→ Definition: Bei der Nebennierenrindeninsuffizienz handelt es sich um eine chonisch verminderte (fehlende) Produktion der NNR-Hormone Kortisol, Aldosteron und adrenale Androgene aufgrund einer Destruktion des NNR-Gewebes oder einer Störung der Hypophyse bzw. des Hypothalamus.
→ Ätiologie: Im Zuge der Entstehung werden folgende Formen unterschieden:
→ I: Primäre Form: Hierbei findet man, je nach Ausmaß der Schädigung und des Schweregrades, eine Funktionsstörung der NNR (es sind alle 3 Zonen betroffen mit Verminderung der Mineralo-, Glukokortikoide und Androgene). Reaktiv ist das ACTH erhöht.
→ 1) Morbus Addison: Ist mit 70% die häufigste Form der primären NNR-Insuffizienz; typischerweise bilden sich Auto-AK gegen die NNR-Zellen (17- Alpha-Hydroxylase) aus. In 80% der Fälle handelt es sich um eine Autoimmunadrenalitis.
→ 2) Seltener im Rahmen eines polyglandulären Autoimmunsyndroms:
→ A) Juveniles polyglanduläres Syndrom: (= Typ I) Es handelt sich um einen autosomal-rezessiv Erbgang mit Mutation der AIRE-Gens mit mukocutaner Candidiasis, Hypoparathyreoidismus und Morbus Addison, sowie evtl. Vitiligo und Alopezie.
→ B) Adultes polyglanduläres Syndrom: (= Typ II) HLAB8 und DR3 assoziiert mit Autoimmunthyreoditis wie Morbus Basedow, aber auch Hashimoto-Thyreoditis, Diabetes mellitus Typ I und Morbus Addison.
→ 3) Karzinommetastasen: Gerade beim Bronchial-CA, Nierenzellkarzinom und malignen Melanom.
→ 4) Infektionskrankheiten: (Mit Zerstörung der Nebennierenrinde) Wie TBC (20%insbesondere in den Entwicklungsländern), CMV, AIDS, etc.
→ 5) Medikamenteninduziert: Durch Störung der Glukokortikoidsynthese insbesondere bei Ketokonazol.
→ 5) Akute NNR-Insuffizienz: Waterhouse-Friderichsen-Syndrom; Bilaterale hämorrhagische Infarzierung der NNR mit Ausbildung einer akuten NNR-Insuffizienz (Hypokortisolismus) aufgrund v.a. einer Meningokokkensepsis (Endotoxin des Bakterium Neisseria meningitidis).
→ 6) Blutungen: z.B. nach Marcumar-Applikation, chirurigschen Eingriffen.
→ 7) Weitere Ursachen: Sind operative Entfernung der Nebennieren (Adrenalektomie), fehlende Dosisanpassung bei NNR-Insuffizienz und gleichzeitigen Infekten.
→ II: Sekundäre Form: Diese Form wird durch Störungen der Hypophyse bzw. des Hypothalamus oder eine Blockade der Hypothalamus-Hypophpysen-Nebennierenrinden-Achse verursacht; Klinisches Korrelat ist ein CRH/ACTH-Mangel mit isoliertem Kortisoldefizit. Ursachen sind Tumoren, Entzündungen, Metastasen etc., aber auch die langfristige Gabe eines Glukokortikoids, die zu einer Abnahme der CRH bzw. ATCH-Sekretion mit konsekutiver Atrophie der Zona fasciculata (Cortisol) und Zona reticularis (Androgene; Zona glomerulosa bildet Mineralokortikoide) führt.
→ Klinisch-relevant:
→ A) Beim abrupten Absetzen einer Glukortikoid-Langzeittherapie besteht immer die Gefahr einer Addison-Krise, sodass die Cortisoltherapie langsam und schrittweise ausgeschlichen werden muss.
→ B) Die Mineralokortikoid-Sekretion ist bei der sekundären NNR-Insuffizienz physiologisch, da sie ACTH-unabhängig ist. Der Regelkreislauf der Mineralokortikoide wird durch das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System gesteuert.
→ C) Bei der primären Niereninsuffizienz ist ACTH immer erhöht und bei der sekundären Form erniedrigt.
→ Stadieneinteilung der NNR-Insuffizienz:
→ I: Stadium 1: Latente NNR-Insuffizienz
→ II: Stadium 2: Manifeste NNR-Insuffizienz,
→ III: Stadium 3: Endokrine Krise und
→ IV: Stadium 4: Endokrines Koma.
→ Klinik:
→ I: Primäre NNR-Insuffizienz/ M. Addison: In der Regel treten die Symptome erst bei Zerstörung von > 90% des NNR-Gewebes auf. Das klinische Bild reicht vom Fehlen jeglicher Symptome über Adynamie bis hin zur unerwarteten, meist durch schwere Belastungen ausgelösten Addison Krise.
→ 1) Charakteristische Symptome: Sind bei der manifesten NNR-Insuffizienz:
→ A) Adynamie mit Schwäche und verminderter Belastbarkeit (Folge des Cortisolmangels), sowie Myalgie und Arthralgie.
→ B) Deutliche Hyperpigmentierung der Haut (Handlinien und sonnenexponierte Areale) und Schleimhäute betrifft überwiegend Patienten mit primärer Nebennierenrindeninsuffizienz durch die melanozyten-stimulierende Wirkung von ATCH und POMC (Proopiomelocortin) abhängigen Peptide.
→ C) Gewichtsverlust, evtl. Anorexia nervosa und Dehydratation (Mangel an Aldosteronstimulation).
→ D) Niedriger arterieller Blutdruck (orthostatische Hypotonie durch Mangel an Aldosteronstimulation).
→ E) Weitere Symptome: Abdominalbeschwerden mit Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö, evtl. Obstipation, Hypoglykämie sowie Verlust der Sekundärbehaarung und Amenorrhoe bei Frauen durch den Androgenmangel und nicht zuletzt Delir und Koma.
→ Klinisch-relevant: Die Hyperpigmentierung ist häufig das erste klinische Symptom einer primären, chronischen NNR-Insuffizienz.
→ II: Sekundäre NNR-Insuffizienz: Die Patienten fallen durch den Ausfall der hypophysären Hormone auf: Typische Symptomatik hierfür ist u.a.:
→ 1) Hypopigmentierung der Haut,
→ 2) Hypogonadismus,
→ 3) Hypothyreose und
→ 4) GH-Mangel.
→ 5) Beim sekundären Morbus Addison sind die Veränderungen des Elektrolyhaushaltes weniger stark ausgeprägt, da die Patienten durch direkte Stimulation der NNR eine ausreichende Mineralkortikoidmenge auch ohne ACTH produzieren.
→ Komplikation: Besonders bei Patienten mit einer latenten NNR-Insuffizenz kann es unter bestimmten Bedingungen (Operationen, fieberhafte Infekte) zur Ausbildung einer Addison-Krise kommen.
→ Diagnose:
→ I: Labor: Hierbei findet man eine:
→ 1) Hyponatriämie,
→ 2) Hyperkaliämie (siehe auch EKG-Befund: Hyperkaliämie) und evtl.
→ 3) Hyperkalzämie (aufgrund des Mineralokortikoidmangel).
→ 4) Des Weiteren findet man eine erniedrigte morgendliche Serumcortisolkonzentration, evtl. eine Hypoglykämie, metabolische Azidose, Lymphozytose und Eosinophilie.
→ II: ACTH-Test: Bei diesem Testverfahren wird die Serumkortisolkonzentration vor und 60min nach Gabe von 0,25mg ACTH (Synacthen) gemessen. Beim Morbus Addison ist typischerweise die basale Serumcortisolkonzentration erniedrigt und steigt nach ACTH-Gabe nicht über eine maximale Serumkonzentration von 20µg/dl bzw. nicht mehr als 10µg/dl an. Eine Serumcortisolkonzentration > 20µg/dl schließt eine NNR-Insuffizienz aus (dies gilt auch bei der länger bestehenden sekundären Form, da sich durch den ACTH-Mangel eine NNR-Atrophie ausbildet).
→ III: Plasma-ACTH: Bei der primären NNR-Insuffizienz bzw. beim Morbus Addison ist das basale Plasma-ACTH erhöht, bei der sekundären Form ist das basale Plasma-ACTH erniedrigt und steigt auch nicht nach CRH-Gabe an.
→ IV: Diagnose nach der Ätiologie:
→ 1) Bestimmung der NNR-Autoantikörper (80% positiv).
→ 2) Bildgebende Verfahren: Endosonographie, Abdomenleeraufnahme (Verkalkung der NNR bei TBC) und CT etc.
→ Differenzialdiagnose: Von der Nebenierenrindeninsuffizienz müssen insbesondere nachfolgende Erkrankungen abgegrenzt werden:
→ I: Adrenogenitales Syndrom,
→ II: Abdominalbeschwerden anderer Genese,
→ III: Hypoglykämie anderer Genese z.B. bei Insulinom,
→ IV: Elektrolytverschiebungen anderer Genese.
→ V: Orthostatische Hypotonie,
→ VI: Hyponatriämie anderer Genese z.B. beim Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion,
→ VII: Akute Addison-Krise.
→ Therapie: Substitutionstherapie analog zur Cortisol-Tagesrhythmik (morgens erfolgt die Gabe der Hauptdosis). Beim Morbus Addison müssen zusätzlich noch Mineralokortikoide appliziert werden.
→ I: Glucocorticoide: Hydrocortison 20-30mg/d in 2-3 Dosen (morgens: 15-20mg/; nachmittags 5/10mg/d). Bei Stress, Infektionen Erhöhung der Tagesdosis auf das 2-5-(10)-fache.
→ II: Mineralcorticoide: Fludroncortison 0,05-0,2 mg/d Gesamtdosis so anlegen, dass die Plasmarenin-Konzentration im oberen Normbereich liegt (zusätzliche Kontrolle von Blutdruck und Elektrolyten).
→ III: Bei Libidoverlust Gabe von Dehydroepiandosteron.
→ Therapiekontrolle: Wohlbefinden des Patienten, Bestimmung von Natrium, Kalium und Serumrenin, evtl. Schellong-Test im Liegen und Stehen.