→ Definition:
→ I: Osteomalazie: Hierbei handelt es sich um eine generalisierte (systemische) Knochenstoffwechselstörung des primär gesunden Knochens mit unzureichender Mineralisation des neugebildeten Osteoids (= weiche noch nicht mineralisierte, von den Osteoblasten gebildete Grundsubstanz bzw. Matrix) von Kompakta und Spongiosa infolge eines verminderten Kalzium- und Phosphatangebotes unterschiedlicher Genese. Hierdurch wird der Knochen weich und verbiegbar.
→ II: Rachitis: Bei der Rachitis des Kindes besteht eine gestörte Mineralisation des Skeletts und Desorganisation der metaphysären Wachstumsfuge beim primär geschädigten Knochen (= Störung der normalen Knochenentwicklung).
→ Klinisch-relevant:
→ A) Wird die Knochenstoffwechselstörung zwischen dem 3. Lebensmonat und 3. Lebensjahr diagnostiziert, spricht man von Rachitis,
→ B) Eine Manifestation zwischen dem 3. Lebensjahr und der Pubertät wird "Spätrachitis" genannt.
→ Epidemiologie: Das Vollbild der Osteomalazie ist heute in Deutschland nur noch selten anzutreffen. Besonders betroffen sind:
→ I: Ältere Patienten mit fehlender Sonnenexposition,
→ II: Ein Osteomalazie-ähnliches Krankheitsbild wird z.B. durch die Einnahme des Antiepileptikums, Hydantoin, erreicht, da es mit dem Vitamin-D-Stoffwechsel interferiert.
→ Physiologie:
→ I: Die Vitamin-D-Synthese beginnt in der Haut durch Bildung von Cholecalciferol aus 7-Dehydrocholesterol.
→ II: Anschließend wird es in der Leber zu 25-Hydroxycholecalciferol (= Cholecacifediol) und schließlich in der Niere in 1-25-Dihydroxycholecalciferol (= aktives Vitamin-D-Hormon). hydroxyliert.
→ III: Parathormon oder eine Hypokalzämie fördern die Bildung des aktiven Vitamin-D-Hormons mit konsekutiv vermehrter enteraler Kalziumresorption und gesteigerter Osteogenese.
→ Ätiologie: Der Osteomalazie liegen v.a. Störungen des Vitamin-D-Stoffwechsels oder Phosphatstoffwechsels zugrunde (eine seltenere Ursache ist z.B. die Bisphosphonat-Behandlung).
→ I: Vitamin-D-Mangel:
→ 1) Zu geringe exogene Vitamin-D-Zufuhr (Mangelernährung etc.).
→ 2) Unzureichende Sonnenexposition,
→ 3) Gastrointestinale Störungen: Wie Malassimilationssyndrom infolge z.B. einer Zöliakie, eines Morbus Whipple oder Morbus Crohn, aber auch Zustand nach Gastrektomie, Billroth-II-Operation, Dünndarmresektion, etc.
→ 4) Erhöhter Vit-D-Metabolismus: Bei der Einnahme von Antiepileptika (Hydantoin), Rifampizin und Glutethimid.
→ II: Störungen des Vit-D-Stoffwechsels:
→ 1) Leber: Verminderte 25-Hydroxylierung in der Leber bei Leberparenchym-Erkrankungen wie Leberzirrhose, primär-biliärer-Zirrhose oder chronisch-aktiver Hepatitis. Folge ist eine verminderte Bildung von 25-Hydroxycholecalciferol.
→ 2) Niere: Zumeist infolge chronischer Niereninsuffizienz, selten aufgrund einer Vitamin-D-resistente Rachitis. Es werden 2 Typen unterschieden:
→ A) VDDR-Typ 1: Es besteht eine Mutation der 1-Alpha-Hydroxylase.
→ B) VDDR-Typ 2: Mit einer genetisch bedingten Störung des intrazellulären Vitamin-D-Rezeptors.
Weitere renale Ursachen sind u.a. chronische Pyelonephritis, interstitielle Nephritis, Glomerulonephritis, polyzystische Nieren, etc.
→ III: Vitamin-D-unabhängige Osteomalazie: Bei renal-tubulären Nierenfunktionsstörungen wie u.a.:
→ 1) Bei gesteigertem renalem Phosphatverlust im Bereich des proximaler Tubulus, infolge eines Phosphatdiabetes (hereditär X-chromosomal vererbt), idiopathisch bei Erwachsenen, onkogen bedingt bei mesenchymalen Tumoren, die den Fibroblasten-Growth-Faktor 23 sezernieren, der wiederum die Wideraufnahme des Phosphat über den Phosphattransporter in der Niere hemmt.
→ 2) Phosphaturische-glukosurische-aminoazidurische Form des De-Toni-Debre-Fanconi-Syndroms.
→ 3) Renal-tubuläre Azidose.
→ 4) Hypophosphatasie: Hierbei handelt es sich um eine autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung, bei der die Synthese der alkalischen Phosphatase in den Osteoblasten deutlich vermindert ist.
→ Klinik: Charakteristische klinische Beschwerden sind u.a.:
→ I: Osteomalazie:
→ 1) Diffuse generalisierte Knochenschmerzen, vor allem auch im Becken- und Hüftbereich, aber auch Schmerzen im Adduktorenbereich sowie Fersenschmerzen.
→ 2) Knochendeformierungen mit u.a. Entwicklung einer Coxa vara (Femurknochen), eines Genu varum (Tibia) sowie einer Wirbelsäulenkyphose.
→ 3) Nicht selten manifestieren sich Ermüdungsfrakturen. Diese findet man insbesondere im Bereich des Os ischii und Os pubis mit den für die Patienten mit Osteomalazie charakteristischen Leistenschmerzen.
→ 4) Häufig bildet sich eine Schwäche im Bereich der proximalen Muskelgruppen aus z.B. Myopathie der Glutealmuskulatur (aufgrund einer intrazellulären Phosphatverarmung) mit konsekutivem Watschelgang.
→ 5) Infolge der Hypokalzämie können sich evtl. tetanische Zustände entwickeln.
→ II: Rachitis:
→ 1) Fehlender Fontanellenschluss mit Abflachung des Hinterkopfes (Kraniotabes),
→ 2) Aufreibungen im Bereich der Übergangszone zwischen Rippenknorpel und -knochen (rachitischer Rosenkranz).
→ 3) Deformierungen des gesamten Thorax (= Glockenthorax) und evtl. auch des Beckens.
→ 4) Gestörte Zahnbildung.
→ Diagnose:
→ I: Anamnese (Grunderkrankung) und klinische Untersuchung geben erste Hinweise.
→ II: Labor:
→ 1) Vit-D-abhängiger Osteomalazie:
→ A) Hypokalzämie, Hypophosphatämie (z.T. infolge eines sekundären Hypoparathyreoidismus), Erhöhung der alkalischen Phosphatase und des Parathormons.
→ B) Beim Malassimilations-Syndrom (Malabsorption) besteht ein Mangel an 25-OH-D3,
→ C) Bei der Niereninsuffizienz manifestiert sich ein 1-25-(OH)2-D3 Mangel sowie eine Hyperphosphatämie.
→ 2) Vitamin-D-unabhängige-Osteomalazie: Im Zusammenhang mit einer renalen Tubulopathie ( z.B. Fanconi-Syndrom, renal-tubuläre Azidose) lassen sich folgende laborchemische Veränderungen nachweisen: Kalzium im Normbereich (2,1-2,5mmol/l bzw. ionisiertes Ca2+ 1,15-1,3mmol/l), Hypophosphatämie bei erhöhter alkalischer Phosphatase und normalem Parathormon.
→ III: Röntgen:
→ 1) Typisch bei der Osteomalazie ist eine generalisierte Transparenzerhöhung des Knochens mit verwaschenen, unscharf begrenzten Spongiosastrukturen (= Mattglasphänomen),
→ 2) Im fortgeschrittenen Stadium erscheint die Compacta unscharf begrenzt und ausgedünnt.
→ 3) Charakteristikum sind die „ Looser-Umbauzonen“ (Pseudofrakturen; DD: sind auch bei der Osteoporose nachweibar). Diese stellen sich initial als schlecht abgrenzbare orthogonal zur Längsachse des Knochens verlaufende Aufhellungslinien in der Kortikalis (= belastungsinduzierte kortikale Frakturen) dar. Prädilektionsstellen sind insbesondere Femurhals, Femurschaft, Rippen, Scham- und Sitzbein, sowie die langen Röhrenknochen.
→ Klinisch-relevant: Treten diese Pseudofrakturen (= spaltförmige Aufhellung = Kontinuitätsunterbrechungen) beidseits an einem Knochen auf spricht man vom Milkman-Syndrom.
→ 4) Weitere radiologische Auffälligkeiten sind Skelettveränderungen wie Kyphoskoliose, bikonkave Fischwirbel und nicht zuletzt deutliche Verbiegungen der proximalen Extremitätenknochen.
→ 5) Rachitis: Hierbei zeigt sich radiologisch:
→ A) Axiale Verbreiterung der Epiphyse (= Becherung).
→ B) Pinselartige unregelmäßige Aufhellungslinien am Übergang von Metaphyse zu Diaphyse.
→ C) Knochendeformierungen wie Glockenthorax, kartenherzartiges Becken und rachitischer Rosenkranz.
→ IV: Nur selten ist eine Knochenbiopsie (Beckenkamm) zur Diagnosestellung indiziert.
→ Therapie:
→ I: Bei der Vitamin-D-abhängigen Osteomalazie ist eine Vitamin-D3-Substitution mit einer Dosierung von 10000IE/d per os über 3 Wochen indiziert. Im weiteren Behandlungsverlauf wird die Dosis auf 1000IE/d reduziert.
→ II: Bei Leberfunktionsstörungen oder einer LZ-Therapie mit Antiepileptika kann 25-OH-Cholecalciferol, bei Niereninsuffizienz 1-25-(OH)2-Cholecaciferol verabreicht werden.
→ III: Beim Malassimilationssyndrom muss eine parenterale Applikation der fettlöslichen Vitamine (EDKA) erfolgen. Die Dosis richtet sich nach der Kalziumkonzentration.
→ IV: Im Kindesalter sollte präventiv eine Vitamin-D-Prophylaxe eingeleitet werden.
→ V: Evtl. ist die Behandlung der renalen Osteopathie indiziert.
→ Klinisch-relevant: Der Therapieerfolg wird durch die Abnahme der alkalischen Phosphatase (nach Wochen bis Monaten) laborchemisch gesichert.