→ Definition:
→ I: Die dissoziative Störung auf somatischer Ebene äußert sich oftmals in körperlichen, neurologischen Beschwerden, ohne dass eine organische Ursache nachweisbar ist (siehe auch Klinik dissoziativer Störungen auf psychischer Ebene).
→ II: Hierzu gehören:
→ 1) Dissoziative Bewegungsstörungen
→ 2) Dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen,
→ 3) Gemischte dissoziative Störungen und
→ 4) Der dissoziative Krampfanfall (Epilepsie).
→ Klinik:
→ I: Dissoziative Bewegungsstörungen: (Frauen sind häufiger als Männer betroffen) Hierbei kommt es zu einer Veränderungen oder dem Verlust der Bewegungsfunktion (= Funktionsausfälle auf dem Gebiet der Willkürmotorik) ohne Nachweis einer somatischen Ursache und es manifestieren sich besonders häufig neurologische Symptome:
→ 1) Unvollständige oder vollständige Lähmungen einzelner Körperpartien bis hin zur Querschnittslähmung (bei erhaltenen Reflexen und Anspannung der Antagonisten),
→ 2) Abasie: Unfähigkeit ohne Unterstützung zu gehen,
→ 3) Astasie: Unfähigkeit alleine zu stehen,
→ 4) Ataxie: Koordinationsstörungen, vor allem im Bereich der unteren Extremität mit bizarrem Gangbild.
→ 5) Übertriebener zumeist grobschlägiger Tremor und Zittern.
→ 6) EIne weitere dissoziative Störung kann die Sprache betreffen; typische klinische Beschwerden sind Aphonie und Dysarthrie. Des Weiteren finden man Schluckstörungen und Schiefhals.
→ 7) Nur noch selten findet man die klinische Maximalform der dissoziativen Störung, den Arc de circle, bei der der Körper in Rückenlage überstreckt ist und eine Brückenform ausbildet.
Begleitende therapeutische Maßnahmen sind u.a. die Krankengymnastik zur Vermeidung von Atrophien und Kontrakturen. Benzodiazepine sollten aufgrund ihrer muskelrelaxierenden Wirkung (insbesondere bei Lähmungen) und ihres Abhängigkeitspotenzials vermieden werden.
→ Klinsch-relevant:
→ A) Die somatischen Beschwerden folgen den subjektiven Vorstellungen des Patienten und weichen somit nicht selten von den anatomischen und physiologischen Gegebenheiten ab.
→ B) Z.T. weisen die Patienten Symptomkonstellationen auf, die bei einer nahestehenden Bezugsperson bestehen.
→ II: Dissoziative Sensibilitäts-/Empfindungsstörungen: Die Funktionsausfälle liegen auf dem Gebiet der Sensorik und/oder Sensibilität.
→ 1) Sie betreffen sehr häufig die Sensibilität der Haut mit Anästhesien, Hypästhesien und Dysästhesien und entsprechen keinenfalls den anatomischen (zentralen/peripheren) Innervationengebieten, sondern vielmehr den eigenen Körpervorstellungen.
→ 2) Des Weiteren können sich visuelle Störungen wie Verschwommen- oder Tunnelsehen oder selten psychogene Blindheit manifestieren.
→ 3) Dissoziative Hör- und Geruchsstörungen (= Anosmie) stellen die Ausnahme dar.
→ 4) Von den dissoziativen Sensibilitäts-/Empfindungsstörungen sind insbesondere nachfolgende Erkrankungen abzugrenzen:
→ A) Frühstadium der MS,
→ B) Die lavierte Depression mit Klagen über somatische Funktionsstörungen; hierbei manifestieren sich zusätzlich charakteristische affektive Symptome.
→ C) Somatisierungsstörungen: Zumeist multiple, rasch wechselnde somatische Beschwerden.
→ D) Zerebrale Insulte: Die Paresen bestehen entsprechend der zerebralen Infarktgebiete.
→ Klinisch-relevant:
→ A) Bei den Sensibilitätsstörungen entsprechen die Beschwerden oftmals nicht dem anatomischen Versorgungsgebiet der Nerven.
→ B) Treten sowohl motorische als auch sensible Phänomene auf, spricht man von einer gemischten dissoziativen Störung.
→ III: Dissoziativer Krampfanfall: (= pseudoepileptischer Anfall) Diese können einen "echten" epileptischen Krampfanfall imitieren und sind durch die plötzliche und zeitlich begrenzte Störung der Kontrolle von motorischen, sensorischen, kognitiven Funktionen charakterisiert. Jedoch lassen sich meist charakteristische Unterschiede aufweisen:
→ 1) Beim dissoziativen Krampfanfall besteht keine echte Bewusstlosigkeit, sondern vielmehr ein stuporöser Zustand, die Augen sind zumeist geschlossen und es wird ein Widerstand, beim Versuch die Augen zu öffnen, deutlich. Die Pupillen sind nicht lichtstarr.
→ 2) Die Bewegungen im dissoziativen Anfall sind häufig dysrhythmisch und bizarr.
→ 3) Phänomene wie Zungenbiss, Einnässen, Einkoten oder Sturzverletzungen manifestieren sich meist nicht.
→ 4) Laborchemisch fehlen der Prolaktin-, neurospezifischer Enolase- und Kreatinkinase-Anstieg.
→ 5) Die anschließende Reorientierungsphase ist beim dissoziativen Krampfanfall deutlich kürzer und
→ 6) Charakteristische Epilepsie-Potenziale fehlen im EEG.
Differenzialdiagnostisch müssen vom dissoziativen Krampfanfall nachfolgende Erkrankungen abzugrenzt werden:
→ 1) Epileptische Anfälle mit typischen EEG-Veränderungen, Sturzverletzungen, Zungenbiss etc.
→ 2) Synkopale Anfälle (kardiologische Diagnostik mit EKG, LZ-EKG, Belastungs-EKG, LZ-RR, Kipptisch-Untersuchung etc.).
→ 3) Intoxikation mit Drogen, Alkohol oder Medikamenten.
→ 4) Komplizierte Migräne-Attacken: Neben den massiven Kopfschmerzen bestehen visuelle Störungen und neurologische Symptome mit Ophthalmoplegie, Hemiplegie, Verwirrtheitszuständen etc.