→ Definition: Bei der Hemmkörperhämophilie handelt es um eine sehr seltene, erworbene Gerinnungsstörung, die durch Bildung von Antikörpern gegen einen Gerinnungsfaktor gekennzeichnet ist. Ein bevorzugtes Zielprotein mit konsekutiver adaptiver Immunantwort ist der Gerinnungsfaktor VIII.
→ Epidemiologie:
→ I: Die Bildung von inhibitorischen Antikörpern gegen Gerinnungsfaktoren stellt mit einer Inzidenz von 1-4/1 Million Einwohner pro Jahr eine sehr seltene Erkrankung dar.
→ II: Die Inzidenz ist altersabhängig und wird bei Kleinkindern fast gar nicht beobachtet, während sie im Erwachsenenalter schon bei ca. 15% der Fälle liegt.
→ III: Es zeigen sich 2 Manifestationsgipfel:
→ 1) Ein kleinerer Peak zwischen dem 20.-30. Lebensjahr und
→ 2) Ein zweiter größerer - zwischen dem 65.-80. Lebensjahr, wobei beide Geschlechter gleichermaßen betroffen sind.
→ Ätiopathogenese:
→ I: Es kommt zur Bildung von Hemmkörpern bevorzugt gegen den Gerinnungsfaktor VIII (in 2-6% der Fäkke gegen den Gerinnungsfaktor IX).
→ 1) Bei der Synthese der Antikörper können 2 Subtypen unterschieden werden:
→ 2) Richtet sich der AK gegen funktionell strategische Epitope kommt es zur Funktionsstörung des Gerinnungsfaktors.
→ 3) Richtet sich der AK wiederum gegen nicht funktionell-relevante Epitope des Gerinnungsfaktors, ist eine reduzierte Halbwertszeit des Gerinnungsfaktors nachweisbar. Diese präzipitierenden AK induzieren eine Blutungsneigung durch Reduktion der Plasmakonzentration an Gerinnungsfaktoren.
→ II: Ätiologie:
→ 1) 10-30% der Patienten mit Hämophilie A bilden im Verlauf der Substitutionstherapie eine Hemmkörperphilie aus (2-6% der Patienten mit Hämophilie B).
→ 2) Auch bei erworbenen Hämophilie-Formen wie z.B. systemischer Lupus erythematodes, maligne Lymphome, medikamenteninduziert nach Penicillin- und Sufonamid-Gabe, Verbrennungen, Infektionen insbesondere Hepatitis B und Hepatitis C, aber auch im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft oder idiopathisch, etc. kann sich eine Hemmkörperhämophilie entwickeln.
→ III: Eine familiäre Häufung ist im Gegensatz zur Hämophilie nicht bekannt.
→ Klinisch-relevant: Bei etwa 10% der Patienten mit systemischen Lupus erythematodes tritt das Lupus-Antikoagulanz, ein Phospholipid mit gerinnungshemmender Wirkung auf. 50% dieser Patienten entwickeln Thromboembolien.
→ Klinik: Das klinische Bild lässt sich von der Hämophilie abgrenzen:
→ I) Es dominieren Weichteilblutungen wie Muskel-, Haut- und Schleimhautblutungen, während intraartikuläre Blutungen extrem selten sind.
→ II: Hinzu kommen Organblutungen, intrazerebrale Blutungen sowie retropharyngeale Blutungen mit konsekutiver Verlegung der Atemwege.
→ III: Es zeigt sich also eine hämorrhagische Diathese, die nach Faktor-(VIII)-Substitution keine Besserung zeigt.
→ Komplikationen: Bei der Hemmkörperhämophilie kann es zu schwerwiegenden Komplikationen kommen; hierzu zählen insbesondere:
→ I: In bis zu 90% kommt es zu schweren bis lebensbedrohlichen Blutungen. Die Mortalitätrate liegt zwischen 8-22%.
→ II: Gefahr der Entwicklung eines anaphylaktischen Schocks.
→ Diagnose:
→ I: Wichtig hierbei ist eine umfangreiche Eigenanamnese inklusive der Abklärung von Vorerkrankungen, etc.
→ II: Labor: (Abb.: Weiterer Diagnose-Algorithmus bei verlängerter aPTT):
→ 1) Mit Bestimmung von aPTT (verlängert) und der Prothrombinzeit (nach Quick), die normal aber auch verlängert sein kann.
→ 2) Die Entwicklung des Hemmkörpers (= AK) bedeutet, dass nach Substitution des Konzentrats der Faktor-VIII-Anstieg und konsekutiv die blutstillende Wirkung ausbleibt. Im Mittelpunkt der Diagnose steht der Nachweis des Antikörpers mittels Plasmaaustauschversuchs sowie die quantitative Bestimmung des AK-Titers (in Bethesda-Einheit/ml). Bei der Titerbestimmung unterscheidet am abhängig von Bethesda-Einheit (> 5/< 5) zwischen 2 Typen:
→ Differenzialdiagnose: Differenzialdiagnostisch muss insbesondere auch die (isolierte) Hämophilie A/B und das Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom abgegrenzt werden.
→ Therapie: Bei der Hemmkörperhämophilie stehen 2 Therapieoptionen im Vordergrund:
→ I: Gerinungssubstitution: Mit speziellen Gerinnungsfaktoren wie rekombinierter Faktor VIIa und FEIBA (= factor-eight-inhibitory-bypassing-activity). Bei letzterem handelt es sich um ein aktivierten Prothrombinkomplex.
→ II: Eine weitere Behandlungsintervention ist die Applikation von Glukokortikoiden.
→ III: Eine weitere untergeordnete Therapie möglichkeit ist die Plasmapherese.
→ IV: Bei allen Therapieoptionen ist die Behandlungskontrolle durch eine Faktorenanalyse obligat.