→ Definition: Unter dem Kurzdarmsyndrom versteht man die metabolischen und nutritiven Folgen (im Sinne eines Malabsorptionssyndroms) einer ausgiebigen Dünndarmresektion bzw. Funktionsstörung bedeutender Darmabschnitte. Die klinische Symptomatik ist insbesondere von 2 Faktoren abhängig von:
→ I: Länge des verbleibenden Restdarms und
→ II: Ort der Resektion.
→ Pathogenese: Es entwickelt sich zumeist im Zuge eines Morbus Crohn bzw. nach einem Mesenterialgefäßverschluss (-infarkt) mit anschließender ausgiebiger Dünndarmresektion. Beim Kind hingegen stehen Mekoniumileus, Volvulus, Inkarzeration in eine Hernie als Ursache im Vordergrund.
→ Klinisch-relevant: Insbesondere die Entfernung von Darmabschnitten, die für spezielle Funktionen des Dünndarms verantwortlich sind (wie das Duodenum, das proximale Jejunum, distale Ileum und die Bauhin-Klappe), führt schon bei weniger ausgedehnter Resektion zur klinischen Symptomatik.
→ A) Bei der Resektion von 50% des mittleren Jejunums kann dies durch eine Mukosahyperplasie des Restdarms kompensiert werden. Erfolgt eine noch ausgiebigere Resektion bildet sich ein Malassimilationssyndrom aus.
→ B) Bei Entfernung des Duodenums und oberen Jejunums kommt es zum Verlust von Wasser, NaCl, Kalzium und Eisen.
→ C) Bei Entfernung des Jejunums und oberen Ileums findet man vorwiegend einen Verlust von Wasser im weiteren Verlauf bildet sich dann auch ein Eiweiß- und Fettverlust aus.
→ D) Bei ausgiebiger Resektion des (terminalen) Ileums manifestiert sich charakteristischerweise ein Vitamin B12-, Gallensäure-Verlust (siehe auch Gallensäureverlustsyndrom) sowie das erhöhte Risiko für die Entwicklung von Kalziumoxalat-Nierensteinen. Der dauerhafte Verlust der Gallensäure führt nicht selten zur symptomatischen mit Choletyramin kaum beherrschbaren cholinergen Diarrhö.
→ E) Zusammenfassend kann beobachtet werden, dass
→ 1) Die Duodenumresektion zur Störung der Eisen-, Folsäure- und Calciumresorption führt.
→ 2) Die Entfernung des proximalen Jejunums mit einer verminderten Aktivität an Bürstensaumenzymen mit Disaccharidase- und Laktasemangel einhergeht und
→ 3) Der Verlust des distalen Ileums Störungen des Gallensäure- und Vitamin-B12-Stoffwechsels aufweist.
→ Klinik: Beim Kurzdarmsyndrom stehen die Leitsymptome der Malassimilation im Vordergrund; hierzu zählen u.a.:
→ I: Persistierende, voluminöse (chologene) Diarrhoen, evtl. Steatorrhoe.
→ II: Gewichtsverlust, bis hin zur Kachexie.
→ III: Mangelerscheinungen (z.B. Zinkmangel, Vitamin-D-Mangel, Osteopathien wie die Osteoporose) aufgrund einer Malabsorption, aber auch Laktoseintoleranz.
→ IV: Blutbildveränderungen wie die Anämie sowie Gerinnungsstörungen.
→ V: Weitere Symptome: Sind insbesondere:
→ 1) Polyneuropathie,
→ 2) Gallensteinleiden sowie Nephrolithiasis.
→ 3) Exsikkose und perianale Hautreizung.
→ Komplikation: Eine wichtige Komplikation ist die D-Laktat-Azidose:
→ I: Ätiologie:
→ 1) Das Kurzdarm-Syndrom begünstig das Wachstum von D-Laktat (ein Isomer des L-Laktats) produzierender Bakterien wie Streptoccocus bovis, Bacterium bifidus.
→ 2) Gerade infolge kohlenhydratreicher Nahrungszufuhr besteht die Gefahr der D-Laktatazidose-Entwicklung, die sich mittels Standard-L-Laktatbestimmung nicht nachweisen lässt.
→ II: Klinik: Vor allem werden neurologische Symptome mit Kopfschmerzen, Schwäche, Desorientierung, Dysarthrie und Ataxie beschrieben.
→ III: Therapie:
→ 1) Kohlenhydratrestriktion sowie
→ 2) Es erfolgt eine antibiotische Therapie mit Vancomycin oder Metronidazol zur Reduktion der D-Laktat produzierenden Bakterien (siehe auch Laktatazidose).
→ Diagnose: Die Diagnose wird klinisch gestellt, der verbliebene Dünndarm sollte radiologisch dokumentiert werden. Die Diagnostik umfasst nachfolgende Aspekete:
→ I: Qualitative als auch quantitative Bestimmung der Diarrhoe durch Messerung der Stuhlentleerungen pro Tag, des Stuhlgewichtes und des Stuhlfettgehaltes.
→ II: Erfassung möglicher Mangelzustände durch Bestimmung der spezifischen serologischen Parameter wie die Serumkonzentration von Eisen (Ferritin), Kupfer, Kalzium, Phosphat sowie von Folsäure und Vitamin B12. Besteht eine Steatorrhoe sollten zusätzlich die Konzentrationen der fettlöslichen Vitamine (E, D, K, A) bestimmt werden.
→ Therapie:
→ I: Die Behandlung des Kurzdarmsyndroms erweist sich zumeist als sehr schwer und ist insbesondere vom Alter des Patienten und der Restdarmlänge abhängig. Eine sowohl strukturelle als auch funktionelle Adaption des verbliebenen Darms ist über ein Zeitintervall von Monaten bis Jahren grundsätzlich möglich. Wichtige Apaptionsvorgänge sind v.a.:
→ 1) Dilatation und Elongation des verbleibenden Darmabschnittes
→ 2) Ausgeprägte Steigerung der Proliferationsrate der epithelialen Krypten.
→ 3) Zunahme der Zottenhöhe und Kryptentiefe.
→ II: Die klinischen Zeichen für eine entsprechende Anpassung sind u.a. eine Abnahme der Diarrhoe sowie die Gewichtszunahme. Bei einer Restdünndarmlänge von < 1m ist jedoch eine lebenslange Substitutionstherapie indiziert. Hierzu zählen:
→ 1) Substitution eines Austauschharzes wie Cholestyramin,
→ 2) Substitution von Proteinen, Elektrolyten sowie mittelkettigen Fetten, aber auch der fettlöslichen Vitamine A, E, D und K.
→ 3) Bei megaloblastärer Anämie ist die Applikation von Vitamin B12 und Folsäure obligat.
→ 4) Bei langstreckigen Dünndarmresektionen erfolgt eine parenterale Ernährung. Ultima ratio stellt die Dünndarmtransplantation dar.
→ III: Chirurgische Therapie: Mit der Entwicklung des Immunsuppressivums Tacrolimus wird die Dünndarmtransplantation bei Kurzdarmsydrom in speziellen Zentren durchgeführt.
→ Prognose: Ist abhängig von der Länge des resezierten Dünndarms und von der Grunderkrankung.