→ Definition:
→ I: Bei der Schlafentzugstherapie handelt es sich um einen iatrogen induzierten Schlafmangel, der insbesondere adjuvant zur Behandlung von depressiven Syndromen (z.B. endogene Depression, Depression mit somatischem Syndrom) indiziert sein kann. Charakteristikum hierbei ist zum einen der schnelle Wirkungseintritt, zum anderen aber auch die oft nur kurz begrenzte Wirkungsdauer.
→ II: Die Schlafentzugstherapie gehört neben der Lichttherapie, der Elektrokrampftherapie, der repetitiven transkraniellen Magnetstimulations- und der Vagusnervstimulation zu den nicht-pharmakologischen, biologischen Therapieverfahren.
→ Wirkungsmechanismus:
→ I: Sie ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Bekannt ist jedoch, dass bei depressiven Patienten Veränderungen im REM-Schlaf-Muster mit Vorverlagerung und Verlängerung der ersten REM-Phase bestehen.
→ II: Ziel ist es, mit Hilfe des Schlafentzugs ein Resynchronisation und somit eine Wiederherstellung der physiologischen zirkadianen Rhythmik zu erreichen (= Regulierung der Schlafarchitektur).
→ Indikation:
→ I: Adjuvante Therapie bei depressiven Episoden mit somatischem Syndrom bzw. der endogenen Depression.
→ II: Depressionsbedingte Veränderungen des Schlaf-Enzephalogramms,
→ III: Stützendes Therapiekonzept bei therapieresistenter Depression.
→ IV: Verfahren zur differenzialdiagnostischen Unterscheidung zwischen depressiver Pseudodemenz und Demenz.
→ V: Überbrückung der Latenz bis zum Wirkungseintritt der Antidepressiva.
→ Klassifikation: Bei der Schlafentzugstherapie werden 3 Therapiekonzepte unterschieden:
→ I: Totaler Schlafentzug: Hier bleibt der Patient die gesamte Nacht und den nachfolgenden Tag, ca 40 Stunden, wach.
→ II: Partieller Schlafentzug: Wird gerade bei älteren und kranken Menschen aufgrund einer besseren Verträglichkeit durchgeführt. Hierbei geht der Patient zur gewohnten Zeit schlafen, wird um ca. 1 Uhr nachts geweckt und bleibt bis zum nächsten Abend wach.
→ III: Selektiver Schlafentzug: Bei diesem Verfahren wird der Patient selektiv zu Beginn der Traumphase (REM-Phase) geweckt. Das Verfahren ist in der Praxis aufgrund des hohen Aufwandes nur schwer durchzuführen (z.B. Schlaflabor).
→ IV: Verfahren zur Augmentation des SE: Es besteht die Möglichkeit der Wirkungsaugmentation des partiellen/totalen SE durch Schlafphasenvorverlagerung. Hierbei werden depressive Patienten, die beim Schlafentzug mit Stimmungsaufhellung reagiert haben, in der nachfolgenden Nacht auf eine Schlafphase von 17-24°° eingestellt. Diese Schlafphase wird in den darauffolgenden Tagen um 1h vorverlagert, d.h. in der 2. Nacht auf 18-1°°, in der 3. Nacht auf 19-2°° etc. bis nach ca 1 Woche die physiologische zirkardiane Rhythmik erreicht ist.
→ Durchführung:
→ I: Totaler Schlafentzug: Am 1. Tag steht der Patient um 7°° auf, durchwacht die erste und 2. Nachthälfte und geht am 2. Tag zur gewohnten Zeit schlafen, um am 3. Tag nach ca. 12h geweckt zu werden. Eine Wiederholung der totalen SE erfolgt mit einer Latenz von 5-7 Tagen.
→ II: Partieller Schlafentzug: Hier schläft der Patient die erste Nachthälfte bis er um ca. 1°° geweckt wird. Anschließend durchwacht er die 2. Nachthälfte und geht erst am 2. Tag zur üblichen Zeit schlafen. Wird zumeist 2x pro Wochen durchgeführt.
→ Klinisch-relevant:
→ A) Am Abend vor dem SE sollten keine sedierenden Medikamente appliziert werden.
→ B) Zur Motivationssteigerung erfolgt die Behandlung in der Gruppe; zusätzlich sollten Gestaltungsangebote wie gemeinsames Spazierengehen, Gesellschaftsspiele, gemeinsames Kochen etc. offeriert werden, da motorische und soziale Aktivitäten das Wachbeiben fördern.
→ C) Auch ist es wichtig, kurze Schlafepisoden während des SE und nächsten Tages zu meiden, um einem Verlust der stimmungsaufhellenden Wirkung entgegenzuwirken.
→ D) Die beiden Verfahren des Schlafentzugs können (z.B. in Form eines initial totalen SE und anschließenden partiellen SE an jedem 3. Tag) kombiniert werden.
→ Wirkung:
→ I: In bis zu 60% weist die Schlafentzugstherapie am nachfolgenden Tag einer stimmungsaufhellende Wirkung auf, die jedoch nur von kurzer Dauer ist (1-2 Tage).
→ II: Weitere Wirkungen: Des Weiteren beeinflusst die SE folgende klinische Symptome:
→ 1) Reduktion der Interessenlosigkeit, Gehemmtheit, der Ängste und inneren Unruhe.
→ 2) Normalisierung des gestörten Schlafmusters bei Depression.
→ Klinisch-relevant: Die Aufrechterhaltung der antidepressiven Wirkung wird gestützt durch:
→ A) Eine regelmäßige Wiederholung des Schlafentzuges und
→ B) Die Gabe eines Antidepressivums.
→ C) Die Schlafentzugstherapie stellt eine stützendes Behandlungskonzept zur Pharmakotherapie bei depressiven Patienten dar und kann u.a. gut mit der Lichttherapie kombiniert werden.
→ Nebenwirkungen: Sind u.a.
→ I: Müdigkeit und Schläfrigkeit,
→ II: Kopfschmerzen,
→ III: Hypomanie und
→ IV: Evtl. gastrointestinale Beschwerden.
→ Kontraindikationen: Hierzu zählen insbesondere:
→ I: Epilepsie durch Senkung der Krampfschwelle.
→ II: Akute Suizidalität,
→ III: Schizophrene Psychosen, da der Schlafentzug die Exazerbation der Positivsymptomatik triggern kann.
→ IV: Bipolare affektive Störungen mit Neigung zum schnellen Wechsel in die Manie.