→ Definition: Der sekundäre Hyperparathyreoidismus ist definiert als reaktive Steigerung der Parathormon-Sekretion, verursacht durch eine chronische Stimulation der Nebenschilddrüse bei anhaltender Hypokazämie und geht mit charakteristischen Knochenabbau- und -umbauvorgängen einher.
→ Epidemiologie: Der sekundäre Hyperparathyreoidismus wird bei etwa 90% der chronisch-dialysepflichtigen Niereninsuffizienz angetroffen, seltener bei anderen Grunderkrankungen. Hinsichtlich der Entstehungsmechanismen unterscheidet man zwischen einem:
→ I: Renalen sekundären Hyperparathyreoidismus und einem
→ II: Sekundären Hyperparathyreoidismus bei normaler Nierenfunktion (= nierenunabhängig, intestinale Form).
→ Sekundärer renaler Hyperparathyreoidismus:(= sr HPT) Der sekundäre renale Hyperparathyreoidismus stellt die häufigste sekundäre Form dar und entwickelt sich im Zuge einer Kalzium-Stoffwechselstörung bei terminaler Niereninsuffizienz.
→ Pathogenese: Es sind insbesondere zwei Pathomechanismen für die vermehrte PTH-Produktion verantwortlich:
→ I: Die fortgeschrittene Niereninsuffizienz (GFR < 60ml/min) verursacht eine Verminderung der Phosphat-Clearance mit konsekutiver Hyperphosphatämie. Folge ist eine extraossäre Kalziumphosphat-Ausfällung mit Verlust des freien, ionisierten Kalziums.
→ II: Es folgt eine Hypokalzämie mit kompensatorischer Hyperplasie der Nebenschilddrüsen und Stimulation der Parathormonproduktion.
→ III: Des Weiteren ist bei fortgeschrittener Nierenfunktionsstörung eine verminderte Aktivität der Alpha-1-Hydroxylase mit konsekutiv Reduktion der Produktion von 1-25-Dihydroxycholekalziferol (= aktives Vitamin-D-Hormon) nachweisbar.
→ Klinisch-relevant:
→ A) Die vermehrte PTH-Hormon-Sekretion stimuliert die Osteoklasten und induziert einen vermehrten Knochenumbau mit verstärkter Resorption (Osteolyse).
→ B) Der Mangel an Cholekalzitriol im Zusammenhang mit einer Hypokalzämie fördert die Entwicklung einer Osteomalazie mit konsekutiver Fibrosierung (= Fibroosteoklasie = renale Osteopathie). Auch kann sich im Rahmen der Kalzium- und Phosphat-Stoffwechselstörung durch Einlagerung von Kalziumpyrophossphatdihydrat-Kristallen in die Gelenke eine Chondrokalzinose entwickeln.
→ Klinik:
→ I: Ossäre Symptome:
→ 1) Im Vordergrund stehen die Symptomatik der Grunderkrankung sowie diffuse Knochen- und Gelenkschmerzen.
→ 2) Ausbildung eines Rundrückens infolge Sinterung der Wirbelsäule.
→ 3) Skelettdeformitäten,
→ 4) Pathologische Frakturen infolge Bagatelltraumata.
→ 5) Bei Kindern kann sich ein renaler Minderwuchs durch eine Azotämie bei Niereninsuffizienz entwickeln. Ursache hierfür ist die Blockade der GH-Sekretion aufgrund eines vermehrten Anfallens harnpflichtiger Substanzen.
→ II: Extraossäre Symptome:
→ 1) Proximal betonte Muskelschwäche.
→ 2) Ausbildung von Gelenkbeschwerden durch periartikuläre Verkalkung bei Überschreitung des Löslichkeitsprodukts für Kalziumphosphat (> 6mmol/l). In der Folge kann es zu schubweisen akuten Entzündungen (in Form einer Pseudogicht) kommen.
→ 3) Gefäßveränderungen in Form einer Mediaverkalkung vom Mönckeberg-Typ; besonders häufig betroffen sind die Aortenklappe, der Anulus fibrosus cordis und die Koronargefäße.
→ Diagnose:
→ I: Labor:
→ 1) Hypokalzämie (insbesondere das freie ionisierte Ca2+) bei gleichzeitiger Hyperphosphatämie,
→ 2) Intaktes Parathormon erhöht.
→ 3) Die alkalische Phosphatase ist erhöht und ein guter Parameter zur Beurteilung der Knochenbeteiligung.
→ 4) Erhöhung der Nierenparameter (Kreatinin, Harnstoff).
→ II: Röntgen:
→ 1) Als Frühzeichen eines sHPT lassen sich im Bereich der Fingermittelphalangen subperiostale Resorptionszonen nachweisen.
→ 2) Akroosteolysen im Bereich der Fingerendphalangen durch Auflösung der Knochenstruktur.
→ 3) Erosionen an den Klavikulaenden,
→ 4) Salz-Pfefferstruktur der Schädeldecke.
→ 5) Die Osteomalazie lässt sich gut durch das Ausmaß der Looser-Umbauzonen beurteilen.
→ Therapie:
→ I: Allgemeinmaßnahmen:
→ 1) Verminderung der über die Nahrung zugeführten Phosphatmenge (< 900mg/d).
→ 2) Zur Vermeidung eines erhöhten Phosphatspiegels Gabe eines Phosphatbinders wie Kalziumkarbonat oder -azetat.
→ 3) Vitamin-D Analoga (z.B. Kalzitriol) zur Steigerung der Kalziumabsorption.
→ II: Therapie der Grunderkrankung (renale Osteopathie).
→ Prognose:
→ I: Eine frühzeitige adäquate Therapie verhindert die Ausbildung von Knochendeformitäten und pathologischen Frakturen.
→ II: Die Entwicklung einer renalen Osteopathie ist möglich.
→ Sekundärer Hyperparathyreoidismus: Bei normaler Nierenfunktion:
→ Ätiologie: Infolge einer ungenügenden intestinalen Kalziumaufnahme oder eines generellen Vitamin-D-Mangels:
→ I: Malassimilationssyndrom aufgrund einer chronischen Maldigestion und Malabsorption bei z.B. Morbus Crohn, Zöliakie etc.,
→ II: Leberzirrhose, infolge einer gestörten Umwandlung von Vitamin D3 in 25-Cholekalziferol und
→ III: Seltener bei Cholestase aufgrund einer verminderten Vitamin D3-Resorption.
→ IV: Vitamin-D-Mangel aufgrund eines Mangels an Sonnenlicht.
→ Klinik: Im Vordergrund stehen neben den Symptomen der Grunderkrankung diffuse Knochenschmerzen, Knochendeformitäten mit Rundrücken (siehe oben) sowie die Gefahr der Ausbildung von Tetanien infolge einer Hypokalzämie.
→ Diagnose: Vor allem bei der Diagnosestellung des sekundären Hyperparathyreoidismus bei normaler Nierenfunktion spielt das Labor eine bedeutsame Rolle:
→ I: Hypokalzämie, bei gleichzeitiger Hypophosphatämie.
→ II: Erhöhung der alkalischen Phosphatase und des intakten PTH.
→ III: Bei Leberzirrhose ist das 25-OH-Vitamin-D erniedrigt.
→ IV: Die Nierenfunktionsparameter sind normal.
→ Differenzialdiagnose: Vom sekundären Hyperparathyreoidismus müssen insbesondere nachfolgende Erkrankungen abgegrenzt werden:
→ I: Hypokalzämie anderer Genese:
→ 1) Hypoparathyreoidismus,
→ 2) Akute Pankreatitis,
→ 3) Selten beim medullären Schilddrüsenkarzinom (Kalzitonin-induziert),
→ 4) Medikamentös induziert durch z.B. Schleifendiuretika,
→ 5) Vermehrter Bedarf während der Schwangerschaft und Stillzeit.
→ II: Primärer - und tertiärer Hyperparathyreoidismus und nicht zuletzt die
→ III: Osteomalazie.
→ Therapie:
→ I: Behandlung der Grunderkrankung:
→ 1) Korrektur der Maldigestion bei exokriner Pankreasinsuffizienz sowie
→ 2) Glutenfreie Kost bei Sprue.
→ II: Osteopathie:
→ 1) Gabe von Vitamin D (Dosis von 10000IE/d p.o.) kombiniert mit einem Kalziumpräparat.
→ 2) Bei bestehender Malassimilation ist eine parenterale Vitamin-D Applikation indiziert.
→ 3) Zur Rezidivprophylaxe wird eine Vitamin-D-Erhaltungsdosis von 1000-2000IE/d verabreicht.
→ Prognose:
→ I: Bei adäquater Therapie sollten die Patienten beschwerdefrei werden.
→ II: Bestehende Knochendeformitäten können nicht behoben werden.
→ III: Selten entwickelt sich ein tertiärer Hyperparathyreoidismus aufgrund einer Autonomie.