Definition: Die bipolare affektive Störung ist durch den episodenhaften Wechsel von depressiven und manischen/hypomanischen Episoden bzw. das Auftreten gemischter Episoden (= hierbei treten sowohl depressive als auch manische Symptome innerhalb einer Krankheitsphase auf) gekennzeichnet.

 

Epidemiologie:

→ I: Das Lebenszeitrisiko liegt bei den bipolaren Störungen bei 1-2% (bei der bipolaren II liegt es sogar bei 3-4%).

II: Männer und Frauen sind bei der Bipolaren-I-Störung gleich häufig, bei der bipolaren-II-Störungen sind Frauen jedoch doppelt so häufig betroffen.

III: Manifestation: Die bipolaren Störungen treten früher als die unipolare Depression auf. Der Manifestationsgipfel liegt um das 20.-35. Lebensjahr. Häufig beginnt sie mit einer manischen Episode.

216 Häufigkeitsverteilung affektiver Störungen

 

→ Ätiopathogenese: Die Enstehung der bipolaren affektiven Störung ist multifaktoriell bedingt; hierzu zählen u.a.:

→  I: Genetische Faktoren: Insbesondere bei den bipolaren affektiven Störungen existiert eine ausgeprägte genetische Disposition mit Anomalien auf den betreffenden Chromosomen (mehr als bei den unipolaren affektiven Störungen). So weisen eineiige Zwillinge eine Konkordanz von 80% auf. Auch Kinder kranker Eltern sind mit 50-75% der Fälle deutlich häufiger betroffen.

→ II: Neurobiologische Faktoren: Es zeigen sich eine Dysbalance in der Interaktion verschiedener Neurotransmitter, insbesondere von Serotonin, Noradrenalin und Dopamin im limbischen System.

→ III: Psychosoziale Faktoren: Autobiographische Erfahrungen gerade in der Kindheit, aber auch während der Pubertät, die den Aufbau stabiler, vertrauenswürdiger Beziehungen verhindern aufgrund von Gewalt, Verlusterlebnisse oder auch Missbrauch gelten als Risikofaktoren bzw. Triggermechanismen.

 

Klinik: In den verschiedenen Episoden entspricht sie jeweils dem Bild einer Manie bzw. Depression

→ I: Depression: Leitsymptome sind niedergeschlagene, depressive Grundstimmung sowie der Interessenverlust. Weitere Symptome sind:

→ 1) Denken und Aufmerksamkeit: Mit Denkverlangsamung bis -hemmung, negativen Gedankeninhalten und Grübeln. Hierbei kreisen die Gedanken um wenige negativ besetzte Themen. In sehr ausgeprägten Fällen kann das Bild einer Pseudodemenz entstehen.

→ 2) Antrieb: Ist meist stark vermindert bis gehemmt; evtl. bildet sich ein Mutismus und/oder depressiver Stupor aus.

→ 3) Psychotische Symptome: Gerade bei den bipolaren affektiven Störungen entwickeln sich häufig psychotische Symptome wie Wahn und Halluzinationen (bis zu 50% der Fälle). Charakteristisch hierbei ist, dass die Wahninhalte synthym (= stimmungsgleich) sind und folgende Inhalte aufzeigen:

→ A) Hypochondrischer Wahn,

→ B) Versündigungs- und Verschuldungswahn: Patienten sind der Überzeugung, sich schuldig gemacht zu haben; in ausgeprägter Form sind sie der Überzeugung, für alle Unglücke dieser Welt verantwortlich zu sein.

→ C) Nihilistischer Wahn: Überzeugung der ganze Körper, die Seele, die Welt sei nicht mehr existent.

→ D) Verkleinerungswahn: Überzeugung körperlich zu schrumpfen.

 

→ Klinisch-relevant: Z.T. sind die Symptome der depressiven Phase atypisch mit vermehrtem Schlafbedürfnis und Appetit aber auch innerer Unruhe und vermehrter Therapieresistenz.

 

→ II: Manische Symptome: Gekennzeichnet durch situations-inadäquate, schnell schwankende Stimmung zwischen Heiterkeit und Euphorie über Dysphorie bis hin zur Aggressivität. Weitere Symptome sind:

→ 1) Antrieb: Deutlich gesteigert mit Rede- und Bewegungsdrang.

→ 2) Denken und Aufmerksamkeit: Die Patienten sind leicht irritier- und ablenkbar, es besteht häufig eine Ideenflucht sowie ein Gedankenrasen. Die Konzentration ist deutlich vermindert.

→ 3) Verhalten: Es entwickelt sich eine soziale Enthemmung mit Distanzlosigkeit, sexueller Belästigung und Selbstüberschätzung bis hin zum Größenwahn. In dieser Phase fehlt jegliche Krankheitseinsicht und nicht selten besteht eine Eigen- bzw. Fremdgefährdung.

→ 4) Somatische Symptome: Sind u.a. Fehlendes Schlafbedürfnis sowie gesteigerte Libido und Potenz.

 

→ Klinisch-relevant: In bis zu 50% der Fälle bilden sich psychotische Symptome wie Größenwahn aus, die symthym (= stimmungskongruent) sind.

 

Krankheitsverlauf:

→ I: Die affektive bipolare Störung weist meist einen schwereren Verlauf auf und beginnt in mehr als der Hälfte mit einer manischen Phase.

→ II: In bis zu 50% der Fälle sind psychotische Phänomene nachweisbar.

→ III: Die Länge einer mansiche Episode beträgt in der Mitte 4 Monate, die der depressiven - 6-8 Monate. 

 

Klassifikationen:

→ I: Rapid-Cycling: Hiervon spricht man, wenn mehr als 4 depressive und/oder manische Phasen innerhalb eines Jahres auftreten. Tritt gehäuft bei der bipolaren-II-Verlaufsform auf.

→ II: Ultra-rapid-Cycling: Der Phasenwechsel erfolgt innerhalb von Wochen und Tagen evtl. sogar Stunden.

1) Vorkommen: Betrifft ca 10-20% der Patienten mit affektiven bipolaren Störungen. Meist manifestiert sich diese Verlaufsform erst im späteren Krankheitsgeschehen, wobei in 80-90% der Fällen vorwiegend Frauen betroffen sind.

2) Weitere Risikofaktoren:

→ A) Bipolare-II-Verlaufsform.

B) Früher (junges Lebensalter) Krankheitsbeginn der affektiven bipolaren Störung.

C) Langfristige Therapie mit trizyklische Antidepressiva.

D) Frauen mit Hypothyreose.

586 Episodenformen der bipolaren affektiven Störungen

 III: Klassifikation der bipolaren Störung: Sie wird unterteilt in: 

1) Bipolare-I-Störung: Diese ist durch das zeitlich versetzte Auftreten von depressiven und manischen Episoden charakterisiert.

2) Bipolare-II-Störungen: Gekennzeichnet durch den Wechsel von meist schweren depressiven und kurzzeitigen hypomanischen Episoden. 

 

Klinisch-relevant: Die Hypomanie ist definiert als ein Symptomkomplex, der nicht den klinischen Schweregrad einer manischen Krankheitsepisode erreicht. Charakteristische Symptome sind anhaltend gehobene Stimmung, Geselligkeit und subjektiv empfundene gesteigerte Leistungsfähigkeit, die von Außenstehenden jedoch nicht als pathologisch angesehen werden. 

751 Schematische Darstellung der Krankheitsverläufe der affektiven Störungen

 

→  IV: Nach Akiskal bestehen es noch weitere Unterteilungen.

 1) Bipolare-III-Störungen: Hierbei handelt es sich um rezidivierende depressive Episoden mit hyperthymen (gehobene Stimmung, gesteigerte sinnlose Aktivität und unkritischem Verhalten) Temperament.

2) Bipolare-IV-Störung: Sie stellt rezidivierende depressive Episoden mit bipolarer Familienanamnese dar.

 

Klinisch-relevant: Bei der bipolaren Störung remittieren also die manischen bzw. depressiven Phasen; zudem können in 20-30% der Fälle aber auch während des freien Intervalls Stimmungslabilität und Störungen im interpersonellen bzw. beruflichen Bereich auftreten.

 

Komorbiditäten:

→ I: Drogen-, Medikamenten- und Alkoholabhängigkeit.

II: Suizidalität, welche hierbei höher ist als bei der unipolaren Depression.

→ III: Angststörungen und

→ IV: Persönlichkeitsstörungen, insbesondere die emotional-instabile PS.