Definition: Bei der Nebennierenrindeninsuffizienz handelt es sich um eine chonisch verminderte (fehlende) Produktion der NNR-Hormone Kortisol, Aldosteron und adrenale Androgene aufgrund einer Destruktion des NNR-Gewebes oder einer Störung der Hypophyse bzw. des Hypothalamus.

1190 Histologischer Aufbau der Nebenniere

Ätiologie: Im Zuge der Entstehung werden folgende Formen unterschieden:

→ I: Primäre Form: Hierbei findet man, je nach Ausmaß der Schädigung und des Schweregrades, eine Funktionsstörung der NNR (es sind alle 3 Zonen betroffen mit Verminderung der Mineralo-, Glukokortikoide und Androgene). Reaktiv ist das ACTH erhöht.

1) Morbus Addison: Ist mit 70% die häufigste Form der primären NNR-Insuffizienz; typischerweise bilden sich Auto-AK gegen die NNR-Zellen (17- Alpha-Hydroxylase) aus. In 80% der Fälle handelt es sich um eine Autoimmunadrenalitis.

→ 2) Seltener im Rahmen eines polyglandulären Autoimmunsyndroms:

→ A) Juveniles polyglanduläres Syndrom: (= Typ I) Es handelt sich um einen autosomal-rezessiv Erbgang mit Mutation der AIRE-Gens mit mukocutaner Candidiasis, Hypoparathyreoidismus und Morbus Addison, sowie evtl. Vitiligo und Alopezie.

→ B) Adultes polyglanduläres Syndrom: (= Typ II) HLAB8 und DR3 assoziiert mit Autoimmunthyreoditis wie Morbus Basedow, aber auch Hashimoto-Thyreoditis, Diabetes mellitus Typ I und Morbus Addison. 

→ 3) Karzinommetastasen: Gerade beim Bronchial-CANierenzellkarzinom und malignen Melanom.

 4) Infektionskrankheiten: (Mit Zerstörung der Nebennierenrinde) Wie TBC (20%insbesondere in den Entwicklungsländern), CMV, AIDS, etc.

→ 5) Medikamenteninduziert: Durch Störung der Glukokortikoidsynthese insbesondere bei Ketokonazol.

 5) Akute NNR-Insuffizienz: Waterhouse-Friderichsen-Syndrom; Bilaterale hämorrhagische Infarzierung der NNR mit Ausbildung einer akuten NNR-Insuffizienz (Hypokortisolismus) aufgrund v.a. einer Meningokokkensepsis (Endotoxin des Bakterium Neisseria meningitidis).

 6) Blutungen: z.B. nach Marcumar-Applikation, chirurigschen Eingriffen.

→ 7) Weitere Ursachen: Sind operative Entfernung der Nebennieren (Adrenalektomie), fehlende Dosisanpassung bei NNR-Insuffizienz und gleichzeitigen Infekten.

II: Sekundäre Form: Diese Form wird durch Störungen der Hypophyse bzw. des Hypothalamus oder eine Blockade der Hypothalamus-Hypophpysen-Nebennierenrinden-Achse verursacht; Klinisches Korrelat ist ein CRH/ACTH-Mangel mit isoliertem Kortisoldefizit. Ursachen sind Tumoren, Entzündungen, Metastasen etc., aber auch die langfristige Gabe eines Glukokortikoids, die zu einer Abnahme der CRH bzw. ATCH-Sekretion mit konsekutiver Atrophie der Zona fasciculata (Cortisol) und Zona reticularis (Androgene; Zona glomerulosa bildet Mineralokortikoide) führt. 

042 Pathogenese der Nebenniereninsuffizienz

 

Klinisch-relevant:

→ A) Beim abrupten Absetzen einer Glukortikoid-Langzeittherapie besteht immer die Gefahr einer Addison-Krise, sodass die Cortisoltherapie langsam und schrittweise ausgeschlichen werden muss.

→ B) Die Mineralokortikoid-Sekretion ist bei der sekundären NNR-Insuffizienz physiologisch, da sie ACTH-unabhängig ist. Der Regelkreislauf der Mineralokortikoide wird durch das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System gesteuert.

→ C) Bei der primären Niereninsuffizienz ist ACTH immer erhöht und bei der sekundären Form erniedrigt.

 

Stadieneinteilung der NNR-Insuffizienz:

→ I: Stadium 1: Latente NNR-Insuffizienz

II: Stadium 2: Manifeste NNR-Insuffizienz,

III: Stadium 3: Endokrine Krise und

IV: Stadium 4: Endokrines Koma.

 

Klinik:

→ I: Primäre NNR-Insuffizienz/ M. Addison: In der Regel treten die Symptome erst bei Zerstörung von > 90% des NNR-Gewebes auf. Das klinische Bild reicht vom Fehlen jeglicher Symptome über Adynamie bis hin zur unerwarteten, meist durch schwere Belastungen ausgelösten Addison Krise.

→ 1) Charakteristische Symptome: Sind bei der manifesten NNR-Insuffizienz: 

→ A) Adynamie mit Schwäche und verminderter Belastbarkeit (Folge des Cortisolmangels), sowie Myalgie und Arthralgie.

→ B) Deutliche Hyperpigmentierung der Haut (Handlinien und sonnenexponierte Areale) und Schleimhäute betrifft überwiegend Patienten mit primärer Nebennierenrindeninsuffizienz durch die melanozyten-stimulierende Wirkung von ATCH und POMC (Proopiomelocortin) abhängigen Peptide.

 C) Gewichtsverlust, evtl. Anorexia nervosa und Dehydratation (Mangel an Aldosteronstimulation).

→ D) Niedriger arterieller Blutdruck (orthostatische Hypotonie durch Mangel an Aldosteronstimulation).

 E) Weitere Symptome: Abdominalbeschwerden mit Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö, evtl. Obstipation, Hypoglykämie sowie Verlust der Sekundärbehaarung und Amenorrhoe bei Frauen durch den Androgenmangel und nicht zuletzt Delir und Koma.

 

→ Klinisch-relevant: Die Hyperpigmentierung ist häufig das erste klinische Symptom einer primären, chronischen NNR-Insuffizienz.

 

→ II: Sekundäre NNR-Insuffizienz: Die Patienten fallen durch den Ausfall der hypophysären Hormone auf: Typische Symptomatik hierfür ist u.a.:

→ 1) Hypopigmentierung der Haut,

→ 2) Hypogonadismus,

→ 3) Hypothyreose und

→ 4) GH-Mangel.

→ 5) Beim sekundären Morbus Addison sind die Veränderungen des Elektrolyhaushaltes weniger stark ausgeprägt, da die Patienten durch direkte Stimulation der NNR eine ausreichende Mineralkortikoidmenge auch ohne ACTH produzieren.

483 Differenzialdiagnose primäre  sekundäre NNR Insuffizienz

 

Komplikation: Besonders bei Patienten mit einer latenten NNR-Insuffizenz kann es unter bestimmten Bedingungen (Operationen, fieberhafte Infekte) zur Ausbildung einer Addison-Krise kommen.

 

  Diagnose:

→ I: Labor: Hierbei findet man eine: 

1) Hyponatriämie,

→ 2) Hyperkaliämie (siehe auch EKG-Befund: Hyperkaliämie) und evtl.

3) Hyperkalzämie (aufgrund des Mineralokortikoidmangel).

→ 4) Des Weiteren findet man eine erniedrigte morgendliche Serumcortisolkonzentration, evtl. eine Hypoglykämie, metabolische Azidose, Lymphozytose und Eosinophilie.

II: ACTH-Test: Bei diesem Testverfahren wird die Serumkortisolkonzentration vor und 60min nach Gabe von 0,25mg ACTH (Synacthen) gemessen. Beim Morbus Addison ist typischerweise die basale Serumcortisolkonzentration erniedrigt und steigt nach ACTH-Gabe nicht über eine maximale Serumkonzentration von 20µg/dl bzw. nicht mehr als 10µg/dl an. Eine Serumcortisolkonzentration > 20µg/dl schließt eine NNR-Insuffizienz aus (dies gilt auch bei der länger bestehenden sekundären Form, da sich durch den ACTH-Mangel eine NNR-Atrophie ausbildet).

III: Plasma-ACTH: Bei der primären NNR-Insuffizienz bzw. beim Morbus Addison ist das basale Plasma-ACTH erhöht, bei der sekundären Form ist das basale Plasma-ACTH erniedrigt und steigt auch nicht nach CRH-Gabe an.

IV: Diagnose nach der Ätiologie:

→ 1) Bestimmung der NNR-Autoantikörper (80% positiv).

2) Bildgebende Verfahren: Endosonographie, Abdomenleeraufnahme (Verkalkung der NNR bei TBC) und CT etc. 

201 Wichtige Fakten der NNR Insuffizienz

 

Differenzialdiagnose: Von der Nebenierenrindeninsuffizienz müssen insbesondere nachfolgende Erkrankungen abgegrenzt werden:

→ I: Adrenogenitales Syndrom,

→ II: Abdominalbeschwerden anderer Genese,

 III: Hypoglykämie anderer Genese z.B. bei Insulinom,

 IV: Elektrolytverschiebungen anderer Genese.

→ V: Orthostatische Hypotonie

→ VI: Hyponatriämie anderer Genese z.B. beim Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion

→ VII: Akute Addison-Krise.

 

→ Therapie: Substitutionstherapie analog zur Cortisol-Tagesrhythmik (morgens erfolgt die Gabe der Hauptdosis). Beim Morbus Addison müssen zusätzlich noch Mineralokortikoide appliziert werden.

I: Glucocorticoide: Hydrocortison 20-30mg/d in 2-3 Dosen (morgens: 15-20mg/; nachmittags 5/10mg/d). Bei Stress, Infektionen Erhöhung der Tagesdosis auf das 2-5-(10)-fache.

II: Mineralcorticoide: Fludroncortison 0,05-0,2 mg/d Gesamtdosis so anlegen, dass die Plasmarenin-Konzentration im oberen Normbereich liegt (zusätzliche Kontrolle von Blutdruck und Elektrolyten).

III: Bei Libidoverlust Gabe von Dehydroepiandosteron.

 

Therapiekontrolle: Wohlbefinden des Patienten, Bestimmung von Natrium, Kalium und Serumrenin, evtl. Schellong-Test im Liegen und Stehen.