Definition: Bei der glutensensitiven Enteropathie handelt es sich um eine Autoimmunenteropathie gegenüber Gliadin (= Getreideprotein, eine Fraktion des Weizenkleberproteins Gluten) mit Schädigung der Dünndarmmukosa, Zottenatrophie, Kryptenhyperlasie und konsekutivem Malabsorptionssyndrom. Wird bei Erwachsenen auch als einheimische Sprue, bei Kindern als Zöliakie bezeichnet.

 

Epidemiologie: Die Prävalenz liegt in Europa bei 1:190. Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer (F : M = 2-3 : 1), wobei der Manifestationsgipfel zum einem im Kindesalter (nach Abstillen und Zufuhr von Gluten im 1. oder 2. Lebensjahr) und zwischen dem 20.-40 Lebensjahr. liegt. Gehäuftes Auftreten der Zöliakie findet man bei:

I: Genetischer Disposition: Es zeigt sich eine familiäre Disposition, sodass Verwandte 1. Gradesin 5-15%, eineiige Zwillinge sogar in mehr als 70% betroffen sind. Die Zöliakie ist fast zu 100% mit HLA-DQ2 und DQ8 (= HLA-Klasse-II-Gene) vergesellschaftet. HLA-Klasse-II-Gene spielen eine wesentliche Rolle in der Antigenpräsentation für T-Zellen (CD4+-T-Zellen) und sind hierüber Teil des Pathomechanismus der Zöliakie.

II: Erkrankungen: Wie das Turner-Syndrom, Down-Syndrom, aber auch bei IgA-Mangel, Diabetes-I und Autoimmunerkrankungen wie die Autoimmunthyreoditis (Morbus Basedow, Hashimoto Thyreoiditis) und Autoimmunhepatitis.

 

Pathogenese: Bildung von antiendomysialen Antikörpern gegen die Gewebetransglutaminase.

870 Schematische Darstellung der Zöliakie

 

Klinik:In ca 50% der Fälle verläuft die Zöliakie oligosymptomatisch bzw. atypisch; insgesamt ist jedoch die klinische Symptomatik sehr variabel.

I: Klassische Sprue: Übelkeit, Erbrechen Inappetenz, Diarrhoe, voluminöse Steatorrhö, Flatulenz, Gewichtsverlust, Anorexie und Malabsorption. Nicht selten besteht eine gleichzeitige Laktoseintoleranz.

II: Atypische und extraintestinale Symptome:

1) Dermatitis herpetiformis Duhring: Symmetrisch auftretende, herpetiforme Bläschen im Bereich von Ellenbogen und Knien, Streckseiten der Extremitäten, Gesicht und Hals, die einen ausgeprägten Pruritus hervorrufen. Mikroskopisch zeigen sich IgA-Ablagerungen am dermoepidermalen Übergang. Die Dermatitis herpetiformis weist eine nahezu 100%ige Konkordanz mit dem Vorliegen von Zöliakie-assoziierten Antikörpern auf.

→ 2) Weitere dermatologische Symptome sind u.a. atrophische Zunge, Zungenbrennen, aber auch Mundwinkelrhagaden und Stomatitis aphtosa.

3) Eisenmangelanämie, Vitaminmangel (E, D, K, A), Dehydratation, Elektrolytverschiebungen mit Hypokaliämie, Hypokalzämie, gegebenenfalls auch Eiweißmangelödeme.

4) Neurologisch: Mit Muskelschwäche, Adynamie, Parästhesien bis hin zur Tetanie (insbesondere durch den Kalziummangel).

5) Osteomalazie, Osteoporose, Spontanfrakturen.

→ 6) Weitere Symptome: Sind u.a. Arthralgien, Arthritis, Perikarditis sowie Kardiomyopathien

927 Verlaufsformen der Zöliakie

 

Klinisch-relevant: Die glutensensitive Enteropathie ist vermehrt mit der Autoimmunthyreoditis (z.B. Morbus Basedow, Hashimoto-Thyreoiditis), Typ-I-Diabetes, Typ-A-Gastritis, Sjögren-Syndrom und dem Morbus Addison, etc. assoziiert.

 

Komplikationen:

→ I: Sekundärer Laktasemangel mit Ausbildung einer Laktoseintoleranz (positiver H2-Ausatemtest nach Laktosegabe).

II: Bei der Zölikie besteht ein allgemein erhöhtes Risiko für gastrointestinale Karzinome (Ösophagus-Ca, Gallenwegs-Ca, Kolon-Ca, etc.) sowie das Enteropathie-assoziierte T-Zell-Lymphom im Bereich des Dünndarms. Die Ursachen hierfür sind bis heute nicht genau bekannt.

 

Diagnose:

→ I: Anamnese/klinische Untersuchung:

→ 1) Eruierung der charakteristischen Symptome wie wässrige Diarrhoe, Steatorrhoe, Gewichtsverlust, etc. sowie die Familienanamnese.

→ 2) Bei der körperlichen Untersuchung lassen u.a. eine gesteigerte Peristaltik, Flatulenz, Folgen der Mangelerscheinung, Hautaffektionen, aber evtl. auch neurologische Auffälligkeiten nachweisen.

→ II: Labor:

→ 1) BSG beschleunigt,

2) Meist besteht eine Eisenmangelanämie, seltener eine Vitamin-B12-Anämie. Des Weiteren können Zeichen einer Malabsorption mit Hypokaliämie, Hypokalzämie, Hypalbuminämie und Vitaminmangel (insbesondere E, D, A, K) auftreten.

→ 3) Bei Osteomalazie ist die alkalische Phosphatase erhöht.

→ 4) Beim Malabsorptionssyndrom sind der Quick, das Gesamt-Eiweiß und das Albumin erniedrigt.

→ III: Antikörper-Serologie: Positive Sprue-Antikörper-Testung im Serum: 

→ 1) Anti-Gliadin-Antikörper (IgA und IgG);

→ 2) Anti-Endomysium-Antikörper (IgA; ist weniger zuverlässig)

→ 3) IgA-anti-Transglutaminase-Antikörper (ist der sensitivste Parameter).

 

  Klinisch-relevant: In jedoch 5% der Fälle ist die glutensensitive Enteropathie mit einem IgA-Mangel assoziiert, sodass die spezifische IgA-Antikörper-Testung (falsch) negativ ausfällt. Hier müssen dann die IgG-anti-Transglutaminase-AK bestimmt werden. 

 

  IV: Dünndarmendoskopie mit Biopsie: Nachweis einer Kryptenhyperplasie und Leukozyteninfiltration in der Dünndarmmukosa; Der Verlust der Kerkring-Falten sowie der Zottenstruktur sind charakteristische Zeichen einer glutensensitiven Enteropathie. Die einheimische Sprue wird nach histologischen Aspekten der Dünndarmschleimhaut klassifiziert: 

869 MARSH Klassifikation des Schleimhautreliefs bei glutensensitiver Enteropathie

V: Weitere Testverfahren:

→ 1) D-Xylolose-Test: Nach oraler Gabe von 25g D-Xylolose Bestimmung der Xylolose-Konzentration im 5h-Urin. Werden weniger als 4g Xylolose im Urin ausgeschieden, spricht dies für eine Malabsorption.

2) Laktose-H2-Atemtest: Orale Gabe von 50g Laktose. Kommt es innerhalb von 120 Minuten nach Laktosegabe zu einem H2-Anstieg in der Atemluft besteht ein Laktasemangel. Hierbei gelangt der Zucker aufgrund einer Malabsorption des Dünndarms in das Kolon und führt (die Darmbakterien verstoffwechseln die verschiedenen Zucker unter anderem zu Wasserstoff. Dieses gelangt über die Darmkapillaren zur Lunge) zu einer vermehrten H2-Produktion mit vermehrter H2-Ausatem-Konzentration.

3) Alpha1-Antitrypsin-Clearance:  Bestimmung des intestinalen Alpha1-Antitrypsin im Stuhl. Da es aufgrund seiner antiproteolytischen Aktivität nicht abgebaut wird, kann es den intestinalen Eiweißverlust wiederspiegeln. Die Formel hierfür (= Antitrypsin-Clearance lautet (hierfür ist eine 72-Stunden-Stuhlsammlung nötig):

928 Berechnung der Antitrypsin Clearance

Indikationen sind insbesondere das enterales Eiweißverlust-Syndrom, die Zöliakie oder der Morbus Whipple.

 

→ Differenzialdiagnose: Von der Zöliakie müssen insbesondere Erkrankungen abgegrenzt werden, die mit abdominellen Beschwerden wie Diarrhö, Malabsorption und Gewichtsverlust einhergehen; hierzu zählen u.a.:

→ I: Chronisch entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn, Colitis ulcerosa und die mikroskopische Kolitis.

→ II: Diarrhödominierendes Reizdarmsyndrom, aber auch die Strahlenenteritis.

→ III: Pankreasinsuffizienz,

→ IV: Allgemein Immunmangelzustände, sowie Hypogamma- und Agammaglobulinämie.

 

  Therapie:

→ I: Mittel der Wahl ist die lebenslange glutenfreie Diät mit Vermeidung von Weizen, Gerste, Roggen, Dinkel, welche z.T auch in Wurstprodukten und Soßen enthalten sind. Besteht ein sekundärer Laktasemangel sollten zusätzlich Milchprodukte vermieden werden.

II: Beim Malabsorptions-Syndrom ist eine regelmäßige Substitution der fettlöslichen Vitamine sowie der fehlenden Mineralstoffe indiziert.

III: Bei schweren Fällen der Sprue kann eventuell Prednisolon bzw Azathioprin verabreicht werden.

 

Prognose: Bei glutenfreier Diät entwickelt sich eine Beschwerdefreiheit. Hierdurch vermindert sich auch das Lymphomrisiko.