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- Geschrieben von: CF
- Kategorie: Stoffwechselstörungen
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→ Definition: Bei der Hyperurikämie handelt es sich um eine Störung des Purinstoffwechsels und besteht, wenn die Serum-Harnsäurekonzentration über > 6,8 mg/dl (= 415 µm/l) liegt. Das Endprodukt des Abbaus der DNA-Bausteine Adenosin und Guanosin ist beim Menschen die Harnsäure.
→ I: Gicht: Bei der Gicht handelt es sich um eine symptomatische Hyperurikämie aufgrund einer Harnsäureausfällung in die verschiedenen Gewebe.
→ II: Arthritis urica: Sie stellt die Gelenkmanifestation (Synovitis) der Gicht dar und betrifft zumeist nur ein Gelenk (= Monarthritis). Prädilektionsstellen sind insbesondere Großzehengrundgelenk, Sprunggelenk und Kniegelenk etc.
→ Epidemiologie: Allgemein liegt die Prävalenz für eine Hyperurikämie in den westlichen Industriestaaten bei durchschnittlich 1-2%.
→ I: Man geht davon aus, das ca. 20% der Männer eine Hyperurikämie aufweisen.
→ II: Frauen sind meist erst nach der Menopause infolge des Östrogenverlustes (Östrogen hat eine urikosurische Wirkung) betroffen. Eine vor der Menopause bestehende Hyperurikämie ist fast ausschließlich sekundärer Genese.
→ III: Der Manifestationsgipfel liegt zwischen dem 40.-60. Lebensjahr und nimmt mit dem Alter zu.
→ Klinisch-relevant:
→ A) Gicht stellt ein Erkrankungsbild der Wohlstandsgesellschaft dar und ist häufig mit dem metabolischen Syndrom (Übergewicht, Adipositas, Hyperlipidämie, arterielle Hypertonie) assoziiert.
→ B) Das Risiko an einem Gichtanfall zu erkranken, steigt mit der Zunahme der Serum-Harnsäurekonzentration und dem Alter. Bei einer Harnsäure-Konzentration von > 9mg/dl (= 535 µmol/l) liegt das Erkrankungsrisiko bei ca. 5% pro Jahr.
→ Ätiologie: Eine Hyperurikämie entsteht zumeist infolge einer vermehrten Produktion von Harnsäure oder einer verminderten renalen Elimination. Grundsätzlich wird zwischen einer primären und einer sekundären Form unterschieden:
→ I: Primäre Hyperurikämie: Sie ist mit 90% die häufigste Form und manifestiert sich aufgrund eines multifaktoriellen Geschehens. Ursache ist eine Störung des Harnsäurestoffwechsels aufgrund einer Reduktion der tubulären Harnsäuresekretion. Tritt in diesem Zusammenhang eine Purin-Belastung durch übermäßige Einnahme von Nahrungsmitteln wie z.B. Fleisch, Innereien, Alkohol (vermindert die HS-Ausscheidung) etc. auf, kann sich ein Gichtanfall ausbilden. Selten durch eine Überproduktion von Harnsäure aufgrund eines Enzymmangels (= Hypoxanthin-Guanin-Phoshorribosyltransferase = HG-PRT) beim:
→ 1) Lesch-Nyhan-Syndrom: X-chromosomal rezessiv vererbte Erkrankung bei der die Hypoxanthin-Guanin-Phosphoribosyltransferase Aktivität deutlich vermindert ist (< 1%). Die klinische Symptomtrias umfasst Hyperurikämie mit Gelenkmanifestation, progressive Niereninsuffizienz und neurologischen Symptomen u.a. mit mentaler Retardierung und Neigung zur Selbstverstümmelung bei Knaben.
→ 2) Kelley-Seegmiller-Syndrom: Hierbei ist die HG-PRT-Aktivität auf < 20% der Norm herabgesetzt. Die Symptomatik besteht aus Hyperurikämie, Nierensteinen und neurologischen Zeichen ohne Neigung zur Selbstverstümmelung.
→ II: Sekundäre Hyperurikämie: (= metabolische Hyperurikämie) Auch hier manifestiert sich eine vermehrte Harnsäureproduktion bzw. eine verminderte -ausscheidung.
→ 1) Vermehrte Produktion: Bei:
→ A) Bluterkrankungen wie die Polyzythaemia vera oder Leukämie (myelo- oder lymphoproliferative Erkrankungen).
→ B) Hämolytischer Anämie.
→ C) Als Tumorlysesyndrom infolge einer Therapie mit Zytostatika und/oder Bestrahlung.
→ D) Und nicht zuletzt aber auch bei der Psoriasis.
→ 2) Verminderte Ausscheidung: Bei:
→ A) Verschiedenen Nierenerkrankungen z.B. chronische Niereninsuffizienz, etc.
→ B) Diuretika wie Thiazide und Schleifendiuretika, aber auch Salicylate, Protonenpumpen-Inhibitoren und Cyclosporin, etc.
→ C) Ketoazidose durch Fasten und Diabetes mellitus, aber auch bei der Laktatazidose sowie
→ D) Bei weiteren Erkrankungen wie z.B. Nebenschilddrüsenfunktionsstörungen, Akromegalie, aber auch Intoxikationen (CO, Blei, etc.).
→ Physiologie:
→ I: Harnsäure ist eine schwache Säure und liegt bei einem pH-Wert von 7,4 in 98% als Natriumurat vor. Obwohl die Kristallisation von Harnsäure oberhalb des Löslichkeitsproduktes von 6,8 mg/dl möglich ist bleibt die Bildung von Natriumurat trotz deutlich höherer Werte zumeist aus, sodass die meisten Menschen trotz Hyperurikämie ein lebenlang asymptomatisch bleiben.
→ II: Der Harnsäure-Gesamtgehalt des Körpers beträgt ca. 1g; bei Gicht-Patienten kann er bis zu 30g ansteigen. Es fallen jeden Tag ca. 300-400 mg Harnsäure aus der endogenen Synthese und exogenen Zufuhr an, die zu 2/3 über die Niere und zu 1/3 über den Darm eliminiert werden.
→ Pathophysiologie: Ursache für eine symptomatische Hyperurikämie sind plötzliche Änderungen des Harnsäurespiegels infolge purinreicher Nahrungszufuhr in Kombination mit Alkohol, nach längerfristigem Fasten oder zu Beginn einer Allopurinol-Therapie. Folge ist eine Ausfällung von Harnsäurekristallen (= Urat) aus der Synovialflüssigkeit mit konsekutiver Phagozytose durch Granulozyten. Sekundär erfolgt eine Freisetzung von Entzündungsmediatoren (Chemotaxine, Kinine, Eikosanoide), die wiederum eine Synovitis einleiten. Die Erstmanifestation der Gicht ist zumeist der akute Gichtanfall. Rezidive treten nach initial längerer Latenz (bis Jahre), im weiteren Verlauf in immer kürzeren Abständen auf und rufen bei einem Teil der Patienten schließlich eine chronisch-tophöse Gicht (nach 10-20 Jahren) aus.
→ Klassifikation: Die Hyperurikämie bzw. Gicht verläuft charakteristischerweise in 4 Stadien:
→ Klinik: Zumeist verläuft es subklinisch als asymptomatische Hyperurikämie.
→ I: Akuter Gichtanfall: Tritt häufig durch plötzlichen Anstieg der Harnsäure nach Fastenzeiten, Festessen und/oder Alkoholabusus mit einer charakteristischen Symptomatik auf:
→ 1) Akut zumeist nachts auftretende Entzündungszeichen mit Tumor (= Schwellung), Rubor (= Rötung), Color (= Überwärmung), Dolor (= Schmerz) und Functio laesa (= eingeschränkte Funktion) insbesondere im Bereich des Großzehengrundgelenkes (= Metatarsophalangealgelenk = Podagra); meist handelt es sich um eine Monarthritis, gelegentlich sind auch mehrere Gelenke (= Oligoarthritis, dann asymmetrisch) betroffen mit heftigen Spontan- und Druckschmerzhaftigkeit (Druck der Bettdecke wird nicht ertragen). Des Weiteren können sich Allgemeinsymptome wie schweres Krankheitsgefühl, Tachykardie und Fieber bis 39°C, aber auch BSG-Erhöhung und Leukozytose manifestieren.
→ 2) Weitere Prädilektionsstellen: Sind u.a. das Sprunggelenk, Kniegelenk (= Gonagra), Daumengrundgelenk (= Chiragra) seltener das distale Interphalangealgelenk (DIP).
→ 3) Die Symptomatik klingt zumeist nach einigen Tagen (3-5 Tage) mit völliger Wiederherstellung des Gelenks spontan wieder ab.
→ Klinisch-relevant: Im akuten Gichtanfall muss eine Hyperurikämie nicht immer bestehen, sodass die Serum-Harnsäurekonzentration 2-3 Wochen nach dem akuten Gichtanfall nochmals kontrolliert werden sollte.
→ II: Chronische Gicht: Wird die Gicht nicht adäquat behandelt kann sich die heute nur noch selten nachweisbare, chronische Verlaufsform mit Uratablagerungen in den verschiedenen Geweben ausbilden. Charakteristische Symptome sind:
→ 1) Weichteiltophi als weißliche subkutane, harte und druckempfindliche Knötchen, die mehrere Zentimeter groß und beweglich sind. Prädilektionsstellen finden sich im Bereich der Ohrmuschel, Ferse, Großzehe, aber auch an den Sehnenscheiden, Schleimbeuteln (Bursitis) und oberhalb des Olecranon ( aber auch mitunter in inneren Organen wie Myo- und Perikard).
→ 2) Rezidivierende Gichtanfälle und/oder Arthralgien mit konsekutiver Gefahr der progredienten ossären und artikulären Destruktion.
→ 3) Nierenbeteiligung: Mit Nephrolithiasis durch Bildung von Uratsteinen, Uratnephropathie (sie bilden sich entweder langsam infolge einer interstitiellen Ablagerung von Uratmikrokristallen oder aufgrund rezidivierender, abakterieller Nephritiden aus. Die Gefahr einer chronisch progredienten Niereninsuffizienz besteht) oder akuter Uratnephropathie (seltenes Krankheitsbild durch massive Ausfällung der Harnsäure in das Interstitium und die Tubuli der Niere).
→ Diagnose: Eine schlagartige Besserung der Symptomatik nach Cholchizingabe bestätigt die Diagnose.
→ I: Anamnese/ Klinische Untersuchung: Eruierung der Ernährungsgewohnheiten, des Alkoholkonsums, evtl. Nachweis einer arteriellen Hypertonie.
→ II: Labor:
→ 1) Serum-Harnsäurekonzentration > 6,4mg/dl (380µmol/l), zumeist > 7,0mg/dl.
→ 2) Urin: Bestimmung der Harnsäureausscheidung im 24h Urin (normal 0,25-0,75g/d) sowie der Harnsäure-Clearance (normal 5-12ml/min), die beide bei der primären Gicht erniedrigt sind. Bei der chronischen Gicht stellt die Albuminurie das Frühstadium der Nephropathie dar. Im weiteren Krankheitsverlauf kann es zum Anstieg der Retentionswerte kommen.
→ III: Röntgen:
→ 1) Akute Gicht: Meist keine radiologischen Zeichen, evtl. eine unspezifische Weichteilschwellung.
→ 2) Chronische Gicht: Charakteristische radiologische Befunde sind u.a.:
→ A) Wolkige Ablagerungen (= Gichttophi) im Weichteilbereich, insbesondere um das Olecranon, Großzehengrundgelenk, die Fingergelenke und die Kniescheibe.
→ B) Scharf begrenzte mäusebissartige Erosionen,
→ C) Subchondrale Osteolysen,
→ D) Des Weiteren können gelenknahe Usuren (= Lochdefekte) und Osteophyten bis hin zur Gelenkdestruktion nachgewiesen werden.
→ IV: Nur in seltenen Fällen ist eine Gelenkpunktion mit anschließender Synovialanalyse indiziert.
→ Differenzialdiagnose: Von der Hyperurikämie müssen insbesondere nachfolgende Erkrankungen abgegrenzt werden; hierzu gehören:
→ I: Monoarthritiden als Traumafolge, aber auch im Rahmen von bakteriellen Infektionen, der Borreliose-Arthritis sowie gelegentlich bei der Sarkoidose.
→ II: Eine weitere wichtige Differenzialdiagnose ist die Chondrokalzinose.
→ III: Der Tophus an der Hand muss differenzialdiagnostisch von den:
→ 1) Heberden-Knötchen bei der Fingerpolyarthrose,
→ 2) Rheumaknoten (chronische Polyarthritis),
→ 3) Xanthome (familiäre Hypercholesterinämie) abgegrenzt werden.
→ Therapie:
→ I: Allgemeinmaßnahmen: Wichtigste Maßnahmen sind die Gewichtsreduktion und die diätische Umstellung durch Verzicht auf purinreiche Nahrungsmittel wie Innereien, übermäßig Fleisch, Alkohol, bestimmte Gemüsearten wie Linsen, Erbsen und Spargel (Purinzufuhr < 300mg/d). Dies bietet sich insbesondere bei Patienten mit einem Serum-Harnsäurespiegel < 9mg/dl an.
→ II: Medikamentös:
→ 1) Bei Harnsäurekonzentrationen > 9mg/dl (= 535µmol/l) sollte eine medikamentöse Behandlung erwogen werden. Mittel der Wahl ist hierbei das Urikostatikum, Allopurinol mit einer Dosis von 100-300mg/d. Es hemmt die Hypoxanthinoxidase und reduziert somit die Harnsäurebildung und endogene De-Novo-Purinproduktion. Folge ist eine Senkung des Harnsäurespiegels auf Werte zwischen 5,5-6,5mg/dl (= 327-357µmol/l) mit konsekutiver Lösung und anschließender renaler Elimination der Uratablagerungen. In diesem Zusammenhang kann sich initial durch Mobilisation des Uratdepots ein akuter Gichtanfall entwickeln. Hier ist eine passagere Therapie mit NSAR indiziert.
→ 2) Bei Unverträglichkeit kann ein Urikosurikum wie Benzbromaron oder Probenecid appliziert werden. Sie steigern die Harnsäureexkretion durch Hemmung der tubulären Rückresorption. Hierbei besteht gerade in den ersten Wochen die Gefahr der Nierensteinbildung. Benzbromaron wird in der ersten Woche mit einer Dosierung von 25mg/d mit ausreichend Flüssigkeitszufuhr und Alkalisierung des Urins verabreicht, um eine akute Uratnephropathie zu vermeiden. Die Dosis in der Langzeittherapie liegt zwischen 50-100mg/d.
→ Klinisch-relevant: Zu Beginn der Therapie sollte engmaschig in 14-tägigen Abständen die Serum-Harnsäurekonzentration-Bestimmung erfolgen.
→ III: Therapie des akuten Gichtanfalls:
→ 1) Allgemeinmaßnahmen sind u.a. Ruhigstellung, Kühlung und allgemeine Bettruhe.
→ 2) Die medikamentöse Behandlung setzt das Augenmerk auf die Applikation von NSAR wie Iboprofen (400-800mg als Einzeldosis bis 2400mg/d), Diclofenac (50mg als Einzeldosis bis 150mg/d) oder Indometacin.
→ 3) Bei unzureichendem Ansprechen kann zusätzlich noch:
→ A) Ein Glukokortikoid wie Prednison 2x 25-50mg/d oder
→ B) Colchicin in einer Anfangsdosierung von 1mg, stündlicher Aufdosierung um 0,5mg bis zu einer Maximaldosis von 6-8mg/d verabreicht werden. Colchicin blockiert die Phagozytenaktivität in den erkrankten Geweben und gilt aufgrund seine ausgeprägten Nebenwirkungen wie schwere Diarrhoe, Übelkeit, Erbrechen nur als Reservemittel (Abb.: Therapie der Gicht).
→ IV: Therapie der sekundären Hyperurikämie: Bei Patienten mit einer sekundären Hyperurikämie aufgrund eines Tumorleidens ist Rasburicase zugelassen. Es handelt sich um eine rekombinante Uratoxidase, die die Oxidation von Harnsäure in Allantoin einleitet, welches wiederum leicht renal eliminiert werden kann.
→ Prognose: Unter adäquater Therapie und Prophylaxe ist die Prognose günstig, ansonsten stehen chronische Gelenkdestruktion und progrediente Nierenschädigungen im Vordergrund.
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→ Definition:
→ I: Bei den Pophyrien handelt es sich um eine heterogene Gruppe von Stoffwechselerkrankungen, die durch eine Störung in der Hämbiosynthese ausgelöst wird. Nach der Klinik und dem pathogenetischen Organbefall unterscheidet man zwischen einer erythropoetischen - und hepatischen Porphyrie.
→ II: Die akute intermittierende Porphyrie zählt zu den hepatischen Porphyrien und ist durch ein intermittierendes, polysymptomatisches Krankheitsbild mit gastrointestinalen, neurologisch-psychiatrischen und kardiovaskulären Symptomen gekennzeichnet. Ursache ist ein Defekt der Porphobilinogen-Desaminase.
→ Epidemiologie:
→ I: Die autosomal-dominant vererbte AIP stellt die zweithäufigste Porphyrie dar und besitzt eine Prävalenz von 5-10/100000 Einwohnern.
→ II: Der Manifestationsgipfel liegt zwischen der 2.-4. Lebensdekade, wobei Frauen 3-4x häufiger als Männer betroffen sind.
→ Ätiopathogenese:
→ I: Der ausschlaggebende Enzymdefekt ist eine deutliche Reduktion (auf 50%) der Porphobilinogen-Desaminase. Es resultiert eine vermehrte Aktivität der Aminolävulinsäure-Synthetase (Schlüsselenzym der Hämsynthese) in der Leber mit übersteigerter Produktion von Delta-Aminolävulinsäure und Porphobilinogen.
→ II: Der Häm-Mangel und die damit auftretende klinische Symptomatik wird erst demaskiert, wenn der Organismus vermehrt Häm benötigt.
→ III: Wichtige Triggermechanismen sind u.a.:
→ 1) Somatische wie psychische Stressoren wie z.B. Psychostressoren, Traumata, Infektionen und Operationen.
→ 2) Medikamente, die als Enzyminduktoren fungieren wie Sufonamide, Alpha-2-Rezeptoragonisten insbesondere Clonidin, Theophyllin, einige Benzodiazepine, Östrogene, Progesteron.
→ 3) Weitere Risikofaktoren sind Hunger bzw. Fasten, Alkohol, Nikotin, Hypoglykämie, prämenstruell, etc.
→ Klinik: Kennzeichnend ist die Kombination aus abdominalen, neurologisch-psychiatrischen und
kardiovaskulären Symptomen, die auf einer Fehlsteuerung des peripheren bzw. vegetativen Nervensystems beruht.
→ I: Abdomen: Heftige kolikartige Abdominalschmerzen mit Übelkeit, Erbrechen und chronischer Obstipation, die therapeutisch nur schwer beeinflussbar sind, bis hin zur Ileussymptomatik.
→ II: Neuropsychiatrisch:
→ 1) Neurologisch: Muskelschmerzen, -schwäche, Polyneuropathie, Parästhesie sowie aufsteigende Lähmungen (initial der Streckmuskulatur) bis hin zur Tetraparese und Atemlähmung. Auch können sich Hirnnervenbeteiligungen (Bulbärparalyse mit Dysarthrie, Dysphagie, Faszialisparese und Augenmuskelparese) sowie zerebrale Krampfanfälle manifestieren.
→ 2) Psychiatrisch: Störungen der Psyche mit Wesensveränderngen, Depression bis hin zur Psychose mit Halluzinationen, aber auch Delir und Bewusstseinsstörungen wie Somnolenz und Koma.
→ III: Kardiovaskulär: Hierbei stehen insbesondere die Sinustachykardie und arterielle Hypertonie im Vordergrund.
→ IV: Weitere Symptome: Sind u.a.:
→ 1) Hypokaliämie und Hyponatriämie,
→ 2) Nachdunkelnder Urin (Rotfärbung).
→ 3) Blasenfunktionsstörungen mit Oligurie.
→ 4) Leberfunktionsstörungen mit GOT/GPT-Anstieg, Bilirubinämie und Entwicklung eines Ikterus.
→ Klassifikation: Nach dem klinischen Verlauf der akuten intermittierenden Porphyrie werden folgende Subtypen unterschieden:
→ I: Manifeste Erkrankung: Mit der charakteristischen Symptomtrias (in 20-30% der Fälle).
→ II: Latente Form: Hierbei zeigt sich eine erhöhte Porphyrinausscheidung bei gleichzeitigem Fehlen klinischer Symptome.
→ III: Bei der letzten Form handelt es sich um Anlageträger ohne klinische oder laborchemische Auffälligkeiten.
→ Diagnose: Durch die Vielgestaltigkeit der klinischen Symptomatik der akut intermittierenden Porphyrie erfolgt häufig eine Fehldiagnose.
→ I: Anamnese/klinische Untersuchung: Mit Familien-, Medikamentenanamnese und Nachweis bestehender Triggermechanismen sowie möglicher Eruierung einer Dunkel- bzw. Rotfärbung des stehenden Urins.
→ II: Labor:
→ 1) Bei klinischem Verdacht ist eine Metabolitenuntersuchung zum Nachweis der Prophorinvorläufer wie Delta-Aminolävulinsäure, Porphobilinogen indiziert (z.B. durch den Hoesch-Schwartz-Watson-Test); die quantitative Bestimmung erfolgt über den 24h-Sammelurin.
→ 2) Im Vergleich zur Porphyria variegata und Koproporphyrie sind die Porphyrine im Stuhl im Normbereich.
→ 3) Bestimmung der Aktivität der Porphobilinogen-Desaminase.
→ 4) Weitere unspezifische Laborveränderungen sind u.a. eine Anämie, Leukozytose sowie ein erhöhter GOT/GPT-Quotient und nicht zuletzt eine möglich Bilirubinämie.
→ III: Screening-Untersuchungen: Die genetische Screening-Untersuchung sollte bei allen Patienten mit familiärer Belastung erfolgen, um eine frühzeitige Diagnose, Therapie und Prophylaxe einzuleiten, da diese Interventionen für die Morbidität und Mortalität von großer Bedeutung sind.
→ Differenzialdiagnose: Von der akuten intermittierenden Porphyrie müssen insbesondere nachfolgende Erkrankungen abgegrenzt werden:
→ I: Weitere Pophyrien insbesondere auch die nicht-akuten Formen, bei denen die Porphyrinvorläufer nicht erhöht sind.
→ II: Somatische Erkrankungen, die mit einer Ileussymptomatik bzw. einem „ akuten Abdomen“ wie z.B. Divertikulose bzw. Divertikulitis, Colon irritabile, Komplikationen eines kolorektalen Karzinoms, etc. einhergehen.
→ III: Sekundäre Porphyrien infolge von Leberdestruktionen, Cholestase, Eisen- (z.B. Hämochromatose) und Bilirubinstoffwechselstörungen, Neoplasien sowie bei Blei- und Thalliumintoxikationen.
→ IV: Thyreotische Krise (vegetative Symptome).
→ V: Auch muss das Guillain-Barre-Syndrom von der AIP abgegrenzt werden.
→ Therapie:
→ I: Allgemeinmaßnahmen:
→ 1) Es erfolgt das sofortige Absetzten potenziell auslösender Medikamente bzw. die sofortige Beseitigung der Triggermechanismen.
→ 2) Eine weitere Maßnahme ist die intensivmedizinische Überwachung, da sich eine bulbäre Atemlähmung bei aufsteigender Parese ausbilden kann.
→ II: Medikamentöse Therapie:
→ 1) Eine hochdosierte Applikation von Glukose 300-500g/d i.v. führt zur Hemmung der gesteigerten ALA-Synthese-Aktivität mit konsekutiver Suppression der Hämbiosynthese.
→ 2) Insbesondere bei schweren Krankheitsverläufen mit neurologischen Ausfällen bzw. fehlender klinischer Besserung ist Häm-Arginin (3mg/kgKG/d) an bis zu 4 aufeinanderfolgenden Tagen indiziert.
→ 3) Focierte Diurese mit Furosemid (40-80mg/d) dient der Ausschwemmung der Stoffwechselmetaboliten.
→ III: Symptomatische Therapie: Mit:
→ 1) ASS oder Gabapentin zur Behandlung der Schmerzen.
→ 2) Elektrolyt- und Volumenausgleich.
→ 3) Psychiatrische Symptome werden zumeist mit Diazepam, Lorazepam oder Chlorpromazin therapiert.
→ 4) Sinustachykardie und arterielle Hypertonie sprechen gut auf Beta-Rezeptor-Blocker an.
→ 5) Eine akute Obstipation oder Ileussymptomatik kann mit Neostigmin (0,25-1,0mg i.m.) behandelt werden.
→ 6) Weitere Maßnahmen sind Therapie der Hyperemesis (Chlorpromazin, Ondansedron), möglicher Krampfanfälle (Ausgleich der Hyponatriämie bei SIAD oder Diazepam) sowie eine evtl. Beatmung.
→ Prognose:
→ I: Unter frühzeitiger und adäquater Therapie und Prophylaxe insgesamt günstig.
→ II: Prädiktoren für eine ungünstige Prognose sind u.a.
→ 1) Muskelschwäche,
→ 2) Bewusstseinsstörungen,
→ 3) Hyponatriämie sowie
→ 4) Bulbärparalyse und Beatmungspflichtigkeit.
→ III: Bei der akuten intermittierenden Prophyrie besteht ein erhöhtes Risiko für das hepatozelluläre Karzinom und hypertensive Nierendestruktionen.
→ Prophylaxe: Von großer Bedeutung ist die Prophylaxe mit Beseitigung der Triggermechanismen (insbesondere Alkohol und Medikamente); hierzu zählen:
→ I: Meiden spezifischer Medikamente wie Barbiturate, Sulfonamide, Metoclopramid, Ergotaminpräparate, Halothan, etc.
→ II: Vermeiden von Hungerzuständen und Fasten durch regelmäßige Kohlenhydratzufuhr.
→ III: Niedrig dosierte Kontrazeptiva/LHRH-Analoga Applikation zur Vermeidung von Zyklusschwankungen, etc.