Definition: Bei der Enzephalitis handel es sich um eine entzündliche Erkrankung des Hirnparenchyms. Häufigste Ursache sind virale Infektionen.

 

Epidemiologie:

→ I: Weltweit gesehen ist die Japanische-B-Enzephalitis mit einer Inzidenz von 1000000 Fällen pro Jahr die häufigste Enzephalitis.

II: In Deutschland tritt die Herpes-simplex-Enzephalitis mit einer Inzidenz von 5/100000 Einwohnern mehrheitlich auf.

 

Ätiologie: Im Vordergrund der Entstehung der Enzephalitis stehen Virusinfektionen:

→ I: Direkt-viral: Insbesondere Herpes-simplex I (und II), Cytomegalie, Echo-Viren, Retro-Viren, Adenoviren sowie Cocksackie A bzw. B und FSME, etc.

II: Parainfektiös: Immunologische Reaktion bei allgemeinen (systemischen) Viruserkrankungen wie Masern, Mumps, Röteln, Varizella-Zoster, Epstein-Barr-, Influenza A und B und nicht zuletzt bei HIV.

III: Postvakzinal: (das Risiko liegt zwischen 1/300000 – 1/2000000) nach Impfungen gegen Tollwut, Masern, Keuchhusten, FSME, etc.

→ IV: Paraneoplastisch: Mit verschiedenen Enzephalitiden vergesellschaftete onkoneuronale Antikörper. Hierzu zählen u.a.:

→ 1) Limbische Enzephalitis: Insbesondere bei Bronchial-, Hodenkarzinom und Thymom.

→ 2) Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis z.B. bei ovariellen Teratomen.

→ V: Weitere Ursachen:

→ 1) Im Rahmen einer Neuroborreliose (Lyme-Borreliose),

2) Rhombenzephalitis bei Listeriose,

→ 3) Als Komplikation einer Meningitis (z.B. bakterielle Meningitis, tuberkulösen Meningitis, etc.) und nicht zuletzt

4) Unbekannter Ätiologie: Im Zusammenhang mit verschiedenen Erkrankungen wie die Whipple-Krankheit, Morbus Behcet bzw. Neuro-BehcetSarkoidose, Multiple Sklerose, etc.

 

Pathogenese: Viele Viren weisen aus noch nicht bekannten Gründen eine Bevorzugung bestimmter Areale im ZNS auf. So befällt z.B. der Poliovirus insbesondere die grauen Vorderhornzellen des Rückenmarks und das Herpes-simplex-Virus 1 die Temporallappen der Hemispähren. Die Viren können in den Neuronen oder Ganglien des ZNS in einem Latenzstadium verharren und sich anschließend reaktivieren, replizieren und ausbreiten.

046 Schematische Darstellung der Lokalisation intrakranieller Infektionen

 

 → Pathologie: Charakteristische histopathologische Befunde bei der Enzephalitis sind v.a.:

→ I: Perivenöse Entmarkungsherde.

→ II: Infiltration mit mononukleären Entzündungszellen und anschließendem Ersatz durch Gliazellen.

→ III: Charakteristikum bei der Herpesenzephalitis sind hämorrhagische Nekrosen im Bereich des Temporallappens.

 

Klassifikation: Die Enzephalitis kann nach ihrem klinischen Verlauf und nach der Lokalisation unterteilt werden:

→ I: Krankheitsverlauf:

→ 1) Akuter entzündlicher Krankheitsverlauf wie z.B. bei der Herpesenzephalitis.

→ 2) Subakuter (chronischer) Verlauf: Mit primär asymptomatischem Befall des ZNS und Persistenz der Erreger, die sich erst zum einem späteren Zeitpunkt manifestieren (z.B. bei der subakut sklerosierenden Panenzephalitis nach Maserninfektion)

3) Para-/postinfektiösen Enzephalitiden: Hierbei stehen immunologisch bedingte Prozesse, die als Reaktion auf eine abgelaufene Virusinfektion entstanden sind, im Vordergrund. Histopathologisches Korrelat dieser Form sind perivaskuläre inflammatorische Reaktionen sowie Demyelination.

→ II: Lokalisation:

→ 1) Virale Enzephalitiden sind fast ausschließlich in der grauen Substanz lokallisert (= Polioenzephalitis).

→ 2) Bei der parainfektiösen Enzephalitis wiederum ist zumeist die weiße Substanz betroffen.

 

Klinik: Zumeist beginnt die Enzephalitis akut aus voller Gesundheit und weist eine rasche Progredienz auf.

→ I: Allgemeinsymptome mit Fieber, Abgeschlagenheit, evtl. Bewusstseinsstörungen (zunehmende Eintrübung bis hin zum Koma), Desorientiertheit oder meningitischen Reizsyndromen.

→ II: Neurologische Symptome: (je nach Lokalisation).

→ 1) Epileptische Anfälle bis hin zum Status epilepticus bei Hirnmantelbefall,

→ 2) Hirnnervenausfälle.

→ 3) Hirnstammbefall: Insbesondere Myoklonien und Strecksynergismen und bei Affektion des Atemzentrum kann sich eine Cheyne-Stokes-Atmung (= zeichnet sich durch eine regelmäßig wechselnde Atemtiefe und Änderung des Atemzugabstands aus) manifestieren.

→ 4) Weitere Symptome: Sind u.a. Dysphasie, Ataxie, Nystagmus, Paresen und nicht zuletzt Babinski-Zeichen.

→ III: Psychiatrische Störungen mit Verhaltensauffälligkeiten bis hin zu organischen Psychosen.

 

Klinisch-relevant: Nach Abklingen der Akutsymptomatik kann ein nicht progredienter (Residual-) Defekt mit z.B. fokalen Epilepsien, fokalen motorischen Ausfällen, Aufmerksamkeits- und Lernstörungen das klinische Bild bestimmen.

 

Diagnose:

→ I: Anamnese/klinische Untersuchung: Mit Exploration vorangegangener Viruserkrankungen und Reiseanamnese (asiatischer Raum) sowie neurologischer Untersuchung.

→ II: Labor:

1) Liquor: Bei der Virus-Enzephalitis ist der Liquor klar; anfänglich kann eine leichte granulozytäre Pleozytose (< 350 Zellen) bestehen, im weiteren Krankheitsverlauf überwiegen dann Lymphozyten und Plasmazellen. Zudem zeigt sich zumeist eine Erhöhung des Interleukin-6, Liquorproteins und Laktats. Die Diagnosesicherung erfolgt über den direkten Virusnachweis (im Liquor) mittels PCR (= Polymerase-Kettenreaktion).

→ 2) Blut: Serologie auf Virus-Antikörper mittels ELISA; im akuten Stadium sind vor allem IgM-AK nachweisbar.

→ III: Bildgebung mit CT und MRT:

047 Bildgebende Befunde bei der Enzephalitis

IV: EEG: Das EEG zeigt eine frühzeitig eine diffuse Funktionsstörung sowie epileptische Potenziale.

 

Differenzialdiagnose: Von der Enzephalitis müssen insbesondere nachfolgende Erkrankungen abgegrenzt werden:

→ I: Infektionen: Wie die Meningitis (z.B. bakterielle Meningitis, Molaret-Meningitis, etc.), Meningoenzephalitis, Herdenzephalitis und nicht zuletzt der Hirnabszess.

→ II: Neurovaskuläre Störungen: Zerebrovaskuläre Insuffizienz, Apoplexie, zerebrale Vaskulitis, Sinusvenenthrombose, etc.

→ III: Weitere Erkrankungen: Hierzu gehören u.a.:

→ 1) Primäre Hirntumoren,

→ 2) Malignes neuroleptisches Syndrom, eine schwerwiegende Nebenwirkung bei der Neuroleptika-Medikation.

→ 3) Intoxikationen sowie das

→ 4) Alkoholentzugssyndrom mit Fieber, Delir und ggf. epileptischen Anfällen.

 

Therapie: Die Therapie der Enzephalitis erfolgt vor allem in Abhängigkeit vom Erreger und dem Schweregrad der Erkrankung. Insbesondere bei der viralen Form ist eine frühzeitige intensivmedizinische Überwachung mit Kontrolle von Puls, Blutdruck, Tempperatur, Flüssigkeitsbilanzierung sowie evtl. Intubation (kontrollierte Beatmung) und Hirnödemtherapie

indiziert.

→ I: Allgemeinmaßnahmen: Sie umfassen u.a. Bettruhe, eine analgetische sowie antipyretische Behandlung sowie mögliche Therapie mit Glukokortikoiden und ggf. Antikonvulsiva.

→ II: Medikamentöse Therapie:

→ 1) Bei der Herpesenzephalitis wird Aciclovir in einer Dosierung von 10-30mg/kgKG/d in 3 Einzeldosen appliziert.

→ 2) Besteht eine paraneoplatische Enzephalitis steht die Tumortherapie im Vordergrund, evtl. wird hochdosiert ein Glukokortikoid oder Immunglobuline (i.v.) verabreicht.

→ 3) Bei autoimmunologischen Porzessen haben Immunsuppressiva höchste Priorität.

III: Rehabilitation: Sie umfasst die Physiotherapie, Logopädie, neuropsychologisches Training, etc.

 

Prognose:

→ I: Die Enzephalitis stellt eine sehr ernste Erkrankung dar und endet unbehandelt in 70% der Fälle letal (behandelt liegt die Mortalität bei ca. 20%).

→ II: Nicht selten persistieren z.T. gravierende Residual-Defekte mit z.B.:

→ 1) Störungen des Antriebs und Affekts.

→ 2) Störungen der Kognition.

→ 3) epileptischen Anfällen und nicht zuletzt Paresen.

III: Prognostisch ungünstige Faktoren sind insbesondere hohes Lebensalter und frühzeitig auftretendes Koma.

 

Prophylaxe: Wichtige Prävention ist die Impfung:

I: In Deutschland gemäß STIKO bei allen Kleinkindern gegen Poliomyelitis, Mumps, Masern, Röteln und Windpocken.

→ II: Bei Reisenden vor allem in Regionen Südostasiens gegen die Japanische-B-Enzephalitis und gegen FSME bei Personen mit beruflicher Exposition und Reisenden in Endemiegebiete.