Definition:

→ I: Bei den Sulfonylharnstoffen handelt es sich um eine Substanzgruppe von oralen Antidiabetika, die insbesondere zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ II eingesetzt wird.Hierzu gehören insbesondere:

→ 1) Glibenclamid,

2) Glimepirid und

→ 3) Gliclazid.

→ II: Sulfonylharnstoffe werden auch als Insulinsekretagoga (= Arzneimittel, die die Insulinsekretion fördern) bezeichnet. Hierzu gehören auch die Glinide

 

  Wirkungsmechanismus: Die Wirkung der Sulfonylharnstoffe besteht im Wesentlichen in der Sensibilisierung der B-Zellen gegenüber physiologischen Inkretionsreizen.

→ I: Wichtige Voraussetzung für die blutzuckersenkende Wirkung ist das Vorhandensein von insulinproduzierenden B-Zellen. Sulfonylharnstoffe binden an die regulatorische Sulfonylharnstoff-Rezeptor-Untereinheit (SHR-1) der ATP-abhängigen K+-Kanäle der B-Zellen und verschließen diese. In der Folge werden spannungsabhängige Ca2+-Kanäle geöffnet und induzieren die Insulinausschüttung = Inkretion (siehe auch Glinide). Sie haben somit keinen Einfluss auf die Produktion von Insulin, sondern nur auf deren Freisetzung, sodass für die Therapie mit Sulfonylharnstoffen nachfolgende Vorrausetzungen gegeben sein müssen:

→ 1) Die Insulinproduktion besteht und

→ 2) Glukose und somit ATP ist als physiologischer Stimulus vorhanden.

044 Wirkungsmechanismus der Sulfonylharnstoffe

→ II: Senkung des HbA1c um ca. 1%.

→ III: Sulfonylharnstoffe haben zusätzlich eine stimulierende Wirkung auf Somatostatin und eine hemmende auf Glukagon.

→ IV: Extrapankreatisch:

→ 1) Steigerung der Sensibilität der Insulinrezeptoren für Insulin,

→ 2) Verminderung der Down-Regulation der Insulin-Rezeptoren.

3) Hemmung der hepatischen Glukoseproduktion.

109 Charakteristika der verschiendenen Sulfonylharnstoffe

 

Dosierung:

→ I: Glibenclamid:

→ 1) Beginnend mit einer Initialdosis von 1,75-3,5mg/d und schrittweise Steigerung über Tage bis Wochen bis zu einer mittleren Tagesdosis von 3,5-7,5mg/d (Maximaldosis 10,5mg/d), wobei morgens 2/3 und abends 1/3 der Gesamtdosis substituiert wird.

→ 2) Glibenclamid hat zusätzlich noch eine extrapankreatische Wirkung.

→ II: Glimepirid:

→ 1) Einschleichender Beginn mit einer Initialdosis von 1g/d, die mit einer Latenz von 1-2 Wochen gesteigert wird bis zu einer mittleren Tagesdosis von 1-4 mg/d (bis zu einer Maximaldosis von 6mg/d).

→ 2) Aufgrund seiner langen Wirkdauer wird es typischerweise nur 1x morgens verabreicht.

III: Gliclazid: Mittlere Tagesdosis 30-120mg/d.

 

Pharmakokinetik:

→ I: Die Sulfonylharnstoffe werden nach orale Gabe gut resorbiert, im Plasma an Proteine gebunden, in der Leber über das Cytochrom-P-450-System (CYP2C9) metabolisiert und renal sowie biliär ausgeschieden.

II: Bei schwerer Leber- und Nierenschädigung besteht die Gefahr der Akkumulation mit konsekutiver Ausbildung schwerer Hypoglykämien.

III: Glibenclamid: Der optimale Wirkungseffekt wird bei Glibenclamid erst nach 5-7 Tagen erreicht; es hat eine Wirkungsdauer von 18-24 Stunden.

108 Pharmakologie der Sulfonylharnstoffe

 

Indikation: Sie sind nur bei der Behandlung normalgewichtiger Patienten mit Diabetes mellitus Typ II (wenn eine unzureichende Blutzucker-Senkung trotz strikter Diät besteht) indiziert bzw. Kontraindikationen für Metformin existieren.

 

Nebenwirkungen:

→ I: Wichtige undhäufig auftretende Nebenwirkungen der Sulfonylharnstoffe sind insbesondere zum einen die Gewichtszunehme, zum anderen die Hypoglykämie.

→ II: Gastrointestinale Beschwerden mit Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe etc. 

→ III: Allergische Hautreaktionen,

→ IV: Alkoholunverträglichkeit durch Hemmung der Aldehyddehydrogenase.

→ V: Sehr selten Blutbildveränderungen wie z.B. die hämolytische Anämie oder die lebensbedrohliche Agranulozytose.

 

Klinisch-relevant: Vor allem die Einnahme von Glibenclamid kann zu schweren Hypoglykämien führen, wenn u.a. ein erhöhter Glucoseverbrauch (schwere körperliche Arbeit) oder eine verminderte Glucoseaufnahme (Diät, Infekte) besteht.

 

Kontraindikationen: Wichtige Kontraindikationen sind u.a.:

→ I: Diabetes mellitus Typ I sowie diabetische Koma und Ketoazidose,

→ II: Schwere Leber- und Nierenerkrankungen,

→ III: Schwangerschaft und Stillzeit.

→ IV: Sulfonamid-Allergie.

→ V: Eine relative Kontraindikation stellt die Adipositas dar.

 

Wechselwirkungen: Wechselwirkungen werden durch Induktion bzw. Hemmung des Cytochrom-P-450-Systems (CYP2C9) erreicht:

→ I: Steigerung der Sulfonylharnstoff-Wirkung: Wird u.a. durch Alkohol, ASS, ß-Blocker, Cumarinderivate, MAO-Hemmer etc. hervorgerufen; Folge kann ein hypoglykämischer Schock mit tödlichem Ausgang sein.

 → II: Hemmung der Sulfonylharnstoff-Wirkung: ß-2-Sympathomimetika, Glukokortikoide, Thiazide, atypische Neuroleptika (Clozapin, Olanzapin) und nicht zuletzt durch L-Thyroxin.

 

Klinisch-relevant:

→ A) Kardiotoxische Wirkung der Sulfonylharnstoffe: Die Sulfonylharnstoffe agieren mit geringer Affinität auch an der SHR-2-Untereinheit der ATP-abhängigen K+-Kanäle der Kardiomyozyten. Durch Bindung an diese regulatorische Untereinheit wird der physiologische Zellschutz der Kardiomyozyten, nämlich die ischämisch bedingte Öffnung der ATP-abhängigen K+-Kanäle, die zu einer Hyperpolarisation und hierüber zu einem verminderten Ca2+-Einstrom bei hypoxischer Zellschädigung führt, unterbunden. Die genaue Bedeutung des Mechanismus ist jedoch noch nicht genau geklärt.

→ B) Sulfonylharnstoffversagen: Es entwickelt sich im Behandlungsverlauf eine Diabetes-Progression nach anfänglicher erfolgreicher Therapie aufgrund einer Erschöpfung der B-Zellen des Pankreas mit konsekutiver Verminderung der Insulinausschüttung.

→ C) Eine Kombinationstherapie mit Alpha-Glucosidase-Hemmern und Glitazonen ist möglich.