Definition: Der sekundäre Hyperparathyreoidismus ist definiert als reaktive Steigerung der Parathormon-Sekretion, verursacht durch eine chronische Stimulation der Nebenschilddrüse bei anhaltender Hypokazämie und geht mit charakteristischen Knochenabbau- und -umbauvorgängen einher. 

646 Ursachen des sekundären Hyperparathyreoidismus

 

→ Epidemiologie: Der sekundäre Hyperparathyreoidismus wird bei etwa 90% der chronisch-dialysepflichtigen Niereninsuffizienz angetroffen, seltener bei anderen Grunderkrankungen. Hinsichtlich der Entstehungsmechanismen unterscheidet man zwischen einem:

→ I: Renalen sekundären Hyperparathyreoidismus und einem

→ II: Sekundären Hyperparathyreoidismus bei normaler Nierenfunktion (= nierenunabhängig, intestinale Form).

 

Sekundärer renaler Hyperparathyreoidismus:(= sr HPT) Der sekundäre renale Hyperparathyreoidismus stellt die häufigste sekundäre Form dar und entwickelt sich im Zuge einer Kalzium-Stoffwechselstörung bei terminaler Niereninsuffizienz. 

 

Pathogenese: Es sind insbesondere zwei Pathomechanismen für die vermehrte PTH-Produktion verantwortlich:

→ I: Die fortgeschrittene Niereninsuffizienz (GFR < 60ml/min) verursacht eine Verminderung der Phosphat-Clearance mit konsekutiver Hyperphosphatämie. Folge ist eine extraossäre Kalziumphosphat-Ausfällung mit Verlust des freien, ionisierten Kalziums.

→ II: Es folgt eine Hypokalzämie mit kompensatorischer Hyperplasie der Nebenschilddrüsen und Stimulation der Parathormonproduktion.

→ III: Des Weiteren ist bei fortgeschrittener Nierenfunktionsstörung eine verminderte Aktivität der Alpha-1-Hydroxylase mit konsekutiv Reduktion der Produktion von 1-25-Dihydroxycholekalziferol (= aktives Vitamin-D-Hormon) nachweisbar.

 

Klinisch-relevant:

→ A) Die vermehrte PTH-Hormon-Sekretion stimuliert die Osteoklasten und induziert einen vermehrten Knochenumbau mit verstärkter Resorption (Osteolyse).

→ B) Der Mangel an Cholekalzitriol im Zusammenhang mit einer Hypokalzämie fördert die Entwicklung einer Osteomalazie mit konsekutiver Fibrosierung (= Fibroosteoklasie = renale Osteopathie). Auch kann sich im Rahmen der Kalzium- und Phosphat-Stoffwechselstörung durch Einlagerung von Kalziumpyrophossphatdihydrat-Kristallen in die Gelenke eine Chondrokalzinose entwickeln.

 

Klinik:

I: Ossäre Symptome:

→ 1) Im Vordergrund stehen die Symptomatik der Grunderkrankung sowie diffuse Knochen- und Gelenkschmerzen.

→ 2) Ausbildung eines Rundrückens infolge Sinterung der Wirbelsäule.

→ 3) Skelettdeformitäten,

→ 4) Pathologische Frakturen infolge Bagatelltraumata.

→ 5) Bei Kindern kann sich ein renaler Minderwuchs durch eine Azotämie bei Niereninsuffizienz entwickeln. Ursache hierfür ist die Blockade der GH-Sekretion aufgrund eines vermehrten Anfallens harnpflichtiger Substanzen.

→ II: Extraossäre Symptome:

→ 1) Proximal betonte Muskelschwäche.

→ 2) Ausbildung von Gelenkbeschwerden durch periartikuläre Verkalkung bei Überschreitung des Löslichkeitsprodukts für Kalziumphosphat (> 6mmol/l). In der Folge kann es zu schubweisen akuten Entzündungen (in Form einer Pseudogicht) kommen.

→ 3) Gefäßveränderungen in Form einer Mediaverkalkung vom Mönckeberg-Typ; besonders häufig betroffen sind die Aortenklappe, der Anulus fibrosus cordis und die Koronargefäße.

388 Niereninsuffizienz und ihre klinischen Folgen

 

  Diagnose:

→ I: Labor:

→ 1) Hypokalzämie (insbesondere das freie ionisierte Ca2+) bei gleichzeitiger Hyperphosphatämie,

→ 2) Intaktes Parathormon erhöht.

→ 3) Die alkalische Phosphatase ist erhöht und ein guter Parameter zur Beurteilung der Knochenbeteiligung.

→ 4) Erhöhung der Nierenparameter (Kreatinin, Harnstoff).

→ II: Röntgen:

1) Als Frühzeichen eines sHPT lassen sich im Bereich der Fingermittelphalangen subperiostale Resorptionszonen nachweisen.

→ 2) Akroosteolysen im Bereich der Fingerendphalangen durch Auflösung der Knochenstruktur.

→ 3) Erosionen an den Klavikulaenden,

→ 4) Salz-Pfefferstruktur der Schädeldecke.

→ 5) Die Osteomalazie lässt sich gut durch das Ausmaß der Looser-Umbauzonen beurteilen.

648 Laborchemische Differenzialdiagnosen des Hyperparathyreoidismus

 

Therapie:

→ I: Allgemeinmaßnahmen:

→ 1) Verminderung der über die Nahrung zugeführten Phosphatmenge (< 900mg/d).

→ 2) Zur Vermeidung eines erhöhten Phosphatspiegels Gabe eines Phosphatbinders wie Kalziumkarbonat oder -azetat.

3) Vitamin-D Analoga (z.B. Kalzitriol) zur Steigerung der Kalziumabsorption.

→ II: Therapie der Grunderkrankung (renale Osteopathie).

 

Prognose:

→ I: Eine frühzeitige adäquate Therapie verhindert die Ausbildung von Knochendeformitäten und pathologischen Frakturen.

→ II: Die Entwicklung einer renalen Osteopathie ist möglich.

 

 Sekundärer Hyperparathyreoidismus: Bei normaler Nierenfunktion:

 

Ätiologie: Infolge einer ungenügenden intestinalen Kalziumaufnahme oder eines  generellen Vitamin-D-Mangels:

→ I: Malassimilationssyndrom aufgrund einer chronischen Maldigestion und Malabsorption bei z.B. Morbus Crohn, Zöliakie etc.,

→ II: Leberzirrhose, infolge einer gestörten Umwandlung von Vitamin D3 in 25-Cholekalziferol und

→ III: Seltener bei Cholestase aufgrund einer verminderten Vitamin D3-Resorption.

→ IV: Vitamin-D-Mangel aufgrund eines Mangels an Sonnenlicht.

 

Klinik: Im Vordergrund stehen neben den Symptomen der Grunderkrankung diffuse Knochenschmerzen, Knochendeformitäten mit Rundrücken (siehe oben) sowie die Gefahr der Ausbildung von Tetanien infolge einer Hypokalzämie.

647 Wichtige Aspekte des Hyperparathyreoidsmus

 

Diagnose: Vor allem bei der Diagnosestellung des sekundären Hyperparathyreoidismus bei normaler Nierenfunktion spielt das Labor eine bedeutsame Rolle:

→ I: Hypokalzämie, bei gleichzeitiger Hypophosphatämie.

→ II: Erhöhung der alkalischen Phosphatase und des intakten PTH.

III: Bei Leberzirrhose ist das 25-OH-Vitamin-D erniedrigt.

→ IV: Die Nierenfunktionsparameter sind normal.

 

→ Differenzialdiagnose: Vom sekundären Hyperparathyreoidismus müssen insbesondere nachfolgende Erkrankungen abgegrenzt werden:

→ I: Hypokalzämie anderer Genese:

→ 1) Hypoparathyreoidismus,

→ 2) Akute Pankreatitis,

→ 3) Selten beim medullären Schilddrüsenkarzinom (Kalzitonin-induziert),

→ 4) Medikamentös induziert durch z.B. Schleifendiuretika,

→ 5) Vermehrter Bedarf während der Schwangerschaft und Stillzeit.

→ II: Primärer - und tertiärer Hyperparathyreoidismus und nicht zuletzt die

→ III: Osteomalazie.

 

→ Therapie:

→ I: Behandlung der Grunderkrankung:

1) Korrektur der Maldigestion bei exokriner Pankreasinsuffizienz sowie

→ 2) Glutenfreie Kost bei Sprue.

→ II: Osteopathie:

→ 1) Gabe von Vitamin D (Dosis von 10000IE/d p.o.) kombiniert mit einem Kalziumpräparat.

→ 2) Bei bestehender Malassimilation ist eine parenterale Vitamin-D Applikation indiziert.

→ 3) Zur Rezidivprophylaxe wird eine Vitamin-D-Erhaltungsdosis von 1000-2000IE/d verabreicht.

 

Prognose:

→ I: Bei adäquater Therapie sollten die Patienten beschwerdefrei werden.

→ II: Bestehende Knochendeformitäten können nicht behoben werden.

III: Selten entwickelt sich ein tertiärer Hyperparathyreoidismus aufgrund einer Autonomie.