→ Definition: Bei der Analgetikanephropathie handelt es sich um eine chronisch tubulo-interstitielle Nephropathie (= chronisch, interstitielle Nephritis), die durch einen langjährigen Analgetikaabusus hervorgerufen wird und zu einer terminalen Niereninsuffizienz führen kann.
→ Epidemiologie:
→ I: Die Analgetika-Nephropathie ist mit 1% der Fälle für die terminale Niereninsuffizienz verantwortlich.
→ II: Ein vermehrtes Auftreten dieser Nephropathie findet man in den USA, Australien, aber auch in Schweden und der Schweiz (rückläufige Tendenz).
→ III: Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer (M : F = 1 : 3-5).
→ Ätiologie:
→ I: Hauptursache ist die hochdosierte Einnahme phenacetinhaltige Medikamente und deren Metaboliten (= Paracetamol ab einer Kumulativdosis > 1000mg), deren Verbot in den 80iger Jahren eingeführt wurde.
→ II: Aber auch Mischanalgetika mit Coffein, Codein sowie NSAR (ASS) können diese Form der Nephropathie induzieren.
→ Pathogenese: Im MIttelpunkt steht der Analgetikaabusus aufgrund von chronischen Schmerzzuständen wie Rückenschmerzen, Migräne, Neuralgien, etc. Durch die dauerhafte Medikamenteneinnahme (NSAR) wird die Produktion des Prostaglandin E2 gehemmt, welches eine vasodilatatorisch Wirkung aufweist. Folge ist eine Vasokonstriktion der (afferenten >> efferenten) Nierengefäße mit konsekutiver Durchblutungsstörung und Ischämie des Nierenmarks mit Gefahr der Papillennekrose. Histologisches Merkmal ist initial die Endothelschädigung insbesondere der Vasa rectae; später folgen Papillennekrose und sekundär kortikale Destruktionen (= fokale segmentale Glomerulosklerose).
→ Klinik: Es entwickelt sich eine langsam-progrediente Niereninsuffizienz, die über ein langes Zeitintervall asymptomatisch bleibt.
→ I: Im Frühstadium verläuft sie meist asymptomatisch.
→ II: Niere: Poly- und Nykturie, evtl. Koliken durch abgehende Papillennekrosen sowie Hämamturie.
→ III: Im weiteren Krankheitsverlauf treten dann Symptome wie Müdigkeit, Abgeschlagenheit, braungräuliches Hautkolorit und Anämie (toxische durch Bildung von Met-/Sulfhämoglobin, gastrointestinale Blutungen, hämolytische Anämie, etc.), arterielle Hypertonie etc. auf.
→ Komplikationen: Wichtige und z.T. schwerwiegende Komplikationen der Analgetikanephropathie sind insbesondere:
→ I: Frauen weisen vermehrt rezidivierende Harnwegsinfekte (v.a. Zystitis, Pyelonephritis, etc.) auf.
→ II: Tubuläre Funktionsstörungen mit verminderter Konzentrationsfähigkeit. Hypokaliämie, Hyponatriämie und renal-tubuläre Azidose.
→ III: Ausbildung einer Papillennekrose mit kolikartigen Flankenschmerzen, Hämaturie und Fieber.
→ IV: Spätkomplikationen: Sind Niereninsuffizienz, Urotheliome (2x im Jahr Urinzytologie) und die Gefahr der Entwicklung eines Übergangszell- und Nierenzellkarzinome (nach 10-25 Jahren Analgetikaabusus).
→ Diagnose:
→ I: Anamnese: Mit chronischen Schmerzzuständen und entsprechender Medikamenteneinnahme (z.B. Mischanalgetika).
→ II: Labor:
→ 1) Sterile Leukozyturie (ist ein Frühsymptom), Erythrozyturie bzw. milde Proteinurie (Mikroproteine der Gruppe ß2) im 24h-Sammelurin.
→ 2) Bei bestehender Papillennekrose Nachweis von Papillengewebe bzw. einer Mirkohämaturie im Urin (in schweren Fällen zeigt sich eine Makrohämaturie). Die Hämaturie mit eumorphen Erythrozyten stellt einen wichtigen Hinweis für die Analgetikanephropathie dar.
→ 3) Abhängig vom Schweregrad der Niereninsuffizienz kann ein Anstieg der Retentionsparameter, eine renale Hypertonie und/oder eine normochrome Anämie nachgewiesen werden.
→ Klinisch-relevant: Bei Verdacht auf einen Analgetikaabusus sollte die Bestimmung des Paracetamol-Abbauproduktes, dem N-Acetyl-P-Paraaminophenol, im Urin erfolgen.
→ III: Sonographie: Verkleinerte Nieren (= Schrumpfniere mit höckriger Oberfläche durch narbige Einziehungen).
→ IV: Comuptertomographie: (ohne Kontrastmittel als Nativ-CT sehr empfindlich beim Nachweis von Papillenkalzifikationen) Charakteristische Hinweise für eine Analgetikanephropathie sind u.a.:
→ V: Ausscheidungsurogramm: Intravenöse Kontrastmittelgabe zur Darstellung des Nierenbeckenkelch-Systems und somit des Papillendefekts.
→ Differenzialdiagnose: Von der Analgetikanephropathie müssen insbesondere nachfolgende Erkrankungen abgegrenzt werden:
→ I: Chronisch interstitielle Nephritis: anderer Genese bei Hyperurikämie (Gicht), Hyperkalzämie, Hypokaliämie (z.B. Conn-Syndrom), Zystinose.
→ II: Papillennekrose: Anderer Genese. Man findet sie u.a. auch bei der diabetischen Nephropathie, Urogenital-TBC und der Sichelzellanämie.
→ III: Hämatologische Erkrankungen: Multiples Myelom, Amyloidose.
→ IV: Weitere Ursachen: Sind u.a.:
→ 1) Systemerkrankungen wie das Sjögren-Syndrom, die Sarkoidose, SLE.
→ 2) Medikamente wie z.B. Lithium, etc.
→ Therapie:
→ I: Absetzten der auslösenden Medikamente sowie symptomatische Therapie der bestehenden Beschwerden:
→ 1) Therapie der Anämie durch Erythropoetin.
→ 2) Adäquate Einstellung einer möglichen arteriellen Hypertonie.
→ 3) Konsequente Behandlung eines Harnwegsinfektes.
→ II: Therapie der Niereninsuffizienz.
→ Prognose: Hierbei ist es wichtig, bei bestehendem Analgetikaabusus die Medikamente frühzeitig abzusetzen, um die Entwicklung einer terminalen Niereninsuffizienz zu verhindern (geringgradige Nierenfunktionsstörungen sind reversibel). Die Analgetikanephropathie ist ein sehr gutes Beispiel, bei der durch präventive Interventionen (z.B. Verzicht auf phenacetin- oder paracetamolhaltigen Mischpräparate) ein chronisches Nierenversagen verhindert werden kann.