→ Definition: Bei der Tumorhyperkalzämie handelt es sich um ein paraneoplastisches Phänomen, das vor allem im Spätstadium einer malignen Erkrankung auftritt und diese verkomplizieren kann. Der Kalziumspiegel im Serum liegt albuminkorregiert > 2,8mmol/l.
→ Epidemiologie:
→ I: Etwa 10% der Patienten mit einem Malignom entwickeln je nach Tumortyp im Spätstadium eine Hyperkalzämie.
→ II: Wichtige Tumorarten, die mit einer humoralen Hyperkalzämie einhergehen sind insbesondere:
→ Ätiopathogenese: Maligne Erkrankungen können die Kalziumhomöostase attackieren; nach ihrem Entstehungsmechanismus werden verschiedene Tumorhyperkalzämien unterschieden:
→ I: Die häufigste Form der Tumorhyperkalzämie beruht auf dem paraneoplastisch gebildeten parathormonähnlichen Peptid (= PTHrP = parathyreoid-hormon-related-hormon), das durch die vermehrte osteoklastäre Knochenresorption, renale Ca2+-Rückresorption sowie den renalen Phosphatverlust zu einer Hyperkalzämie führt.
→ II: Die 2.-häufigste Genese ist die lokal-osteolytische Hyperkalzämie. Hierbei kommt es zum Zusammenspiel von verschiedenen Faktoren:
→ 1) Tumorzellprodukten wie z.B. Zytokinen, Arachidonsäuremetaboliten und Thrombin.
→ 2) Sie führen mit Osteoklasten zur lokalen Lyse und Aktivierung der Metalloproteinase.
→ 3) Folge ist eine Zersetzung des Knochens mit konsekutiver Freisetzung von Kalzium.
→ III: Beim Plasmozytom sezernieren die Tumorzellen das Tumornekrosefaktor-related-aktivierungsinduzierte Zytokin, das wiederum das Osteoprotegerin supprimiert und zur Osteoklastogenese mit konsekutivem Knochenabbau führt.
→ IV: Beim multiplen Myelom spielen bei der Genese der Hyperkalzämie insbesondere Interleukin 1 und 6 sowie TNF-Alpha, beim Morbus Hodgkin und Non-Hodgkin-Lymphom Calcitriol eine wichtige Rolle.
→ V: Mamma-Ca: Eine seltene Ursache findet man bei Patientinnen mit metastasierendem Mamma-Karzinom. Hierbei kommt es zum Aufflammen des Metastasenwachstums unter Tamoxifen (= paradoxes Phänomen).
→ Klinik: Die humorale Hyperkalzämie durch Malignome tritt zumeist erst in späteren Stadien der Tumorerkrankung auf. Die Symptomatik ist typischerweise unspezifisch mit:
→ I: Gastrointestinal: Übelkeit, Erbrechen und evtl. Obstipation.
→ II: Niere: Polydypsie, Polyurie sowie die Entwicklung einer Niereninsuffizienz.
→ III: Neuropsychiatrisch: Müdigkeit, Muskelschwäche, Hyperreflexie, aber auch psychische Veränderungen (wie z.B. die Depression), gelegentlich ein endokrines Psychosyndrom bis hin zur Somnolenz und Koma.
→ IV: Weitere Symptome: Sind u.a.:
→ 1) Pathologische Frakturen sowie
→ 2) Die mögliche Entwicklung einer lebensbedrohlichen hyperkalzämischen Krise.
→ Klinisch-relevant: Bei Patienten mit Hyperkalzämie ist ein sofortiges Absetzten einer bestehenden Digitalis-Medikation wegen der Gefahr von Herzrhythmusstörungen indiziert.
→ Diagnose: Wichtige laborchemische Parameter zur Diagnosestellung der Tumorhyperkalzämie sind:
→ I: Labor:
→ 1) Eine Hyperkalzämie bei gleichzeitiger Hypophosphatämie und supprimiertem Parathormon.
→ 2) PTHrP ist bei der tumorbedingten Hyperkalzämie erhöht, währenddessen es bei Patienten mit primärem Hyperparathyreoidismus normal ist.
→ II: Bildgebende Verfahren: Wie z.B. Röntgen, CT, MRT, Mammographie zur Malignomsuche (Primärtumor).
→ Differenzialdiagnose: Differenzialdiagnostisch muss insbesondere der primäre Hyperparathyreoidismus von der HHM abgegrenzt werden. Beide Erkrankungen weisen ein ähnliches klinisches Bild auf; jedoch ist die Tumorhyperkalzämie durch einen erniedrigten Parathormonspiegel und eine erhöhte PTHrP-Konzentration (= parathyreoid-hormon-related-hormon) charakterisiert.
→ Therapie: Auch bei der tumorbedingten Hyperkalzämie wird die Kalziumsenkung empfohlen:
→ I: Allgemeinmaßnahmen: Sind vor allem bei milden Formen der Hyperkalzämie indiziert; hierzu zählen:
→ 1) Ausreichende (vermehrte) Trinkmenge,
→ 2) Kalziumarme Ernährung,
→ 3) Absetzen von Medikamenten wie z.B. Thiaziddiuretika, die zur Hyperkalzämie beitragen,
→ 4) Mobilisation des Patienten (Immobilisation fördert die Knochenresorption) und nicht zuletzt
→ 5) Die Behandlung der Grunderkrankung.
→ II: Medikamentöse Therapie:
→ 1) Bei einer Hyperkalzämie > 3,2mmol/l kann eine 0,9%ige NaCl-Lösung (3l beginnend) mit gleichzeitiger focierter Diurese (z.B. Furosemid) indiziert sein.
→ 2) Bei klinisch-relevanter Hyperkalzämie, insbesondere wenn klinische Symptome vorliegen, sind Bisphosphonate Mittel der 1. Wahl. Hier bestehen gerade bei Clodronat, Pamidronat und Zoledronat gute Erfahrungen.
→ 3) Weitere medikamentöse Therapieoptionen der Tumorhyperkalzämie sind u.a. die intravenöse Applikation von Glukokortikoiden oder Mithramycin (als ultima Ratio).
→ Klinisch-relevant: Der Nutzen der Bisphosphonattherapie ist nicht nur, die durch die Tumorosteopathie bedingte Hyperkalzämie zu beheben, sondern auch eine Verzögerung der Ausbreitung von Knochenmetastasen zu erreichen. Verschiedene Studien zeigen nämlich, dass durch die permanente Bisphosphonattherapie zum einen Knochenmetastasen später und in geringerer Zahl auftreten, zum anderen Zusatzbehandlungen wie Strahlentherapie, operative palliative Eingriffe deutlich seltener durchzuführen sind.
→ Prognose:
→ I: Da die humorale Hyperkalzämie durch Malignome eher im fortgeschrittenen Stadium auftritt, ist sie eher ein ungünstiges Krankheitszeichen.
→ II: Die Therapie hat palliative Bedeutung und dient der Verbesserung der Lebensqualität durch z.B. Verminderung des Leidens. Eine Prognoseverbesserung bzw. Lebensverlängerung durch Bisphosphonate ist nicht belegt.