und um den Mund, des Weiteren generalisierte Muskelschwäche bis hin zu kompletten Paresen der Extremitäten.
→ B) Weitere neuromuskuläre Beschwerden sind Faszikulationen, sowie initiale Reflexsteigerung im weiteren Krankheitsverlauf Hypo- bis Areflexie (z.B. Achillessehnenreflex, Patellarsehnenreflex).
→ 2) Kardiale Symptome: Können sich von harmlosen Extrasystolen bis hin zu malignen Tachykardien mit Kammerflattern/-flimmern bis hin zur Asystolie erstrecken (siehe auch EKG-Befund: Hyperkaliämie). Insbesondere eine schwere Hyperkaliämie weist einen ausgeprägten kardiotoxischen Effekt auf.
→ Klinisch-relevant: Die arrhythmogene Kaliumwirkung wird bei Herzoperationen genutzt, da es durch eine kaliumreiche bzw. kardioplege Lösung zu einer Asystolie des Herzens kommt.
→ 3) GIT-Beschwerden: Bei ausgeprägter Hyperkaliämie entwickelt sich insbesondere Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe und intestinale Koliken.
→ 4) Metabolische Störungen: Insbesondere die Azidose und die Hypoglykämie.
→ Diagnose:
→ I: Serumkaliumkontrolle (Normbereich 2,3-5,5mmol/l).
→ II: EKG: Abflachung, evtl. auch Fehlen der P-Welle, Verkürzung der QT-Zeit, Verbreiterung des QRS-Komplexes und nicht zuletzt erhöhte zeltförmige T-Welle (EKG-Befund: Hyperkaliämie).
→ III: Weitere Parameter:
→ 1) Bestimmung des Kreatinins und Harnstoffs zur Ursachenklärung und zum Ausschluss eines akuten Nierenversagen.
→ 2) Arterielle BGA (Abb.: Normwerte der BGA) zur Säure-Base-Haushalt Kontrolle und zur Eruierung einer möglichen Verteilungshyperkaliämie,
→ 3) Bestimmung des Haptoglobins, CK und LDH zum Ausschluss einer Hämolyse bzw. Rhabdomyolyse.
→ IV: ACTH-Test: Zum Nachweis eines Morbus Addison; bei Hypoaldosteronismus ist eine erhöhte Reninkonzentration bei erniedrigten Aldosteronwerten nachzuweisen.
→ Differenzialdiagnose: Von der echten Hyperkaliämie ist die Pseudohyerkaliämie abzugrenzen, die durch Hämoylse der Blutprobe hervorgerufen wird:
→ I: Staubindeneffekt: Zu lange Stauung des Arms kombiniert mit einem vermehrten Pumpen der Hand. Bei der Pseudohyperkaliämie ist das Serumkalium erhöht, das Plasmakalium jedoch im Normbereich.
→ II: Kaliumfreisetzung bei exzessiver Thrombo-, Mono- und Leukozytose (z.B. bei der CML).
→ Therapie: Eine Therapie ist bei einer Hyperkaliämie > 6mmol/l, gerade bei sichtbaren EKG-Veränderungen indiziert.
→ I: Allgemeinmaßnahmen:
→ 1) Karenz kaliumhaltiger Nahrungsmittel wie Bananen, Obst, Fleisch, etc.
→ 2) Absetzten kaliumsparender Medikamente (Cave: Kombinationtherapie ACE-Hemmer + Thiazid) bei niereninsuffizienten Patienten.
→ II: Medikamentöse Therapie:
→ 1) Kationenaustauscher: Wie Resonium A (Kontraindikation ist z.B. Hypernatriämie) oder Calzium-Resonium (mögliche Kontraindikation ist die Hyperkalzämie). Sie steigern die Kalium-Elimination im Gastrointestinaltrakt
→ A) Dosierung: 3x15g/d in 100ml Wasser oder 10%.-iger Glukose.
→ B) Nebenwirkungen: Gerade Obstipation.
→ III: Notfalltherapie: Bei Serumkaliumkonzentrationen > 6,5mmol/l:
→ 1) Infusionstherapie: Glukose in Kombination mit einem schnell-wirksamen Normalinsulin. 200-500ml einer 10-20%igen Glukoselösung mit 10-20IE Alt-Insulin über 1/2 Stunde fördert die zelluläre K+-Aufnahme.
→ 2) Calciumgluconat 10%ig: 10-20ml i.v. über 3min; sehr schneller Wirkeintritt, verhütet die Kardiotoxizität des Kaliums.
→ Klinisch-relevant: Wichtige Kontraindikationen der Calciumglukonat-Behandlung sind insbesondere die Hyperkalzämie sowie die Digitalisierung mittels Herzglykoside.
→ IV: Weitere Therapiemaßnahmen:
→ 1) Beta-2-Sympathomometika, Salbutamol, per inhalationem senkt den K+-Spiegel temporär.
→ 2) Forcierte Diurese mit einem Schleifendiuretikum wie Furosemid 40-80mg.
→ 3) Bei akutem Nierenversagen oder chronischer Niereninsuffizienz ist eine Dialyse indiziert.