Definition: Bei der diabetischen Nephropathie handelt es sich um massive pathologische Veränderungen der Glomeruli im Rahmen einer langen Diabetes-Erkrankung (Typ 1 und Typ 2). Sie wird charakteristischerweise von ausgeprägten vaskulären, tubulären und interstitiellen Läsionen begleitet.

 

Epidemiologie:

→ I: Etwa 35-45% der Patienten mit Typ-I-Diabetes und 20% der Patienten mit nicht-insulinpflichtigem Typ-II-Diabetes entwickeln nach 10-30 Jahren eine diabetische Nephropathie.

→ II: Die Manifestation einer diabetischen Nephropathie ist der Hauptgrund der deutlich erhöhten kardiovaskulären Mortalität bei Typ-I/-II-Diabetes.

→ III: Weitere zu beobachtende renale Erkrankungen und Störungen beim Diabetes sind u.a.:

→ 1) Neurogene Blasenentleerungsstörungen mit rezidivierenden Harnwegsinfekten und Papillennekrosen.

→ 2) Akutes Nierenversagen bei Kontrastmittelgabe.

→ 3) Störungen des Wasser- und Elektrolythaushaltes mit hyporeninämischem Hypoaldosteronismus, diabetischer Ketoazidose und nicht zuletzt dem hyperosmolaren nicht azidotischen Koma.

 

Klinisch-relevant: In den letzten Jahren hat die Häufigkeit der diabetischen Nephropathie als Ursache für die dialysepflichtige terminale Niereninsuffizienz deutlich zugenommen. Gründe hierfür sind insbesondere:

→ A) Zunahme der Inzidenz v.a. bei den Typ-II-Diabetikern.

→ B) Verlängerung der Überlebensrate durch verbesserte kardiologische Therapieoptionen.

→ C) Verbesserte Verfügbarkeit der Nierenersatztherapie.

 

Ätiopathogenese: Bei der Pathogenese der diabetischen Nephropathie handelt es sich um ein multifaktorielles Geschehen, für das insbesondere hämodynamische, metabolische sowie genetische Faktoren verantwortlich gemacht werden.

→ I: Vaskulär: Wesentliche Anzeichen einer diabetischen Nephropathie aufgrund einer Gefäßläsion sind die Albumin- und Proteinruie. 50% der Typ-I-Diabetiker weisen in den ersten 5 Jahren eine bis zu 50% erhöhte glomeruläre Filtrationsrate auf. Diese intraglomeruläre Druckerhöhung führt wiederum vermehrt zur diabetischen Nephropathie (bei den Typ-II-Diabetikern ist dieser Effekt aufgrund des zumeist fortgeschrittenen Alters und den damit zusammenhängenden arteriosklerotischen Veränderungen deutlich geringer ausgeprägt bzw. kann fehlen).

II: Die damit verbundene Hypertrophie und Hyperfiltration der Glomeruli verursacht eine gesteigerte Aktivierung des RAAS-Systems. Angiotensin-II beeinflusst zum einen die intraglomeruläre Druckerhöhung, zum anderen kann es in den hypertrophierten Glomeruli entzündliche und fibrotische Prozesse induzieren.

→ III: Metabolisch:

→ 1) Die Hyperglykämie führt zu sogenannten AGE-Produkten (= Advanced-Glycation-End-Products), die ubiquitär eine irreversible-nicht-enzymatische Verzuckerung der Gewebestrukturen induzieren.

→ 2) Intrazelluläre Sorbitolakkumulation sowie die Stimulation von Makrophagen beschleunigen die Sklerosierung der Glomeruli.

→ 3) Zudem führt der Mangel an Heparansulfat zum Verlust negativer Ladung im Bereich der Basalmambran, sodass kleine negativ-geladene Proteine vermehrt filtriert werden können. Mit Fortschreiten dieser Prozesse wird die Permeabilität der Basalmembran immer unselektiver und es kommt zur Mirkoalbumin- und Proteinurie.

→ IV: Eine weitere Form der diabetischen Niereninsuffizienz ist die ischämische Nephropathie.

V: Weitere Risikofaktoren: Die mit einer erhöhten Nephropathie-Entwicklung einhergehen sind u.a.:

1) Schlecht eingestellter Blutdruck (arterielle Hypertonie) verschlechtert eine diabetische Nephropathie unabhängig von der Genese.

→ 2) Tabakkonsum sowie

→ 3) Weitere genetische Einflüsse.

 

Klinik: Im Mittelpunkt der diabetischen Nephropathie stehen vor allem Albuminurie bzw. Proteinurie, arterielle Hypertonie, nephrotisches Syndrom bis hin zur Niereninsuffizienz; im fortgeschrittenen Stadium Einschränkung der Nierenfunktion. Weitere (fortgeschrittene) Symptome als Ausdruck einer schweren Proteinurie sind insbesondere periphere Ödeme sowie schäumender Urin.

1136 Natürlicher Krankheitsverlauf der Nephropathie bei Typ I Diabetikern nach Mogensen

 

Klassifikation: Die diabetische Nephropathie tritt bei bis zu 30% der Patienten mit Diabetes mellitus auf und verläuft charakteristischerweise in 2 Phasen.

I: Stumme Phase: Die Dauer beträgt 10-15 Jahren mit initialer glomerulärer Hyperfiltration (0-5 Jahre), anschließender Mikroalbuminurie (5-15 Jahre).

→ II: Die Phase der klinisch-manifesten Nephropathie umfasst:

→ 1) Persistierender Albuminurie (> 300mg/d).

→ 2) Arterielle Hypertonie und

→ 3) Progredienter Verlust der glomerulären Filtrationsrate.

→ III: Stadieneinteilung: Für die Typ-I-Diabetiker erfolgt die Klassifikation der diabetischen Nephropathie nach Mogensen, die eine Korrelation zwischen Morphologie und klinischer Symptomatik beinhaltet und nur bedingt auf Typ-II-Diabetiker übertragbar ist.

→ 1) Phase I: (= glomeruläre Hyperfiltration) Die Ursachen für die hämodynamischen Veränderungen sind bis heute nicht genau geklärt, jedoch wird bei diesen ein Zusammenspiel von Angiotensin II, vasoaktiven und proliferativen Mediatoren diskutiert. So ist bekannt, dass sich die glomeruläre Hyperfiltration bei 20-50% der Diabetiker in der Frühphase aufzeigen lässt. Dieser charakteristische Anstieg der GFR ist insbesondere Folge der Vasodilatation afferenter Arteriolen und des Angiotensins II durch vasomotorische Effekte (= Vasokonstriktion) auf die efferenten Arteriolen. Zudem wirkt sich die Proliferation der Mesangiumzellen begünstigend auf die Entwicklung der diabetischen Nephropathie aus. Weitere Charakteristika dieser ersten Phase sind u.a.:

1137 Charakteristika der gloermulären Hyperfiltration

 

Klinisch-relevant: In dieser Phase I sind 2 Faktoren zu beobachten:

→ A) Ein Anstieg der glomerulären Filtrationsrate > 125ml/min erhöht das Risiko für die Entwicklung einer Mikroalbuminurie bei Typ-I-Diabetes deutlich.

→ B) Durch eine optimale Einstellung des Diabetes kann sich die glomeruläre Filtrationsrate normalisieren.

 

→ 2) Phase II: (= Latenzphase) In dieser Phase entwickeln sich Veränderungen an der glomerulären Basalmembran sowie am Mesangium. Der erhöhte Blutzucker führt über eine glomeruläre Deposition von Glykoproteinen zur Läsion der Podozyten mit Störung der mechanischen und elektrostatischen Filterfunkion und konsekutiver Permeabilitätssteigerung für Albumin. Auch hier ist die prophylaktische Zuckereinstellung zur weiteren Schädigungsbegrenzung von zentraler Bedeutung. Weitere Charakteristika dieser Latenzphase sind:

1138 Charakteristika der Latenzphase

3) Phase III: (= Auftreten von Mikroalbuminurie 30-300mg Albumin/24h) Hierbei kommt es zur weiteren Schädigung der glomerulären Kapillare nachweisbar durch rinr zunehmende renale Albumin-Elimination als Zeichen der Entwicklung einer manifesten diabetischen Nephropathie. Weitere Charakteristika sind u.a.:

1139 Charakteristika der Phase III

 

Klinisch-relevant: Wichtig ist das Mikroalbuminurie-Screening:

→ A) Optimal im Morgenurin und sollte bei Typ-I-Diabetikern ab dem 5 Jahr nach Diagnosestellung 1 bis 2 mal pro Jahr erfolgen bzw. bei Erstmanifestation eines Typ-II-Diabetes.

→ B) Alternativ steht die Bestimmung der renalen Albumin-Elimination im 24h Urin oder Spontanurin. Liegen die Albuminkonzentrationen in 2 von 3 untersuchten Urinproben zwischen 30-300mg/24h kann von einer persistierenden Mikroalbuminurie ausgegangen werden.

C) Störfaktoren, im Sinne einer transienten Mirkoalbuminurie sind u.a. körperliche Anstrengung, Fieber, Harnwegsinfekte, aber auch arterielle Hypertonie und Herzinsuffizienz.

 

4) Phase IV: (Auftreten einer Mikroalbuminurie > 300mg/24h) Wichtige Charakteristika in dieser Phase der diabetischen Nephropathie sind insbesondere:

1140 Charakteristika der Phase IV der diabetischen Nephropathie

5) Phase V: (= Spätphase der Nephropathie nach 20 Jahren Diabetes). In dieser Phase verschlechtern extrarenale, mikro- und makrovaskuläre Komplikationen wie Retinopathie, Neuropathie, kardiovaskuläre und zerebrovaskuläre Symptome, etc. den klinischen Krankheitsverlauf

→ IV: Des Weiteren teilt die deutsche Diabetes-Gesellschaft die diabetische Nephropathie abhängig von der GFR und Albuminurie in 5 Stadien ein.

1141 Stadieneinteilung der diabetischen Nephropathie nach der deutschen Diabetes Gesellschaft

 

Diagnose: Die Diagnose der diabetischen Nephropathie ist bei Typ-I-Diabetikern aufgrund des charakteristischen Krankheitsverlauf leicht zu diagnostizieren.

→ I: Insbesondere die regelmäßige Bestimmung der Albuminkonzentration im Urin weist frühzeitig auf funktionelle und strukturelle Veränderungen der Niere hin. Mit zusätzlicher Hilfe des Kreatinin-Clearance und (evtl. der GFR) lässt sich der Schweregrad bestimmen.

→ II: Klinische Untersuchung:

→ 1) Eine Mikroalbuminurie stellt eine Hinweis auf eine Mikroangiopathie dar, sodass eine augenärztliche Untersuchung mit möglicher Beurteilung einer hypertensiven Schädigung des Augenhintergrunds obligat ist.

 

Klinisch-relevant: Charakteristisches klinisches Bild der diabetischen Nephropathie mit:

→ A) Mikroalbuminurie,

→ B) Mit Teststreifen nachweisbare Proteinurie (= Makroalbuminurie),

→ C) Nephrotisches Syndrom,

→ D) Arterielle Hypertonie bis hin zur

→ E) Niereninsuffizienz. 

 

2) Sonographie: Bei der diabetischen Nephropathie sind die Nieren in Längs- als auch Tiefendurchmesser vergrößert. Sonographisch ist das Nierenparenchym verdickt und häufig verdichtet. Die Markpyramiden erscheinen voluminös geschwollen und echoarm. In fortgeschrittenen Stadien (Phase IV und V nach Mogensen) wird dann das Nierenparenchym nochmals echoreicher.

→ III: Histologie: Die wichtigsten pathologischen Veränderungen an den Glomeruli umfassen:

→ 1) Verdickung der glomerulären Basalmembran.

→ 2) Proliferation und Expansion des Mesangiums und

→ 3) Glomeruläre Sklerosierung.

 

→ Differenzialdiagnose: Von der diabetischen Nephropathie müssen insbesondere nachfolgende Erkrankungen abgegrenzt werden; hierzu zählen u.a.:

→ I: Nephrotisches Syndrom anderer Genese wie die membranöse GN, membranoproliferative GN, Nierenvenenthrombose, C3-Glomerulopathie, etc.

→ II: Verschiedene Formen der Glomerulonephritis wie insbesondere die fokal-segmental-sklerosierende GN und die Minimal-Change-Glomerulonephritis.

→ III: Analgetikanephropathie, etc.

 

Therapie: Bei der Behandlung der diabetischen Nephropathie steht neben der Blutzuckereinstellung die symptomatische Blutdruckeinstellung im Vordergrund.

→ I: Allgemeinmaßnahmen wie ausreichend Flüssigkeitszufuhr, Salzreduktion, Vermeiden nephrotoxischer Substanzen.

→ II: Blutdruck-Einstellung:

→ 1) Die frühzeitige Applikation von ACE-Hemmern oder AT1-Rezeptor-Antagonisten führt zur Verminderung der Glomerulosklerose und der pathologischen Zunahme der Mesangialmatrix sowie Öffnung der Vas efferent mit Abfall des intraglomerulären Drucks. Klinisches Korrelat ist die Abnahme der Albumin- und Proteinurie.

→ 2) In der Regel sollte der Blutdruck bei 130/85 mmHg, bei Nachweis einer diabetischen Nephropathie auch darunter (125/75 mmHg) liegen.

→ III: Ein weiterer Baustein in der Therapie der diabetischen Nephropathie ist die Lipidsenkung. Hierbei sollte der LDL-Cholesterin-Wert unter 100mg/dl (80mg/dl) liegen, um eine weitere Arteriosklerose zu stoppen. Maßnahmen hierfür sind u.a. Lebensstilveränderungen und Statin-Applikation, etc.

1142 Maßnahmenkatalog der diabetischen Nephropathie

→ IV: Therapie bei Niereninsuffizienz: Bei bestehender Niereninsuffizienz sollte die Diabetestherapie (Insulin, orale Antidiabetiker außer bei Gliquidon und Glimepirid) modifiziert werden:

1) So z.B. muss bei den Sulfonylharnstoffen bei einem Serumkreatinin von 1,4mg/dl mit einer Akkumulation mit konsekutiver Hypoglykämiegefahr gerechnet werden.

→ 2) Biguanide sind bei bestehender Niereninsuffizienz aufgrund der geringeren Säureexkretionskapazität und der damit verbundenen vital-bedrohlichen Laktatazidose kontraindiziert.

→ 3) Mit zunehmender Niereninsuffizienz wird bei den Patienten häufig auch der Insulinbedarf deutlich geringer. Dies liegt zum einen an der Verlängerung der Halbwertszeit des hauptsächlich renal eliminierten Insulins, zum anderen aber auch in der Abnahme der Insulinresistenz.

 

Prognose: In Mittel kann man davon ausgehen, dass 2-8% der Typ-I-Diabetiker unter optimaler Therapie eine terminale Niereninsuffizienz ausbilden; bei den Typ-II-Diabetikern sind die Zahlen sehr unterschiedlich. Die kardiovaskuläre Mortalität ist bei Diabetes mellitus erhöht und bei zusätzlicher Proteinurie sogar um ein vielfaches.