→ Definition: Die Herdenzephalitis ist definiert als eine im Rahmen einer bakteriell-septischen Erkrankung durch hämatogene Absiedlung bzw. Embolisation entstehende (zumeist multifokale) Entzündung des Hirnparenchyms.
→ Ätiopathogenese: Eine septische Erregerstreuung mit ZNS Beteiligung tritt bei verschiedenen bakteriellen Prozessen auf. Häufigste Ursache ist die Endokarditis mit 20-40% der Fälle.
→ I: Bei der Herdenzephalitis differenziert man je nach Primärherd und klinischer Symptomatik zwischen 2 Varianten:
→ 1) Septisch-embolische Form: (= SEH) Stellt die häufigere Form der Herdenzephalitis dar. Erreger gelangen durch Embolisation von infektiös-thrombotischen Materials in die Hirngefäße. Die klinische Symptomatik wird primär durch akut ischämische Ereignisse im Versorgungsgebiet der einzelnen Arterien mit charakteristischen Hemisyndromen bestimmt.
→ 2) Septisch-metastatische Form: Ursache des Hirnparenchymbefalls ist eine Sepsis mit konsekutiver Absiedlung eingeschwemmter Bakterien (Thromboembolien spielen hierbei keine Rolle). Initial zeigt sich klinisch zumeist eine Bewusstseinseintrübung und/oder hirnorganische Psychosyndrome.
→ II: Häufige Erreger sind insbesondere Staphylococcus aureus, ß-hämolysierende Streprokokken z.B. S. pyogenes oder S. viridans, selten aber auch gram-negative Bakterien wie E. coli, Proteus, Serratia spp. etc.
→ III: Risikofaktoren: Häufigste Voraussetzung ist die bakterielle Endokarditis, weitere sind u.a.
→ 1) Zentraler Venenkatheter,
→ 2) Mykotisches Aneurysma,
→ 3) I.v.-Drogenabhängigkeit, sowie
→ 4) Triggernde Faktoren wie Immunschwäche oder chronisch pulmonale Infekte, etc.
→ Klinik: Klinisch manifestieren sich neben schweren Allgemeinsymptomen mit Abgeschlagenheit, Inappetenz, Fieber und Schüttelfrost, Kopfschmerzen sowie Vigilanzstörungen, etc.
→ I: Neurologische Symptome: Mit Bewusstseinsstörungen, psychotischen Symptomen, flüchtigen oder permanenten Herdsyndromen sowie fokalen oder generalisierten Krampfanfällen.
→ II: Septisch-Embolische Form:
→ 1) Haut: Aufgrund von Hautembolien können sich Petechien, Splitterblutungen unter den Nägeln (= Splinter-Hämorrhagien), Osler-Knötchen (= schmerzhafte, purpurrote leicht-erhabene Effloreszenzen an Fingerkuppen und Zehen) und nicht zuletzt Janeway-Läsionen (= makuläre, hämorrhagisch-ekchymotische oder nekrotische, schmerzlose, persistierende Läsionen) manifestieren.
→ 2) Weitere Symptome sind u.a. mögliche Herzgeräusche und Splenomegalie.
→ III: Septisch-metastatische Form: Hierbei manifestiert sich nicht selten eine spinale – oder periphere Beteiligung z.B. in Form einer Mononeuritis multiplex.
→ Klinisch-relevant: Sowohl bei Schlaganfall-Patienten mit deutlichen Entzündungszeichen als auch bei septischen Patienten mit neurologischen Symptomen ist immer der Ausschluss einer septischen Herdenzephalitis geboten.
→ Komplikationen: Wichtige und z.T. schwerwiegende Komplikationen bei der Herdenzephalitis sind u.a.:
→ I: Entzündliche Gefäßnekrosen mit der Gefahr der intrazerebralen Blutungen.
→ II: Erregeraussaat in den Liquor mit konsekutiver Entwicklung einer Meningitis (in 6% der Fälle).
→ III: Seltener Hirnabszess-Bildung.
→ IV: Retinablutungen aus septischen Embolien (in bis zu 35% der Fälle).
→ Diagnose:
→ I: Anamnese/Klinische Untersuchung:
→ 1) Eruierung von Vorerkrankungen sowie Abhängigkeitserkrankungen, etc.
→ 2) Ein initial unklares später zunehmendes paranoid-psychotisches Krankheitsbild, das zusätzlich von Herdsymptomen begleitet ist, sollte immer an eine Herdenzephalitis denken lassen.
→ 3) Möglicher auskultatorischer Nachweis von Herzgeräuschen, etc.
→ II: Labor:
→ 1) Allgemeine Erhöhung der Entzündungsparameter mit BSG-Beschleunigung, Erhöhung von CRP und Procalcitonin, Leukozytose mit Linksverschiebung sowie evtl. Mikrohämaturie (durch septische Embolien im Bereich des Nierenparenchyms).
→ 2) Blutkulturen: Zum Nachweis des Erregers wiederholt in stündlichen Intervallen.
→ 3) Liquor: Initial zeigt sich eine leichte zunächst lymphozytäre, später granulozytäre Pleozytose. Des Weiteren sind Laktatanstieg, Glukoseminderung, Schrankenstörungen eruierbar.
→ III: Bildgebung: (cCT/MRT; sie können in den ersten 24 Stunden falsch-negativ sein):
→ 1) Septisch-embolische Form: Multiple runde bis keilförmige Hypodensitäten im Bereich der Kortex und in den Marklagern zumeist mit Einblutungen in die Infarktareale.
→ 2) Septisch-metastatische Form: Weist primär zumeist nur eine lokalisierte oder diffuse Hirnschwellung auf; im weiteren Krankheitsverlauf entwickeln sich häufig multiple Hirnabszesse.
→ IV: Weitere Untersuchungen: Sind u.a.:
→ 1) EKG: Mit möglichem Nachweis einer Sinustachykardie oder weiterer Herzrhythmusstörungen.
→ 2) Echokardiographie: (transthorakal oder transösophageal) Mit evtl. Nachweis einer bakteriellen Endokarditis durch Darstellung möglicher Klappenauflagerungen und/oder nekrotischen Klappendefekten.
→ Differenzialdiagnose: Von der Herdenzephalitis müssen insbesondere nachfolgende Erkrankungen abgegrenzt werden:
→ I: Multiple Embolien aufgrund einer Fett- oder Luftembolie oder im Rahmen einer disseminierten intravasalen Koagulopathie.
→ II: Multiple entzündliche Herde infolge einer Herpes-Enzephalitis, generalisierten Vaskulitis bzw. Neuro-Behcet, etc.
→ III: Multiple Blutungen z.B. als Folge einer Sinusvenenthrombose.
→ Therapie: Nicht selten ist eine intensivmedizinische Überwachung mit permanenter Kontrolle der Vitalparameter indiziert.
→ I: Allgemeinmaßnahmen: Wie z.B.:
→ 1) Symptomatische Fiebersenkung mittels Wadenwickel oder ASS.
→ 2) Thromboembolie-Prophylaxe sowie Anfallsprophylaxe.
→ 3) Bei klinisch-relevanter Hirndruckerhöhung ist eine 30° Oberkörperhochlagerung ggf. ergänzt durch eine Osmotherapie indiziert.
→ II: Medikamentöse Therapie: Als Standardtherapie wird mit einer antibiotischen Dreifachkombinationstherapie aus einem Penicillin, Aminoglykosid und einem staphylokokken-wirksamen Pharmakon empfohlen. Nach positiven Blutkulturen sowie der Resistenzbestimmung wird die Behandlung auf die tatsächlich vorhandenen Erfordernisse angepasst. Besteht der Verdacht einer Pseudonomas-aeroginosa-Infektion aufgrund z.B. vorausgegangener Hospitalperioden wird initial Meropenem (3x 2g/d) oder Ceftaxidim (3x 2g/d) verabreicht.
→ III: Interdisziplinär sollte eine Operation der kardialen Emboliequelle (Herzklappen), die die Prognose z.T. entscheidend verbessern kann, erwogen werden.
→ Prognose:
→ I: Ohne Behandlung verläuft die septische Enzephalitis durch progrediente Hirndrucksteigerung fast ausschließlich letal.
→ II: Eine frühzeitige und adäquate antibiotische Therapie verbessert die Prognose deutlich, jedoch liegt die Mortalität trotzdem noch bei 50% der Fälle.
→ III: Auch bei Ausheilung der Erkrankungen bleiben häufig Residuen wie z.B. das postenzephalitische Anfallsleiden bestehen.