→ Definition: Bei der Aortendissektion handelt es sich um eine akute Blutung in die Aortenwand (Media) aufgrund eines (Längs-) Einrisses der Intima und konsekutiver Ausbildung eines falschen Lumens (= Pseudolumen). Die Eintrittsstelle wird als Entry, eine mögliche Austrittsstelle durch einen weiteren Intimariss als Austrittsstelle (= Reentry) bezeichnet.
→ Epidemiologie:
→ I: Die Inzidenz für die Entwicklung einer Aortendissektion liegt bei 5/100000/Jahr, wobei Männer häufiger als Frauen betroffen sind.
→ II: Der Manifestationsgipfel liegt zwischen dem 60.-70. Lebensjahr; häufig weisen die Patienten eine arterielle Hypertonie in ihrer Vorgeschichte auf.
→ Klinisch-relevant: Häufige Lokalisationen der Aortendissektion:
→ A) In 65% beginnt die Aortendissektion im Bereich der Aorta acendens,
→ B) In 10% im Bereich des Aortenbogens,
→ C) In 20% im Bereich des Aorta descendens und
→ D) In 5% intraabdominal.
→ Ätiologie: Ursache sind degenerative Veränderungen der Gefäßwand zumeist aufgrund einer chronisch arteriellen Hypertonie; weitere wichtige Risikofaktoren sind u.a.:
→ I: Alter > 50, chronischer Nikotinabusus sowie Hypercholesterinämie,
→ II: Chirurgischer Aortenklappenersatz, Aortenisthmusstenose,
→ III: Traumatisch (Dezeleration),
→ IV: Infektionen wie die Lues, aber auch Mykosen und bakterielle Infektionen (z.B. Salmonellen).
→ V: Entzündliche Aortenerkrankungen wie die Riesenzellarteriitis, Takayasu-Arteriitis, Morbus Behcet, etc.
→ VI: SLE,
→ VII: Weitere Ursachen: Sind zystische Medianekrosen, Schwangerschaft, angeborene Bindegewebserkrankungen wie das Marfan- oder Ehler-Danlos-Syndrom.
→ Klassifikation:
→ I: Klassifikation der Aortendissektion nach Svensson:
→ II: Einteilung nach Stanford: Sie erfolgt nach der Ausdehnung des Befundes und wird in Typ A und Typ B unterteilt. Nach dieser Klassifikation richtet sich die Therapie.
→ 1) Typ A: Tritt in 80% der Fälle auf. Der Entry ist im Bereich der Aorta ascendens oder des Aortenbogens lokalisiert (entspricht DeBakey I/II). Stanford A erfordert zumeist eine Notoperation.
→ 2) Typ B: Zeigt sich in 20 % der Fälle; die Dissektion beginnt im Bereich der Aorta descendens (entspricht DeBakey III). Stanford B wird primär konservativ therapiert.
→ III: Einteilung nach DeBakey:
→ 1) Typ I: Dissektion der Aorta ascendens oder des Aortenbogens mit Ausdehnung bis zur thorakalen bzw. abdominalen Aorta.
→ 2) Typ II: Die Dissektion ist auf die Aorta ascendens begrenzt.
→ 3) Typ III: Der Intimaeinriss ist im Bereich der Aorta descendens lokalisiert und wird bezüglich der Ausdehnung nochmals unterteilt in einen:
→ A) Typ IIIa: Dissektion der Aorta descendens bis auf Höhe des Zwerchfells (= thorakale Aorta).
→ B) Typ IIIb: Dissektion der Aorta descendens bis unterhalb des Zwerchfells (= abdominale Aorta).
→ Klinik: Das Leitsymptom ist ein plötzlich einsetzender Vernichtungsschmerz, häufig kombiniert mit einer hypertensiven Krise, der mit Fortschreiten der Dissektion wandert (caudalwärts).
→ I: Typ A: Meist retrosternale Schmerzen mit Ausstrahlung in den vorderen Halsbereich (= anteriorer Thorax).
→ II: Typ B: Schmerzen zwischen den Schulterblättern im Rückenbereich, die in den linken Arm ausstrahlen können.
→ III: Weitere Symptome: Entstehen durch Verlegung bzw. Verschluss weiterer Gefäße und können zu vielseitigen Symptomen führen:
→ 1) Hirnversorgende Gefäße: Bewusstlosigkeit, Halbseitenlähmung, Sprachstörungen.
→ 2) Arteria mesenterica superior: Akute Darmischämie bis hin zum akuten Abdomen.
→ 3) Akute Verschluss-Syndrome an den Extremitäten z.B. Leriche-Syndrom.
→ 4) Kompression des N. recurrens mit Stimmbandlähmung,
→ 6) Kompression des zervikalen Ganglions mit Ausbildung eines Horner-Syndroms (= Mosis, Ptosis und Endophthalmus).
→ IV: Bei den chronischen Verlaufsformen entstehen die klinischen Beschwerden aufgrund der aneurysmabedingten Verdrängungsmechanismen.
→ Komplikationen: Wichtige und z.T. schwerwiegende Komplikationen der Aortendissektion sind insbesondere:
→ I: Typ A:
→ 1) Ruptur des angrenzenden Perikards mit Entwicklung einer Perikardtamponade.
→ 2) Verlegung insbesondere der rechten Koronararterie mit konsekutivem Herzinfarkt.
→ 3) Dilatation des Aortenklappenrings und Ausbildung einer akuten Aortenklappeninsuffizienz. In der Folge entwickelt sich nicht selten ein Lungenödem als Zeichen einer Linksherzdekompensation.
→ II: Typ B: Hämatothorax, Einblutungen in das Mediastinum oder Abdomen, Minderperfusion der Organe durch Verlegung/Obstruktion der Organgefäße z.B. Niereninsuffizienz (akutes Nierenversagen), Ileussymptomatik und neuromuskuläre Defizite mit Paraplegie bei Minderperfusion der Vertebralarterien.
→ Klinisch-relevant:
→A) Eine Aortendissektion nach Stanford A ist immer ein chirurgischer Notfall wegen der Gefahr der Ruptur und möglicher Entwicklung einer Perikardtamponade mit konsekutivem Herzversagen.
→ B) Ein intramurales Hämatom gilt als Vorstufe einer Stanford A Dissektion.
→ Diagnose:
→ I: Anamnese/klinische Untersuchung:
→ 1) Eruierung der Vorerkrankungen (arterielle Hypertonie, etc.).
→ 2) Bei der Abdomenpalpation evl. Pulsationsnachweis.
→ 3) Der auskultatorischer Nachweis eines neu aufgetretenen Herzgeräusches (= Diastolikum), sowie eine große Blutdruckamplitude sprechen für eine Aortenklappeninsuffizienz.
→ 4) Weitere klinische Zeichen können eine evtl. RR-Differenz zwischen beiden Armen sowie ein möglicher Pulsus paradoxus bei bestehender Perikardtamponade sein.
→ II: Röntgen-Thorax: Erweiterung des Mediastinums mit evtl. Nachweis eines Pleuraergusses oder Perikard-.
→ III: TEE:
→ 1) Mit Darstellung eines erweiterten Aortenlumens, evtl. eines falschen Lumens, der Dissektionsmembran (= intimal flap), gerade im Bereich der Aorta ascendens und des Aortenbogens.
→ 2) Darstellung einer möglich bestehenden Perikardtamponade.
→ 3) Quantifizierung der Aortenklappeninsuffizienz.
→ IV: CTA/MRA: Zur exakten Diagnosestellung; zum Nachweis der Dissektionslokalisation (Intimariss), der Ausdehnung in den thorakalen bzw. abdominalen Bereich und des falschen Lumens.
→ IV: EKG: Um ein akutes Koronarsyndrom durch Verlegung der Koronararterien frühzeitig zu erkennen.
→ Differenzialdiagnose: Von der Aortendissektion sind u.a. nachfolgende Erkrankungen abzugrenzen:
→ I: Herz/Kreislauf: Akutes Koronarsyndrom, Myokarditis, Perikarditis und Aortenruptur, etc.
→ II: Pulmonal: Lungenembolie, Pneumothorax, Thoraxtrauma, Pneumonie, Pleuritis.
→ III: Gastrointestinal: Ösophagusruptur, akute Pankreatitis, Cholezystitis.
→ Therapie: Die Aortendissektion Stanford A ist immer eine Notfallsituation (Rupturgefahr, Perikardtamponade). Die Letalität aufgrund einer Ruptur steigt in den ersten 48 Stunden stündlich um 1%. Ziel der chirurgischen Therapie ist u.a. die Abwendung der Komplikationen wie Ruptur oder Perikardtamponade sowie die Aufhebung des falschen Lumens, der Dissektionsmembran sowie die Gewährleistung der zerebralen Durchblutung.
→ I: Chirurgisches Verfahren:
→ 1) Isolierte Aorta ascendens Dissektion: Resektion des Aortensegments mit Einlage einer textilen Rohrprothese (Dacron)
.→ 2) Dissektion der Aorta ascendens mit Aorteninsuffizienz ohne strukturelle Klappenveränderung: Resektion und Einlage einer Rohrprothese mit Rekonstruktion der Aortenklappe.
→ 3) Dissektion der A. ascendens mit schwerer Aortenklappeninsuffizienz: Implantation der Rohrprothese, Klappenersatz mit Klappen-tragenden Konduit.
→ 4) Dissektion des Aortenbogens: Segmentresektion mit nachfolgender Reimplantation der Gefäßinsel (enthält die supraaortalen Abgängen) bzw. Einsatz eines Interponats = 3 Schenkel-Rohrprothese.
→ 5) Dissektion der gesamten Aorta: Hierbei erfolgt die Resektion mit anschließendem Rohrprothesen-Ersatz und Einlage eines Stentgraft (= Hybridprothese als Stent mit fexiblen-Anteil: Der Stent legt sich an die Dissektion an; der flexible Prothesen-Anteil wird mit der Aorta ascendens verbunden (geschieht in Hypothermie und bei Herzstillstand). Dies wird als elephant-frozen-trunk-Technik bezeichnet. Ziel der Stentimplantation ist die Obliteration des falschen Lumens, um eine Ruptur zu vermeiden.
→ 6) Extraanatomisches Bypassverfahren z.B. aszendodistaler Bypass nach Carpentier als Bypass zwischen Aorta ascendens und Aorta abdominalis.
→ II: Dissektion der Aorta nach Stanford B: Hiervon spricht man, wenn die Dissektion distal der linken A subclavia lokalisiert ist.
→ 1) Akute Stanford-Dissektion B: Wird primär konservativ behandelt, wenn keine Komplikationen bestehen, durch intensivmedizinische Monitoring sowie Blutdrucksenkung durch Applikation eines ß-Blockers z.B. Metoprolol 1-2 Ampullen i.v. (RR auf 100 mmHg halten), evtl. in Kombination mit einem Vasodilatator (z.B. Urapidil, Ebrantil, Nitroglycerin, etc).
→ Klinisch-relevant:
→ A) Beta-Blocker führen zur arteriellen Drucksenkung und zur Reduktion der linksventrikulären Inotropie bzw. aortalen Wandspannung.
→ B) Eine Vasodilatator-Monotherapie ruft einen Anstieg der ventrikulären Kontraktionsgeschwindigkeit (= Baroreflexstimulation) hervor und begünstig somit die Progression der Aortendissektion.
→ 2) Analgesie mit 5-10 mg Morphin i.v.
→ 3) Überwachung der Organfunktion (Nierenfunktion), neurologische Untersuchung, etc.
→ 4) Eine weitere Behandlungsoption ist die angiographische interventionelle Therapie mit Einlage eines gecoverten Stents oder interventionelle Fensterung der Dissektionmembran, um die Perfusion zu gewährleisten.
→ II: Komplikationen der Stanford-B-Dissektion: Sind:
→ 1) Nicht beherrschbare Schmerzen,
→ 2) Ischämie-Zeichen der distalen Extremitäten oder anderer Organe,
→ 3) Zunehmende Aortendilatation bei den Kontrolluntersuchungen (> 5-6cm) und drohende Ruptur.
→ III: Chirurgisches Verfahren: Resektion des dissezierten Aortensegments mit Implantation einer Rohrprothese und End-zu-End-Anastomose, evtl. Stabilisierung der Aortenwand durch Teflonfilzstreifen.
→ IV: Intra-/postoperative Komplikationen:
→ 1) Typ-A-Dissektion: Blutungen, Herzversagen, zerebrale Ischämie.
→ 2) Typ B-Dissektion: Blutungen, Ischämie von Organsystemen und Querschnittslähmung.
→ V: Nachsorge: Regelmäßige Kontrolluntersuchungen durch Thorax-CT (im ersten Jahr vierteljährlich, anschließend jährlich), konsequente RR-Einstellung < 135/80mmHg, keine Antikoagulation (nur bei mechanischen Klappenersatz), regelmäßige Pulsstatus-, neurologische - und Organkontrolle.
→ Prognose:
→ I: Typ A Dissektion: Ohne OP schlecht, da die Letalität in den ersten 48 Stunden bei 50%, im 1. Monat bei 90% liegt.
→ II: Typ B Dissektion: Besser, bei konsequenter konservativer Therapie liegt die 1 Jahresüberlebenschance bei 90%.
→ Besonderheiten: Bei Dissektion der Aorta ascendens und des Aortenbogens erfolgt eine mediane Sternotomie. Bei der Aorta descendens ist eine links laterale Thorakotomie oder eine Laparotomie indiziert. Der Patient ist intraoperativ an eine Herzlungenmaschine angeschlossen, wobei der arterielle Schenkel der HLM mit der A. subclavia oder der A. femoralis, der venöse Schenkel mit der V. femoralis oder mit dem rechten Vorhof in Verbindung steht. Bei der Operation ist eventuell ein temporärer Kreislaufstillstand notwendig; hierbei ist zuvor eine Hypothermie (18°C) des Körpers sowie eine antero- oder retrograde Versorgung des Gehirns mit Hilfe spezieller Kanülen indiziert. Nach Resektion des Segments können die nativen Aorta-Enden mittels spezieller Kleber oder durch Teflonfilzstreifen stabilisiert werden. Nach OP wird die Körpertemperatur mittels Wärmetauscher der HLM angehoben.