Definition: Der arterielle Hypertonus ist definiert als Erhöhung des systolischen Blutdrucks > 140 mmHg und/oder des diastolischen Blutdrucks > 90 mmHg (der Blutdruck kann stark variieren und sollte mindestens 3x erhöht sein, da er doch von vielen Faktoren wie z.B. emotionalen Einflüssen abhängig ist). Nach der Blutdruckhöhe wird die arterielle Hypertonie wie folgt graduiert:

889 Klassifikation der arteriellen Hypertonie

 

Epidemiologie:

→ I: Die Prävalenz an einer arteriellen Hypertonie zu erkranken, liegt in den westlichen Industrieländern bei 20% der Erwachsenen und steigt mit zunehmendem Lebensalter (fast jeder zweite über 50-jährige ist Hypertoniker).

→ II: Der arterielle Hypertonus ist der wichtigste Risikofaktor für die Entwicklung einer kardiovaskulären Erkrankung.

 

Klinisch-relevant: Der Blutdruck unterliegt einer zirkadianen Rhythmik und umfasst:

→ A) Höchste Blutdruckwerte manifestieren sich am Vormittag und am späten Nachmittag.

→ B) Es kommt typischerweise zu einem nächtlichen Abfall (während des Schlafs) der systolischen - um 10-15% und diastolischen Mittelwerte um 15-20%.

→ C) Der Blutdruck ist durch exogene Faktoren wie körperliche Aktivität, Schichtarbeit, etc. beeinflussbar.

D) Auch beim essentiellen Hypertonus ist die zirkardiane Rhythmik auf hohem Niveau erhalten; beim sekundären und renalen Hypertonus jedoch ist sie zumeist augehoben.

 

Ätiopathogenese: Bei der arteriellen Hypertonie werden nach der Pathogenese zwei Formen unterschieden:

→ I: Primäre Hypertonie: (= essentieller Hypertonus) Bei dieser Form ist die Pathogenese nicht bekannt vielmehr geht man von einem polygenen bzw. multifaktoriellen Geschehen aus. Er macht etwa 90% aller Hypertonieformen aus. Wichtige Triggerfaktoren hierbei sind insbesondere:

1) Erhöhte Sympathikusaktivität, endotheliale Dysfunktion und neurovaskuläre Anomalien.

→ 2) Übergewicht, Lipidstoffwechselstörungen und Veränderungen des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems.

→ 3) Weitere Triggermechanismen: Sind u.a. Insulinresistenz, psychosozialer und umweltbedingter Stress, Nierentransplantation, Salzkonsum, etc.

1237 Renin Angiotensin Aldosteron System

II: Sekundäre Hypertonie: Diese Form der arteriellen Hypertonie wird durch eine bekannte Grunderkrankung hervorgerufen:

→ 1) Renoparenchymatöse Hypertonie: (5% der Hypertoniker) Infolge einer fortschreitenden Nierenschädigung kommt es zur Stimulation des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems mit konsekutiver Kochsalz- und Wasserretention sowie Steigerung des peripheren Gefäßwiderstands. Primäre Ursachen sind Glomerulonephritiden, interstitielle Nephritiden z.B. Analgetika-Nephropathie, chronische Pyelonephritis, aber auch polyzystische Nierenerkrankung und Refluxnephropathie. Sekundär bei Vaskulitiden und Kollagenosen, Diabetes mellitus, Amyloidose, Niereninfarkt, etc.

2) Renovaskuläre Hypertonie: (Nierenarterienstenose mit 1-2% der Hypertoniker) Es kommt zur Stimulation des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems, die insbesondere vom Ausmaß der Nierenarterienstenose und deren hämodynamischen Wirkung abhängig ist. Ursache sind vor allem die Arteriosklerose (in 2/3 der Fälle und betrifft häufiger Männer im Alter jenseits des 40. Lebensjahres betrifft) und die fibromuskuläre Dysplasie (manifestiert sich in 1/3 der Fälle und betrifft überwiegend jüngere Frauen). Weitere seltene Ursachen sind Aortenaneurysma, Aneurysmen der Nierenarterien, thrombotische oder embolische Verschlüsse der Nierenarterien, Stenose nach Nierentransplantation, Kompression der Nierengefäße durch Zysten, Tumoren.

→ 3) Endokrine Hypertonie: Beim Phäochromozytom, Morbus Conn, Morbus Cushing, Cushing-Syndrom, adrenogenitalen Syndrom, primären Hyperparathyreoidismusprimären Hypothyreose, Akromegalie und nicht zuletzt der Hyperthyreose.

890 Wichtige Ursachen der endokrin bedingten arteriellen Hypertonie

→ 4) Weitere Ursachen: Für eine sekundäre arterielle Hypertonie sind u.a. Schwangerschaft, Medikamente (z.B. Kontrazeptiva, Glukokortikoide, etc.), Lakritze, aber auch Nikotin und Alkohol oder das Schlaf-Apnoe-Syndrom.

 

Klinisch-relevant: Die arterielle Hypertonie wird pathophysiologisch als Störung des Regelkreises verstanden, der unter normalen Bedingungen den Blutdruck konstant hält:

 891 Blutdruckregulationsgleichung

 

Klinik: Im Prinzip bestehen keine charakteristischen Symptome der arteriellen Hypertonie. Evtl. treten langsam, sich einschleichende Allgemeinsymptome wie

Erschöpfung, rasche Ermüdbarkeit, frühmorgendliche Kopfschmerzen insbesondere im Okzipital-Bereich. Insbesondere die Folgeschäden an den Endorganen (Herz, Nieren, Augen, Gehirn, Gefäße) führen zu schwerwiegenden Konsequenzen:

→ I: Myokardhypertrophie,

→ II: Nierenschädigung in Form einer Nephrosklerose,

→ III: Neurologische Folgeschäden wie hypertensive Enzephalopathie, lakunäre Infarkte im Bereich der Basalganglien und nicht zuletzt die Apoplexie.

 

Komplikationen: Die Komplikationen entsprechen den Folgeschäden und umfassen insbesondere:

I: Hypertensive Krise bzw. - Notfall mit vital gefährdenden Blutdruckerhöhung und konsekutiver Endorganschädigung durch:

→ 1) Hypertensive Enzephalopathie (es kommt zur verstärkten Vasodilatation der zerebralen Arterien mit Ausbildung eines Hirnödems durch Versagen der Autoregulation der zerebralen Durchblutung) und intrazerebrale Blutung.

→ 2) Angina pectoris und akutes Koronarsyndrom bzw. akuter Myokardinfarkt.

→ 3) Akute Linksherzinsuffizienz mit Lungenödem.

→ 4) Dissektion eines Aortenaneurysmas.

→ II: Gefäßsystem: Mit

1) Frühzeitiger Arteriosklerose (50-60% der Hypertoniker),

→ 2) Hypertensive Retinopathie,

3) Aneurysma dissecans Typ A und B sowie abdominales Aortenaneurysma.

→ 4) Periphere arterielle Verschlusskrankheit.

→ III: Herz: Hierbei stehen Linksherzhypertrophie, KHK und die Herzinsuffizienz im Vordergrund.

→ IV: Gehirn:

→ 1) Es manifestieren sich insbesondere lakunäre Infarkte intrazerebrale Blutungen u.a. im Bereich der Capsula interna, den Basalganglien, dem Hirnstamm und Kleinhirn, aber niemals im Kortex.

→ 2) Vaskuläre Demenz.

→ V: Niere: Überwiegendes Auftreten von Schrumpfnieren durch hypertensive Nephrosklerose sowie der sekundär malignen Nephrosklerose (= rasch progrediente Niereninsuffizienz aufgrund von Arteriolonekrosen bei proliferativer Endarteriitis der Interobulärarterien und Gefäßverschlüssen).

 

Diagnose: Nach Bestätigung und Zuteilung des Schweregrads der arteriellen Hypertonie stehen insbesondere auch Ausschluss bzw. Identifizierung einer sekundären Hypertonie, Vorliegen und Ausmaß von Folgeschäden sowie die Festlegung weiterer kardiovaskulären Risikofaktoren im Vordergrund.

1103 Weiterer Diagnosealgorithmus bei Nachweis einer arteriellen Hypertonie

→ I: Anamnese/klinische Untersuchung: Wichtig hierbei ist die umfassende Eigen- und Familienanamnese mit Allgemeinsymptomen, Medikamenten, Kaffee, Alkohol, Nikotin, Drogen, etc. sowie Herzinfarkt, Schlaganfall in der Familie, die bei Verdacht auf eine arterielle Hypertonie nachfolgende Punkte beinhalten sollte:

1) Blutdruckmessung und ambulantes Blutdruck-Monitoring durch eine 24-Stunden-Blutdruckmessung. Es wird beim Patienten alle 15-30min der Blutdruck ambulant unter Alltagsbedingungen gemessen. Hierbei unterliegt der RR typischerweise einer zirkadianen Rhythmik mit einem nächtlichen Absinken des Blutdrucks um > 10% (= Normal-Dipper). Ein Absinken des RR um weniger als 10% (= Non-Dipper) oder ein nächtlicher Anstieg des Blutdrucks (= Inverted-Dipper) sind immer abklärungsbedürftig.

894 Schematische darstellung des 24 Stunden Blutdruckprofils

 

Klinisch-relevant: Mehr als 75% der Patienten mit sekundärer arterieller Hypertonie sind Non-Dipper.

 

2) Inspektorisch möglicher Nachweis eines Morbus Cushing (Mondgesicht, Büffelnacken, etc.), Hyperthyreose (Gewichtsverlust, Schwitzen, Exophthalmus, Sinustachykardie), Akromegalie (Viszeromegalie, Makroglossie), Adipositas, aber auch z.B. Zeichen einer Herzinsuffizienz (Dyspnoe, Tachypnoe, etc).

→ 3) Sorgfältige Palpation und Auskultation der wichtigen Gefäße (Ausschluss einer arteriellen Verschlusskrankheit) und des Herzens (bei hyperteniver Herzkrankheit hebender verbreiterter und lateralisierter Herzspitzenstoß). Besteht eine Aortenisthmusstenose ist ein vom 1. Herzton abgesetztes systolisches Geräusch mit Punctum maximum über dem 2-6. ICR rechts parasternal sowie zwischen den Schulterblättern auskultierbar. Bei Nierenarterienstenose können epigastrische Stenosegeräusche auftreten.

→ II: Labor: Wichtige Laborparameter beim arteriellen Hypertonus sind u.a.:

895 Wichtige Laboruntersuchungen bei arterieller Hypertonie

III: EKG: Evtl. Zeichen einer Linksherzherzhypertrophie mit überdrehtem Linkstyp, einem positiven Sokolow-Index (S in V1 + R in V5 oder V63,05 mV) und Schenkelblock-Bildern, etc. (EKG-Befund: Herzhypertrophie).

IV: Bildgebung:

→ 1) Röntgen-Thorax: Typische Bluthochdruckfolgen sind u.a. Betonung oder Dilatation des linken Ventrikels, linken Vorhofs oder aller vier Herzhöhlen, Elongation und Sklerose der Aorta und nicht zuletzt mögliche Zeichen einer Herzinsuffizienz mit z.B. Lungenstauung (diese Folgen treten jedoch erst sehr spät auf).

→ 2) Echokardiographie: Mit Bestimmung von Ventrikeldurchmesser, Wanddicke und Pumpfunktion. Eine gestörte Pumpfunktion bzw. Herzhypertrophie stellt eine ungünstige Prognose dar.

→ 3) Sonographie der Niere mit möglichen Abweichungen der Nierengröße und Nierenform sowie Ausschluss pathologischer Veränderungen (z.B. Nierenzysten, Nierentumoren, etc.).

4) Duplex-Sonographie: Der Karotiden mit Bestimmung des IM-Komplexes (Arteriosklerose als prognostischer Hinweise) und der Nierenarterie.

V: Ophtalmologische Untersuchung: Nachweis eines möglichen Fundus hypertonicus durch Begutachtung des Augenhintergrundes:

896 Stadieneinteilung des Fundus hypertonicus

 

Klinisch-relevant: Insbesondere die klinische Einschätzung des Schweregrads der arteriellen Hypertonie gibt Auskunft über den Krankheitsverlauf und die Prognose. Zur Risikoabschätzung dienen v.a. die Höhe des Blutdrucks, den Grad der Organschädigung und nicht zuletzt das Bestehen von Begleiterkrankungen.

 899 Risikoabschätzung des Bluthochdrucks

 

Therapie: Die Form der antihypertensiven Therapie wird ausschließlich durch die Risikoabschätzung bestimmt und beginnt primär unabhängig vom Schweregrad mit nicht medikamentösen Allgemeinmaßnahmen (reichen jedoch in den allermeisten Fällen jedoch nicht aus). Bei der Behandlung sollte der Zielblutdruck unter Ruhebedingungen systolisch < 140 mmHg und diastolisch < 90 mmHg liegen.

I: Allgemeinmaßnahmen: Bei der Basistherapie stehen Gewichtsnormalisierung, körperliche Aktivität, Nikotin- und Alkoholkarenz, NaCl-Konsum < 6g/d, gemüsereiche Kost, Verwenden von mehrfach ungesättigten Fettsäuren, evtl. regelmäßige Entspannungsübungen, etc.

→ II: Medikamentöse Therapie: Um eine dauerhafte Blutdrucksenkung zu erreichen, müssen die Patienten zumeist ein Leben lang die Medikamente einnehmen.

→ 1) Grundsätzlich existieren einige Therapieempfehlungen bezüglich der Applikation; hierzu zählen u.a. der Behandlungsbeginn erfolgt oftmals mit nur einer Substanz und stets niedriger Initialdosis, Einsatz einer Medikamentenkombination bevor die Maximaldosis eines Präparates erreicht ist, langwirksame Medikamente einsetzten, um u.a. die Compliance zu verbessern und immer auch das Abwarten auf die maximale Medikamentenwirkung (2-6 Wochen), etc.

2) Antihypertensiva: Die wichtigsten Medikamente in der Behandlung der arteriellen Hypertonie sind insbesondere Diuretika (z.B. HCT, Furosemid, etc.), Beta-Blocker, Caciumantagonisten, ACE-Hemmer, AT1-Antagonisten, bei bestimmten Indikationen auch Alpha1-Blocker, Alpha-Methyldopa und Dihydralazin.

1215 Vor  Nachteile der First Line Substanzen bei arterieller Hypertonie

→ 3) Präparatewahl: Die Wahl des Präparates richtet sich insbesondere nach dem individuellen kardiovaskulären Risikoprofil, bestehenden Endorganschäden und/oder möglichen Folge- bzw. Begleiterkrankungen. Bei unzureichender Blutdrucksenkung erfolgt mit Hilfe der Stufentherapie eine Intensivierung mittels Zweifach- und schließlich Dreifachkombination. 

4) Verlaufskontrolle: Die Häufigkeit der Kontrolluntersuchungen richtet sich insbesondere nach dem kardiovaskulären Gesamtrisiko. Bis zum Erreichen des Zielblutdrucks sind monatliche Kontrollen obligat (ab arterieller Hypertonie II Grades sogar zweiwöchentlich). Nach Erreichen der Behandlungsziele können die Untersuchungsintervalle deutlich verlängert werden.

900 Stufentherapie der arteriellen Hypertonie

III: Reservetherapeutika: (z.B. Reserpin sowie s.u.) Sie erlangen insbesondere Bedeutung in der Behandlung der therapierefraktären Hypertonie oder bei speziellen Indikationen (z.B. Schwangerschaft) und sollten nur im Rahmen einer Kombinationstherapie eingesetzt werden. Hierzu zählen:

→ 1) Alpha-Rezeptor-Blocker: Alpha-Rezeptor-Blocker führen über die Hemmung der peripheren Alpha1-Rezeptoren kommt es zur Vasodilatation. Beispiel ist z.B. Doxazosin in eine Dosierung von 1-16mg/d.

2) Zentrale Alpha2-Rezeptor-Agonisten: Beispiel ist das Moxonidin (oder Clonidin), das zur Hemmung der zentralen Sympathikus-Aktivität führt und in einer Dosierung von 0,2-0,6mg/d. (Relative) Kontraindikationen sind u.a. Leber- und Niereninsuffizienz, Bradykardie, AV-Block > I Grades (EKG-Befund: AV-Block), Sick-Sinus-Syndrom, etc.

→ 3) Dihydralazin: Stellt einen direkten Vasodilatator dar, wird in einer Dosierung von 3x 12,5-25mg/d verabreicht und u.a. in der Behandlung der Schwangerschaftshypertonie eingesetzt.

→ 4) Alpha-Methyldopa: (Tagesdosis 1-3x 125mg/d) Alpha-Methyldopa hemmt die zentrale Sympathikus-Aktivität und ist insbesondere bei der Schwangerschaftshypertonie indiziert. Vorsichtige Indikationsstelleung besteht v.a. Bei Leber- und Niereninsuffizienz.

→ 5) Minoxidil: Bei dieser Substanz handelt es sich um einen direkten Vasodilatator, der immer in Kombination mit einem Beta-Blocker und Diuretikum verabreicht wird. Die Tagesdosis liegt bei 1x 2,5-80mg/d, wobei eine langsame Aufdosierung obligat ist. Wichtigste Indikation stellt die sehr schwere, therapierefraktäre Hypertonie dar. Vorsicht bei der Indikation sind u.a. Sinustachykardie, Wasser- und Na+-Retention, KHK und nicht zuletzt die Herzinsuffizienz.