→ Definition: Bei der Rotatorenmanschettenruptur handelt es sich um einen Riss einer oder mehrerer Sehnen der Rotatorenmanschette, die das Caput humeri überdacht und sich aus den Sehnen des M. supra- , M. infraspinatus, M. subscapularis und des M. teres minor zusammensetzt.

Anatomie:

→ I: Die Rotatorenmanschette besteht aus folgenden Muskeln:

→ 1) M. supraspinatus (Ursprung: Fossa supraspinata, Ansatz: Tuberculum majus),

→ 2) M. infraspinatus (Fossa infraspinata, Ansatz: Tuberculum majus, distal des M. supraspinatus),

→ 3) M. subscapularis (Ursprung: Fossa subscapularis; Ansatz: Tuberculum minus) und

→ 4) M. teres minor (Ursprung: Neben dem M. infraspinatus, Ansatz: Tuberculum majus).

648 Schematische Darstellung der Rotatorenmanschette

→ II: Funktion:

→ 1) M. supraspinatus: Ist ein Abduktor; infolge eines Risses ist die Abduktion deutlich kraftgemindert und es stellt sich ein Hochstand des Humeruskopfes ein. Geprüft wird der Muskel, indem der Untersucher Widerstand gegen den abduzierten, gestreckten Arm ausübt.

 

Klinisch-relevant: Bei Abduktion nähert sich der Humeruskopf, infolge einer Ruptur der Muskelsehne, dem Akromion und übt Druck aus, sodass sich hierbei ein schmerzhafter Bogen = Painful arc (70°-130°) ausbilden kann.

 
2) M. Infraspinatus/teres minor: Stellen beide Außenrotatoren dar. Die Prüfung erfolgt durch Aufbau von Widerstand gegen den außenrotierten und im Unterarm angewinkelten Arm.

→ 3) M. subscapularis: Ist ein Innenrotator.

 

→ Epidemiologie: Die Ruptur der Rotatorenmanschette kann sowohl partiell als auch komplett erfolgen. Männer sind deutlich häufiger als Frauen betroffen (M : F = 10 : 1), wobei der Manifestationsgipfel nach dem 50. Lebensjahr liegt. Im fortgeschrittenen Alter handelt es sich überwiegend um degenerative Rupturen und nicht selten ist die rechter Schulter betroffen.

 

Pathogenese:

→ I: Degenerativ:

→ 1) Infolge einer Sehnennekrose bei bestehender Durchblutungsstörung und repetitiver Überbelastung (z.B. Überkopfsportarten, etc.)

→ 2) Verursacht durch eine Einengung des Subakromialraumes  z.B. infolge eines haken-förmiges Akromions (Impingement-Syndrom), Akromioklavikular-Arthrose, Bursitis subacromialis.

II: Traumatisch: Die rein traumatische Pathogenese ohne degenerative Veränderungen manfestiert sich sehr selten und bedarf einer "high energy". Ursachen sind insbesondere:

→ 1) Im Zuge einer traumatischen Schulterluxation,

→ 2) Abrissfraktur der Tuberkula.

 

Klassifikation: Bei der Rotatorenmanschettenruptur existieren verschiedene Klassifikationen.

→ I: Nach Rupturlokalisation:

647 Klassifikation nach Rupturlokalisation

II: Rupturpathogenese nach Neer:

→ 1) Isolierte Rotatorenmanschettenruptur nach Trauma oder wiederholten Mikrotraumata.

→ 2) RM-Ruptur in Kombination mit einer Schulterluxation,

→ 3) Sekundär bei Impingement-Syndrom.

III: Weitere Klassifikation: In

→ 1) Partiell ruptiert,

→ 2) Komplette Ruptur der Rotatorenmanschette (= Humeruskopfglatze) und

→ 3) Knöcherner Ausriss am Humeruskopf.

 

Klinik:

→ I: Akute Symptome: Initial ausgeprägte Schmerzen, Pseudoparese mit Unfähigkeit, den Arm aktiv zu abduzieren bei Supraspinatusruptur.

723 Klinische Zeichen der frischen Rotatorenmanschettenruptur

 II: Chronische Symptome: Die Symptomatik entsteht langsam mit geringerem aktiven Bewegungsverlust.

→ 1) Hier stehen die Schmerzen im Vordergrund wie Bewegungsschmerz bei körperlicher Belastung, Nachtschmerz (Liegen auf der Schulter nicht möglich), Bewegungseinschränkung und Kraftminderung, aber auch Krepitationen, Schnappeffekte und Pseudoparalysen.

→ 2) Paintful Arc: Bewegungsschmerz bei aktiver Hebung des Arms zwischen 70° und 130°; bei passiver Unterstützung durch z.B. den Untersucher verschwindet der Schmerz. (Differenzialdiagnostisch muss ein hoher schmerzhafter Bogen zwischen 110° und 160° abgegrenzt werden. Hierbei zeigt sich keine Besserung des Schmerzes bei passiver Unterstützung. Ursache ist eine Erkrankung Akromioklavikulargelenk).

 

Diagnose:

→ I: Anamnese/klinische Untersuchung:

→ 1) Supraspinatus-Test nach Jobe: Positiv; Schulterschmerz bei 90° abduzierten, 30° horizontal-flexierten und innenrotierten (= Daumen zeigen nach unten) Arms gegen Widerstand.

→ 2) Drop-Arm-Test: Der passiv 90° abduzierte und außenrotierte Arm kann nicht in der Position gehalten werden.

→ 3) Impingement Test: (nach Hawkins) Positiv mit Auslösung von Schmerzen im Schultergelenk während oder am Ende des Untersuchungsverfahrens .

→ 4) Lift-off-Test: Der Test zur Funktionsüberprüfung des M. subscapularis ist positiv.

II: Bildgebende Verfahren:

→ 1) Röntgen: Der Schulter in 2 Ebenen ( a.p. und axial) zur Bestimmung des akromiohumeralen Abstandes bzw. zum Nachweis eines Humeruskopf-Hochstandes, degenerativen Veränderungen, Kalkablagerungen und osteophytischen Anbauten,

→ 2) Sonographie:

→ A) Akut: Darstellung von Einblutungen in die umliegenden Weichteile, eines Hämarthros, des Sehnendefektes der Rotatorenmanschette.

→ B) Chronisch: Darstellung einer Bursitis subacromialis, einer Muskelatrophie und/oder der retrahierten Sehnenstümpfe.

→ 3) MRT: siehe oben.

 

Differenzialdiagnose: Von der Rotatorenmanschettenruptur müssen insbesondere nachfolgende Erkrankungen abgegrenzt werden:

→ I: Paralysen aufgrund von Läsionen des N. axillaris oder des N. suprascapularis.

II: Schmerzbedingte Blockaden infolge von Tendopathien oder einer Arthrose.

 

Therapie:

→ I: Konservativ: Sie ist gerade im Rahmen degenerativ verursachter Rupturen bei inaktiven Patienten mit geringer Compliance indiziert:

→ 1) Antiphlogistische - und Analgetikatherapie zur Schmerzlinderung.

→ 2) Ruhigstellung in einer Oberarmgipsschiene für ca. 1 Woche; ansonsten besteht die Gefahr einer Schultersteife.

→ 3) Anschließend Physiotherapie und Bewegungsaufbau.

→ II: Operativ:

→ 1) Indikation: Ist:

→ A) Eine akute traumatische Rotatorenmanschetten-Ruptur,

→ B)  Erfolglose konservative Therapie mit persistierenden Beschwerden über 6-8 Wochen

→ 2) Verfahren:

→ A) Arthroskopisch: Es erfolgt eine subakromiale Dekompression durch eine Akromioteilresektion oder eine Rotatorenmanschettenrekonstruktion durch direkte Sehnennaht.

B) Offenes Verfahren: Ventraler Zugang durch eine horizontale Inzision zwischen AC-Gelenk und Tuberculum majus. Bei frischer Ruptur ist eine transossäre Refixation des ruptierten Sehnenanteils über einen Knochenankers (Mitek-Anker) indiziert. Bei größeren Defekten sollte evtl. ein Muskeltransfer (z.B. M. latissimus dorsi) erfolgen.

C) Postoperativ:  Bei  der Sehnenrekonstruktion wird eine Schienung in Abduktionsstellung für 4 Wochen appliziert.

 

Komplikationen:

→ I: Intraoperativ: Verletzungen des N. axillaris bzw. Plexus brachialis.

→ II: Postoperativ: Nachblutungen, Infektionen, Schultersteife (= frozen shoulder).