Definition:

→ I: Bei den Pophyrien handelt es sich um eine heterogene Gruppe von Stoffwechselerkrankungen, die durch eine Störung in der Hämbiosynthese ausgelöst wird. Nach der Klinik und dem pathogenetischen Organbefall unterscheidet man zwischen einer erythropoetischen - und hepatischen Porphyrie.

→ II: Die akute intermittierende Porphyrie zählt zu den hepatischen Porphyrien und ist durch ein intermittierendes, polysymptomatisches Krankheitsbild mit gastrointestinalen, neurologisch-psychiatrischen und kardiovaskulären Symptomen gekennzeichnet. Ursache ist ein Defekt der Porphobilinogen-Desaminase.

 

Epidemiologie:

→ I: Die autosomal-dominant vererbte AIP stellt die zweithäufigste Porphyrie dar und besitzt eine Prävalenz von 5-10/100000 Einwohnern.

→ II: Der Manifestationsgipfel liegt zwischen der 2.-4. Lebensdekade, wobei Frauen 3-4x häufiger als Männer betroffen sind.

 

Ätiopathogenese:

→ I: Der ausschlaggebende Enzymdefekt ist eine deutliche Reduktion (auf 50%) der Porphobilinogen-Desaminase. Es resultiert eine vermehrte Aktivität der Aminolävulinsäure-Synthetase (Schlüsselenzym der Hämsynthese) in der Leber mit übersteigerter Produktion von Delta-Aminolävulinsäure und Porphobilinogen.

→ II: Der Häm-Mangel und die damit auftretende klinische Symptomatik wird erst demaskiert, wenn der Organismus vermehrt Häm benötigt.

→ III: Wichtige Triggermechanismen sind u.a.:

→ 1) Somatische wie psychische Stressoren wie z.B. Psychostressoren, Traumata, Infektionen und Operationen.

→ 2) Medikamente, die als Enzyminduktoren fungieren wie Sufonamide, Alpha-2-Rezeptoragonisten insbesondere ClonidinTheophyllin, einige Benzodiazepine, Östrogene, Progesteron.

→ 3) Weitere Risikofaktoren sind Hunger bzw. Fasten, Alkohol, Nikotin, Hypoglykämie, prämenstruell, etc.

511 Haembiosynthese und Enzymstörungen bei Porphyrie

 

Klinik: Kennzeichnend ist die Kombination aus abdominalen, neurologisch-psychiatrischen und

kardiovaskulären Symptomen, die auf einer Fehlsteuerung des peripheren bzw. vegetativen Nervensystems beruht.

→ I: Abdomen: Heftige kolikartige Abdominalschmerzen mit Übelkeit, Erbrechen und chronischer Obstipation, die therapeutisch nur schwer beeinflussbar sind, bis hin zur Ileussymptomatik.

→ II: Neuropsychiatrisch:

→ 1) Neurologisch: Muskelschmerzen, -schwäche, Polyneuropathie, Parästhesie sowie aufsteigende Lähmungen (initial der Streckmuskulatur) bis hin zur Tetraparese und Atemlähmung. Auch können sich Hirnnervenbeteiligungen (Bulbärparalyse mit Dysarthrie, Dysphagie, Faszialisparese und Augenmuskelparese) sowie zerebrale Krampfanfälle manifestieren.

→ 2) Psychiatrisch: Störungen der Psyche mit Wesensveränderngen, Depression bis hin zur Psychose mit Halluzinationen, aber auch Delir und Bewusstseinsstörungen wie Somnolenz und Koma.

III: Kardiovaskulär: Hierbei stehen insbesondere die Sinustachykardie und arterielle Hypertonie im Vordergrund.

→ IV: Weitere Symptome: Sind u.a.:

1) Hypokaliämie und Hyponatriämie,

→ 2) Nachdunkelnder Urin (Rotfärbung).

→ 3) Blasenfunktionsstörungen mit Oligurie.

→ 4) Leberfunktionsstörungen mit GOT/GPT-Anstieg, Bilirubinämie und Entwicklung eines Ikterus.

 

Klassifikation: Nach dem klinischen Verlauf der akuten intermittierenden Porphyrie werden folgende Subtypen unterschieden:

→ I: Manifeste Erkrankung: Mit der charakteristischen Symptomtrias (in 20-30% der Fälle).

→ II: Latente Form: Hierbei zeigt sich eine erhöhte Porphyrinausscheidung bei gleichzeitigem Fehlen klinischer Symptome.

→ III: Bei der letzten Form handelt es sich um Anlageträger ohne klinische oder laborchemische Auffälligkeiten.

Diagnose: Durch die Vielgestaltigkeit der klinischen Symptomatik der akut intermittierenden Porphyrie erfolgt häufig eine Fehldiagnose. 

→ I: Anamnese/klinische Untersuchung: Mit Familien-, Medikamentenanamnese und Nachweis bestehender Triggermechanismen sowie möglicher Eruierung einer Dunkel- bzw. Rotfärbung des stehenden Urins.

→ II: Labor:

→ 1) Bei klinischem Verdacht ist eine Metabolitenuntersuchung zum Nachweis der Prophorinvorläufer wie Delta-Aminolävulinsäure, Porphobilinogen indiziert (z.B. durch den Hoesch-Schwartz-Watson-Test); die quantitative Bestimmung erfolgt über den 24h-Sammelurin.

→ 2) Im Vergleich zur Porphyria variegata und Koproporphyrie sind die Porphyrine im Stuhl im Normbereich.

→ 3) Bestimmung der Aktivität der Porphobilinogen-Desaminase. 

→ 4) Weitere unspezifische Laborveränderungen sind u.a. eine Anämie, Leukozytose sowie ein erhöhter GOT/GPT-Quotient und nicht zuletzt eine möglich Bilirubinämie.

509 Typische Laborveränderungen bei der AIP

 → III: Screening-Untersuchungen: Die genetische Screening-Untersuchung sollte bei allen Patienten mit familiärer Belastung erfolgen, um eine frühzeitige Diagnose, Therapie und Prophylaxe einzuleiten, da diese Interventionen für die Morbidität und Mortalität von großer Bedeutung sind.

 

Differenzialdiagnose: Von der akuten intermittierenden Porphyrie müssen insbesondere nachfolgende Erkrankungen abgegrenzt werden:

→ I: Weitere Pophyrien insbesondere auch die nicht-akuten Formen, bei denen die Porphyrinvorläufer nicht erhöht sind.

→ II: Somatische Erkrankungen, die mit einer Ileussymptomatik bzw. einem „ akuten Abdomen“  wie z.B. Divertikulose bzw. Divertikulitis, Colon irritabile, Komplikationen eines kolorektalen Karzinoms, etc. einhergehen.

→ III: Sekundäre Porphyrien infolge von Leberdestruktionen, Cholestase, Eisen- (z.B. Hämochromatose) und Bilirubinstoffwechselstörungen, Neoplasien sowie bei Blei- und Thalliumintoxikationen.

→ IV: Thyreotische Krise (vegetative Symptome).

→ V: Auch muss das Guillain-Barre-Syndrom von der AIP abgegrenzt werden.

510 Charakteristika der verschiedenen hepatischen Porphyrien

 

Therapie:

→ I: Allgemeinmaßnahmen:

→ 1) Es erfolgt das sofortige Absetzten potenziell auslösender Medikamente bzw. die sofortige Beseitigung der Triggermechanismen.

→ 2) Eine weitere Maßnahme ist die intensivmedizinische Überwachung, da sich eine bulbäre Atemlähmung bei aufsteigender Parese ausbilden kann.

→ II: Medikamentöse Therapie:

1) Eine hochdosierte Applikation von Glukose 300-500g/d i.v. führt zur Hemmung der gesteigerten ALA-Synthese-Aktivität mit konsekutiver Suppression der Hämbiosynthese.

→ 2) Insbesondere bei schweren Krankheitsverläufen mit neurologischen Ausfällen bzw. fehlender klinischer Besserung ist Häm-Arginin (3mg/kgKG/d) an bis zu 4 aufeinanderfolgenden Tagen indiziert.

→ 3) Focierte Diurese mit Furosemid (40-80mg/d) dient der Ausschwemmung der Stoffwechselmetaboliten.

→ III: Symptomatische Therapie: Mit:

→ 1) ASS oder Gabapentin zur Behandlung der Schmerzen.

→ 2) Elektrolyt- und Volumenausgleich.

→ 3) Psychiatrische Symptome werden zumeist mit Diazepam, Lorazepam oder Chlorpromazin therapiert.

→ 4) Sinustachykardie und arterielle Hypertonie sprechen gut auf Beta-Rezeptor-Blocker an.

→ 5) Eine akute Obstipation oder Ileussymptomatik kann mit Neostigmin (0,25-1,0mg i.m.) behandelt werden.

→ 6) Weitere Maßnahmen sind Therapie der Hyperemesis (Chlorpromazin, Ondansedron), möglicher Krampfanfälle (Ausgleich der Hyponatriämie bei SIAD oder Diazepam) sowie eine evtl. Beatmung.

 

Prognose:

→ I: Unter frühzeitiger und adäquater Therapie und Prophylaxe insgesamt günstig.

→ II: Prädiktoren für eine ungünstige Prognose sind u.a.

1) Muskelschwäche,

→ 2) Bewusstseinsstörungen,

→ 3) Hyponatriämie sowie

→ 4) Bulbärparalyse und Beatmungspflichtigkeit.

→ III: Bei der akuten intermittierenden Prophyrie besteht ein erhöhtes Risiko für das hepatozelluläre Karzinom und hypertensive Nierendestruktionen.

 

Prophylaxe: Von großer Bedeutung ist die Prophylaxe mit Beseitigung der Triggermechanismen (insbesondere Alkohol und Medikamente); hierzu zählen:

→ I: Meiden spezifischer Medikamente wie Barbiturate, Sulfonamide, Metoclopramid, Ergotaminpräparate, Halothan, etc.

→ II: Vermeiden von Hungerzuständen und Fasten durch regelmäßige Kohlenhydratzufuhr.

→ III: Niedrig dosierte Kontrazeptiva/LHRH-Analoga Applikation zur Vermeidung von Zyklusschwankungen, etc.