→ Definition: Bei der Elektrokonvulsionstherapie handelt es sich um ein Therapieverfahren zur Auslösung eines generalisierten zerebralen Krampfanfalls durch eine kurze elektrische Stimulation (30-70Hz bei 600 mA) des Gehirns unter kontrollierten Bedingungen. Bei adäquater Indikationsstellung ist es eine sehr wirksame Therapieform, die u.U. lebensrettend sein kann.
→ Hauptindikationen: Sind akute lebensbedrohliche psychiatrische Situationen, wie
→ I: Perniziöse (fibrile) Katatonie,
→ II: Schwere wahnhafte Depressionen, depressiver Stupor, Major Depression mit hoher Suizidalität oder schwerer Nahrungsverweigerung (die Ansprechrate wird bei depressiven Störungen zwischen 75-95% angegeben), sowie in der Behandlung schizoaffektiver Psychosen mit schwerer depressiver Verstimmung.
→ III: Sekundär bei schwerer therapieresistenter Schizophrenie, anderen psychotischen Störungen und beim malignen neuroleptischen Syndrom.
→ Wirkungsmechanismus:
→ I: Ist noch nicht genau geklärt.
→ II: Angenommen wird eine Verstärkung der noradrenergen, GABAergen, dopaminergen und serotonergen Neurotransmission, eine Zunahme der De-novo-Synthese von Neurotransmittern, die Steigerung der postsynaptischen Rezeptorsensibilität bzw. -affinität sowie die Stimulation der hippocampalen Neurogenese (mit erhöhter Neubildung von Synapsen).
→ III: Der Wirkungseintritt der EKT erfolgt schnell, die Wirkdauer ist jedoch meist nicht lang.
→ Klinisch-relevant: Die Elektrokrampftherapie erfordert immer die Einwilligung des Patienten oder seines Betreuers, sodass ein umfassendes Aufklärungsgespräch und entsprechende klinische Voruntersuchungen (z.B. EKG, EEG etc.) obligat sind.
→ Durchführung:
→ I: Einleitung einer Kurznarkose unter Muskelrelaxation (z.B. Suxamethoniumchlorid) und Präoxygenierung.
→ II: Nach Anbringen der EKT-Elektroden, unilateral im temporoparietalen Bereich der nicht-dominanten Hemisphäre, wird ein elektrischer Stromimpuls von 600 mA über 5-8 sec. appliziert.
→ III: Folge ist die Auslösung eines generalisierten tonisch-klonischen Krampfanfalls, der motorisch mindestens 20sec. und im EEG 30sec. sichtbar sein sollte.
→ IV: Bei der 1. EKT-Sitzung wird die individuelle Krampfschwelle ermittelt, um bei den folgenden Behandlungen den Stromimpuls oberhalb der Schwelle anzusetzten.
→ 1) Unilaterale Stimulation: (unilateral-rechts) Die Elektrode wird rechts temporal, eine weitere rechts hochparietal positioniert (hierbei wird zumeist die nicht-dominante Hemisphäre stimuliert). Der Stromimpuls liegt 2,5 bis max.12-fach über der Krampfschwelle.
→ 2) Bilaterale Stimulation: (= bitemporale Stimulation) Die Elektroden werden rechts und links temporal positioniert; in der Regel 1,5-fach oberhalb.
→ Therapiedauer:
→ I: In der Regel sind 6-12 EKT-Sitzungen in Serie (= Indexserie) angesetzt; dabei erfolgen 2-3 Sitzungen/ Woche.
→ II: Ist nach der 6.-8. Sitzung kein ausreichender Erfolg zu verzeichnen, kann auf eine bilaterale Stimulation zur Augmentation umgestellt werden.
→ III: Bei perniziöser Katatonie oder wahnhafter Depression mit ausgeprägter Suizidalität kann gegebenenfalls auch primär eine bilaterale Stimulation erfolgen.
→ Klinisch-relevant:
→ A) Die bilaterale temporale Stimulation ist zwar effektiver, verursacht jedoch auch häufiger vorübergehende kognitive Störungen (über Stunden bis einige Tage). Deutlich seltener wird die bilaterale Stimulationsmethoden angewandt.
→ B) Sie ist deshalb nur bei schwerstkranken Patienten in akuter Lebensgefahr indiziert.
→ C) Das Therapieverfahren weist eine hohe Rückfallquote auf, sodass eine konsequente Weiterbehandlung nach erfolgreicher Indexserie obligat ist.
→ D) Vor der EKT sollten folgende Medikamente abgesetzt werden:
→ 1) Benzodiazepine: Verhindern die Auslösung eines Krampfanfalls, daher ist ein vorheriges Absetzten des Medikaments bzw. die Gabe eines Benodiazepin-Anatagonisten wie Flumazenil indiziert.
→ 2) Stimmungsstabilisatoren: Auch diese verhindern bzw. unterdrücken die Auslösung eines Krampfanfalls.
→ 3) Lithium: Verursacht vermehrt Verwirrtheitszustände. Es wird am Tag vor der EKT-Sitzung abgesetzt und am darauffolgenden Tag wieder angesetzt. Der Lithiumspiegel sollte < 0,5mmol/l liegen.
→ Nebenwirkungen: Charakteristische Nebenwirkungen sind:
→ I: Spannungskopfschmerzen stelllt mit 30% der Fälle die häufigste Nebenwirkung dar.
→ II: Muskelkaterartige Schmerzen und evtl.postiktale (= nach dem Krampfanfall) motorische Unruhe, meist über ein Zeitintervall von 5-15min.
→ III: Initiale Vagusreizung mit Bradykardie und der Gefahr der Asystolie; im Anschluss kommt es zu einer Sympathikusaktivierung mit RR- und Pulsanstieg sowie Extrasystolen.
→ IV: Übelkeit und Erbrechen.
→ V: Evtl. Ausbildung einer ante- oder retrograden Amnesie (insbesondere bei der bilateralen Stimulation), die jedoch zumeist innerhalb von einigen Stunden bis Tagen abklingen sowie
→ VI: Leichtere Aufmerksamkeits- oder Merkfähigkeitsstörungen sowie Störungen des Kurzzeitgedächtnisses, aber evtl. auch Orientierungsstörungen (halten zumeist Tage bis einige Wochen an) sowie postiktale Verwirrheitszustände und nicht zuletzt Aphasie, Apraxie und Agnosie.
→ VII: Das Letalitätsrisiko entspricht dem allgemeinen Narkoserisiko.
→ Kontraindikationen: Sind insbesondere:
→ I: Neurologisch:
→ 1) Erhöhter intrakranieller Druck,
→ 2) Zerebrale Raumforderungen,
→ 3) Aneurysma und Angiome zerebraler Gefäße und
→ 4) Frischer Schlaganfall (< 3 Monate).
→ II: Kardiovaskulär:
→ 1) Zustand nach Myokardinfarkt (innerhalb der letzten 3 Monate),
→ 2) Schwere kardiopulmonale Erkrankungen mit inadäquater Narkosefähigkeit.
→ 3) Maligne Hypertonie und hypertensive Entgleisung,
→ 4) Herzrhythmusstörungen,
→ 5) Angina pectoris,
→ III: Weitere Kontraindikationen: Sind das Phäochromozytom oder der akute Glaukomanfall.
→ Klinisch-relevant: Eine Schwangerschaft, die Implantation eines Herzschrittmachers sowie das hohe Lebensalter stellen keine Kontraindikationen dar.
→ Weiterführende Behandlung:
→ I: Nach erfolgreicher EK-Therapie sollte frühzeitige eine pharmakologische Rückfallprophylaxe mit z.B. einem Antidepressivum erfolgen.
→ II: In seltenen Fällen wird eine Erhaltungs-EKT über mindestens 6 Monate fortgesetzt, jedoch bestehen hierfür bis heute keine einheitlichen Standards. Zumeist nimmt die EKT-Frequenz über den Zeitraum hin ab, d.h. initial wöchentlich, dann alle 2 Wochen bis hin zu einem Therapieintervall von 4-6 Wochen. Eine Erhaltungs-EKT dient ausschließlich der Rezidivprophylaxe, nicht der Besserung des psychopathologischen Befundes.